27 Blogs

Unter der Rubrik 'actual blogs' finden sich nun bisher 27 eigene Artikel sowie ein Gastbeitrag von Otto Reger mit prioritär friedenspolitischen, ökologischen und demokratietheoretischen Bezügen, die zum Teil bereits vorher an anderen Orten veröffentlicht wurden (mit Bezug zur Originalquelle). Aber auch die Bereiche 'Gesellschaft und Psyche', 'Unterkomplexes Denken in der Politik' sowie die Gefahren und Chancen des digitalen Zeitalters, insbesondere die KI-Problematik,  werden thematisiert. Manche Beiträge werden in deutscher und englischer Sprache publiziert. Der Blog 2 ist aufgrund seiner zentralen Bedeutung auf Deutsch, Englisch, Französisch, Niederländisch, Ukrainisch und Russisch publiziert. Der Blog 12 (zusammen mit May-May Meijer) wird ebenfalls in niederländischer Sprache publiziert. Blog 13 wird auch in französischer Sprache veröffentlicht.

Under the heading 'actual blogs' there are now 27 articles of my own as well as a guest contribution by Otto Reger with a priority on peace policy, on ecological topics and democratic theory, some of which have already been published elsewhere (with reference to the original source). But also the areas of 'Society and Psyche', 'Subcomplex Thinking in Politics' and the dangers and opportunities of the digital age, especially the AI issue, are addressed. Some articles will be published in German and English. 

 Due to its central importance, Blog 2 is published in German, English, French, Dutch, Ukrainian and Russian. 

 Blog 12 (together with May-May Meijer) is also published in Dutch. Blog 13 is also published in French.

Sous la rubrique 'actual blogs', on trouve désormais 262articles propres ainsi qu'une contribution d'Otto Regeravec des références prioritaires à la politique de paix, à l'écologie et à la théorie de la démocratie, dont une partie a déjà été publiée auparavant à d'autres endroits (avec référence à la source originale). Mais les domaines 'société et psyché', 'pensée sous-complexe en politique' ainsi que les dangers et les chances de l'ère numérique, en particulier la problématique de l'IA, sont également abordés. Certaines contributions sont publiées en allemand et en anglais. En raison de son importance centrale, le blog 1 est publié en allemand, en anglais, en français, en néerlandais, en ukrainien et en russe. Le blog 12 (avec May-May Meijer) est également publié en néerlandais. Le blog 13 est aussi présenté en français.




Blog 1

Ukraine-Krieg: 

Zwei Drittel der Deutschen wollen Friedensverhandlungen

von: Hajo Funke und Klaus Moegling

7.9.2024


Der Angriff ukrainischer Truppen auf russisches Gebiet in Kursk ist ein überraschendes  Manöver, dessen Kalkül weitgehend unbekannt bleibt, das ohne Abstimmung mit den amerikanischen Unterstützern erfolgt ist, sich im schlimmsten Fall als Pyrrhussieg erweist und zu einer schnellen weiteren Eskalation treibt; die umfassenden Angriffe auch im Schwarzmeer-Gebiet und auf die Krim sind angesichts der Zielgenauigkeit kaum ohne amerikanisches Know How denkbar. Offenkundig betreibt die ukrainische Führung um Selenskyj nun ihr eigenes gefährliches Eskalations“spiel“ und setzt damit das ohnehin durch die Aufdeckung des Pipeline-Attentats erschütterte Vertrauen auf Spiel, wenn es nicht bereits gebrochen ist.
Im besseren Fall bietet diese ukrainische Eskalation einen taktischen Anlass, angesichts der nun kaum noch kontrollierbaren Risiken schnellstens beide Seiten auf Verhandlungen zu verpflichten. Denn gleichzeitig gehen immer mehr westliche Staaten gegenüber der ukrainischen Radikal-Taktik auf Distanz, erst recht nach dem mutmaßlichen Vertrauensbruch, wenn sich bestätigt, dass Selenskyj wesentlich für das Attentat auf die Pipeline verantwortlich ist.
Das gilt nicht zuletzt für Deutschland angesichts der kommenden Landtags- und Bundestagswahlen, durch die der Druck wächst, mehr als bisher beide Seiten auf Verhandlungen zu verpflichten, und sich die realistische Angst vor unkontrollierbaren Eskalationen bis hin zu einem dritten Weltkrieg angesichts des Kursk-Manövers ausweitet.
Die Hinweise mehren sich, dass sich erneut der Druck auf Verhandlungen erhöht: durch die US-Amerikaner und auch wegen der unklaren Wahlsituation; die russische Seite, weil sie durch die chinesische Führung und aus den  Brics-Staaten stärker unter Druck gesetzt wird.  Das besondere ist, dass es jederzeit zu einer ungeheuren, auch atomaren Eskalation kommen kann. (Vgl. Funke: „Ukraine – Verhandeln ist der einzige Weg zum Frieden“)

Eine aktuelle repräsentative INSA-Umfrage zum Krieg in der Ukraine

Noch nie ist in den letzten Jahren des Ukraine Kriegs so genau und differenziert in einer Umfrage nach den Interessen zu Verhandlungen und Frieden in der deutschen Bevölkerung gefragt worden, wie es die durch die Zeitschrift ‚Emma‘ in Auftrag gegebene INSA-Studie getan hat (vgl. Emma, 23.8.2024 [1]). Auf die Frage „Sind Sie grundsätzlich für oder gegen Friedensverhandlungen mit Russland?“ antworteten 68 %: Ich bin dafür (Die Hälfte von ihnen ist „absolut“ für Friedensverhandlungen, die andere Hälfte „eher dafür“). In Ostdeutschland sind 76 % für Friedensverhandlungen, in Westdeutschland 66 %. Am stärksten für Verhandlungen sind die Wähler_innen des BSW (87 %) und der AfD (82 %) – am wenigsten für Friedensverhandlungen sind die Wähler_innen der Grünen (59 %) und der Linken (58 %). „Und wie würden Sie es bewerten, wenn die westlichen Länder Russland anbieten würden, im Gegenzug zu einem Waffenstillstand und der Aufnahme von Friedensgesprächen auf weitere Waffenlieferungen zu verzichten?“, lautet die Frage an alle, die grundsätzlich für Verhandlungen mit Russland sind (1.358 Befragte). Von ihnen fänden 65 % das „gut“ bis „sehr gut“. In Ostdeutschland plädierten sogar 79 % für einen Waffenstillstand, in Westdeutschland 62 %. Die Mehrheit der Wähler_innen aller Parteien fände einen Waffenstillstand gut, auch die der SPD (58 %) und CDU/CSU (60 %). Nur die Grünen Wähler_innen sind nicht mehrheitlich dafür (42 %). Und – Überraschung – 74 % der FDP Wähler_innen sind für einen Stopp der Waffenlieferungen bei Verhandlungen.
Und: 43 % machen ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl inzwischen davon abhängig, ob eine Partei Friedensverhandlungen im Russland-Ukraine Krieg fordert (43 % nicht), im Osten sind es 52 % (im Westen 41 %).

„Irreparabler Schaden“.  Eskalation durch die einsame Entscheidung zur Stationierung atomar bestückbarer Mittelstrecken-Raketen durch den Bundeskanzler

Die einseitige Entscheidung der Vereinigten Staaten, die die Bundesregierung am 11. Juli abnickte, zur Stationierung von Mittelstreckenraketen auf dem höchsten technologischen Stand ist die bisher gefährlichste Entscheidung in der gegenseitigen Eskalation – ohne irgendwelche Perspektiven der Abrüstung und der Rüstungskontrolle. Das  ist ein Bruch mit allen Sicherheitskonzeptionen seit 1945 seit den frühen 60er Jahren: ohne ein Verhandlungs- und Abrüstungsangebot, die vorgesehene Stationierung allein in Deutschland – und damit nicht nur eine Abkehr von Willy Brandt, sondern auch von der militärpolitischen Strategie Helmut Schmidts. Ein „irreparabler Schaden“ (Stefan Reinecke in der taz vom 14. August 2024). „Das Kanzleramt hat offenbar jedes Gespür für die grassierenden Ängste vor einer Eskalation mit Russland verloren. Nur so ist zu erklären, dass Scholz glaubte, die Raketenstationierung wie einen Verwaltungsakt behandeln zu können.“ (Ebd) Angesichts einer Dominanz westlicher Waffensysteme auch gegenüber Russland ist die geplante Stationierung und dazu ohne Abrüstungsinitiativen ein falscher Griff in die kriegerische Mottenkiste ohne Sinn und Verstand angesichts inzwischen zweier fulminanter Kriege in der Ukraine sowie in und um Gaza, und einer irrsinnigen Aufrüstungsspirale, die auch im Vergleich zur Situation vor 40 Jahren Ihresgleichen sucht.
Inzwischen dürfen deutsche Waffen nach Maßgabe der deutschen Regierung russisches Gebiet erreichen und deutsche Panzer sich im russischen Kursk bewegen. Deutschland liefert mehr Waffen an die Ukraine als Europa zusammen und ist im Baltikum Schutzmacht. Je länger der Krieg dauert, umso dichter wird Deutschland - mit einem unter dem Druck der Ultranation stehenden und sich radikalisierenden Selenskyj - in ihn verstrickt. Deutschland hat außer Eskalation und Aufrüstung keine Idee, nicht einmal die Stationierungsentscheidung mit einem Abrüstungsangebot zu verbinden oder eine deutsche Friedensinitiative mit China oder Südafrika oder vor allem mit der UNO zu betreiben.
Niemand weiß, wann der Point of no return und  überschritten sein wird und der Einsatz taktischer Nuklearwaffen erfolgt.
Deswegen braucht es international abgestimmte diplomatische Offensiven im Gegensatz zu weiteren Aufrüstungsspiralen.
Dabei lassen sich sowohl für die russische Föderation als auch für die Ukraine die positiven Chancen eines Verhandlungsfriedens ausmachen. Sie liegen vor allem darin, dass es nach dem ungeheuren Leid aufgrund des Angriffskriegs nicht zu weiteren Hunderttausenden Toten und Verletzten kommt. Das gilt insbesondere für die Menschen in der Ukraine, aber ebenso in Russland. Wenn man eine einigermaßen realistische Chance für einen Waffenstillstand sieht, dürfte die große Mehrheit der Ukraine dafür sein. Ähnliches dürfte für die russische Bevölkerung gelten.

Endlich eine internationale Verhandlungskommission bilden!

Es gab in der Vergangenheit zahlreiche gute Vorschläge für Verhandlungen, die systematisch auszuwerten und einzubeziehen sind (vgl.  die Zusammenfassung der International Physicians for the Prevention of Nuclear War, IPPNW 2024 [2]). Der Verhandlungsrahmen muss stimmen, damit die Ergebnisse ernst genommen werden.
Es bietet sich daher die Einrichtung einer hochrangigen, ausgewogenen und wirkmächtigen Verhandlungskommission unter Leitung des UN-Generalsekretärs, mit Vertretern einflussreicher BRICS-Staaten (z.B. China, Indien u. Brasilien) sowie der USA, der EU und der OSZE an. Sie sollte direkte Verhandlungen mit den Regierungen der Ukraine und Russland mit dem Ziel führen, den Konflikt einzufrieren und einen Waffenstillstand auszuhandeln. Er wäre die Voraussetzung für Friedensverhandlungen, die sich an das Völkerrecht halten und keinen ‚schmutzigen Deal‘ vornehmen.
Um eine durchaus denkbare Eskalation hin zu einem 3. Weltkrieg zu verhindern, müssen nicht militärische Mittel sondern Verhandlungsoffensiven Vorrang haben.
Wenn aber eine Umsteuerung von der militärischen Eskalation zur friedenspolitischen Verständigung erfolgen soll, stellt sich im Sinne eines Verhandlungserfolgs die Frage, welche Vorteile die Kriegsparteien hiervon hätten.

Was hätten westliche Verhandlungspartner den verfeindeten Staaten für die Nachkriegszeit anzubieten?

Selbstverständlich sind es die Beendigung des gegenseitigen Tötens, der Vernichtung menschlichen Glücks, der Zerstörung von Umwelt und Infrastruktur sowie die Reparatur massiver ökonomischer Schäden.
 Die Vorteile für die Russische Föderation und Belarus wären unter einer ökonomischen Perspektive ebenfalls offenkundig: Aufhebung der westlichen Sanktionen, verstärkte Wirtschaftsbeziehungen, Wiedereingliederung in westlich orientierte transnationale Wirtschaftsinstitutionen.
 Die Ukraine hätte den ökonomischen Vorteil einer internationalen Unterstützung beim Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft, des möglichen mittelfristigen Beitritts zur EU und dem damit verbundenen Sicherheitsversprechen sowie den Milliarden-Subventionen insbesondere für ihre Landwirtschaft. Für beide Staaten böte sich der Vorteil einer Transformation von ressourcenextraktiven und auf  Kriegswirtschaft umgestellten Staaten auf eine nachhaltige Entwicklung.
Hiermit verbunden wären international abgestimmte Abrüstungsmaßnahmen, um über die hier entstehende Friedensdividende umfassende Ressourcen für sozialstaatliche und ökologische Maßnahmen frei werden zu lassen. In diesem Sinne wurde  der Aufruf insbesondere u.a. gegen die Stationierung von Hyperschallraketen in Ost und West und für international abgestimmte Abrüstungsmaßnahmen veröffentlicht, den bereits über 12.000 Unterzeichner_innen zugestimmt haben (siehe Kasten).
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Appell gegen die nukleare Aufrüstung:
https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung 
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Für Russland und Belarus würde der Weg in der Nachkriegszeit weg vom Image als vom Westen angesehenen Paria-Staat hin zur Wiederaufnahme in die internationale Staatengemeinschaft führen, die über die Anerkennung in den BRICS- und den OSCE-Staaten hinausgeht. Die Zusammenarbeit in der OSZE und dem NATO-Russland-Rat könnte wieder aktiviert werden und  Russland wieder zur Gruppe der G8 hinzugenommen werden.
Es sollte nach einem Friedensvertrag und einer stabilisierten Situation eine strafrechtliche Verfolgung von dokumentierten Kriegsverbrechen vorgenommen werden. Es sollten  Konfliktkommissionen ähnlich den von Nelson Mandela initiierten südafrikanischen Versöhnungskommissionen nach dem Ende der Apartheid gebildet werden.  Dies wird das geschehene Unrecht und das entstandene menschliche Leid nicht wieder ausgleichen können, wird aber dabei helfen können, die traumatischen Ereignisse so verarbeiten zu können, dass ein Weiterleben mit dem Erlebten möglich wird.
Die beschriebenen positiven Perspektiven einer Kriegsbeendigung für die beteiligten Staaten sollten Priorität haben und als Angebot für die Nachkriegszeit in die Verhandlungen eingebracht werden.
Die Autoren stellen sich die Frage, warum nicht endlich von einer Eskalationsstrategie zu einer Verhandlungsoffensive mit detaillierten Perspektiven für eine gegenseitige Win-win-Situation übergegangen wurde. Steckt hierhinter geostrategisches Kalkül westlichen Dominanzstrebens oder immer noch die Annahme, dass die Russische Föderation erst verhandelt, wenn sie militärisch geschwächt ist? Im zweiten Fall wird vollkommen verdrängt, dass es sich bei der Russischen Föderation um eine Nuklearmacht mit globalem Vernichtungspotenzial handelt. Doch ein Nicht-Ernstnehmen bzw. Verdrängen des nuklearen Destruktionspotenzials Russlands von Seiten der herrschenden Politik ist im höchsten Maße verantwortungslos gegenüber der Bevölkerung. Die kommenden Wahlen werden zeigen, wie die Wähler_innen hierauf reagieren werden. Wenn die skizzierte aktuelle INSA-Umfrage mehr als eine Momentaufnahme ist, dann wird die Haltung der zur Wahl stehenden Parteien zum Krieg in der Ukraine und ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu diplomatischen Lösungen für den eskalierenden Krieg mitentscheidend für die kommenden Wahlausgänge sein. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen im September 2024 weisen bereits in diese Richtung.

Hajo Funke, Prof. Dr. i.R., FU Berlin. „Ukraine – Verhandeln ist der einzige Weg zum Frieden“. Berlin 2023. Blog: Hajo Funke. Wordpress. https://hajofunke.wordpress.com/
 
Klaus Moegling, apl. Prof. Dr. habil. i.R., Fb Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel,
Homepage: https://www.klaus-moegling.de
Buchpublikation: Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. 5. aktualisierte u. erweiterte Auflage, 2024.
Deutsche Ausgabe im freien Zugang:  https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/

Anmerkungen:
[1] https://www.emma.de/artikel/ukraine-krieg-mehrheit-fuer-friedensverhandlungen-341207, 23.8.2024.
[2] https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Frieden_Ukrainekonflikt.pdf, 6. Aufl., Februar 2024.

(Eine Kurzversion dieses Beitrags wurde in der 'Frankfurter Rundschau' veröffentlicht:

Wie können Friedensverhandlungen gelingen? 

https://www.fr.de/politik/wie-koennen-friedensverhandlungen-gelingen-93285926.html, 6.9.2024.

Eine etwas modifizierte Langversion wurde in der Zeitschrift 'der Freitag' veröffentlicht:

Der Point of no Return ist schon zu sehen: Stoppt endlich die Eskalation!

In: der Freitag,

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ukrainekrieg-die-atomare-eskalation-ist-absehbar-es-muss-verhandelt-werden, 20.9.2024, 20.9.2024.)




Blog 2

 

(* Dieser Artikel ist hier in deutscher, englischer, französischer, niederländischer, ukrainischer und russischer Sprache veröffentlicht. Ich bitte darum, ihn an internationale Kontakte weiterzuleiten. 
* This article is published here in German, English, French and Russian. Please forward it to your international contacts. 
* Cet article est publié ici en allemand, en anglais, en français et en russe. Je vous demande de le faire suivre à vos contacts internationaux.
* Ця стаття опублікована тут німецькою, англійською, французькою, голландською, українською та російською мовами. Будь ласка, перешліть її своїм міжнародним контактам. 

* Эта статья публикуется здесь на немецком, английском, французском и русском языках. Пожалуйста, перешлите ее вашим международным контактам). 

Ukraine: Wie ein 3. Weltkrieg noch vermieden werden kann.

 
von Klaus Moegling
20/7/2024

 
Gegenwärtige Analysen gehen zunehmend von einer Unvermeidlichkeit eines 3. Weltkriegs aus. Doch dies hängt von Entscheidungen der zentralen Akteure ab. Verhandlungsperspektiven und Vorteile für eine Kriegsbeendigung in der Ukraine existieren für alle beteiligten Akteure.
 

Einfrieren oder Eskalieren?

Gegenwärtige Gegner der Wiederaufnahme von Verhandlungen sind der Auffassung: „Putin verhandelt nicht.“ Aber dennoch gilt anzumerken, dass es zumindest für einen Zeitraum erfolgreiche Verhandlungen beim Gefangenenaustausch, bei gegenseitiger Überstellung von Gefallenen und bei den Getreidetransporten gab. Vermittler waren hier Papst Franziskus, UN-Generalsekretär Guterres sowie die türkische Regierung. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj lehnt zwar offiziell Verhandlungen ab, bevor nicht die russischen Truppen die Ukraine verlassen haben, lässt aber dennoch in Bezug auf die angesprochenen Teilprobleme verhandeln.
Johannes Varwick (2022) fordert daher Verhandlungen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation (RF) zum ‚Einfrieren‘ des Kriegs, was zwar noch keine Lösung darstelle aber das Eintrittstor für weitergehende Verhandlungen sei. Dies sei besser als weitere Hundertausende Tote und Schwerverletzte und eine gefährliche Eskalation des Krieges. Ebenfalls unterstützt der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich die Forderung nach dem Einfrieren des Konflikts, was allerdings in einem Gegensatz zum medialen Mainstream und zur Politik der grünen Außenministerin steht.
Michael von der Schulenburg (2024) zweifelt des Weiteren an, dass sich die gegenwärtige wechselseitige militärische Eskalation im Ukraine-Krieg mit dem Völkerrecht und der UN-Charta legitimieren lässt:
„Kann man mit der UN-Charta auch rechtfertigen, über mehrere Jahre einen Krieg zu führen, der in der Zerstörung des angegriffenen Staates enden könnte? Und berechtigt dies auch zu einer Ausweitung des Krieges auf Russland mit dem Risiko, einen nuklearen Weltkrieg vom Zaun zu brechen? Und das alles, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, den Konflikt, der zu diesem Krieg geführt hat, friedlich zu lösen? Wohl kaum! Denn Sinn und Zweck der UN-Charta ist es ja, der Menschheit den Frieden zu erhalten und nicht etwa Kriege zu rechtfertigen.“
Wartet man jedoch zu lang mit dem Beginn von Verhandlungen in diesem Sinne kann die Ausgangslage für Verhandlungen immer schlechter werden, wenn sich die militärische Lage für die Ukraine verschlechtern sollte.

Die nukleare Bedrohung kommt näher

Das russische Militär greift im ersten Halbjahr 2024 verstärkt die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw an und bombardiert zivile Infrastruktur. Die NATO befürwortet inzwischen den aus ihrer Sicht völkerrechtlich legitimen Einsatz westlicher Waffen von der Ukraine aus auf bestimmte militärische Ziele im russischen Gebiet, um u.a. die Angriffe auf Charkiw präventiv zu verhindern. Der französische Präsident spricht sich für den Einsatz westlicher Militärs in der Ukraine aus. Die Ukraine zerstört einen Teil des nuklearen Frühwarnsystems der RF. Putin kontert erneut mit der mit äußersten Ernst vorgetragenen Drohung, taktische Atomwaffen nicht nur gegen die Ukraine sondern auch gegen den Westen einzusetzen. Der ehemalige russische Präsident und Ministerpräsident Medwedew drohen mit einem russischen Raketenangriff auf westliche Hauptstädte und einem Dritten Weltkrieg. Die RF führte dementsprechend ein Atomwaffenmanöver durch, um den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen zu erproben. Die NATO und Deutschland kündigen auf dem NATO-Jubiläum im Juli 2024 in New York u.a. die Stationierung neuer nuklear bestückbarer Mittelstreckenraketen vom Typ Tomahawk in Deutschland an. Damit werden erstmals seit dem Abzug der atomaren Mittelstreckenraketen im Jahr 1991 im Zuge des INF-Abkommens wieder Raketen auf deutschem Boden stationiert. Daher fordert die IPPNW, die internationale Ärzteorganisation zur Verhinderung eines Nuklearkrieges, „als ersten Schritt eine Risikominderung: Die drei westlichen Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich sollten gemeinsam mit China auf Russland zuzugehen und eine Doktrin des Verzichts auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen erklären.“
Auch nuklear bestückbare Hyperschallraketen sollen bis 2026 auf deutschem Gebiet stationiert werden und stehen dann den bereits sich in Kaliningrad befindlichen russischen Hyperschallraketen gegenüber. Die RF greift des Weiteren bereits mit Hyperschallraketen in der Ukraine an. Äußerst aktuell ist daher der Aufruf kritischer Politikwissenschaftler und für Verhandlungen plädierender Politiker_innen auf  Change.org, der zum Widerstand gegen Hyperschallraketen in Ost und West aufruft, die in wenigen Minuten mit ihren konventionellen oder nuklearen Sprengköpfen die Hauptstädte der beteiligten Staaten erreichen können. Die Gefahr des Nuklearkrieges ist so nahe wie allenfalls während der Kuba-Krise im Jahr 1962. Jedoch werden Persönlichkeiten und Politikwissenschaftler, die eine nukleare Reaktion nicht ausschließen wollen, als Personen, die auf Putins Drohkulissen hereinfallen, öffentlich in westlichen Medien stigmatisiert. Drohungen nuklearer Raketenangriffe werden als Angstmacherei und Einschüchterungsversuche herabgestuft. Dennoch: Müssen sich führende westliche Politiker aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für die Menschen, die sie repräsentieren, nicht fragen, ob man eine nukleare Reaktion Russlands tatsächlich ausschließen kann? Wäre es nicht sinnvoller, jetzt endlich eine entschiedene Verhandlungsoffensive zu beginnen, bevor es zu spät ist?
Günter Verheugen und Petra Erler (2024:14) warnen in ihrem Buch „Der lange Weg zum Krieg“ – trotz ihrer Kritik an Russlands völkerrechtswidrigen Angriff – dementsprechend:
„Ein Zerstörungswille, der sich auf Russland richtet, zerstört auch uns. Er führt zwingend in die nukleare Katastrophe, denn das ist der einzige Fall, bei dem die nukleare Doktrin Russlands greift: Steht die Existenz des Landes auf dem Spiel, ist der Atomwaffeneinsatz erlaubt. Was in der Welt wäre es wert, herausfinden zu wollen, ob das nur eine leere Drohgebärde ist?“
Herfried Münklers Position hingegen, dass es eine EU-Atombombe geben müsse, trägt wenig zu einer diplomatischen Offensive und zur Deeskalation bei – so Münkler (2023):
„Die Briten haben zwar Atom-U-Boote, Frankreich die Bombe, aber werden sie die wirklich einsetzen, um Litauen oder Polen zu schützen? Das darf man aus Sicht des Kreml bezweifeln. Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert.“
Münkler plädiert in diesem Zusammenhang für eine massive Aufrüstung europäischer Staaten und der EU, um Russland abzuschrecken. Diese Überlegungen greift die europäische SPD-Spitzenkandidatin Katharina Barley auf und fordert ebenfalls ein Nachdenken über eine europäische Atombombe – insbesondere angesichts der zukünftig zu erwartenden Unzuverlässigkeit der USA (Wangerin 2024).
Eine derart massive Hochrüstung im konventionellen und nuklearen Bereich auf Seiten der Russischen Föderation und des Westens verbunden mit einer sich zuspitzenden Drohkulisse und einer militärischen Eskalation in der Ukraine ist jedoch kontraproduktiv und äußerst gefährlich. Es besteht die Gefahr des ‚Point of no Return‘ und einer nicht zu stoppenden Eskalationsdynamik, wie es Jürgen Habermas (2023) in der Süddeutschen Zeitung formulierte. Irgendwann kann ein Kipppunkt erreicht sein, der die Ereignisse unkontrolliert und chaotisch auf die Welt einstürzen lässt. Wie weit sind wir jetzt von diesem Kipppunkt noch entfernt?

Die notwendige Doppelstrategie zur Beendigung des Krieges

Hajo Funke fordert in seiner Flugschrift „Verhandeln ist der einzige Weg zum Frieden“ bereits im Juni 2023 angesichts des durch den Krieg entstandenen menschlichen Leids die Wiederaufnahme von Verhandlungen ein:
„Ist es legitim – das gilt erneut für alle Seiten –, Leid und Zerstörung für Menschen und Gesellschaften weiterhin hinzunehmen, ohne alles – aber auch alles – in der Macht der Regierungen unserer Völker Stehende zu tun, diese destruktive Eskalation im Krieg zu unterbrechen? Müssen wir nicht spätestens jetzt (…) die Frage stellen, ob ein ‚weiter so‘ durch mehr Waffen und mehr Eskalation gegenüber den betroffenen Gesellschaften und den gefährdeten Menschen sich noch rechtfertigen lässt?“ (Funke 2023: 88)
Zwei notwendige Strategien müssten m.E. als Doppelstrategie („Ausbau der Verteidigungsfähigkeit und Verhandlungsoffensive“) in diesem Zusammenhang parallel zueinander weiterentwickelt werden:
1. Koordinierter Ausbau der militärischen Verteidigungsfähigkeit der EU, der NATO sowie der Ukraine mit Augenmaß, um ein weiteres militärisches Vordringen der Russischen Föderation zu verhindern – auch eventuell über die Ukraine hinaus;
2. Parallel hierzu forcierte Verhandlungsangebote im Krieg in der Ukraine über eine wirkmächtige Verhandlungskommission mit Vertretern einflussreicher Staaten unter Federführung des UN-Generalsekretariats mit den Regierungen der Russischen Föderation und der Ukraine.
Die Strategie Nr. 1 („Ausbau der Verteidigungsfähigkeit“) scheint bisher in ihrer eher aggressiven Variante Priorität zu haben. Mittel- und Langstreckenraketen, insbesondere die auch für den Westen geplanten Hyperschallraketen, Nuklearwaffen und nukleare Teilhabe und Marschflugkörper, wie ‚Taurus‘, können nicht als prioritär einer zur Verteidigung dienenden Militärtechnologie angesehen werden. Dies sind eindeutig Angriffswaffen. Verteidigungsfähigkeit ‚mit Augenmaß‘ bedeutet einschlägige Verteidigungstechnologie, wie hocheffektive Flugabwehrraketensysteme, Minenabwehrdrohnen und Minenräumer, Antiseeminensysteme, Panzerabwehrwaffen, Cyber- und Spionageabwehrabwehr oder Frühwarnsatelliten, systematisch in Abstimmung mit Bündnispartnern auszubauen. Dies ist ein weites Feld, in dem auch die Rüstungsindustrie im öffentlichen Auftrag und unter staatlicher Kontrolle eine legitime Auftragslage hätte. Genau dosierte ökonomische und international abgestimmte Sanktionen gegenüber einem angreifenden Staat, die nicht die Bevölkerung eines Staates, sondern die kriegstreibenden Elemente treffen, dienen ebenfalls der Verteidigung angegriffener Systeme.
Die präventive Einübung von Praktiken sozialer Verteidigung und gewaltfreien Widerstands bis hin zum Generalstreik in besetzten Gebieten gehören genauso hierzu und können wirksamer sein, als dies Waffenfetischisten glauben (vgl. z.B. die Beiträge von Renate Wanie und Christine Schweitzer im Themenheft des FriedensForum 2/2023 „Soziale Verteidigung – eine Renaissance?“).
Diese verschiedenen aufeinander abgestimmten Verteidigungstechnologien und -strategien auf sehr unterschiedlichen Ebenen müssten im Zentrum eines primär der Verteidigung dienenden Bündnissystems, wie der NATO, und auch im Mittelpunkt der GASP der EU stehen. Dies ist dann auch der Unterschied zwischen der vom Verteidigungsminister Pistorius geforderten ‚Kriegstüchtigkeit‘ und dem vom Grundgesetz gemeinten ‚Verteidigungsfähigkeit‘.
Ohne einen koordinierten Ausbau der europäischen Verteidigungsfähigkeit mit Augenmaß wird Europa sich weder verteidigen können noch als weltpolitischer Akteur auch in Verhandlungen einen wirkungsvollen Einfluss haben. Solange es keine ‚Neuordnung‘ im globalen Maßstab gibt (Moegling 2024), bei der die Vereinten Nationen das Maß aller Dinge sind, also von den UN kontrollierte weltpolizeilichen Truppen wirkungsvoll einsetzbar sind, muss auch die EU in der Lage sein, sich gegen Angriffe zu schützen.
Die Strategie Nr. 2 („Verhandlungsoffensive“) hingegen wird bisher im aktuellen Krieg in der Ukraine deutlich vernachlässigt, trotz einiger punktueller Verhandlungsansätze und -erfolge in Einzelfragen. Angesichts der menschlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Schäden des Kriegs in der Ukraine müsste es bereits längst zu einer hochrangigen und ausdauernden Verhandlungsoffensive gekommen sein. Letztendlich ist der Ausbau der Verhandlungskompetenz eines Staates bzw. eines Bündnisses die beste gesellschaftliche Verteidigung im Sinne präventiver Konfliktlösungen einerseits und andererseits für die Deeskalation und einen Waffenstillstand, wenn der Kriegsfall bereits eingetreten ist.
Der beste Schutz ist hierbei das Wiedererlangen von gegenseitigem Vertrauen und das Wiedereinsetzen und die Weiterentwicklung von gemeinsamen Kontrollverträgen und Abrüstungsmaßnahmen im Bereich der offensiven Waffentechnologie – natürlich zuerst im Bereich der Nuklearwaffen. Doch die entscheidende Frage ist, ob die beiden verfeindeten Akteure im Krieg in der Ukraine und die dahinterstehenden Mächte bereit sind, auf eigene Maximalforderungen zu verzichten, um das Töten einzustellen und einen Nuklearkrieg zu verhindern.
Ein dritter Weltkrieg lässt sich m.E. nur vermeiden, wenn man eine der wichtigsten Ursachen des Krieges in der Ukraine berücksichtigt – also die immer wieder vorgebrachten sicherheitspolitischen Interessen der RF. Auch wenn es hier kein völkerrechtlich einklagbares Recht der RF besteht, müsste darüber unter Einbeziehung der betroffenen Staaten verhandelt werden, inwieweit ein Einverständnis darüber erzielt werden kann, dass sich die NATO zukünftig nicht weiter nach Osten ausdehnt und eine (abgesicherte) Neutralität der Ukraine und Georgiens organisiert werden kann. Dies ist völkerrechtlich zwar nicht zwingend, erscheint aber angesichts der historischen Verlaufsdynamik und den mehrfach geäußerten Interessen der Russischen Föderation realpolitisch notwendig, um dem Töten ein Ende zu bereiten. Im Gegenzug könnte die EU-Mitgliedschaft der Ukraine – nach einem erfolgreichen Verlauf der notwendigen Reformmaßnahmen und Anpassungsprozessen in der Ukraine – von der RF toleriert werden. Die Frage der staatlichen Zugehörigkeit und die Möglichkeit eines z.B. von der OSZE kontrollierten Votums der im Donbass und auf der Krim lebenden Bevölkerung wird ein weiterer Gegenstand der Verhandlungen sein, die hochrangig und mit geostrategisch ausgeglichener Besetzung aufgenommen werden müssten. Auch die Einrichtung einer entmilitarisierten Schutzzone westlich und östlich der russischen Staatsgrenze (vor 2/2022), die durch UN-Blauhelmsoldaten zu sichern ist, müsste verhandelt werden. Das übergeordnete Ziel der Verhandlungen müsste unter einer völkerrechtlichen Perspektive jedoch der weitest mögliche Rückzug der russischen Truppen aus dem Gebiet der Ukraine und die Einstellung aller Kampfhandlungen sein. Wäre dies nicht der Fall, würde ein falsches globales Zeichen für andere autoritäre Staaten gesetzt, staatliche Grenzen anderer Staaten zu missachten und ebenfalls völkerrechtswidrige Aggressionen zu begehen.
Es gab in der Vergangenheit zahlreiche gute Vorschläge für Verhandlungen, die systematisch auszuwerten und einzubeziehen sind (vgl. in die Zusammenfassung der International Physicians for the Prevention of Nuclear War,IPPNW 2024). Der Verhandlungsrahmen muss stimmen, damit die Ergebnisse ernst genommen werden. Es bietet sich daher die Einrichtung einer hochrangigen, ausgewogenen und wirkmächtigen Verhandlungskommission unter Leitung des UN-Generalsekretärs, möglichst inkl. Vertretern einflussreicher BRICS-Staaten (China, Indien u. Brasilien) sowie der NATO, der EU und der OSZE an, im Rahmen derer direkte Verhandlungen mit den Regierungen der Ukraine, Belarus und Russlands mit dem Ziel des Einfrierens und der Aushandlung eines Waffenstillstands als Voraussetzung für Friedensverhandlungen vorgenommen werden, die sich an das Völkerrecht zu halten und keinen ‚schmutzigen Deal‘ vorzunehmen haben.

Was hätten westliche Verhandlungspartner u.a. die NATO, den verfeindeten Staaten für die Nachkriegszeit anzubieten?

Um eine Eskalation zu einem 3. Weltkrieg zu verhindern, müssen ab jetzt dringend Verhandlungsoffensiven Vorrang haben. Wenn eine Umsteuerung von der militärischen Eskalation zur friedenspolitischen Verständigung erfolgen soll, stellt sich im Sinne eines Verhandlungserfolgs vor allem die Frage, welche Vorteile die Kriegsparteien hiervon hätten.
Zunächst einmal sind hier an erster Stelle die Beendigung des gegenseitigen Tötens, der Vernichtung menschlichen Glücks und ihrer sozialen Existenzen und die Zerstörung von Umwelt und Infrastruktur sowie die Reparatur massiver ökonomischer Schäden zu nennen.
Allein dies müsste als Motivation für einen ernsthaften Verhandlungsbeginn ausreichen.
Die Vorteile für die Russische Föderation und Belarus wären unter einer ökonomischen Perspektive ebenfalls offenkundig: Aufhebung der westlichen Sanktionen, verstärkte Wirtschaftsbeziehungen, Wiedereingliederung in westlich orientierte transnationale Wirtschaftsinstitutionen.
Die Ukraine hätte den ökonomischen Vorteil einer internationalen Unterstützung im Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft, den möglichen mittelfristigen Beitritt zur EU und dem damit verbundenen Sicherheitsversprechen sowie den Milliarden-Subventionen insbesondere für ihre Landwirtschaft.
Für beide Staaten böte sich der Vorteil einer Transformation von ressourcenextraktiven und auf  Kriegswirtschaft umgestellten Staaten auf eine nachhaltige Entwicklung im Einklang mit den 17 SDGs der UN. Hiermit verbunden wären international abgestimmte Abrüstungsmaßnahmen, um über die hier entstehende Friedensdividende umfassende Ressourcen für sozialstaatliche und ökologische Maßnahmen frei werden zu lassen.
Für Russland und Belarus würde der Weg in der Nachkriegszeit weg vom aus der Sicht des Westens gesehenen Image als Paria-Staaten hin zur Wiederaufnahme in die internationale Staatengemeinschaft führen, die über die Anerkennung in den BRICS- und den OSC-Staaten hinausgeht. Zunächst könnte hier die Zusammenarbeit in der OSZE und dem NATO-Russland-Rat wieder aktiviert werden und könnte Russland wieder zur Gruppe der G8 hinzugenommen werden.
Dennoch dürfen Hunderttausende Tote und Schwerverletzte, massenhafte Kriegsverbrechen und die Zerstörung auf allen Ebenen dann nach einem Friedensschluss aus Opportunitätsgründen nicht verdrängt werden. Es muss daher nach einem Friedensvertrag und einer stabilisierten Situation eine strafrechtliche Verfolgung von dokumentierten Kriegsverbrechen vorgenommen werden. Aber es sollten auch Konfliktkommissionen ähnlich den von Nelson Mandela initiierten südafrikanischen Versöhnungskommissionen nach dem Ende der Apartheid gebildet werden, wo eine Konfrontation von Tätern und Opfern und Familien getöteter Zivilisten und Soldaten erfolgen wird. Dies wird das geschehene Unrecht und das entstandene menschliche Leid nicht wieder ausgleichen können, wird aber dabei helfen, die traumatischen Ereignisse so verarbeiten zu können, dass ein Weiterleben mit dem Erlebten möglich wird.
Doch zunächst einmal müssen die Waffen schweigen und müssen Verhandlungen aufgenommen werden. Ausschließlich Drohungen werden hier nicht helfen. Es müssen die beschriebenen positiven Perspektiven einer Kriegsbeendigung für die beteiligten Staaten Priorität haben und als Angebot für die Nachkriegszeit in die Verhandlungen eingebracht werden.
 
 
Klaus Moegling, apl. Prof. Dr. habil. ret., Fb Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel, langjähriges Engagement u.a. in der Friedens- und der Umweltbewegung,
Homepage: https://www.klaus-moegling.de
Buchpublikation: Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. 5. aktualisierte u. erweiterte Auflage, 2024.
Deutsche Ausgabe im freien Zugang:  https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
Third English edition in open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
 
(Dieser Beitrag wird in leicht modifizierter Fassung in der Online-Zeitschrift 'Telepolis' veröffentlicht.)
 

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 actual blog 2

Ukraine: How a third world war can still be avoided.

 
by Klaus Moegling
7/20/2024

 
Current analyses increasingly assume that a third world war is inevitable. But this depends on decisions made by the key players. Negotiation prospects and advantages for ending the war in Ukraine exist for all actors involved.
 
Freeze or escalate?
Current opponents of the resumption of negotiations are of the opinion: “Putin is not negotiating.” Nevertheless, it should be noted that there were successful negotiations, at least for a time, on the exchange of prisoners, the mutual transfer of fallen soldiers and the transportation of grain. Pope Francis, UN Secretary-General Guterres and the Turkish government acted as mediators. Although Ukrainian President Zelenskyi also officially rejects negotiations before the Russian troops have left Ukraine, he is nevertheless allowing negotiations to take place with regard to the partial problems mentioned.
Johannes Varwick (2022) is therefore calling for negotiations between Ukraine and the Russian Federation (RF) to 'freeze' the war, which is not yet a solution but the gateway to further negotiations. This would be better than hundreds of thousands more dead and seriously injured and a dangerous escalation of the war. SPD parliamentary group leader Rolf Mützenich also supports the call for a freeze in the conflict, although this contrasts with the mainstream media and the policy of the Green Foreign Minister.
Michael von der Schulenburg (2024) also doubts that the current mutual military escalation in the Ukraine war can be legitimized by international law and the UN Charter:
"Can the UN Charter also be used to justify waging a war over several years that could end in the destruction of the attacked state? And does this also justify extending the war to Russia with the risk of starting a nuclear world war? And all this without even attempting to resolve the conflict that led to this war peacefully? Hardly! After all, the purpose of the UN Charter is to preserve peace for mankind and not to justify wars."
However, if we wait too long to start negotiations in this sense, the starting point for negotiations could become worse and worse if the military situation in Ukraine deteriorates.

The nuclear threat is getting closer 

In the first half of 2024, the Russian military intensified its attacks on Kharkiv, Ukraine's second-largest city, and bombed civilian infrastructure. NATO is now in favor of the use of Western weapons from Ukraine on certain military targets in Russian territory, which it considers legitimate under international law, in order to prevent the attacks on Kharkiv, among other things. The French President is in favor of the deployment of Western military forces in Ukraine. Ukraine destroys part of the Russian Federation's nuclear early warning system. Putin counters again with the extremely serious threat to use tactical nuclear weapons not only against Ukraine but also against the West. The former Russian President and Prime Minister Medvedev are threatening a Russian missile attack on Western capitals and a third world war. Accordingly, the RF carried out a nuclear weapons maneuver to test the use of tactical nuclear weapons. At the NATO anniversary in New York in July 2024, NATO and Germany announce, among other things, the deployment of new nuclear-tipped medium-range Tomahawk missiles in Germany. This is the first time that missiles have been stationed on German soil since the withdrawal of medium-range nuclear missiles in 1991 as part of the INF Treaty. IPPNW, the international medical organization for the prevention of nuclear war, is therefore calling for “risk reduction as a first step: the three Western nuclear powers - the USA, Great Britain and France - should join forces with China to approach Russia and declare a doctrine of no first use of nuclear weapons.”
Nuclear-capable hypersonic missiles are also to be stationed on German territory by 2026 and will then face the Russian hypersonic missiles already located in Kaliningrad. Furthermore, the RF is already attacking Ukraine with hypersonic missiles. The appeal by critical political scientists and politicians calling for negotiations on Change.org, which calls for resistance to hypersonic missiles in the East and West, which can reach the capitals of the states involved with their conventional or nuclear warheads in a matter of minutes, is therefore extremely topical. The danger of nuclear war is as close as it was during the Cuban Missile Crisis in 1962, but personalities and political scientists who do not want to rule out a nuclear response are being publicly stigmatized in the Western media as people who are falling for Putin's threats. Threats of nuclear missile attacks are downgraded as scaremongering and attempts at intimidation. Nevertheless, given their responsibility to the people they represent, shouldn't leading Western politicians ask themselves whether a Russian nuclear response can really be ruled out? Would it not make more sense to finally begin a decisive negotiation offensive now, before it is too late?
Günter Verheugen and Petra Erler (2024:14) warn accordingly in their book “The Long Road to War” - despite their criticism of Russia's attack, which violates international law:
"A will to destroy that is directed at Russia also destroys us. It inevitably leads to nuclear catastrophe, because that is the only case in which Russia's nuclear doctrine applies: if the country's existence is at stake, the use of nuclear weapons is permitted. What in the world would it be worth trying to find out whether this is just an empty threat?"
Herfried Münkler's position, on the other hand, that there must be an EU nuclear bomb, contributes little to a diplomatic offensive and de-escalation - according to Münkler (2023):
"The British may have nuclear submarines, France the bomb, but will they really use them to protect Lithuania or Poland? From the Kremlin's point of view, that is doubtful. We need a common suitcase with a red button that can be moved between large EU countries."
In this context, Münkler advocates a massive armament of European states and the EU in order to deter Russia. The European SPD leadership candidate Katharina Barley takes up these ideas and also calls for consideration of a European nuclear bomb - especially in view of the expected future unreliability of the USA (Wangerin 2024).
However, such a massive build-up of conventional and nuclear weapons on the part of the Russian Federation and the West, combined with an escalating threat and military escalation in Ukraine, is counterproductive and extremely dangerous. There is a risk of a 'point of no return' and an unstoppable escalation dynamic, as Jürgen Habermas (2023) put it in the Süddeutsche Zeitung. At some point, a tipping point may be reached that causes events to collapse on the world in an uncontrolled and chaotic manner. How far away are we from this tipping point?

The dual strategy needed to end the war

In his essay “Negotiation is the only way to peace”, Hajo Funke calls for the resumption of negotiations as early as June 2023 in view of the human suffering caused by the war:
 "Is it legitimate - and this again applies to all sides - to continue to accept suffering and destruction for people and societies without doing everything - but also everything - within the power of the governments of our peoples to interrupt this destructive escalation in war? Must we not now (...) at the latest ask the question of whether 'continuing like this' through more weapons and more escalation can still be justified vis-à-vis the affected societies and the people at risk?" (Funke 2023: 88)
 In my opinion, two necessary strategies would have to be developed in parallel as a dual strategy (“expansion of defense capability and negotiation offensive”) in this context:
 1. coordinated expansion of the military defense capability of the EU, NATO and Ukraine with a sense of proportion in order to prevent further military advances by the Russian Federation - possibly even beyond Ukraine;
2. parallel to this, accelerated negotiation offers in the war in Ukraine via an effective negotiating commission with representatives of influential states under the leadership of the UN General Secretariat with the governments of the Russian Federation and Ukraine.
Strategy No. 1 (“expansion of defense capabilities”) seems to have been given priority in its more aggressive version. Medium and long-range missiles, especially the hypersonic missiles planned for the West, nuclear weapons and nuclear sharing and cruise missiles, such as 'Taurus', cannot be seen as a priority military technology for defense. These are clearly offensive weapons. Defense capability 'with a sense of proportion' means systematically expanding relevant defense technology, such as highly effective anti-aircraft missile systems, mine countermeasures drones and minesweepers, anti-seminar systems, anti-tank weapons, cyber and counterintelligence or early warning satellites, in coordination with alliance partners. This is a broad field in which the defense industry would also have a legitimate order situation under public contract and state control. Precisely dosed economic and internationally coordinated sanctions against an attacking state, which do not affect the population of a state but the belligerent elements, also serve to defend attacked systems.
The preventive practice of social defense and non-violent resistance, including general strikes in occupied territories, are just as much a part of this and can be more effective than weapons fetishists believe (see, for example, the articles by Renate Wanie and Christine Schweitzer in the PeaceForum 2/2023 issue “Social Defense - A Renaissance?”).
These various coordinated defense technologies and strategies at very different levels should be at the heart of an alliance system that primarily serves defense, such as NATO, and also at the heart of the EU's CFSP. This is also the difference between the 'war capability' demanded by Defense Minister Pistorius and the 'defense capability' meant by the Basic Law.
Without a coordinated expansion of the European defense capability with a sense of proportion, Europe will neither be able to defend itself nor have an effective influence as a global political player in negotiations. As long as there is no 'new order' on a global scale (Moegling 2024), in which the United Nations is the measure of all things, i.e. UN-controlled global police forces can be deployed effectively, the EU must also be in a position to protect itself against attacks.
Strategy no. 2 (“negotiation offensive”), on the other hand, has so far been clearly neglected in the current war in Ukraine, despite some selective negotiation approaches and successes on individual issues. In view of the human, social and ecological damage caused by the war in Ukraine, a high-level and sustained negotiation offensive should have been launched long ago. Ultimately, expanding the negotiating competence of a state or an alliance is the best social defense in terms of preventive conflict resolution on the one hand and de-escalation and a ceasefire on the other once war has already broken out.
The best protection here is the regaining of mutual trust and the reinstatement and further development of joint control treaties and disarmament measures in the area of offensive weapons technology - first and foremost, of course, in the area of nuclear weapons. But the crucial question is whether the two hostile actors in the war in Ukraine and the powers behind them are prepared to give up their own maximum demands in order to stop the killing and prevent a nuclear war.
In my opinion, a third world war can only be avoided if one of the most important causes of the war in Ukraine is taken into account - i.e. the security policy interests of the RF, which are repeatedly put forward. Even if there is no legally enforceable right of the RF under international law, negotiations would have to be held involving the countries concerned to determine the extent to which an agreement can be reached that NATO will not expand further to the east in the future and that a (secured) neutrality of Ukraine and Georgia can be organized. Although this is not mandatory under international law, in view of the historical dynamics and the repeatedly expressed interests of the Russian Federation, it appears to be necessary in terms of realpolitik in order to put an end to the killing. In return, Ukraine's EU membership could be tolerated by the Russian Federation once the necessary reform measures and adjustment processes in Ukraine have been successfully completed. The question of state affiliation and the possibility of an OSCE-controlled vote by the population living in the Donbass and Crimea, for example, will be a further subject of the negotiations, which would have to be taken up at a high level and with a geostrategically balanced composition. The establishment of a demilitarized protection zone to the west and east of the Russian state border (before 2/2022), to be secured by UN peacekeepers, would also have to be negotiated. However, from the perspective of international law, the overriding goal of the negotiations should be the largest possible withdrawal of Russian troops from the territory of Ukraine and the cessation of all hostilities. If this were not the case, it would send the wrong global signal to other authoritarian states to disregard the national borders of other states and also commit acts of aggression in violation of international law.
There have been numerous good proposals for negotiations in the past, which should be systematically evaluated and incorporated (see the summary of the International Physicians for the Prevention of Nuclear War,IPPNW 2024). The negotiating framework must be right if the results are to be taken seriously. A high-level, balanced and effective negotiating commission under the leadership of the UN Secretary-General, if possible including representatives of influential BRICS states (China, India and Brazil) as well as NATO, the EU and the OSCE, should therefore be set up to conduct direct negotiations with the governments of Ukraine, Belarus and Russia with the aim of freezing and negotiating a ceasefire as a prerequisite for peace negotiations, which must comply with international law and not make a 'dirty deal'.

What would Western negotiating partners, including NATO, have to offer the hostile states for the post-war period?

In order to prevent an escalation into a third world war, negotiation offensives must be given priority from now on. If there is to be a shift from military escalation to a peace policy agreement, the main question is what advantages the warring parties would gain from this in terms of successful negotiations.
 First and foremost, there would be an end to mutual killing, the destruction of human happiness and their social livelihoods, the destruction of the environment and infrastructure and the repair of massive economic damage.
 This alone should be sufficient motivation for a serious start to negotiations.
 The advantages for the Russian Federation and Belarus would also be obvious from an economic perspective: Lifting of Western sanctions, strengthened economic ties, reintegration into Western-oriented transnational economic institutions.
 Ukraine would have the economic advantage of international support in the reconstruction of the Ukrainian economy, possible medium-term accession to the EU and the associated promise of security as well as the billions in subsidies, particularly for its agriculture.
 Both countries would benefit from a transformation from resource-extractive and war economy states to sustainable development in line with the UN's 17 SDGs. This would involve internationally coordinated disarmament measures in order to free up extensive resources for social and ecological measures through the resulting peace dividend.
 For Russia and Belarus, the path in the post-war period would lead away from their image as pariah states from the West's perspective and towards readmission to the international community of states, which goes beyond recognition in the BRICS and OSC states. First of all, cooperation in the OSCE and the NATO-Russia Council could be reactivated and Russia could be readmitted to the G8 group.
 Nevertheless, hundreds of thousands of dead and seriously injured, mass war crimes and destruction at all levels must not be suppressed for reasons of expediency once peace has been achieved. Therefore, after a peace treaty and a stabilized situation, documented war crimes must be prosecuted. But conflict commissions similar to the South African reconciliation commissions initiated by Nelson Mandela after the end of apartheid should also be formed, where perpetrators and victims and families of killed civilians and soldiers will be confronted. This will not be able to compensate for the injustice and human suffering that has occurred, but it will help people to come to terms with the traumatic events in such a way that it will be possible to live with what they have experienced.
 But first of all,  the acts of war must end and negotiations must begin. Threats alone will not help here. Priority must be given to the positive prospects of an end to the war for the countries involved, as described above, and these must be included in the negotiations as an offer for the post-war period.
 
 
 Klaus Moegling, Associate Prof. Dr. habil. ret., Department of Social Sciences at the University of Kassel, longstanding involvement in the peace and environmental movements, among others,
Homepage: https://www.klaus-moegling.de
Book publication: Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible. 5th updated and expanded edition, 2024.
German edition in open access: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
Third English edition in open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/   
 


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 blog actuel 2 


Ukraine : Comment une troisième guerre mondiale peut encore être évitée.
 

par Klaus Moegling
20/7/2024

Les analyses actuelles partent de plus en plus du principe que la troisième guerre mondiale est inévitable. Mais cela dépend des décisions prises par les acteurs centraux. Les perspectives de négociation et les avantages d'une fin de la guerre en Ukraine existent pour tous les acteurs impliqués.

 

Geler ou escalader ?

Les opposants actuels à la reprise des négociations estiment que « Poutine ne négocie pas ». Mais il faut tout de même noter qu'il y a eu, au moins pendant une période, des négociations fructueuses sur l'échange de prisonniers, le transfert réciproque de soldats tombés au combat et le transport de céréales. Les médiateurs ont été le pape François, le secrétaire général de l'ONU Guterres et le gouvernement turc. Le président ukrainien Selenskyj refuse lui aussi officiellement de négocier tant que les troupes russes n'ont pas quitté l'Ukraine, mais il autorise néanmoins des négociations sur les problèmes partiels évoqués.
Johannes Varwick (2022) appelle donc à des négociations entre l'Ukraine et la Fédération de Russie pour 'geler' la guerre, ce qui ne représente pas encore une solution mais constitue une porte d'entrée pour des négociations plus approfondies. Cela vaut mieux que des centaines de milliers de morts et de blessés graves supplémentaires et une escalade dangereuse de la guerre. Le président du groupe parlementaire SPD, Rolf Mützenich, soutient également la demande de gel du conflit, ce qui contraste toutefois avec le mainstream médiatique et la politique de la ministre verte des Affaires étrangères.
Michael von der Schulenburg (2024) doute en outre que l'escalade militaire réciproque actuelle dans la guerre en Ukraine puisse être légitimée par le droit international et la Charte des Nations unies :
"La Charte des Nations unies peut-elle également justifier le fait de mener pendant plusieurs années une guerre qui pourrait aboutir à la destruction de l'État attaqué ? Et cela justifie-t-il également d'étendre la guerre à la Russie avec le risque de déclencher une guerre nucléaire mondiale ? Et tout cela sans même tenter de résoudre pacifiquement le conflit qui a conduit à cette guerre ? Pas vraiment ! Car le sens et le but de la charte de l'ONU est de maintenir la paix pour l'humanité et non de justifier des guerres ».
Mais si l'on attend trop longtemps avant d'entamer des négociations dans ce sens, la situation de départ pour des négociations peut devenir de plus en plus mauvaise si la situation militaire pour l'Ukraine devait s'aggraver.

 La menace nucléaire se rapproche

 Au cours du premier semestre 2024, l'armée russe attaque de plus en plus la deuxième ville ukrainienne, Kharkiv, et bombarde des infrastructures civiles. Entre-temps, l'OTAN préconise l'utilisation, légitime à ses yeux au regard du droit international, d'armes occidentales depuis l'Ukraine sur certains objectifs militaires en territoire russe, afin notamment d'empêcher préventivement les attaques sur Kharkiv. Le président français se prononce en faveur du déploiement de forces militaires occidentales en Ukraine. L'Ukraine détruit une partie du système d'alerte nucléaire précoce de la RF. Poutine réplique à nouveau en menaçant, avec le plus grand sérieux, d'utiliser des armes nucléaires tactiques non seulement contre l'Ukraine mais aussi contre l'Occident. L'ancien président russe et le Premier ministre Medvedev menacent d'une attaque de missiles russes sur les capitales occidentales et d'une troisième guerre mondiale. La RF a en conséquence mené une manœuvre nucléaire pour tester l'utilisation d'armes nucléaires tactiques. Lors du jubilé de l'OTAN en juillet 2024 à New York, l'OTAN et l'Allemagne annoncent entre autres le déploiement de nouveaux missiles nucléaires à moyenne portée de type Tomahawk en Allemagne. C'est la première fois que des missiles nucléaires à moyenne portée sont stationnés sur le sol allemand depuis le retrait des missiles nucléaires à moyenne portée en 1991 dans le cadre de l'accord INF. C'est pourquoi l'IPPNW, l'organisation médicale internationale pour la prévention d'une guerre nucléaire, demande « comme première étape une réduction des risques : les trois puissances nucléaires occidentales, les Etats-Unis, la Grande-Bretagne et la France, devraient, avec la Chine, se rapprocher de la Russie et déclarer une doctrine de renonciation à un premier usage des armes nucléaires ».
Des missiles hypersoniques à tête nucléaire devraient également être déployés sur le territoire allemand d'ici 2026, faisant ainsi face aux missiles hypersoniques russes déjà présents à Kaliningrad. La Russie attaque déjà l'Ukraine avec des missiles hypersoniques. C'est pourquoi l'appel lancé sur Change.org par des politologues critiques et des politiciens favorables aux négociations, qui appellent à la résistance contre les missiles hypersoniques à l'Est et à l'Ouest, dont les ogives conventionnelles ou nucléaires peuvent atteindre les capitales des Etats concernés en quelques minutes, est d'une actualité brûlante. Le danger d'une guerre nucléaire est aussi proche que lors de la crise de Cuba en 1962. Cependant, des personnalités et des politologues qui ne veulent pas exclure une réaction nucléaire sont publiquement stigmatisés dans les médias occidentaux comme des personnes tombant dans le panneau des menaces de Poutine. Les menaces d'attaques de missiles nucléaires sont reléguées au rang d'actes de peur et d'intimidation. Pourtant, les dirigeants politiques occidentaux ne doivent-ils pas se demander, en raison de leur responsabilité envers les personnes qu'ils représentent, si l'on peut réellement exclure une réaction nucléaire de la Russie ? Ne serait-il pas plus judicieux de lancer enfin une offensive de négociation décisive avant qu'il ne soit trop tard ?
Günter Verheugen et Petra Erler (2024:14) mettent en garde en ce sens dans leur livre « Der lange Weg zum Krieg » (Le long chemin vers la guerre) - malgré leur critique de l'attaque russe contraire au droit international :
"Une volonté de destruction dirigée vers la Russie nous détruit également. Elle mène obligatoirement à la catastrophe nucléaire, car c'est le seul cas où la doctrine nucléaire de la Russie s'applique : si l'existence du pays est en jeu, l'utilisation d'armes nucléaires est autorisée. Qu'est-ce qui vaudrait la peine au monde de vouloir savoir si ce n'est qu'une menace en l'air » ?
En revanche, la position de Herfried Münkler, selon laquelle il devrait y avoir une bombe nucléaire de l'UE, ne contribue guère à une offensive diplomatique et à la désescalade - selon Münkler (2023):
"Les Britanniques ont certes des sous-marins nucléaires, la France la bombe, mais vont-ils vraiment les utiliser pour protéger la Lituanie ou la Pologne ? Du point de vue du Kremlin, on peut en douter. Nous avons besoin d'une valise commune avec un bouton rouge qui se déplace entre les grands pays de l'UE ».
Münkler plaide dans ce contexte pour un réarmement massif des États européens et de l'UE afin de dissuader la Russie. Ces réflexions sont reprises par la tête de liste européenne du SPD, Katharina Barley, qui demande également une réflexion sur une bombe atomique européenne - notamment au vu du manque de fiabilité des Etats-Unis auquel on peut s'attendre à l'avenir (Wangerin 2024).
Une telle montée en puissance massive dans le domaine conventionnel et nucléaire de la part de la Fédération de Russie et de l'Occident, associée à un contexte de menaces qui s'aggrave et à une escalade militaire en Ukraine, est toutefois contre-productive et extrêmement dangereuse. Il existe un risque de 'point de non-retour' et d'une dynamique d'escalade impossible à stopper, comme l'a formulé Jürgen Habermas (2023) dans le Süddeutsche Zeitung. Un point de basculement peut être atteint à un moment ou à un autre, ce qui fait que les événements s'effondrent de manière incontrôlée et chaotique sur le monde. A quelle distance sommes-nous actuellement de ce point de basculement ?

La double stratégie nécessaire pour mettre fin à la guerre

Dans son ouvrage « Verhandeln ist der einzige Weg zum Frieden » (Négocier est le seul moyen de parvenir à la paix), Hajo Funke appelle dès juin 2023 à la reprise des négociations au vu des souffrances humaines engendrées par la guerre :
"Est-il légitime - cela vaut à nouveau pour toutes les parties - de continuer à accepter la souffrance et la destruction pour les personnes et les sociétés sans faire tout - mais alors tout - ce qui est dans le pouvoir des gouvernements de nos peuples pour interrompre cette escalade destructrice dans la guerre ? Ne devons-nous pas, au plus tard maintenant (...), nous demander si un « continuer ainsi » par plus d'armes et plus d'escalade ne peut pas encore se justifier vis-à-vis des sociétés concernées et des personnes en danger ?" (Funke 2023 : 88)
Deux stratégies nécessaires devraient à mon avis être développées en parallèle dans ce contexte sous forme de double stratégie (« renforcement de la capacité de défense et offensive de négociation ») :
1. développement coordonné de la capacité de défense militaire de l'UE, de l'OTAN ainsi que de l'Ukraine avec discernement, afin d'empêcher une nouvelle avancée militaire de la Fédération de Russie - même éventuellement au-delà de l'Ukraine ;
2. en parallèle, accélérer les offres de négociation dans la guerre en Ukraine par le biais d'une commission de négociation efficace composée de représentants de pays influents et dirigée par le Secrétariat général de l'ONU avec les gouvernements de la Fédération de Russie et de l'Ukraine.
La stratégie n° 1 (« renforcement des capacités de défense ») semble jusqu'à présent avoir été prioritaire dans sa version plutôt agressive. Les missiles à moyenne et longue portée, notamment les missiles hypersoniques prévus également pour l'Occident, les armes nucléaires et la participation nucléaire et les missiles de croisière comme le 'Taurus', ne peuvent pas être considérés comme prioritaires d'une technologie militaire servant à la défense. Il s'agit clairement d'armes offensives. La capacité de défense 'raisonnable' signifie développer systématiquement, en coordination avec les alliés, les technologies de défense pertinentes, telles que les systèmes de missiles antiaériens hautement efficaces, les drones antimines et les dragueurs de mines, les systèmes anti-émeutes, les armes antichars, la cyberdéfense et la contre-espionnage ou les satellites d'alerte précoce. Il s'agit là d'un vaste domaine dans lequel l'industrie de l'armement, sous mandat public et sous contrôle de l'État, aurait également un carnet de commandes légitime. Des sanctions économiques et internationales précisément dosées à l'encontre d'un État agresseur, qui ne touchent pas la population d'un État mais les éléments belligérants, servent également à défendre les systèmes attaqués.
L'exercice préventif de pratiques de défense sociale et de résistance non violente, allant jusqu'à la grève générale dans les territoires occupés, en font tout autant partie et peuvent être plus efficaces que ne le croient les fétichistes des armes (cf. par exemple les articles de Renate Wanie et Christine Schweitzer dans le numéro thématique du FriedensForum 2/2023 « Soziale Verteidigung - eine Renaissance ?)
Ces différentes technologies et stratégies de défense coordonnées à des niveaux très différents devraient être au centre d'un système d'alliances servant en premier lieu la défense, comme l'OTAN, et également au centre de la PESC de l'UE. C'est là toute la différence entre la 'capacité de guerre' revendiquée par le ministre de la Défense Pistorius et la 'capacité de défense' visée par la Loi fondamentale.
Sans un développement coordonné et mesuré de la capacité de défense européenne, l'Europe ne sera pas en mesure de se défendre ni d'exercer une influence efficace en tant qu'acteur de la politique mondiale, même dans les négociations. Tant qu'il n'y aura pas de 'réorganisation' à l'échelle mondiale (Moegling 2024), dans laquelle les Nations unies sont la mesure de toute chose, c'est-à-dire que des forces de police mondiales contrôlées par l'ONU peuvent être utilisées de manière efficace, l'UE doit également être en mesure de se protéger contre les attaques.
En revanche, la stratégie n° 2 (« offensive de négociation ») est jusqu'à présent nettement négligée dans la guerre actuelle en Ukraine, malgré quelques approches et succès ponctuels de négociations sur des questions particulières. Au vu des dégâts humains, sociaux et écologiques de la guerre en Ukraine, une offensive de négociation de haut niveau et persistante devrait déjà avoir eu lieu depuis longtemps. En fin de compte, le développement de la compétence de négociation d'un État ou d'une alliance est la meilleure défense sociale dans le sens d'une résolution préventive des conflits d'une part et d'autre part pour la désescalade et un cessez-le-feu lorsque le cas de guerre est déjà survenu.
La meilleure protection est ici le rétablissement de la confiance mutuelle et la remise en place et le développement de traités de contrôle communs et de mesures de désarmement dans le domaine de la technologie des armes offensives - bien sûr en premier lieu dans le domaine des armes nucléaires. Mais la question décisive est de savoir si les deux acteurs ennemis de la guerre en Ukraine et les puissances qui se cachent derrière eux sont prêts à renoncer à leurs propres exigences maximales afin de cesser les tueries et d'éviter une guerre nucléaire.
A mon avis, une troisième guerre mondiale ne peut être évitée que si l'on prend en compte l'une des principales causes de la guerre en Ukraine, à savoir les intérêts de la politique de sécurité de la Fédération de Russie, toujours mis en avant. Même s'il n'existe pas de droit opposable à la RF en droit international, il faudrait négocier avec les Etats concernés pour trouver un accord sur le fait que l'OTAN ne s'étende plus à l'Est à l'avenir et qu'une neutralité (garantie) de l'Ukraine et de la Géorgie puisse être organisée. Cela n'est certes pas obligatoire du point de vue du droit international, mais semble nécessaire du point de vue de la realpolitik, compte tenu de la dynamique historique et des intérêts exprimés à plusieurs reprises par la Fédération de Russie, afin de mettre un terme aux tueries. En contrepartie, l'adhésion de l'Ukraine à l'UE pourrait être tolérée par la RF - après le bon déroulement des mesures de réforme et des processus d'adaptation nécessaires en Ukraine. La question de l'appartenance étatique et la possibilité d'un vote des populations vivant dans le Donbass et en Crimée, contrôlé par exemple par l'OSCE, sera un autre objet des négociations, qui devraient être entamées à un haut niveau et avec une composition géostratégiquement équilibrée. L'établissement d'une zone de protection démilitarisée à l'ouest et à l'est de la frontière russe (avant 2/2022), qui doit être sécurisée par des casques bleus de l'ONU, devrait également faire l'objet de négociations. L'objectif principal des négociations devrait toutefois être, dans une perspective de droit international, le retrait le plus large possible des troupes russes du territoire ukrainien et l'arrêt de toutes les opérations de combat. Si tel n'était pas le cas, cela donnerait un mauvais signal global aux autres États autoritaires pour qu'ils ne respectent pas les frontières d'autres États et commettent également des agressions contraires au droit international.
Il y a eu par le passé de nombreuses bonnes propositions de négociations qui doivent être systématiquement évaluées et prises en compte (voir le résumé de l'International Physicians for the Prevention of Nuclear War,IPPNW 2024). Le cadre de négociation doit être adéquat pour que les résultats soient pris au sérieux. Il convient donc de mettre en place une commission de négociation de haut niveau, équilibrée et efficace, dirigée par le secrétaire général de l'ONU et comprenant si possible des représentants de pays BRICS influents (Chine, Inde et Brésil) ainsi que de l'OTAN, de l'UE et de l'OSCE, dans le cadre de laquelle des négociations directes seraient menées avec les gouvernements ukrainien, biélorusse et russe en vue d'un gel et de la négociation d'un cessez-le-feu comme condition préalable à des négociations de paix qui doivent respecter le droit international et ne pas procéder à un 'deal sale'.

Qu'est-ce que les partenaires de négociation occidentaux, notamment l'OTAN, auraient à offrir aux pays ennemis pour l'après-guerre?

Pour éviter une escalade vers une troisième guerre mondiale, il faut dès à présent donner la priorité aux offensives de négociation. Si l'on veut passer de l'escalade militaire à l'entente en matière de politique de paix, il faut avant tout se demander quels avantages les belligérants en tireraient.
Tout d'abord, il faut citer en premier lieu la fin des tueries mutuelles, la destruction du bonheur humain et de leurs existences sociales, la destruction de l'environnement et des infrastructures ainsi que la réparation des dommages économiques massifs.
Cela devrait suffire à motiver un début de négociations sérieuses.
Les avantages pour la Fédération de Russie et la Biélorussie seraient également évidents d'un point de vue économique : Levée des sanctions occidentales, relations économiques renforcées, réintégration dans des institutions économiques transnationales orientées vers l'Occident.
L'Ukraine aurait l'avantage économique d'un soutien international dans la reconstruction de l'économie ukrainienne, la possibilité d'une adhésion à moyen terme à l'UE et la promesse de sécurité qui y est liée, ainsi que les milliards de subventions, notamment pour son agriculture.
Pour les deux États, l'avantage serait de passer d'une économie de guerre et d'extraction des ressources à un développement durable en accord avec les 17 ODD de l'ONU. Des mesures de désarmement coordonnées au niveau international y seraient liées, afin de libérer, grâce aux dividendes de la paix qui en résulteraient, de vastes ressources pour des mesures sociales et écologiques.
Pour la Russie et le Belarus, la voie de l'après-guerre s'éloignerait de l'image d'États parias vue par l'Occident et mènerait à une réintégration dans la communauté internationale, qui irait au-delà de la reconnaissance dans les États du BRICS et de l'OSC. Dans un premier temps, la coopération au sein de l'OSCE et du Conseil OTAN-Russie pourrait être réactivée et la Russie pourrait être réintégrée dans le groupe du G8.
Néanmoins, les centaines de milliers de morts et de blessés graves, les crimes de guerre massifs et les destructions à tous les niveaux ne doivent pas être occultés pour des raisons d'opportunité après un accord de paix. Il faut donc, après un traité de paix et une situation stabilisée, engager des poursuites pénales contre les crimes de guerre documentés. Mais il faudrait également créer des commissions de conflit similaires aux commissions de réconciliation sud-africaines initiées par Nelson Mandela après la fin de l'apartheid, où une confrontation entre les auteurs et les victimes et les familles des civils et des soldats tués aura lieu. Cela ne permettra pas de réparer les injustices et les souffrances humaines, mais aidera à assimiler les événements traumatisants de manière à ce qu'il soit possible de continuer à vivre avec ce qui a été vécu.
Mais il faut d'abord mettre fin aux hostilités et entamer des négociations. Les menaces seules ne suffiront pas. Les perspectives positives d'une fin de la guerre pour les États concernés doivent avoir la priorité et être présentées dans les négociations comme une offre pour l'après-guerre.
 
 
Klaus Moegling, professeur agrégé Dr. habil. ret., Faculté des sciences sociales de l'Université de Kassel, engagement de longue date, entre autres, dans le mouvement pacifiste et environnemental,
Site internet: https://www.klaus-moegling.de
Publication d'un livre : Réorganisation. Un monde pacifique et durablement développé est (encore) possible. 5e édition actualisée et élargie, 2024.
Édition allemande en libre accès: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
Third English edition in open access:  https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 

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blog 2

Oekraïne: hoe een derde wereldoorlog nog kan worden vermeden.

Door Klaus Moegling


Huidige analyses gaan er steeds meer van uit dat een derde wereldoorlog onvermijdelijk is. Maar dit hangt af van de beslissingen van de hoofdrolspelers. Er zijn onderhandelingsperspectieven en voordelen voor het beëindigen van de oorlog in Oekraïne voor alle betrokken actoren.
Bevriezen of escaleren?
De huidige tegenstanders van de hervatting van de onderhandelingen zijn van mening dat “Poetin niet onderhandelt”. Toch moet worden opgemerkt dat er succesvolle onderhandelingen waren, althans voor een tijdje, over de uitwisseling van gevangenen, de wederzijdse overdracht van gesneuvelde soldaten en het transport van graan. Paus Franciscus, secretaris-generaal Guterres van de VN en de Turkse regering traden op als bemiddelaars. Hoewel ook de Oekraïense president Zelenskyi onderhandelingen officieel afwijst totdat de Russische troepen Oekraïne hebben verlaten, staat hij wel toe dat er wordt onderhandeld over de genoemde deelproblemen.
Johannes Varwick (2022) roept daarom op tot onderhandelingen tussen Oekraïne en de Russische Federatie (RF) om de oorlog te 'bevriezen', wat nog geen oplossing is maar wel de poort naar verdere onderhandelingen. Dit zou beter zijn dan honderdduizenden doden en zwaargewonden meer en een gevaarlijke escalatie van de oorlog. SPD-fractieleider Rolf Mützenich steunt ook de oproep tot bevriezing van het conflict, hoewel dit in strijd is met de mainstream media en het beleid van de groene minister van Buitenlandse Zaken.
Michael von der Schulenburg (2024) betwijfelt ook of de huidige wederzijdse militaire escalatie in de oorlog in Oekraïne kan worden gelegitimeerd door het internationaal recht en het VN-Handvest:
"Kan het VN-Handvest ook gebruikt worden om het voeren van een jarenlange oorlog te rechtvaardigen die kan eindigen in de vernietiging van de aangevallen staat? En rechtvaardigt dit ook het uitbreiden van de oorlog naar Rusland met het risico van het starten van een nucleaire wereldoorlog? En dit alles zonder ook maar een poging te doen om het conflict dat tot deze oorlog heeft geleid vreedzaam op te lossen? Nauwelijks! Het doel van het VN-Handvest is immers om de vrede voor de mensheid te bewaren en niet om oorlogen te rechtvaardigen."
Maar als we te lang wachten met het starten van onderhandelingen in deze zin, kan het startpunt voor onderhandelingen steeds slechter worden als de militaire situatie in Oekraïne verslechtert.

De nucleaire dreiging komt dichterbij

In de eerste helft van 2024 intensiveerde het Russische leger zijn aanvallen op de op één na grootste Oekraïense stad Kharkiv en bombardeerde het civiele infrastructuur. De NAVO is nu voorstander van het gebruik van westerse wapens vanuit Oekraïne op bepaalde militaire doelen op Russisch grondgebied, die zij volgens het internationaal recht legitiem acht, onder andere om de aanvallen op Kharkiv te voorkomen. De Franse president is voorstander van de inzet van westerse strijdkrachten in Oekraïne. Oekraïne vernietigt een deel van het nucleaire waarschuwingssysteem van de Russische Federatie. Poetin countert opnieuw met het zeer ernstige dreigement om tactische kernwapens niet alleen tegen Oekraïne maar ook tegen het Westen te gebruiken. De voormalige Russische president en premier Medvedev dreigen met een Russische raketaanval op westerse hoofdsteden en een derde wereldoorlog. Daarom voerde de RF een kernwapenmanoeuvre uit om het gebruik van tactische kernwapens te testen. Tijdens het NAVO-jubileum in New York in juli 2024 kondigen de NAVO en Duitsland onder andere de inzet van nieuwe Tomahawk middellangeafstandsraketten met kernwapens in Duitsland aan. Dit is de eerste keer dat er raketten op Duits grondgebied worden gestationeerd sinds de terugtrekking van middellangeafstandskernraketten in 1991 als onderdeel van het INF-verdrag. IPPNW, de internationale medische organisatie voor de preventie van een kernoorlog, roept daarom op tot “risicovermindering als eerste stap: de drie westerse kernmachten - de VS, Groot-Brittannië en Frankrijk - moeten hun krachten bundelen met China om Rusland te benaderen en een doctrine van geen eerste gebruik van kernwapens af te kondigen.”
Nucleair capabele hypersonische raketten moeten tegen 2026 ook op Duits grondgebied worden gestationeerd en zullen dan worden geconfronteerd met de Russische hypersonische raketten die zich al in Kaliningrad bevinden. Bovendien valt de RF Oekraïne nu al aan met hypersonische raketten. De oproep van kritische politicologen en politici voor onderhandelingen op Change.org, waarin wordt opgeroepen tot verzet tegen hypersonische raketten in het Oosten en het Westen, die met hun conventionele of nucleaire kernkoppen binnen enkele minuten de hoofdsteden van de betrokken staten kunnen bereiken, is daarom uiterst actueel. Het gevaar van een kernoorlog is net zo dichtbij als tijdens de Cubaanse Raketcrisis in 1962, maar persoonlijkheden en politicologen die een nucleaire reactie niet willen uitsluiten, worden in de westerse media publiekelijk gestigmatiseerd als mensen die in Poetins dreigementen trappen. Dreigingen met nucleaire raketaanvallen worden gedegradeerd tot bangmakerij en intimidatiepogingen. Zouden vooraanstaande Westerse politici, gezien hun verantwoordelijkheid tegenover de mensen die ze vertegenwoordigen, zich echter niet moeten afvragen of een nucleaire reactie van Rusland echt kan worden uitgesloten? Zou het niet zinvoller zijn om nu eindelijk een beslissend onderhandelingsoffensief te beginnen, voordat het te laat is?
Günter Verheugen en Petra Erler (2024:14) waarschuwen hiervoor in hun boek “The Long Road to War” - ondanks hun kritiek op de aanval van Rusland in strijd met het internationaal recht:
"Een wil om te vernietigen die op Rusland is gericht, vernietigt ook ons. Het leidt onvermijdelijk tot een nucleaire catastrofe, want dat is het enige geval waarin de Russische nucleaire doctrine van toepassing is: als het bestaan van het land op het spel staat, is het gebruik van kernwapens toegestaan. Wat heeft het in vredesnaam voor zin om uit te zoeken of dit slechts een loos dreigement is?"
Het standpunt van Herfried Münkler daarentegen, dat er een EU-kernbom moet komen, draagt weinig bij aan een diplomatiek offensief en de-escalatie - aldus Münkler (2023):
"De Britten mogen dan nucleaire onderzeeërs hebben, Frankrijk de bom, maar zullen ze die echt gebruiken om Litouwen of Polen te beschermen? Vanuit het oogpunt van het Kremlin is dat twijfelachtig. We hebben een gemeenschappelijke koffer met een rode knop nodig die tussen de grote EU-landen reist."
In deze context is Münkler voorstander van een massale bewapening van Europese staten en de EU om Rusland af te schrikken. De Europese SPD-kandidaat voor het leiderschap Katharina Barley neemt deze ideeën over en pleit ook voor het overwegen van een Europese kernbom - vooral met het oog op de verwachte toekomstige onbetrouwbaarheid van de VS (Wangerin 2024).
Een dergelijke massale wapenopbouw op conventioneel en nucleair gebied van de kant van de Russische Federatie en het Westen, in combinatie met een escalerende dreiging en militaire escalatie in Oekraïne, is echter contraproductief en uiterst gevaarlijk. Er dreigt een 'point of no return' en een onstuitbare escalatiedynamiek, zoals Jürgen Habermas (2023) het formuleerde in de Süddeutsche Zeitung. Op een bepaald moment kan er een omslagpunt worden bereikt waardoor de gebeurtenissen op een ongecontroleerde en chaotische manier op de wereld ineenstorten. Hoe ver zijn we van dit omslagpunt verwijderd?

De dubbele strategie die nodig is om de oorlog te beëindigen

In zijn pamflet “Onderhandelen is de enige weg naar vrede” roept Hajo Funke op om de onderhandelingen al in juni 2023 te hervatten, gezien het menselijk leed dat de oorlog heeft veroorzaakt:
"Is het legitiem - en dit geldt opnieuw voor alle partijen - om lijden en vernietiging voor mensen en samenlevingen te blijven accepteren zonder alles - maar dan ook alles - te doen wat binnen de macht van de regeringen van onze volkeren ligt om deze destructieve escalatie in oorlog te onderbreken? Moeten we nu (...) niet op zijn laatst de vraag stellen of 'zo doorgaan' door middel van meer wapens en meer escalatie nog wel te rechtvaardigen is voor de getroffen samenlevingen en de mensen die gevaar lopen?" (Funke 2023: 88)
Naar mijn mening moeten in deze context twee noodzakelijke strategieën parallel worden ontwikkeld als een dubbele strategie (“uitbreiding van het defensievermogen en onderhandelingsoffensief”):
1. gecoördineerde uitbreiding van de militaire defensiecapaciteit van de EU, de NAVO en Oekraïne met gevoel voor proportie om verdere militaire opmars van de Russische Federatie - mogelijk zelfs verder dan Oekraïne - te voorkomen;
2. parallel hieraan, versneld onderhandelingsaanbod in de oorlog in Oekraïne via een effectieve onderhandelingscommissie met vertegenwoordigers van invloedrijke staten onder leiding van het Secretariaat-Generaal van de VN met de regeringen van de Russische Federatie en Oekraïne.
Strategie nr. 1 (“uitbreiding van defensiecapaciteiten”) lijkt in haar agressievere versie prioriteit te hebben gekregen. Lange- en middellangeafstandsraketten, vooral de hypersonische raketten die ook voor het Westen gepland zijn, kernwapens en nucleaire deelraketten en kruisraketten, zoals de 'Taurus', kunnen niet worden gezien als een prioritaire militaire technologie voor defensie. Dit zijn duidelijk offensieve wapens. Defensiecapaciteit 'met gevoel voor verhoudingen' betekent het systematisch uitbreiden van relevante defensietechnologie, zoals zeer effectieve luchtverdedigingsraketsystemen, mijnenbestrijdingsdrones en mijnenvegers, anti-seminarsystemen, antitankwapens, cyber- en contraspionagesatellieten of satellieten voor vroegtijdige waarschuwing, in coördinatie met alliantiepartners. Dit is een breed gebied waarop de defensie-industrie ook een legitieme ordersituatie zou hebben onder overheidsopdracht en staatscontrole. Nauwkeurig gedoseerde economische en internationaal gecoördineerde sancties tegen een aanvallende staat, die niet de bevolking van een staat treffen maar de oorlogvoerende elementen, dienen ook de verdediging van aangevallen systemen.
De preventieve praktijk van sociale verdediging en geweldloos verzet, inclusief algemene stakingen in bezette gebieden, maken hier ook deel van uit en kunnen effectiever zijn dan wapenfetisjisten geloven (zie bijvoorbeeld de artikelen van Renate Wanie en Christine Schweitzer in het PeaceForum 2/2023 nummer “Sociale verdediging - een renaissance?”).
Deze verschillende gecoördineerde defensietechnologieën en -strategieën op zeer verschillende niveaus zouden de kern moeten vormen van een alliantiesysteem dat primair defensie dient, zoals de NAVO, en ook de kern van het GBVB van de EU. Dit is ook het verschil tussen de 'oorlogscapaciteit' die minister van Defensie Pistorius eist en de 'defensiecapaciteit' die de Basiswet bedoelt.
Zonder een gecoördineerde en proportionele uitbreiding van de Europese defensiecapaciteit zal Europa zichzelf niet kunnen verdedigen en ook geen effectieve invloed kunnen hebben als wereldwijde politieke speler in onderhandelingen. Zolang er geen sprake is van een 'nieuwe orde' op wereldschaal (Moegling 2024), waarin de Verenigde Naties de maat der dingen zijn, d.w.z. een door de VN gecontroleerde mondiale politiemacht effectief kan worden ingezet, moet de EU ook in staat zijn zichzelf tegen aanvallen te beschermen.
Strategie nr. 2 (“onderhandelingsoffensief”) is daarentegen tot nu toe duidelijk verwaarloosd in de huidige oorlog in Oekraïne, ondanks enkele selectieve onderhandelingsbenaderingen en successen op afzonderlijke punten. Gezien de menselijke, sociale en ecologische schade die de oorlog in Oekraïne heeft aangericht, had er allang een duurzaam onderhandelingsoffensief op hoog niveau moeten worden ingezet. Uiteindelijk is het uitbreiden van de onderhandelingscompetentie van een staat of een alliantie de beste sociale verdediging in termen van preventieve conflictoplossing enerzijds en de-escalatie en een staakt-het-vuren anderzijds als de oorlog al is uitgebroken.
De beste verdediging hier is het herwinnen van wederzijds vertrouwen en het herstellen en verder ontwikkelen van gezamenlijke controleverdragen en ontwapeningsmaatregelen op het gebied van offensieve wapentechnologie - in de eerste plaats natuurlijk op het gebied van kernwapens. Maar de cruciale vraag is of de twee vijandige actoren in de oorlog in Oekraïne en de machten achter hen bereid zijn hun eigen maximale eisen op te geven om het moorden te stoppen en een kernoorlog te voorkomen.
Naar mijn mening kan een derde wereldoorlog alleen worden voorkomen als er rekening wordt gehouden met een van de belangrijkste oorzaken van de oorlog in Oekraïne - namelijk de veiligheidsbelangen van de Russische Federatie, die herhaaldelijk naar voren worden gebracht. Zelfs als er geen juridisch afdwingbaar recht van de RF onder internationaal recht is, zouden er onderhandelingen moeten plaatsvinden met de betrokken landen om te bepalen in hoeverre er een overeenkomst kan worden bereikt dat de NAVO in de toekomst niet verder naar het oosten zal uitbreiden en dat er een (verzekerde) neutraliteit van Oekraïne en Georgië kan worden georganiseerd. Hoewel dit volkenrechtelijk niet verplicht is, lijkt het gezien de historische dynamiek en de herhaaldelijk geuite belangen van de Russische Federatie realpolitik noodzakelijk om een einde te maken aan het moorden. Als tegenprestatie zou het EU-lidmaatschap van Oekraïne door de Russische Federatie kunnen worden getolereerd zodra de noodzakelijke hervormingsmaatregelen en aanpassingsprocessen in Oekraïne met succes zijn afgerond. De kwestie van de aansluiting bij een staat en de mogelijkheid van een door de OVSE gecontroleerde stemming door de bevolking die in de Donbass en de Krim woont, zal bijvoorbeeld een ander onderwerp van de onderhandelingen zijn, die op een hoog niveau en met een geostrategisch evenwichtige samenstelling moeten worden gevoerd. Er moet ook worden onderhandeld over de instelling van een gedemilitariseerde beschermingszone ten westen en oosten van de Russische staatsgrens (vóór 2/2022), die door VN-vredeshandhavers moet worden beveiligd. Vanuit het oogpunt van het internationaal recht zou het overkoepelende doel van de onderhandelingen echter de grootst mogelijke terugtrekking van de Russische troepen van het grondgebied van Oekraïne en de beëindiging van alle vijandelijkheden moeten zijn. Als dat niet het geval zou zijn, zou dat een verkeerd wereldwijd signaal zijn voor andere autoritaire staten om de nationale grenzen van andere staten te negeren en ook agressie te plegen in strijd met het internationaal recht.
Er zijn in het verleden veel goede onderhandelingsvoorstellen gedaan, die systematisch moeten worden geanalyseerd en opgenomen (zie de samenvatting van de International Physicians for the Prevention of Nuclear War, IPPNW 2024). Het onderhandelingskader moet goed zijn om de resultaten serieus te kunnen nemen. Daarom moet er een evenwichtige en effectieve onderhandelingscommissie op hoog niveau onder leiding van de secretaris-generaal van de VN worden ingesteld, waarin bij voorkeur ook vertegenwoordigers van invloedrijke BRICS-staten (China, India en Brazilië) en van de NAVO, de EU en de OVSE zitting hebben. Deze commissie moet rechtstreekse onderhandelingen voeren met de regeringen van Oekraïne, Wit-Rusland en Rusland met als doel een staakt-het-vuren te bevriezen en daarover te onderhandelen als voorwaarde voor vredesonderhandelingen, die in overeenstemming moeten zijn met het internationaal recht en geen 'vuile deal' mogen vormen.

Wat zouden de westerse onderhandelingspartners, inclusief de NAVO, de vijandige staten te bieden hebben voor de periode na de oorlog?

Om een escalatie naar een derde wereldoorlog te voorkomen, moeten onderhandelingsoffensieven vanaf nu dringend prioriteit krijgen. Als er een verschuiving komt van militaire escalatie naar een vredesakkoord, is de belangrijkste vraag welke voordelen de strijdende partijen hiervan zouden hebben in termen van succesvolle onderhandelingen.
Eerst en vooral zou er een einde komen aan het wederzijds doden, de vernietiging van menselijk geluk en hun sociale bestaansmiddelen, de vernietiging van het milieu en de infrastructuur en het herstel van enorme economische schade.
Dit alleen al zou voldoende motivatie moeten zijn voor een serieuze start van de onderhandelingen.
De voordelen voor de Russische Federatie en Wit-Rusland zouden ook duidelijk zijn vanuit economisch perspectief: Opheffing van de westerse sancties, sterkere economische banden, herintegratie in westerse transnationale economische instellingen.
Oekraïne zou het economische voordeel hebben van internationale steun bij de wederopbouw van de Oekraïense economie, mogelijke toetreding op middellange termijn tot de EU en de daarmee gepaard gaande belofte van veiligheid, evenals de miljarden aan subsidies, met name voor de Oekraïense landbouw.
Beide landen zouden baat hebben bij een transformatie van staten die grondstoffen onttrekken en een oorlogseconomie hebben naar duurzame ontwikkeling in overeenstemming met de 17 SDG's van de VN. Dit zou internationaal gecoördineerde ontwapeningsmaatregelen vereisen om via het resulterende vredesdividend omvangrijke middelen vrij te maken voor sociale en ecologische maatregelen.
Voor Rusland en Wit-Rusland zou de weg in de naoorlogse periode leiden weg van hun imago als pariastaten vanuit het Westen en naar overname door de internationale statengemeenschap, wat verder gaat dan erkenning in de BRICS- en OVSE-staten. Ten eerste zou de samenwerking in de OVSE en de NAVO-Rusland Raad nieuw leven kunnen worden ingeblazen en zou Rusland opnieuw kunnen worden toegelaten tot de G8-groep.
Niettemin mogen honderdduizenden doden en zwaargewonden, massale oorlogsmisdaden en vernielingen op alle niveaus niet om opportuniteitsredenen worden onderdrukt nadat een vredesakkoord is bereikt. Daarom moeten gedocumenteerde oorlogsmisdaden na een vredesverdrag en een gestabiliseerde situatie worden vervolgd. Maar er moeten ook conflictcommissies worden gevormd, vergelijkbaar met de Zuid-Afrikaanse verzoeningscommissies die door Nelson Mandela werden geïnitieerd na het einde van de apartheid, waar daders en slachtoffers en families van gedode burgers en soldaten met elkaar worden geconfronteerd. Dit zal het onrecht en het menselijk lijden dat heeft plaatsgevonden niet kunnen compenseren, maar het zal mensen wel helpen om de traumatische gebeurtenissen op zo'n manier te verwerken dat het mogelijk wordt om te leven met wat ze hebben meegemaakt.
Maar eerst moeten de wapens zwijgen en de onderhandelingen beginnen. Dreigen alleen zal hier niet helpen. Er moet prioriteit worden gegeven aan de positieve vooruitzichten van het beëindigen van de oorlog voor de betrokken landen, zoals hierboven beschreven, en deze moeten in de onderhandelingen worden opgenomen als een aanbod voor de naoorlogse periode.

Klaus Moegling, apl. Prof. Dr habil. ret., Departement Sociale Wetenschappen aan de Universiteit van Kassel, langdurig betrokken bij onder andere de vredes- en milieubewegingen,
Homepage: https://www.klaus-moegling.de
Boekpublicatie: Neuordnung. Een vreedzame en duurzaam ontwikkelde wereld is (nog) mogelijk. 5e bijgewerkte en uitgebreide editie, 2024.
Duitse editie in open access: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
Derde Engelse editie in open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/

 

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поточний блог 2 

 Україна: Як ще можна уникнути третьої світової війни.

Klaus Moegling


Сучасні аналітики все частіше припускають, що третя світова війна неминуча. Але це залежить від рішень, прийнятих ключовими гравцями. Переговорні перспективи та переваги для припинення війни в Україні є у всіх залучених сторін.

Замороження чи ескалація?

Нинішні опоненти відновлення переговорів дотримуються думки, що «Путін не йде на переговори». Тим не менш, слід зазначити, що були успішні переговори, принаймні на деякий час, про обмін полоненими, взаємну передачу загиблих солдатів і транспортування зерна. Посередниками виступали Папа Римський Франциск, Генеральний секретар ООН Гутерріш та уряд Туреччини. Хоча український президент Зеленський також офіційно відкидає переговори, поки російські війська не покинуть Україну, він, тим не менш, допускає можливість проведення переговорів щодо часткових проблем, про які йшлося вище.
ТомуЙоганнес Варвік (2022) закликає до переговорів між Україною та Російською Федерацією (РФ), щоб «заморозити» війну, що ще не є рішенням, але є воротами до подальших переговорів. Це було б краще, ніж сотні тисяч нових загиблих і важко поранених та небезпечна ескалація війни. Лідер парламентської фракції СДПН Рольф Мютценіх також підтримує заклик до заморожування конфлікту, хоча це суперечить мейнстрімним ЗМІ та політиці зеленого міністра закордонних справ.
Міхаель фон дер Шуленбург (2024) також сумнівається, що нинішня взаємна військова ескалація у війні в Україні може бути легітимізована міжнародним правом та Статутом ООН:
"Чи може Статут ООН також використовуватися для виправдання ведення війни протягом декількох років, яка може закінчитися знищенням держави, на яку напали? І чи виправдовує це також поширення війни на Росію з ризиком початку ядерної світової війни? І все це навіть без спроб вирішити конфлікт, що призвів до цієї війни, мирним шляхом? Навряд чи! Адже метою Статуту ООН є збереження миру для людства, а не виправдання воєн».
Однак, якщо ми будемо чекати занадто довго, щоб почати переговори в цьому сенсі, відправна точка для переговорів може ставати все гіршою і гіршою, якщо військова ситуація в Україні погіршуватиметься.

Ядерна загроза наближається

У першій половині 2024 року російські військові посилили свої атаки на друге за величиною українське місто Харків і бомбардування цивільної інфраструктури. НАТО виступає за використання західної зброї з України по певних військових цілях на території Росії, які вона вважає легітимними згідно з міжнародним правом, щоб запобігти, серед іншого, атакам на Харків. Президент Франції виступає за розгортання західних військових сил в Україні. Україна знищує частину системи попередження про ракетний напад Російської Федерації. Путін знову виступає з надзвичайно серйозною погрозою застосувати тактичну ядерну зброю не лише проти України, але й проти Заходу. Колишній російський президент і прем'єр-міністр Медведєв погрожує російською ракетною атакою на західні столиці і третьою світовою війною. Відповідно, РФ провела ядерні маневри з метою перевірки застосування тактичної ядерної зброї. На ювілеї НАТО в Нью-Йорку в липні 2024 року НАТО і Німеччина оголошують про розгортання в Німеччині, серед іншого, нових ракет середньої дальності «Томагавк» з ядерними боєголовками. Це перший випадок розміщення ракет на німецькій землі після виведення ядерних ракет середньої дальності в 1991 році в рамках Договору про ліквідацію ракет середньої і меншої дальності. IPPNW, міжнародна медична організація із запобігання ядерній війні, закликає до «зменшення ризику в якості першого кроку: три західні ядерні держави - США, Великобританія і Франція - повинні об'єднати зусилля з Китаєм, щоб наблизитися до Росії і проголосити доктрину незастосування ядерної зброї першими».
Гіперзвукові ракети, здатні нести ядерну зброю, також мають бути розміщені на території Німеччини до 2026 року, і тоді вони зіткнуться з російськими гіперзвуковими ракетами, вже розташованими в Калінінграді. Крім того, РФ вже атакує Україну гіперзвуковими ракетами. Тому заклик критично налаштованих політологів і політиків до переговорів на сайті Change.org, який закликає протистояти гіперзвуковим ракетам на Сході і Заході, здатним за лічені хвилини досягти столиць відповідних держав зі своїми звичайними або ядерними боєголовками, є надзвичайно актуальним. Небезпека ядерної війни так само близька, як і під час Карибської кризи 1962 року, але діячі та політологи, які не хочуть виключати ядерну відповідь, публічно тавруються в західних ЗМІ як люди, що ведуться на погрози Путіна. Загрози ракетно-ядерних атак принижуються до рівня залякування і спроб залякування. Проте, з огляду на відповідальність перед людьми, яких вони представляють, чи не повинні провідні західні політики запитати себе, чи дійсно можна виключити ядерну відповідь з боку Росії? Чи не було б доцільніше нарешті розпочати рішучий переговорний наступ зараз, поки не стало занадто пізно?
Гюнтер Ферхойген і Петра Ерлер (2024:14) застерігають про це у своїй книзі «Довгий шлях до війни» - попри критику російської атаки, що порушує міжнародне право:
"Воля до знищення, спрямована на Росію, знищує і нас. Вона неминуче призведе до ядерної війни. Вона неминуче призведе до ядерної катастрофи, тому що це єдиний випадок, коли застосовується ядерна доктрина Росії: якщо на карту поставлено існування країни, застосування ядерної зброї дозволяється. Який сенс у тому, щоб намагатися з'ясувати, чи не є це просто пустопорожньою погрозою?"
З іншого боку, позиція Герфріда Мюнклера, який вважає, що в ЄС має бути ядерна бомба, мало сприяє дипломатичному наступу і деескалації - на думку Мюнклера (2023):
"Британці можуть мати ядерні підводні човни, Франція - бомбу, але чи будуть вони дійсно використовувати їх для захисту Литви чи Польщі? З точки зору Кремля, це сумнівно. Нам потрібна спільна валіза з червоною кнопкою, яка подорожує між великими країнами ЄС».
У цьому контексті Мюнклер виступає за масоване озброєння європейських держав і ЄС для стримування Росії. Кандидат у лідери СДПН Катаріна Барлі підхоплює ці ідеї і також закликає розглянути можливість створення європейської ядерної бомби - особливо з огляду на очікувану в майбутньому ненадійність США (Wangerin 2024).
Однак таке масоване нарощування звичайних і ядерних озброєнь з боку Російської Федерації і Заходу в поєднанні з ескалацією загрози і військовою ескалацією в Україні є контрпродуктивним і вкрай небезпечним. Існує ризик «точки неповернення» і нестримної динаміки ескалації, як висловився Юрген Габермас (2023 ) в газеті Süddeutsche Zeitung. У якийсь момент може бути досягнута переломна точка, яка спричинить неконтрольований і хаотичний обвал подій у світі. Як далеко ми знаходимося від цього переломного моменту?

Подвійна стратегія, необхідна для закінчення війни

У своїй брошурі «Переговори - єдиний шлях до миру» Хайо Функе закликає до відновлення переговорів вже у червні 2023 року з огляду на людські страждання, спричинені війною:
"Чи законно - і це знову ж таки стосується всіх сторін - продовжувати миритися зі стражданнями і руйнуваннями для людей і суспільств, не роблячи все - але також і все, що в силах урядів наших народів, щоб перервати цю руйнівну ескалацію у війні? Чи не повинні ми зараз (...) щонайпізніше поставити питання про те, чи «продовження в тому ж дусі» через більше зброї і більшу ескалацію все ще може бути виправданим для постраждалих суспільств і людей, які перебувають під загрозою?"
(Funke 2023: 88)
На мою думку, в цьому контексті необхідно паралельно розробляти дві необхідні стратегії як подвійну стратегію («розширення оборонного потенціалу і переговорний наступ»):
1. скоординоване розширення військового оборонного потенціалу ЄС, НАТО і України з почуттям міри, щоб запобігти подальшому військовому просуванню Російської Федерації - можливо, навіть за межі України;
2. паралельно з цим, прискорити переговорні пропозиції щодо врегулювання війни в Україні через ефективну переговорну комісію з представників впливових держав під керівництвом Генерального секретаріату ООН з урядами Російської Федерації та України.
Стратегії № 1 («розширення оборонних можливостей»), схоже, було надано пріоритет у її більш агресивній версії. Ракети середньої і великої дальності, особливо гіперзвукові ракети, також заплановані для Заходу, ядерна зброя і спільне використання ядерної зброї, а також крилаті ракети, такі як «Таурус», не можуть розглядатися як пріоритетні військові технології для оборони. Це, безумовно, наступальна зброя. Оборонні можливості «з почуттям міри» означають систематичне розширення відповідних оборонних технологій, таких як високоефективні зенітні ракетні системи, безпілотники для розмінування і протимінні тральщики, системи протиповітряної оборони, протитанкові озброєння, кібер- і контррозвідка або супутники раннього попередження, в координації з партнерами по альянсу. Це широке поле, в якому оборонна промисловість також матиме легітимне замовлення в рамках державного контракту і державного контролю. Точно дозовані економічні і скоординовані на міжнародному рівні санкції проти держави-нападника, які впливають не на населення держави, а на воюючі елементи, також слугують захисту систем, що зазнали нападу.
Превентивна практика соціального захисту і ненасильницького опору, включаючи загальні страйки на окупованих територіях, також є частиною цього процесу і може бути більш ефективною, ніж вважають фетишисти зброї (див., наприклад, статті Ренати Вані і Крістін Швейцер у випуску PeaceForum 2/2023 «Соціальний захист - ренесанс?»).
Ці різноманітні скоординовані оборонні технології і стратегії на дуже різних рівнях мають бути в основі системи альянсів, які в першу чергу слугують обороні, таких як НАТО, а також в основі СЗППБ ЄС. У цьому також полягає різниця між «боєздатністю», якої вимагає міністр оборони Пісторіус, і «обороноздатністю», яку має на увазі Основний закон.
Без скоординованого розширення європейської обороноздатності з почуттям міри Європа не зможе ані захистити себе, ані мати ефективний вплив як глобальний політичний гравець на переговорах. Поки не буде «нового порядку» в глобальному масштабі (Moegling 2024 ), в якому Організація Об'єднаних Націй буде мірилом всіх речей, тобто підконтрольні ООН глобальні поліцейські сили можуть бути ефективно розгорнуті, ЄС також повинен бути в змозі захистити себе від нападів.
Стратегія № 2 («переговорний наступ»), з іншого боку, поки що явно нехтується в поточній війні в Україні, незважаючи на деякі вибіркові переговорні підходи та успіхи в окремих питаннях. З огляду на людські, соціальні та екологічні втрати, спричинені війною в Україні, вже давно слід було б розпочати тривалий переговорний наступ на високому рівні. Зрештою, розширення переговорної компетенції держави чи альянсу є найкращим соціальним захистом з точки зору превентивного врегулювання конфлікту, з одного боку, та деескалації і припинення вогню, з іншого, якщо війна вже розпочалася.
Найкращим захистом тут є відновлення взаємної довіри, відновлення і подальший розвиток договорів про спільний контроль і заходів з роззброєння в галузі наступальних технологій озброєнь - в першу чергу, звичайно, в галузі ядерної зброї. Але вирішальне питання полягає в тому, чи готові обидва ворожі учасники війни в Україні і сили, що стоять за ними, відмовитися від своїх максимальних вимог, щоб зупинити вбивства і запобігти ядерній війні.
На мою думку, третьої світової війни можна уникнути, лише якщо взяти до уваги одну з найважливіших причин війни в Україні - інтереси політики безпеки Російської Федерації, які неодноразово висувалися. Навіть якщо не існує юридично закріпленого права РФ згідно з міжнародним правом, необхідно провести переговори за участю зацікавлених країн, щоб визначити, якою мірою можна досягти угоди про те, що НАТО не буде розширюватися далі на схід у майбутньому, і що можна організувати (гарантований) нейтралітет України і Грузії. Хоча це не є обов'язковим згідно з міжнародним правом, з огляду на історичну динаміку та неодноразово висловлені інтереси Російської Федерації, це видається необхідним з точки зору реальної політики для того, щоб покласти край вбивствам. У свою чергу, членство України в ЄС може бути толерантно сприйняте Російською Федерацією після успішного завершення необхідних реформ та адаптаційних процесів в Україні. Питання державної приналежності та можливості голосування під контролем ОБСЄ населення, яке проживає, наприклад, на Донбасі та в Криму, буде подальшим предметом переговорів, які мають відбуватися на високому рівні та у геостратегічно збалансованому складі. Створення демілітаризованої захисної зони на захід і схід від російського державного кордону (до 2/2022 року), яка буде охоронятися миротворцями ООН, також буде предметом переговорів. Однак, з точки зору міжнародного права, головною метою переговорів має бути максимально можливе виведення російських військ з території України та припинення всіх бойових дій. Якщо цього не станеться, це дасть неправильний глобальний сигнал іншим авторитарним державам нехтувати національними кордонами інших держав і також здійснювати акти агресії всупереч міжнародному праву.
У минулому було багато хороших пропозицій щодо переговорів, які слід систематично аналізувати і враховувати (див. резюме Міжнародної організації «Лікарі за запобігання ядерній війні », IPPNW 2024). Для того, щоб результати переговорів сприймалися серйозно, необхідно створити належну переговорну базу. Тому слід створити збалансовану та ефективну переговорну комісію високого рівня на чолі з Генеральним секретарем ООН, бажано з представниками впливових держав БРІКС (Китаю, Індії та Бразилії), а також НАТО, ЄС та ОБСЄ, для проведення прямих переговорів з урядами України, Білорусі та Росії з метою заморожування та обговорення припинення вогню як передумови мирних переговорів, які повинні відповідати міжнародному праву і не укладати «брудні угоди».

Що могли б запропонувати західні партнери по переговорах, включно з НАТО, ворогуючим державам на післявоєнний період?

Для того, щоб запобігти ескалації у третю світову війну, відтепер пріоритетом має стати переговорний наступ. Якщо відбудеться перехід від військової ескалації до мирної політичної угоди, то головне питання полягає в тому, які переваги отримають від цього ворогуючі сторони в разі успішного завершення переговорів.
Перш за все, це припинення взаємних вбивств, руйнування людського щастя та засобів до існування, знищення довкілля та інфраструктури, а також відшкодування величезних економічних збитків.
Вже одне це повинно бути достатньою мотивацією для серйозного початку переговорів.
Переваги для Російської Федерації та Білорусі також були б очевидними з економічної точки зору: Зняття західних санкцій, зміцнення економічних зв'язків, реінтеграція в орієнтовані на Захід транснаціональні економічні інститути.
Україна отримала б економічну перевагу від міжнародної підтримки у відновленні української економіки, можливого вступу до ЄС у середньостроковій перспективі і пов'язаної з цим обіцянки безпеки, а також мільярдних субсидій, зокрема, для сільського господарства.
Обидві країни виграли б від переходу від ресурсно-видобувної та воєнної економіки до сталого розвитку відповідно до 17 Цілей сталого розвитку ООН. Це передбачає міжнародно скоординовані заходи з роззброєння, щоб вивільнити значні ресурси для соціальних та екологічних заходів за рахунок отриманого мирного дивіденду.
Для Росії та Білорусі шлях у післявоєнний період привів би до відходу від їхнього іміджу країн-парій з точки зору Заходу і до реадмісії в міжнародне співтовариство держав, що виходить за рамки визнання в країнах БРІКС і ОБСЄ. По-перше, можна було б відновити співпрацю в ОБСЄ та Раді НАТО-Росія, а також повернути Росію до групи «Великої вісімки».
Тим не менш, сотні тисяч загиблих і важкопоранених, масові військові злочини і руйнування на всіх рівнях не повинні замовчуватися з міркувань доцільності після досягнення мирної угоди. Тому після укладення мирного договору і стабілізації ситуації задокументовані воєнні злочини повинні переслідуватися в судовому порядку. Але також мають бути створені комісії з врегулювання конфлікту, подібні до південноафриканських комісій з примирення, ініційованих Нельсоном Манделою після падіння апартеїду, де винуватці та жертви, а також сім'ї загиблих цивільних осіб і солдатів будуть зустрічатися віч-на-віч. Це не зможе компенсувати несправедливість і людські страждання, що сталися, але допоможе людям примиритися з травматичними подіями таким чином, щоб можна було жити з тим, що вони пережили.
Однак, перш за все, гармати повинні замовкнути і початися переговори. Погрози тут не допоможуть. Пріоритет має бути відданий позитивним перспективам закінчення війни для залучених країн, як описано вище, і вони повинні бути включені в переговори в якості пропозиції на післявоєнний період.

Klaus Moegling, доцент, доктор габілітований, професор кафедри соціальних наук Кассельського університету, багаторічний учасник руху за мир та екологічного руху, серед іншого,
Веб-сторінка: https://www.klaus-moegling.de
Публікація книги: Реорганізація. Мирний і стійко розвинений світ (все ще) можливий. 5-те оновлене та доповнене видання, 2024.
Німецьке видання у відкритому доступі:
https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
Третє англійське видання у вільному доступі:
https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 

 

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актуальный блог 2 

Украина: как еще можно избежать третьей мировой войны.

 
Klaus Moegling
20/7/2024
 
Современные аналитики все чаще говорят о том, что третья мировая война неизбежна. Но это зависит от решений, принимаемых ключевыми игроками. Перспективы переговоров и преимущества для прекращения войны на Украине существуют для всех вовлеченных сторон.
 

Заморозка или эскалация?

Нынешние противники возобновления переговоров придерживаются мнения, что «Путин не ведет переговоров». Тем не менее, следует отметить, что были успешные переговоры, по крайней мере на время, об обмене пленными, взаимной передаче павших солдат и транспортировке зерна. В качестве посредников выступили Папа Римский Франциск, Генеральный секретарь ООН Гутерриш и турецкое правительство. Хотя президент Украины Зеленский также официально отказывается от переговоров до тех пор, пока российские войска не покинут Украину, он, тем не менее, допускает возможность переговоров по частичным проблемам, о которых говорилось выше.
ПоэтомуЙоханнес Варвик (2022) призывает к переговорам между Украиной и Российской Федерацией (РФ) о «замораживании» войны, что еще не является решением, но открывает путь к дальнейшим переговорам. Это лучше, чем сотни тысяч новых погибших и тяжелораненых и опасная эскалация войны». Лидер парламентской фракции СДПГ Рольф Мютцених также поддерживает призыв к замораживанию конфликта, хотя это и расходится с мейнстримом СМИ и политикой министра иностранных дел «зеленых».
Михаэль фон дер Шуленбург (2024) также сомневается в том, что нынешняя взаимная военная эскалация в войне на Украине может быть узаконена международным правом и Уставом ООН:
"Можно ли использовать Устав ООН для оправдания ведения войны в течение нескольких лет, которая может закончиться уничтожением государства, подвергшегося нападению? И оправдывает ли это также распространение войны на Россию с риском развязывания ядерной мировой войны? И все это без попытки мирного урегулирования конфликта, который привел к этой войне? Вряд ли! Ведь целью Устава ООН является сохранение мира для человечества, а не оправдание войн».
Однако если мы будем слишком долго ждать начала переговоров в этом смысле, исходная точка для них может стать все хуже и хуже, если военная ситуация на Украине ухудшится.

Ядерная угроза становится все ближе

В первой половине 2024 года российские военные усилили атаки на второй по величине украинский город Харьков и подвергли бомбардировкам гражданскую инфраструктуру. НАТО теперь выступает за использование западного оружия с территории Украины по определенным военным целям на российской территории, которые она считает законными в соответствии с международным правом, чтобы, в частности, предотвратить атаки на Харьков. Президент Франции выступает за размещение западных военных сил на Украине. Украина уничтожает часть ядерной системы раннего предупреждения Российской Федерации. Путин снова отвечает чрезвычайно серьезной угрозой применить тактическое ядерное оружие не только против Украины, но и против Запада. Бывший президент России и премьер-министр Медведев угрожают российским ракетным ударом по западным столицам и третьей мировой войной. В связи с этим РФ провела ядерные маневры по отработке применения тактического ядерного оружия. На юбилее НАТО в Нью-Йорке в июле 2024 года НАТО и Германия объявляют, в частности, о размещении в Германии новых ракет средней дальности «Томагавк» с ядерными боеголовками. Это первый случай размещения ракет на территории Германии с момента вывода ядерных ракет средней дальности в 1991 году в рамках Договора INF. IPPNW, международная медицинская организация по предотвращению ядерной войны, призывает к «снижению риска в качестве первого шага: три западные ядерные державы - США, Великобритания и Франция - должны объединить усилия с Китаем, чтобы приблизиться к России и объявить доктрину неприменения ядерного оружия первыми».
К 2026 году на территории Германии будут размещены гиперзвуковые ракеты с ядерными боеголовками, которые будут противостоять российским гиперзвуковым ракетам, уже размещенным в Калининграде. Кроме того, РФ уже атакует Украину гиперзвуковыми ракетами. Поэтому призыв критически настроенных политологов и политиков в пользу переговоров на сайте Change.org, призывающий противостоять гиперзвуковым ракетам на Востоке и Западе, которые могут за считанные минуты достичь столиц стран-участниц с их обычными или ядерными боеголовками, является чрезвычайно актуальным. Опасность ядерной войны так же близка, как и во время Кубинского ракетного кризиса 1962 года, но деятели и политологи, не желающие исключать ядерный ответ, публично клеймятся в западных СМИ как люди, поддавшиеся на угрозы Путина. Угрозы ракетно-ядерных ударов низводятся до уровня пугалок и попыток запугивания. Тем не менее, учитывая их ответственность перед народом, который они представляют, не должны ли ведущие западные политики спросить себя, действительно ли можно исключить ядерный ответ со стороны России? Не разумнее ли, наконец, начать решительное наступление на переговорах сейчас, пока не стало слишком поздно?
Гюнтер Ферхойген и Петра Эрлер (2024:14) в своей книге «Долгая дорога к войне» предупреждают об этом - несмотря на то, что критикуют нападение России в нарушение международного права:
"Воля к уничтожению, направленная на Россию, уничтожает и нас. Она неизбежно приведет к ядерной катастрофе, потому что это единственный случай, когда ядерная доктрина России применима: если на карту поставлено существование страны, применение ядерного оружия разрешено. Что стоит попытаться выяснить, не является ли это пустой угрозой?"
С другой стороны, позиция Герфрида Мюнклера, согласно которой в ЕС должна быть ядерная бомба, мало способствует дипломатическому наступлению и деэскалации - по мнению Мюнклера (2023):
"У британцев могут быть атомные подводные лодки, у Франции - бомба, но будут ли они действительно использовать их для защиты Литвы или Польши? С точки зрения Кремля, это сомнительно. Нам нужен общий чемоданчик с красной кнопкой, который путешествует между крупными странами ЕС».
В этом контексте Мюнклер выступает за массированное вооружение европейских государств и ЕС для сдерживания России. Кандидат в лидеры европейской СДПГ Катарина Барли подхватывает эти идеи и также призывает рассмотреть возможность создания европейской ядерной бомбы - особенно с учетом ожидаемой в будущем ненадежности США (Wangerin 2024).
Однако такое масштабное наращивание вооружений в обычной и ядерной сфере со стороны Российской Федерации и Запада в сочетании с эскалацией угроз и военной эскалацией на Украине контрпродуктивно и крайне опасно. Существует риск «точки невозврата» и неостановимой динамики эскалации, как выразился Юрген Хабермас (2023) в газете Süddeutsche Zeitung. В какой-то момент может быть достигнута переломная точка, которая приведет к неконтролируемому и хаотичному обрушению событий на мир. Как далеко мы находимся от этого переломного момента?

Двойная стратегия, необходимая для окончания войны

В своем эссе «Переговоры - единственный путь к миру» Хаджо Функе призвал возобновить переговоры уже в июне 2023 года, принимая во внимание человеческие страдания, причиненные войной:
"Правомерно ли - и это снова относится ко всем сторонам - продолжать мириться со страданиями и разрушениями людей и обществ, не делая всего - но и всего, - что в силах правительств наших народов, чтобы прервать эту разрушительную эскалацию войны? Не должны ли мы сейчас (...) как минимум задать вопрос о том, может ли «продолжение подобного» путем наращивания вооружений и эскалации быть оправданным для затронутых обществ и людей, подвергающихся риску?" (Funke 2023: 88)
На мой взгляд, в этом контексте необходимо параллельно разрабатывать две необходимые стратегии в качестве двойной стратегии («расширение обороноспособности и наступательные переговоры»):
1. скоординированное расширение военной обороноспособности ЕС, НАТО и Украины с чувством меры, чтобы предотвратить дальнейшее военное продвижение Российской Федерации - возможно, даже за пределы Украины;
2. параллельно с этим ускорение переговорных предложений по войне в Украине через эффективную переговорную комиссию с представителями влиятельных государств под руководством Генерального секретариата ООН с правительствами Российской Федерации и Украины.
Стратегия № 1 («расширение оборонного потенциала»), похоже, получила приоритет в своем более агрессивном варианте. Ракеты средней и большой дальности, особенно гиперзвуковые, которые также планируются для Запада, ядерное оружие и ядерный шаринг, а также крылатые ракеты, такие как «Таурус», не могут рассматриваться в качестве приоритетных военных технологий для обороны. Это явно наступательное оружие. Оборонный потенциал «с чувством меры» означает систематическое расширение соответствующих оборонных технологий, таких как высокоэффективные зенитные ракетные системы, противоминные беспилотники и тральщики, противосеминные системы, противотанковое оружие, кибер- и контрразведка или спутники раннего предупреждения, в координации с партнерами по альянсу. Это широкая область, в которой оборонная промышленность также будет иметь законное положение в рамках государственного заказа и государственного контроля. Точно дозированные экономические и скоординированные на международном уровне санкции против нападающего государства, которые затрагивают не население государства, а воюющие элементы, также служат защите атакуемых систем.
Превентивная практика социальной обороны и ненасильственного сопротивления, включая всеобщие забастовки на оккупированных территориях, также являются частью этого процесса и могут быть более эффективными, чем полагают фетишисты оружия (см. например, статьи Ренате Вани и Кристины Швейцер в номере PeaceForum 2/2023 «Социальная оборона - ренессанс?»).
Эти различные скоординированные оборонные технологии и стратегии на самых разных уровнях должны лежать в основе системы альянсов, которые в первую очередь служат обороне, таких как НАТО, а также в основе ОВПБ ЕС. В этом также заключается разница между «военным потенциалом», которого требует министр обороны Писториус, и «оборонным потенциалом», о котором идет речь в Основном законе.
Без скоординированного расширения европейского оборонного потенциала с чувством меры Европа не сможет ни защитить себя, ни оказать эффективное влияние в качестве глобального политического игрока на переговорах. Пока не наступит «новый порядок» в глобальном масштабе (Moegling 2024), в котором ООН будет мерилом всех вещей, то есть подконтрольные ООН глобальные полицейские силы могут быть эффективно развернуты, ЕС также должен быть в состоянии защитить себя от нападений.
Стратегия № 2 («переговорное наступление»), с другой стороны, до сих пор явно игнорировалась в нынешней войне на Украине, несмотря на некоторые избирательные переговорные подходы и успехи по отдельным вопросам. Учитывая человеческий, социальный и экологический ущерб, нанесенный войной на Украине, переговорное наступление на высоком уровне и на постоянной основе должно было начаться уже давно. В конечном счете, расширение переговорной компетенции государства или альянса - это лучшая социальная защита с точки зрения превентивного разрешения конфликта, с одной стороны, и деэскалации и прекращения огня, с другой, если война уже началась.
Лучшей защитой здесь является восстановление взаимного доверия, а также восстановление и дальнейшее развитие совместных договоров о контроле и мер по разоружению в области технологий наступательных вооружений - прежде всего, конечно, в области ядерного оружия. Но главный вопрос заключается в том, готовы ли два враждебных участника войны на Украине и стоящие за ними силы отказаться от своих собственных максимальных требований, чтобы остановить убийства и предотвратить ядерную войну.
На мой взгляд, третьей мировой войны можно избежать, только если принять во внимание одну из важнейших причин войны в Украине - интересы политики безопасности Российской Федерации, которые неоднократно выдвигались. Даже если у РФ нет юридически закрепленного права по международному праву, необходимо провести переговоры с участием заинтересованных стран, чтобы определить, в какой степени может быть достигнуто соглашение о том, что НАТО не будет расширяться на восток в будущем и что можно организовать (обеспеченный) нейтралитет Украины и Грузии. Хотя это не является обязательным согласно международному праву, с учетом исторической динамики и неоднократно выраженных интересов Российской Федерации, это представляется необходимым с точки зрения реальной политики, чтобы положить конец убийствам. В свою очередь, членство Украины в ЕС может быть терпимым для Российской Федерации после успешного завершения необходимых реформ и процессов адаптации в Украине. Вопрос о государственной принадлежности и возможности проведения под контролем ОБСЕ голосования населения Донбасса и Крыма, например, станет еще одним предметом переговоров, которые должны быть проведены на высоком уровне и в геостратегически сбалансированном составе. Создание демилитаризованной защитной зоны к западу и востоку от государственной границы России (до 2/2022 года), которая будет охраняться миротворцами ООН, также должно стать предметом переговоров. Однако с точки зрения международного права главной целью переговоров должен стать максимально возможный вывод российских войск с территории Украины и прекращение всех боевых действий. В противном случае это послужит неверным глобальным сигналом для других авторитарных государств, которые будут игнорировать национальные границы других государств, а также совершать акты агрессии в нарушение международного права.
В прошлом было много хороших предложений по переговорам, которые следует систематически анализировать и учитывать (см. резюме Международных врачей за предотвращение ядерной войны,IPPNW 2024). Для того чтобы результаты переговоров воспринимались всерьез, они должны быть правильными. Поэтому необходимо создать сбалансированную и эффективную переговорную комиссию высокого уровня во главе с Генеральным секретарем ООН, по возможности включающую представителей влиятельных государств БРИКС (Китай, Индия и Бразилия), а также НАТО, ЕС и ОБСЕ, для проведения прямых переговоров с правительствами Украины, Беларуси и России с целью замораживания и согласования прекращения огня как предпосылки для мирных переговоров, которые должны соответствовать нормам международного права и не быть «грязной сделкой».

Что западные партнеры по переговорам, включая НАТО, могли бы предложить враждебным государствам на послевоенный период?

Чтобы предотвратить эскалацию третьей мировой войны, переговорные наступательные действия должны быть в срочном порядке поставлены на первое место. Если произойдет переход от военной эскалации к мирно-политическому взаимопониманию, то главный вопрос заключается в том, какие преимущества получат от этого воюющие стороны с точки зрения успешных переговоров.
Прежде всего, это прекращение взаимных убийств, разрушение человеческого счастья и средств к существованию, уничтожение окружающей среды и инфраструктуры, а также восстановление огромного экономического ущерба.
Уже одно это должно стать достаточной мотивацией для серьезного начала переговоров.
Преимущества для Российской Федерации и Беларуси были бы очевидны и с экономической точки зрения: Снятие западных санкций, укрепление экономических связей, реинтеграция в ориентированные на Запад транснациональные экономические институты.
Украина получила бы экономическое преимущество в виде международной поддержки в восстановлении украинской экономики, возможного среднесрочного вступления в ЕС и связанного с этим обещания безопасности, а также миллиардных субсидий, особенно для сельского хозяйства.
Обе страны выиграют от перехода от ресурсодобывающей и военной экономики к устойчивому развитию в соответствии с 17 ЦУР ООН. Это потребует скоординированных на международном уровне мер по разоружению, чтобы высвободить обширные ресурсы для социальных и экологических мер за счет получаемых мирных дивидендов.
Для России и Белоруссии путь в послевоенный период будет заключаться в отказе от образа государств-изгоев с точки зрения Запада и в возвращении в международное сообщество государств, что выходит за рамки признания в государствах БРИКС и ОСК. Во-первых, можно было бы возобновить сотрудничество в ОБСЕ и Совете Россия-НАТО, а также вернуть Россию в группу G8.
Тем не менее, сотни тысяч погибших и тяжелораненых, массовые военные преступления и разрушения на всех уровнях не должны быть замалчиваемы из соображений целесообразности после достижения мирного соглашения. Поэтому после заключения мирного договора и стабилизации ситуации задокументированные военные преступления должны преследоваться в судебном порядке. Но также должны быть созданы комиссии по конфликтам, подобные южноафриканским комиссиям по примирению, инициированным Нельсоном Манделой после окончания апартеида, где будут представлены виновные, жертвы и семьи погибших мирных жителей и солдат. Это не сможет компенсировать несправедливость и человеческие страдания, но поможет людям примириться с травмирующими событиями таким образом, чтобы можно было двигаться дальше от того, что они пережили.
Но прежде всего необходимо прекратить военные действия и начать переговоры. Одни угрозы здесь не помогут. Приоритет должен быть отдан положительным перспективам окончания войны для вовлеченных стран, как описано выше, и они должны быть включены в переговоры в качестве предложения на послевоенный период.
 
 
Klaus Moegling, доцент, д-р хабил. в отставке, факультет социальных наук Кассельского университета, многолетний участник движений за мир и охрану окружающей среды, среди прочих,
Домашняя страница: https://www.klaus-moegling.de
Публикация книги: Neuordnung. Мирный и устойчиво развитый мир (все еще) возможен. 5-е обновленное и дополненное издание, 2024 год.
Немецкое издание в открытом доступе: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/.
Третье английское издание в открытом доступе: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
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blog 3

Should NATO make an offer of membership to Ukraine, Belarus and the Russian Federation? A utopian draft.

by Klaus Moegling
April 4, 2024

(Die deutsche Übersetzung befindet sich unterhalb der englischsprachigen Fassung dieses Artikels)

No stone should be left unturned to end the war between the Russian Federation and Ukraine. Ultimately, in addition to the destruction of infrastructure, nature and the extinction of hundreds of thousands of human lives, there is the threat of a third world war with the use of nuclear weapons. This would also mean the downfall of everything that has been achieved so far in terms of civilization. No one in his right mind can want a nuclear inferno.
The first step is to consider the future development of the international security architecture, followed by an initial critical assessment of this utopian draft.

Design of a utopian draft: The offer of membership to hostile players

Let's take an unusual and unconventional look at the future, which sets the focus of conflict resolution in a different way than usual:
If one believes that current and future global problems can only be solved through transnational understanding involving a superior structure, it is not a far step to bridge rifts and make an offer to hostile states from the most powerful transnational military power, NATO. It is about security rethinking [1] and putting aside military dogmas and security policy prejudices.
This offer would include an immediate ceasefire as a precondition for demilitarized and internationally controlled zones between Ukraine and the Russian Federation and, linked to this, the start of NATO accession negotiations for Ukraine, Belarus and the Russian Federation.
For the future start of NATO accession negotiations, conditions would be formulated that would have to be fulfilled before negotiations could begin. These conditions include the conclusion of a peace treaty in accordance with international law between Ukraine, Belarus and the Russian Federation on the one hand and at least the suspension of Western sanctions on the other. The issue of reparations and the prosecution of war crimes must also be settled. Furthermore, recognizable and verifiable steps towards democratization, e.g. granting freedom of speech and free elections, and the rule of law, e.g. independent courts and the fight against corruption, must have been effectively established.
At the same time, the security architecture with the People's Republic of China should be improved through a cooperation agreement. This would also be linked to a future accession perspective for the PR of China under certain conditions. Ultimately, the aim is to strive for a global security architecture through a worldwide expansion of NATO and, if possible, the inclusion of all countries, in particular the countries of the Global South.
What would there be to lose from such an offer? Would this not result in a win-win perspective for all participating states? Wouldn't the result be a global spring with a huge peace dividend? Wouldn't the forces finally be freed up to effectively counter global crises, such as the climate crisis that is already occurring?
Ultimately, this is based on an international reorganization and a world concept [2]that includes a democratically controlled superordinate power at UN level. Such a newly conceived UN, strengthened by global police cooperation with a global NATO, would plan and implement a joint fight against the climate crisis, pandemics, wars, famines and economic crises. The global redistribution of wealth and social prosperity would also be a goal of this transnational agenda, as peace can only be achieved through internal and transnational justice. However, this can only succeed if a superordinate structure endowed with power and the economic institutions contained within it attempt to implement this through regulatory policy.
Future generations will not be able to understand if there is no agreement here. The brutal war in Ukraine could then be turned into its historical opposite in the intended NATO offer and become the starting point for a positive future development. It can be assumed that none of the states involved in the war have an interest in military escalation and nuclear destruction. All states involved and the global community will be left as losers - if there is anything left of them at all after a nuclear war.
The utopia outlined here could then be developed further as follows: In addition to a globalization of NATO, all nation states and transnational alliances would then disarm step by step in a coordinated manner to such an extent that NATO's global policing function would become possible under the auspices of the United Nations. As a first step, the United Nations Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons [3]must be implemented for all nations. This will be much easier if all countries succeed in successively joining NATO as a common and global security alliance in the future. Once national disarmament has taken place in internationally controlled steps, NATO will also be able to disarm and de-escalate its military threat potential to such an extent that global policing with the help of police equipment would suffice.
To prevent such a military security alliance from gaining superiority or individual states (or a single state) from gaining dominance, NATO must be integrated into the United Nations. The United Nations must not only be strengthened but also democratized - always somewhat ahead of empowerment. There are plenty of suitable proposals and discussions on this, both within the United Nations [4]and brought forward by NGOs from outside [5]
So much for the outline of a planetary utopia that runs counter to the hurrah-roar of the war actors involved and the global armament mania.

Initial discussion approaches to the utopian draft presented here

Of course, opponents of such a draft for the future will immediately come out from all political directions and denounce the lack of realism and naivety of this draft.
But who is naive? Those who vote for a "business as usual" or even for military escalation, or those who look for ways out that take into account the big picture and its interrelationships as well as the future development of planetary civilization?
Is it condemnable to be afraid of nuclear war and to look for ways out based on cooperation? Doesn't it take a lot of courage to think the unthinkable and face up to radical new models of cooperation?
'That's utopian!' will be the reproach of the recipients of this essay. Yes, it is. A utopia attempts to think constructively about the future and create solutions to pressing problems. The ability to think in utopian terms has been lost on many people in positions of responsibility and has given way to a shallow and unimaginative realism.
In my opinion, political science also has the task of conceptually imagining the socially unpopular and the unthought and to submit proposals in a utopian sense as to how a disastrous development can still be prevented and at the same time something new can be built.
If this can lead to suggestions and concrete steps as to how hostile people can become cooperation partners in a graduated and conditional process, it was definitely worth the effort of utopia.

The proposal for a rapprochement between NATO and Russia has historical precedents.

In some respects, the present proposal was definitely a transnational issue at the end of the 20th century after the end of the 'Cold War' and at the beginning of this century. [6] 
In 1990, the CSCE states agreed on a new European security order in the Charter of Paris, which provided for democracy and the rule of law as well as joint security cooperation. Furthermore, Jelzin's proposal raised high hopes in 1991. He made Russia's accession to NATO a long-term goal. The activation of Article 5 of the NATO treaty in the course of NATO's military response to 9/11, i.e. the attack on the Twin Towers in New York in 2000, was supported by the Russian government by Russia keeping the northern corridor to Afghanistan free for NATO troop logistics. In his 2001 speech to the German Bundestag, Putin showed himself to be quite open to an expansion of transatlantic cooperation, a European security structure and more intensive cooperation with the NATO West. The Russian government even launched an official request to join NATO, but did not receive a commitment from NATO. A Nato-Russia Council was set up in 2002 to keep each other informed of important developments. It continued the 'special cooperation' against the background of the NATO-Russia Act, which had existed since 1997 and which set itself the following goals: 
"The parties had identified joint peacekeeping operations, arms control, combating terrorism and stopping drug dealing as fields of cooperation. These goals were to be implemented, among other things, through the establishment of the NATO-Russia Council, which was to meet regularly. The exchange usually took place at ambassadorial level." [7] 
The Russian government also put forward a proposal for a European security order, which envisaged intensive cooperation between the West and Russia. Bill Clinton's administration might also have supported Russia's admission to NATO if Russia were to develop into a market-based democracy. [8] Overall, the signs were pointing towards cooperation and détente between Russia and the West. This only changed significantly with the attack on Iraq by the USA under US President George W. Bush with a 'coalition of the willing' in 2003 without a corresponding decision by the UN Security Council in accordance with international law. Added to this was the appearance of the USA in the UN Security Council, where, among other things, the necessity of an attack on Iraq was justified with forged documents on underground missile launching facilities. This situation marked a turning point in Russia's relationship with the USA and NATO. Added to this was the insult of increasingly being described by the USA as a second-class power or regional power (Obama) and also the revanchist interests of the Russian Federation in expanding its sphere of influence again. When NATO's eastward expansion to include Ukraine and Georgia in 2008 was brought up in this context, the relationship between NATO and Russia increasingly soured. One expression of this was the Russian occupation of Ukraine in 2014 in violation of international law and the following reciprocal artillery fire between the Ukrainian military and Russian-backed eastern Ukrainian secessionists. For such geostrategic interests, Europe as a whole was then devalued in the sense of a 'decadent Europe' and Putin spoke of the 'trinity' of Russia, Ukraine and Belarus in 2021. The Russian Federation's imminent attack on Ukraine in February 2022 was already looming, justified in particular by security interests vis-à-vis an expanding NATO and broken promises on the part of the West. 
The Russian side and Putin repeatedly emphasized that the 2-plus-4-Treaty signed in 1990 had been broken by NATO. This would have stipulated that NATO would not expand in the direction of the Eastern European states. Here, however, Putin is only referring to initial agreements in the run-up to the 2-plus-4 negotiations, where Gorbatschow was actually given initial promises by James Baker ("not one inch eastward") and Dietrich Genscher to freeze Nato expansion. However, as the negotiations progressed, these announcements were withdrawn on the initiative of the US government. The offer not to expand NATO was replaced by a financial offer, particularly from Germany, to subsidize the Soviet Union with billions of DM. This was also accepted by Gorbatschow. The money flowed and the ban on Nato's eastward expansion was not - contrary to Putin's statement - included in the 2-Plus-4 treaty. This would also have been highly problematic under international law, as every state has the right to independently choose the alliance system it wishes to join. NATO did not exert any pressure on the Eastern European states to join NATO. The NATO alliance was important for the former states under Soviet rule, as they hoped it would protect them from renewed Russian occupation and rule. 
Therefore, the proposal put forward here for a renewed intensification of cooperation between NATO, i.e. the West, and the Russian Federation has a historical background and is being put forward for the first time in a completely confused and highly dangerous global political situation. 

Risks and resistance to NATO expansion to the east

If the social discourse then tends to agree with the basic assumptions of the utopian draft presented here, it is necessary to clarify what risks and what resistance there will be to the implementation of this draft and who the social allies in the transnational context could be who have an interest in its implementation.
There would be risks if the three countries mentioned were to join NATO, especially if these countries were still corrupt and repressive internally, if their aggressive military-industrial-political core were still in power. Who would bring the predator into their own home?
One could also argue that the expansion of NATO is not necessary, but that its containment and ultimately its elimination would be conducive to world peace. After all, NATO has also shown in the past how it has disregarded international law and is merely the military arm of US imperialism. It is therefore not suited to supporting a fair global distribution of social wealth, but would rather prevent this.
A further argument against linking NATO enlargement and the demand for the rule of law and democracy as a prerequisite for access could be that some NATO states themselves have problems with this and criticize the fact that Western norms seek to hegemonically overhaul culturally differently developed states.
On the other hand, the fact that without Nato - and against the will of the USA - global change would hardly be possible speaks in favor of its further development. The possibility for states that feel threatened to place themselves under a military umbrella could also make the offer attractive and contribute to ending the currently escalating war in Ukraine. Without the support of a global security system acting as a world police force, the UN can hardly achieve any effect in peace-building measures. And: the current situation, with its constant military escalation, is so hopeless that new diplomatic paths and development prospects must be opened up, for which it is worthwhile for the warring states to decide on a ceasefire and peace.
Of course, it is important to consider how an even more powerful NATO can be prevented from uncontrolled hegemony and integrated into a democratizing UN in accordance with the rule of law.
Many questions, problems and possible arguments. The conversation is open. It will also be continued on an international level.
 
(A first draft of this discussion proposal was published in German language in the online magazine 'Telepolis' in:  

https://www.telepolis.de/features/Mit-diesem-Schritt-koennte-die-Nato-den-Streit-mit-Russland-umgehend-beenden-9670453.html, 3/29/2024)
 
Notes:
[1] https://www.sicherheitneudenken.de/
[2]https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
[3] https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2020/07/2019_vertragsheft.pdf
[4] https://www.un.org/en/summit-of-the-future/pact-for-the-future-zero-draft
[5] https://www.democracywithoutborders.org/we-the-peoples/
[6] Die Rekonstruktion der historischen Entwicklung des Verhältnisses Russlands zur Nato ist – neben meiner eigenen Einschätzung – u.a. an folgenden Quellen orientiert Arte-Dokumentation vom 2.4.2024: Arte (2024): Alte Freunde, neue Fronten.; Zagorski, Andrei (2010): Der russische Vorschlag für einen Vertrag über europäische Sicherheit: von der Medwedew-Initiative zum Korfu-Prozess. In: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2009, Baden-Baden 2010, S. 49-67. https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/09/Zagorski-dt.pdf, o.D., 3.4.2024; Bundesministerium der Verteidigung (2024): Dialog für mehr Transparenz. In: https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/die-nato-staerke-und-dialog/nato-russland-rat, o.D., 3.4.2024; Schmid, Ulrich (2021): Nato und Russland. Vom Beitrittswunsch zur Bedrohung. In: https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/nato-und-russland-vom-beitrittswunsch-zur-bedrohung-17345639.html, 25.5.2021, 3.4.2024; Blätter für die deutsche und internationale Politik (2022): Krieg und Frieden: Der Ukraine-Konflikt. Themenheft März 2022.
[7] Bundesministerium der Verteidigung (2024): Dialog für mehr Transparenz. In: https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/die-nato-staerke-und-dialog/nato-russland-rat, o.D., 3.4.2024.
[8] Vgl. Schmid, Ulrich (2021): Nato und Russland. Vom Beitrittswunsch zur Bedrohung. In: https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/nato-und-russland-vom-beitrittswunsch-zur-bedrohung-17345639.html, 25.5.2021, 3.4.2024. 
 



Blog 3


Zukünftige Nato-Erweiterung nach Osten:

Sollte die NATO der Ukraine, Belarus und Russischer Föderation ein an Bedingungen geknüpftes Beitrittsangebot unterbreiten? Eine utopische Skizze.

 

von Klaus Moegling
3.4.2024

 


 Nichts sollte unversucht bleiben, den Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine zu beenden. Letztendlich droht hier neben der Zerstörung der Infrastruktur, der Natur und der Auslöschung von Hunderttausenden Menschenleben die Gefahr eines Dritten Weltkrieges mit dem Einsatz von Nuklearwaffen. Dies würde den Untergang auch alles bisher zivilisatorisch Erreichten bedeuten. Ein nukleares Inferno kann niemand, der noch bei Verstand ist, wollen.
Zunächst sollen Überlegungen zu einer zukünftigen Entwicklung der internationalen Sicherheitsarchitektur in einem utopischen Sinne vorgenommen werden und anschließend soll eine erste kritische Einordnung dieser utopischen Skizze erfolgen.

Entwurf einer utopischen Skizze: Das Beitrittsangebot an verfeindete Akteure

Entwerfen wir einen unüblichen und unkonventionell gehaltenen Blick in die Zukunft, der den Fokus der Konfliktbewältigung anders als üblich setzt:
 Wenn man der Auffassung ist, dass die gegenwärtigen und künftigen globalen Probleme nur durch transnationale Verständigung unter Beteiligung einer übergeordneten Struktur zu lösen sind, ist der Schritt nicht weit, Gräben zu überbrücken und den verfeindeten Staaten ein Angebot von der mächtigsten transnationalen Militärmacht, der NATO, zu unterbreiten. Es geht darum, Sicherheit neu zu denken  [1] 

 und militärische Dogmen und sicherheitspolitische Vorurteile beiseite zu räumen.
 Dieses Angebot würde einen unmittelbaren Waffenstillstand als Voraussetzung für entmilitarisierte und international kontrollierte Zonen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation enthalten und damit verbunden die  an genau zu formulierenden Bedingungen geknüpfte Aufnahme von NATO-Beitrittsverhandlungen für die Ukraine, für Belarus und der Russischen Föderation.
 Für die zukünftige Aufnahme von NATO-Beitrittsverhandlungen würden Bedingungen formuliert, die erfüllt sein müssten, bevor die Verhandlungen aufgenommen werden. Zu diesen Bedingungen gehört der Abschluss eines Völkerrechts konformen Friedensvertrags zwischen der Ukraine, Belarus und der Russischen Föderation auf der einen Seite sowie zumindest das Aussetzen der westlichen Sanktionen auf der anderer Seite. Auch die Frage der Reparationen und der Verfolgung von Kriegsverbrechen ist zu regeln. Des Weiteren müssen erkennbare und feststellbare Schritte zu einer Demokratisierung, z.B. Gewährung von Meinungsfreiheit und freie Wahlen, und rechtsstaatlicher Verhältnisse, z.B. unabhängige Gerichte und Korruptionsbekämpfung, wirkungsvoll angelegt worden sein.
 Gleichzeitig gälte es, die Sicherheitsarchitektur mit der VR China über ein Kooperationsabkommen zu verbessern. Dies würde mit einer zukünftigen Beitrittsperspektive unter bestimmten Bedingungen ebenfalls für die VR China verbunden sein. Letztendlich geht es darum, eine globale Sicherheitsarchitektur über eine weltweite Ausweitung der NATO und möglichst dem Einbezug aller Staaten, insbesondere auch der Staaten des globalen Südens, anzustreben.
 Was gäbe es bei einem solchen Angebot zu verlieren? Würde sich nicht hieraus eine Win-win-Perspektive für alle beteiligten Staaten ergeben? Wäre die Folge nicht ein globaler Frühling mit einer riesigen Friedensdividende? Würden nicht endlich die Kräfte frei werden, um globalen Krisen, wie z.B. der bereits eintretenden Klimakrise, wirkungsvoll begegnen zu können?
 Letztlich steht dahinter eine internationale Neuordnung und ein Weltenentwurf, der eine demokratisch kontrollierte übergeordnete Macht auf UN-Ebene vorsieht. Eine derartige, neu zu konzipierende UNO würde, gestärkt durch weltpolizeiliche Zusammenarbeit mit einer in ihrer Aufgabe und Struktur transformierten globalen NATO, eine gemeinsame Bekämpfung der Klimakrise, Pandemien, Kriege, Hungersnöte und Wirtschaftskrisen planen und umsetzen. Auch die weltweite Umverteilung von Vermögen und gesellschaftlichem Reichtum wäre ein Ziel dieser transnationalen Agenda, da Frieden nur über innergesellschaftliche und transnationale Gerechtigkeit erreichbar ist. Dies kann aber erst gelingen, wenn eine mit Macht ausgestattete übergeordnete Struktur und darin enthaltene ökonomische Institutionen dies ordnungspolitisch umzusetzen versuchen.
 Zukünftige Generationen werden es nicht verstehen können, wenn es hier keine Einigung geben könnte. Der brutal geführte Krieg in der Ukraine könnte im gemeinten NATO-Angebot dann ins sein historisches Gegenteil gewendet werden und zum Ausgangspunkt einer positiven Zukunftsentwicklung werden. Es ist davon auszugehen, dass keiner der beteiligten staatlichen Kriegsakteure ein Interesse an einer militärischen Eskalation und nuklearen Destruktion hat. Alle beteiligten Staaten und auch die Weltgemeinschaft werden als Verlierer übrig bleiben – wenn denn nach einem Nuklearkrieg überhaupt noch etwas von ihnen vorhanden ist.
 Die hier skizzierte Utopie ließe sich dann wie folgt weiterentwickeln: Neben einer Globalisierung der NATO würden dann Schritt für Schritt koordiniert alle Nationalstaaten und transnationalen Verbünde soweit abrüsten, dass die weltpolizeiliche Funktion der NATO unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen möglich wird. In einem ersten Schritt ist der Atomwaffenverbotsvertrag [2] 

der Vereinten Nationen für alle Nationen umzusetzen. Dies wird wesentlich leichter fallen, wenn es gelingt, dass sukzessive zukünftig alle Staaten der NATO als gemeinsames und globales Sicherheitsbündnis beitreten.  Wenn dann in international kontrollierten Schritten eine nationalstaatliche Abrüstung erfolgt ist, kann auch die NATO zukünftig soweit abrüsten und eine Deeskalation ihres militärischen Drohpotenzials vornehmen, so dass ein weltpolizeiliches Agieren mit Hilfe polizeilicher Ausrüstung genügen würde.
 Damit ein solches militärisches Sicherheitsbündnis keine Übermacht bekommen kann bzw. dort nicht einzelne Staaten (oder ein einziger Staat) Dominanz erlangen kann, ist die Integration der NATO unter die Vereinten Nationen zwingend erforderlich. Hierbei sind die Vereinten Nationen nicht nur zu stärken sondern – immer etwas dem Empowerment vorauseilend auch zu demokratisieren. Geeignete Vorschläge und Diskussionen hierzu gibt es genug, sowohl innerhalb der Vereinten Nationen [3] als auch durch NGOs von außen [4] herangetragen.

Erste Diskussionsansätze der hier vorgestellten utopischen Skizze

Soweit die Skizzierung einer planetaren Utopie, die gegenläufig zum Hurra-Gebrüll der beteiligten Kriegsakteure und dem globalen Aufrüstungswahn steht.
 Sicherlich werden sofort aus allen politischen Richtungen die Gegner eines solchen Zukunftsentwurfs hervorkommen und den fehlenden Realismus und eine Naivität dieses Entwurfs anprangern.
 Doch wer ist naiv? Derjenige, der für ein Weiter-So oder sogar für eine militärische Eskalation stimmt oder derjenige, der nach Auswegen sucht, die das Ganze und dessen Zusammenhänge sowie die zukünftige Entwicklung planetarischer Zivilisation im Blick hat?
 Ist es verwerflich, vor einem Nuklearkrieg Angst zu haben und nach auf Kooperation basierenden Auswegen zu suchen? Gehört nicht viel Mut dazu, das Undenkbare zu denken und sich radikal neuen Kooperationsmodellen zu stellen?
 ‚Das ist utopisch!‘ wird der Vorwurf der Rezipienten dieses Essays sein. Ja, das ist er. Eine Utopie versucht sich konstruktiv in eine Zukunft hineinzudenken und Lösungen für drängende Probleme zu schaffen. Die Fähigkeit zum utopischen Denken ist vielen Verantwortlichen derzeit abhanden gekommen und einem flachen und ideenlosen Realismus gewichen.
 Politikwissenschaft hat m.E. auch die Aufgabe, sich das gesellschaftlich Unpopuläre und Nicht-Gedachte konzeptionell vorzustellen und Vorschläge in einem utopischen Sinne zu unterbreiten, wie eine verhängnisvolle Entwicklung noch verhindert und gleichzeitig etwas Neues aufgebaut werden kann.
 Wenn hieraus Anregungen und konkrete Schritte erfolgen können, wie aus verfeindeten Menschen in einem abgestuften und mit Voraussetzungen versehenen Verfahren Kooperationspartner werden können, war es die Mühe der Utopie allemal wert.

Der Vorschlag einer Annäherung von Nato und Russland hat historische Vorläufer.

Der hier vorliegende Vorschlag ist in einigen Aspekten durchaus ein transnationales Thema zum Ende des 20. Jahrhunderts nach der Beendigung des ‚Kalten Krieges‘ und zum Beginn dieses Jahrhunderts gewesen. [5] 

Im Jahr 1990 verständigten sich die KSZE-Staaten in der Charta von Paris auf eine neue europäische Sicherheitsordnung, welche Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie eine gemeinsame Sicherheitszusammenarbeit vorsah. Des Weiteren  weckte 1991 Jelzins Vorschlag große Hoffnungen. Er erhob den Beitritt Russlands zur Nato zum langfristigen Ziel. Die Aktivierung des Art. 5 des Nato-Vertrags im Zuge der militärischen Antwort der Nato auf 9/11, also dem Anschlag in 2000 auf die New Yorker Twin-Tower, wurde von der russischen Regierung unterstützt, indem durch Russland der Nordkorridor zu Afghanistan für die Truppenlogistik der Nato freigehalten wurde.  

Putin zeigte sich in seiner Rede 2001 vor dem deutschen Bundestag durchaus offen für eine Ausweitung der transatlantischen Kooperation, einer europäischen Sicherheitsstruktur und für eine intensivere Zusammenarbeit mit dem Nato-Westen.  

Vladimir Putin startete im Jahr 2000 sogar im Gespräch mit dem damaligen Nato-Generalsekretär George Robertson eine Anfrage zum Nato-Beitritt, die keine Zusage von Seiten der Nato auslöste. Es wurde allerdings 2002 ein Nato-Russland-Rat eingerichtet, im Rahmen dessen sich gegenseitig über wichtige Entwicklungen informiert wurde. Er setzte die ‚besondere Zusammenarbeit‘ vor dem Hintergrund der Nato-Russland-Akte fort, die seit 1997 bestand und der sich folgende Ziele setzte: 

„Als Felder der Zusammenarbeit hatten die Parteien gemeinsame Friedensoperationen, Rüstungskontrolle, Terrorbekämpfung und den Stopp von Rauschgifthandel identifiziert. Umgesetzt werden sollten diese Ziele unter anderem durch die Einrichtung des NATO-Russland-Rates, der regelmäßig tagen sollte. Der Austausch fand üblicherweise auf Botschafterebene statt.“ [6] 

Auch wurde von Seiten der russischen Regierung der Vorschlag einer europäischen Sicherheitsordnung vorgebracht, der eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem Westen und Russlands vorsah. Auch die Regierung von Bill Clinton hätte möglicherweise die Aufnahme Russlands in die Nato unterstützt, wenn Russland sich hin zu einer markwirtschaftlichen Demokratie entwickeln würde. [7] Insgesamt standen die Zeichen auf Zusammenarbeit und Entspannung zwischen Russland und dem Westen. Dies änderte sich erst maßgeblich mit dem Angriff der USA unter US-Präsident George W.W. Bush mit einer ‚Koalition der Willigen‘ 2003 auf den Irak ohne einen entsprechend völkerrechtskonformen Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Hinzu kam der Auftritt der USA im UN-Sicherheitsrat, wo u.a. mit gefälschten Dokumenten zu unterirdischen Raketenabschussanlagen die Notwendigkeit eines Angriffs auf den Irak begründet wurde. Diese Situation markierte die Wende im Verhältnis Russlands zur USA und zur Nato. Hinzu kam die Kränkung, von den USA zunehmend als Macht zweiter Klasse bzw. als Regionalmacht bezeichnet zu werden (Obama) und aber auch revanchistische Interessen der Russischen Föderation, ihren Machtbereich wieder zu erweitern. Als in diesem Zusammenhang dann auch noch die Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien 2008 ins Gespräch gebracht wurde, kippte das Verhältnis zwischen Nato und Russland zunehmend. Ein Ausdruck hiervon war dann die völkerrechtswidrige russische Besetzung der Ukraine im Jahr 2014 und der hierauf folgende wechselseitige Artilleriebeschuss zwischen ukrainischem Militär und russisch unterstützten ostukrainischen Sezessionisten. Für derartige geostrategische Interessen wurde dann auch Europa als Ganzes im Sinne eines ‚dekadenten Europas‘ abgewertet und durch Putin 2021 von der ‚Dreieinigkeit‘ Russlands, der Ukraine und Belarus gesprochen. Hier zeichnete sich bereits der im Februar 2022 bevorstehende Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine ab, der insbesondere mit Sicherheitsinteressen gegenüber einer sich erweiternden Nato und gebrochenen Versprechen von Seiten des Westens begründet wurden. 

Hierbei wurde immer wieder von russischer Seite bzw. Putin betont, dass der 1990 unterzeichnete 2-plus-4-Vertrag von der Nato-Seite gebrochen worden wäre. Hierin wäre festgelegt, dass die Nato sich nicht in Richtung auf die osteuropäischen Staaten erweitern würde. Hierbei bezieht sich Putin allerdings nur auf erste Absprachen  im Vorfeld der 2-plus-4-Verhandlungen, wo Gorbatschow tatsächlich von James Baker („not one inch eastward“) und Dietrich Genscher erste Zusagen zum Einfrieren der Nato-Expansion unterbreitet wurden. Allerdings im weiteren Verlauf der Verhandlungen wurden diese Ankündigungen auf Initiative der US-Regierung zurück gezogen. Das Angebot einer Nicht-Erweiterung der Nato wurde durch ein finanzielles Angebot insbesondere Deutschlands ersetzt, die Sowjetunion mit Milliarden DM zu subventionieren. Dies wurde auch von Gorbatschow akzeptiert. Das Geld floss und die Nato-Erweiterung wurde vertraglich nicht – im Gegensatz zur Aussage Putins – in den 2-Plus-4-Vertag aufgenommen. Dies wäre auch völkerrechtlich hochproblematisch gewesen, da jeder Staat das Recht hat, sich sein Bündnissystem, dem er beitreten möchte, selbstständig auszusuchen. Hierbei übte die Nato keinerlei Druck auf die osteuropäischen Staaten aus, der Nato beizutreten. Das Nato-Bündnis war für die einstigen Staaten unter sowjetischer Herrschaft wichtig, da sie sich hiervon den Schutz vor einer erneuten russischen Besetzung und Herrschaft versprachen. 

Also: Der hier unterbreitete Vorschlag zu einer erneuten Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der Nato, also dem Westen, und der Russischen Föderation hat einen historischen Hintergrund und wird neu in einer völlig zerfahrenen und brandgefährlichen weltpolitischen Situation unterbreitet. 

Risiken und Widerstände einer Nato-Erweiterung nach Osten 

Wenn dann im gesellschaftlichen Diskurs den Grundannahmen des hier vorliegenden utopischen Entwurfs in der Tendenz zugestimmt wird, gilt es zu klären, welche Risiken und welche Widerstände es gegen die Durchsetzung dieses Entwurfs geben wird und wer die gesellschaftlichen Bündnispartner im transnationalen Kontext sein können, die ein Interesse an dessen Durchsetzung haben.

 Risiken würden in einer NATO-Aufnahme der drei angesprochenen Staaten vor allem dann bestehen, wenn diese Staaten noch immer korrupt und repressiv nach innen sind, wenn ihr aggressiver militärisch-industrieller-politischer Kern noch immer an der Macht wäre. Wer holt sich das Raubtier schon ins eigene Haus?
Auch könnte man argumentieren, dass nicht die Ausweitung der Nato erforderlich sei, sondern ihre Eindämmung und letztendlich ihre Beseitigung für den Weltfrieden förderlich sei. Auch die Nato habe doch in der Vergangenheit gezeigt, wie sie sich über das Völkerrecht hinweg gesetzt habe, und sei nur der militärische Arm des US-Imperialismus. Auch sei sie daher nicht geeignet, eine weltweit gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu unterstützen, sondern würde dies gerade verhindern wollen.
Ein weiteres Argument gegen die Koppelung von Nato-Erweiterung und Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Zugangsvoraussetzung könnte einerseits darin begründet liegen, dass so manche Nato-Staaten selbst Probleme hiermit haben und andererseits kritisieren, dass hier westliche Normen kulturell anders entwickelten Staaten hegemonial zu überformen suchen.
 Andererseits spricht für die Weiterentwicklung der Nato, dass ohne sie – und gegen den Willen der USA – kaum eine globale Veränderung möglich wird. Auch die Möglichkeit für sich bedroht fühlende Staaten sich unter einen militärischen Schutzschirm zu begeben, könnte das Angebot attraktiv werden lassen und zur Beendigung des derzeit eskalierenden Kriegs in der Ukraine beitragen. Auch kann die UNO ohne die Unterstützung durch ein global agierendes weltpolizeilich agierendes Sicherheitssystem kaum eine Wirkung bei friedenstiftenden Maßnahmen erreichen. Und: Die aktuelle Situation ist mit ihrer beständigen militärischen Eskalation derart hoffnungslos, dass neue diplomatische Wege und Entwicklungsperspektiven eröffnet werden müssen, für die es sich für die Krieg führenden Staaten lohnt, einen Waffenstillstand und einen Frieden zu beschließen.
Hierbei ist natürlich zu bedenken, wie eine noch mächtiger werdende Nato wiederum vor unkontrollierter Hegemonie gesichert und rechtsstaatlich in eine sich demokratisierende UNO eingebunden werden kann.
Viele Fragen, Problemstellungen und Argumentationsmöglichkeiten. Das Gespräch ist eröffnet. Es wird auch auf einer internationalen Ebene weitergeführt werden.
 
 Anmerkungen:
[1] https://www.sicherheitneudenken.de/
[2] https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2020/07/2019_vertragsheft.pdf
[3] https://www.un.org/en/summit-of-the-future/pact-for-the-future-zero-draft
[4] https://www.democracywithoutborders.org/we-the-peoples/
[5] Die Rekonstruktion der historischen Entwicklung des Verhältnisses Russlands zur Nato ist – neben meiner eigenen Einschätzung – u.a. an folgenden Quellen orientiert Arte-Dokumentation vom 2.4.2024: Arte (2024): Alte Freunde, neue Fronten.; Zagorski, Andrei (2010): Der russische Vorschlag für einen Vertrag über europäische Sicherheit: von der Medwedew-Initiative zum Korfu-Prozess. In: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2009, Baden-Baden 2010, S. 49-67. https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/09/Zagorski-dt.pdf, o.D., 3.4.2024; Bundesministerium der Verteidigung (2024): Dialog für mehr Transparenz. In: https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/die-nato-staerke-und-dialog/nato-russland-rat, o.D., 3.4.2024; Schmid, Ulrich (2021): Nato und Russland. Vom Beitrittswunsch zur Bedrohung. In: https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/nato-und-russland-vom-beitrittswunsch-zur-bedrohung-17345639.html, 25.5.2021, 3.4.2024; Blätter für die deutsche und internationale Politik (2022): Krieg und Frieden: Der Ukraine-Konflikt. Themenheft März 2022.
[6] Bundesministerium der Verteidigung (2024): Dialog für mehr Transparenz. In: https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/die-nato-staerke-und-dialog/nato-russland-rat, o.D., 3.4.2024.
[7] Vgl. Schmid, Ulrich (2021): Nato und Russland. Vom Beitrittswunsch zur Bedrohung. In: https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/nato-und-russland-vom-beitrittswunsch-zur-bedrohung-17345639.html, 25.5.2021, 3.4.2024. 

 
(Ein erster Entwurf für diesen Diskussionsvorschlag wurde von mir in der Online-Zeitschrift ‚Telepolis‘ veröffentlicht: https://www.telepolis.de/features/Mit-diesem-Schritt-koennte-die-Nato-den-Streit-mit-Russland-umgehend-beenden-9670453.html, 29.3.2024, ein erweiterter Entwurf wurde online in 'der Freitag' (Community) veröffentlicht: https://www.freitag.de/autoren/profdrklausmoegling1952/entwurf-einer-nato-erweiterung-zukuenftige-nato-erweiterung-nach-osten, 3.4.2024, 3.4.2024.)

 



Blog 4

Der UN-Zukunftspakt. 

Kommen die Vereinten

 Nationen in Bewegung?

 
Von Klaus Moegling
16.3.2024

 
Im Januar 2024 wurden Empfehlungen eines mit Hunderten von NGOs beratenen und weiter zu entwickelnden UN-Zukunftspakt (Pact for the Future) vorgelegt. Der Zukunftspakt basiert auf den UN-Reformprozessen zu ‚Our Common Agenda‘ des UN-Generalsekretariats, der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und den SDG-Nachfolgekonferenzen. Der Text mit den Ergebnissen und Maßnahmen des UN-Zukunftspakts, soll im September 2024 auf einen Zukunftsgipfel beschlossen sollen dann im Jahr 2026 der UN-Generalversammlung im Hinblick auf seine Umsetzung überprüft werden.
Die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse und Namibias Botschafter Neville Gertze haben den Vorbereitungsprozess für den Zukunftspakt maßgeblich vorangetrieben. Im ‚Pact for the Future‘ wird die derzeitige globale Krisensituation als Ausgangspunkt für die erforderlichen Maßnahmen zusammenfassend skizziert:
„We are at a moment of acute global peril. Across our world, people are suffering from the effects of poverty, hunger, inequality, armed conflicts, violence, displacement, terrorism, climate change, disease, and the adverse impacts of technology. Humanity faces a range of potentially catastrophic and existential risks. We are also at a moment of opportunity, where advances in knowledge and technology, properly managed, could deliver a better future for all.“ [1]
(Übersetzung: "Wir befinden uns in einer Zeit akuter globaler Bedrohung. Überall auf der Welt leiden die Menschen unter den Auswirkungen von Armut, Hunger, Ungleichheit, bewaffneten Konflikten, Gewalt, Vertreibung, Terrorismus, Klimawandel, Krankheiten und den negativen Folgen der Technologie. Die Menschheit ist mit einer Reihe von potenziell katastrophalen und existenziellen Risiken konfrontiert. Wir befinden uns aber auch in einer Zeit der Chancen, in der Fortschritte bei Wissen und Technologie, richtig eingesetzt, eine bessere Zukunft für alle bringen könnten.")
Hierbei wird die multilaterale Kooperation hinsichtlich u.a. des UN-Sicherheitsrats sowie der weltweitern Finanzarchitektur kritisch betrachtet.
Die Empfehlungen für den Zukunftspakt, der im Spätsommer 2024 von den UN verabschiedet werden sollen, plädiert für einen Neubeginn im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen. Ausgehend von den drei Säulen des UN-Regelungswerkes – Entwicklungs- Friedens- bzw. Sicherheits- sowie Menschenrechtspolitik – werden eine Reihe von eher allgemein gehaltenen Veränderungsvorschlägen über 148 Themenpunkten auf 29 Seiten mit den Schwerpunkten auf der Armutsbekämpfung, der Friedenssicherung und dem Kampf gegen die Klimakrise und die Umweltzerstörung vorgenommen.

Die Forderungen der Empfehlungen zum UN-Zukunftspaktes 

Die Forderungen der Empfehlungen zum UN-Zukunftspaktes sind in fünf Themenbereiche gegliedert:
 * Sustainable development and financing for development;
* International peace and security;
* Science, technology and innovation and digital cooperation;
* Youth and future generations;
* Transforming global governance;
Es wird u.a. im Punkt 23 die Ernsthaftigkeit der Situation angemessen formuliert:
„We remain resolved, between now and 2030, to end poverty in all its forms and dimensions and hunger, everywhere, as a priority. We recognize our responsibility to ensure the lasting protection of the planet and its natural resources and that we may be the last generation to have a chance of saving the planet.“ [2]
(Übersetzung: "Wir sind nach wie vor entschlossen, bis 2030 der Armut in all ihren Formen und Dimensionen und dem Hunger überall ein Ende zu setzen. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, den dauerhaften Schutz des Planeten und seiner natürlichen Ressourcen zu gewährleisten, und dass wir vielleicht die letzte Generation sind, die die Chance hat, den Planeten zu retten.")
Es werden nun die Klimaziele der Pariser Klimakonferenz, inklusive des bereits in 2023 wohl überschrittenen 1,5-Grad-Zieles sowie das Ziel der Null-CO2-Emissionen für 2050, übernommen und insbesondere der Aspekt der Klimagerechtigkeit mit dem Blick auf die Entwicklungsländer fokussiert. Hierbei wird allerdings im Punkt 45 sehr allgemein, also ohne konkrete Verursacher zu benennen, daran erinnert, einseitige und aus nationalem Interesse gesteuerte Maßnahmen ökonomischer Protektion zu unterlassen, welche die sozialökologische Entwicklung der ärmeren Länder behindern könnten.
Im Mittelpunkt der Friedens- und Sicherheitspolitik der Empfehlungen des Zukunftspakts stehen zwar richtige, doch weitgehend sehr allgemein gehaltene Formulierungen, wie z.B. im Punkt 50:
„We recognize the interdependence of international peace and security, sustainable development and human rights. We reaffirm the need to build peaceful, just and inclusive societies that provide equal access to justice and are based on human rights, the rule of law and good governance at all levels and on transparent, effective and accountable institutions. In this regard, we recognize the importance of fostering a culture of peace, upholding the rule of law and promoting human security.“ [3]
(Übersetzung: "Wir erkennen die gegenseitige Abhängigkeit von internationalem Frieden und Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung und Menschenrechten an. Wir bekräftigen die Notwendigkeit, friedliche, gerechte und integrative Gesellschaften aufzubauen, die gleichen Zugang zur Justiz bieten und auf den Menschenrechten, der Rechtsstaatlichkeit und einer verantwortungsvollen Staatsführung auf allen Ebenen sowie auf transparenten, wirksamen und rechenschaftspflichtigen Institutionen beruhen. In diesem Zusammenhang erkennen wir an, wie wichtig es ist, eine Kultur des Friedens zu fördern, die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten und die menschliche Sicherheit zu unterstützen.")
Konkret wird die Halbierung aller weltweit auftretenden Gewaltfälle bis 2030 gefordert. Auch die Beteiligung von Frauen an allen Entscheidungen zur Durchsetzung von Frieden und Sicherheit sowie der Schutz von Zivilisten und insbesondere von Jugendlichen und Kindern in umkämpften Gebieten werden gefordert. Die Durchsetzungsmaßnahmen hierfür bleiben aber vage.
Richtig wird endlich der Zusammenhang zwischen der Klimaentwicklung und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Punkt 69 angesprochen:
„We recognize that climate impacts can multiply risks that fuel conflict. We encourage the relevant organs of the United Nations, as appropriate and within their respective mandates, to intensify their efforts in considering and addressing climate change, including its possible security implications. We urge the Security Council to address the peace and security implications of climate change in the mandates of peace operations and during discussions on other country or regional situations on its agenda, where relevant.“ [4]
(Übersetzung: "Wir sind uns bewusst, dass Klimaauswirkungen Risiken, die Konflikte schüren, vervielfachen können. Wir ermutigen die zuständigen Organe der Vereinten Nationen, gegebenenfalls und im Rahmen ihrer jeweiligen Mandate ihre Bemühungen zur Prüfung und Bewältigung des Klimawandels, einschließlich seiner möglichen sicherheitspolitischen Auswirkungen, zu verstärken. Wir fordern den Sicherheitsrat nachdrücklich auf, die friedens- und sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels im Rahmen der Mandate für Friedenseinsätze und bei den Beratungen über andere Länder- oder Regionalsituationen auf seiner Tagesordnung zu berücksichtigen, soweit dies relevant ist.")
Allerdings wird die umwelt- und klimazerstörende Wirkung des Militärs sowohl in Friedens- als auch Kriegszeiten nicht thematisiert. Da hierzu inzwischen genügend aussagekräftige Statistiken vorliegen, hätte dies an dieser Stelle sehr konkret benannt werden können. So bleiben in den Empfehlungen zum UN-Zukunftspakt die ökologischen Auswirkungen der Militarisierung der Welt ein blinder Fleck.
Es wird sich deutlich für die Weiterentwicklung und bessere Finanzierung von Peace-Keeping, Peace-Building sowie Enforcement Action, um die internationale Sicherheit auf der Grundlage des Kap VII der UN-Charta durchzusetzen, ausgesprochen, ohne allerdings hier konkrete und relevante finanzpolitische Instrumente zu benennen.
Es wird eine zukünftige UN-Generalversammlung vorgeschlagen, die sich mit  internationalen Abrüstungsfragen befassen solle.
Im Punkt 81 wird sich für die zivile Nutzung der Atomenergie ausgesprochen:
„We reaffirm the inalienable right of all countries to develop research, production and use of nuclear energy for peaceful purposes without discrimination.“ [5]
(Übersetzung: "Wir bekräftigen das unveräußerliche Recht aller Länder, die Erforschung, Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken ohne Diskriminierung zu entwickeln.")
Hierbei wird fahrlässiger Weise versäumt, die Gefahren, die von nuklearen Störfällen ausgehen, sowie die fehlende Entsorgungsmöglichkeit radioaktiven Mülls, zu thematisieren. Auch bleibt unerwähnt, dass die Erzeugung von Energie in Atomkraftwerken, die mit Abstand teuerste Methode der Energieerzeugung ist, die nur über massive staatliche Subventionen ermöglicht werden kann.
Bis zur endgültigen Abschaffung der Atomwaffen werden im Punkt 80 die Atomwaffenstaaten aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um einen Atomkrieg aus Versehen sowie den Einsatz von Atomwaffen in militärischen Konflikten zu verhindern. Des Weiteren werden zusätzliche Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung gefordert. Die Vorschläge bleiben allgemein und verzichten sogar auf eine bewusste Nennung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags.
Hinsichtlich innovativer technologischer Entwicklungsmaßnahmen wird unter einem Sicherheitsaspekt angesprochen, Maßnahmen zu entwickeln, die eine friedliche Nutzung des Weltraums gewährleisten und die Austragung von militärischen Konflikten im Weltraum verhindern. Militärische Bedrohungen von im Weltraum stationierten Systemen sowie ein Wettrüsten im Weltraum müssten über entsprechende Regelungen verhindert werden. Derartige Regeln und Maßnahmen werden allerdings nicht konkretisiert.
Hinsichtlich des zu begrenzenden Einsatzes von KI in Waffensystemen und der Verhinderung von autonomen Waffensystemen finden sich in den Punkten 88 und 89 des vorgeschlagenen Zukunftspaktes hingegen etwas konkretere Formulierungen:
„88. Building on progress made in multilateral negotiations, we commit to concluding without delay a legally binding instrument to prohibit lethal autonomous weapons systems that function without human control or oversight, and which cannot be used in compliance with international humanitarian law, and to regulate all other types of autonomous weapons systems.
89. We commit to strengthening oversight mechanisms for the use of data-driven technology, including artificial intelligence, to support the maintenance of international peace and security. We also commit to developing norms, rules and principles on the design, development and use of military applications of artificial intelligence through a multilateral process, while also ensuring engagement with stakeholders from industry, academia, civil society and other sectors.“ [6]
(Übersetzung: "88. Aufbauend auf den in multilateralen Verhandlungen erzielten Fortschritten verpflichten wir uns, unverzüglich eine rechtsverbindliche Übereinkunft zu schließen, um tödliche autonome Waffensysteme, die ohne menschliche Kontrolle oder Aufsicht funktionieren und nicht im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht eingesetzt werden können, zu verbieten und alle anderen Arten von autonomen Waffensystemen zu regeln. 
89. Wir verpflichten uns, die Aufsichtsmechanismen für den Einsatz datengesteuerter Technologien, einschließlich künstlicher Intelligenz, zu stärken, um die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu unterstützen. Wir verpflichten uns ferner, im Rahmen eines multilateralen Prozesses Normen, Regeln und Grundsätze für den Entwurf, die Entwicklung und den Einsatz militärischer Anwendungen künstlicher Intelligenz auszuarbeiten und dabei auch die Einbeziehung von Akteuren aus der Industrie, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und anderen Bereichen sicherzustellen.")
Sehr zurückhaltend wird sich im Punkt 90 geäußert, lediglich Maßnahmen zu erkunden, die sich auf die Anwendung von Biotechnologien insbesondere auch für den Kriegsfall beziehen.
Der Bereich „Science, technology and innovation and digital cooperation“ betont die Nutzung der Wissenschaft und neuerer technologischer Entwicklung zum Wohle der Menschheit, indem hierdurch u.a. ein besseres Einkommen, mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und mehr inklusive Formen der Partizipation im Sinne der Agenda 2030 gefördert würden. Im Zugang zu Wissenschaft und neuen Technologien müssten die großen Unterschiede zwischen reichen Staaten und Entwicklungsländern reduziert werden. Barrieren müssten weltweit abgebaut werden, die verhindern, dass Frauen und Mädchen einen Zugang insbesondere zur Naturwissenschaft und neuen Technologien haben.
Insbesondere müssten die Forschung und innovative Technologien zur Durchsetzung der Sustainable Development Goals (SDG) weltweit aktiviert und verbreitet werden. Und im Punkt 101 wird mit Bezug auf die Policy-Briefs des UN-Generalsekretariats noch einmal der Fokus auf die Situation der Entwicklungsländer und der Förderung digitaler Technologien gelegt:
„We call upon the United Nations system to support the efforts of developing countries to develop and strengthen their national science, technology and innovation ecosystems. To facilitate these efforts, we welcome the Secretary-General’s vision to work towards a UN 2.0 to increase the effectiveness of the Organization through enhancing capabilities in data analytics, digital transformation, strategic foresight, and results orientation.“
(Übersetzung: "Wir rufen das System der Vereinten Nationen auf, die Bemühungen der Entwicklungsländer um die Entwicklung und Stärkung ihrer nationalen Ökosysteme für Wissenschaft, Technologie und Innovation zu unterstützen. Um diese Bemühungen zu erleichtern, begrüßen wir die Vision des Generalsekretärs, auf eine UN 2.0 hinzuarbeiten, um die Effektivität der Organisation durch den Ausbau der Fähigkeiten in den Bereichen Datenanalyse, digitale Transformation, strategische Vorausschau und Ergebnisorientierung zu erhöhen.")
Der Themenbereich „Youth and Future Generations“ betont, dass heutige Maßnahmen die Zukunft der Jugend und der nächsten Generationen determinieren. In diesem Zusammenhang werden politische Aktionen von jungen Menschen begrüßt, die sich für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung der Geschlechter einsetzen (Punkt 103). Der Aspekt eines Einsatzes für den Erhalt oder die Durchsetzung der Demokratie wird hier allerdings nicht – mit Rücksicht auf autoritäre Staaten? – genannt. Allerdings wird die Partizipation junger Menschen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene eingefordert und die Einrichtung eines UN-Fonds bzw. UN-Investitions-Plattform gefordert, um die Jugendarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen zu unterstützen (Punkt 111).
Jugendliche seien in allen Ländern zu schützen. Hindernisse der politischen Partizipation junger Menschen unter 30 Jahren seien abzubauen.
Der Themenbereich „Transforming global governance“ konnte keine konkreten Verbesserungsvorschläge vorlegen, die sich auf den UN-Sicherheitsrat und die UN-Generalversammlung beziehen. Es reichte hier – neben einigen allgemeinen Formulierungen zur verbesserten Kommunikation und Koordination der verschiedenen UN-Gremien – nur zu einer Anmerkung der Ko-Organisatoren, dass hier noch im Laufe des Jahres 2024 nachgearbeitet würde.
Besonders enttäuschend sind hier die allgemeinen und unverbindlichen Aussagen, dass die UN-Generalversammlung revitalisiert werden müsse. Die UN-Vollversammlung sei ein wichtiges beratendes und politikgestaltendendes Gremium, das in Zusammenarbeit mit dem UN-Sicherheitsrat und dem UN-Generalsekretär unter „voller Beachtung der bestehenden Mandate“ (Punkt 119) weiterhin zusammenarbeiten werde. Mehr ist hier – trotz der erheblichen Notwendigkeit einer Neustrukturierung des UN-Sicherheitsrats sowie der Zusammenarbeit von Sicherheitsrat und UN-Generalversammlung nicht zu entnehmen.
Im weiteren Verlauf der Ausführungen werden die Stärkung des UN-Economic and Social Council und dessen verbesserte Zusammenarbeit mit weiteren UN-Gremien u.a. zum Umgang mit globalen ökonomischen Schocks sowie zur Besserstellung ökonomisch unterentwickelter Regionen, insbesondere im Umgang mit der Schuldenproblematik, auf einer allgemeinen Ebene angesprochen.

Kritische Beurteilung der Empfehlungen zum UN-Zukunfts-Pakt

Neben einigen begrüßenswerten allgemeinen Überlegungen zu den Menschenrechten, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Partizipation, zur Verschuldungsproblematik und dem internationalen Reichtumsgefälle sowie der Sicherheits- und Friedenspolitik gibt es nur wenige konkrete innovative Forderungen in den Empfehlungen zum UN-Zukunftspakt, der im Laufe des Jahres 2024 weiter beraten und im September 2024 beschlossen werden soll.
Positiv zu sehen sind u.a. konkretere Vorschläge zur Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen, zur Partizipation junger Menschen an Entscheidungsprozessen, zum Verbot autonomer Waffensysteme, die ohne menschliche Kontrolle funktionieren, sowie der starke Fokus auf die aufholende Entwicklung ärmerer Weltregionen. Auch die Ablehnung von Atomwaffen und die hiermit verbundenen Abrüstungsvorschläge sind positiv zu erwähnen.
Insgesamt positiv ist auch die Öffentlichkeitsarbeit der beiden UN-Botschafter im Rahmen der kollektiven Erstellung der Empfehlungen zum Zukunftspakt zu sehen: Es wurden umfangreiche Stellungnahmen im Rahmen partizipatorischer Kommunikation einbezogen:
·         Von 80 Delegationen aus UN-Mitgliedsstaaten
·         Von 500 Stellungnahmen von Dachgruppen (Major Groups) und zivilgesellschaftlichen Gruppen und ‚Stakeholders‘
Alle diese Stellungnahmen sind in einem transparenten Prozess veröffentlicht. [7] Im Rahmen von drei digitalen Veranstaltungen unter Mitwirkung von Delegationen der verschiedenen Gruppierungen und Institutionen werden die verschiedenen Vorschläge gelesen und diskutiert. Hieran lässt sich nichts aussetzen. Die hierzu veröffentlichten Dokumente der verschiedenen Ideengeber bilden eine Fülle von kreativen Vorschlägen der Weltgesellschaft zur Gestaltung der zukünftigen Welt und der Zukunft der Vereinten Nationen ab und sind ausgesprochen lesenswert.
Eher schwach ausgeprägt und dringend ergänzungsbedürftig sind Forderungen im Entwurf zum Zukunftspakt, die sich auf die Zentren der Macht in der globalen Sicherheits- und Finanzarchitektur beziehen. Hier scheinen die bisherigen Empfehlungen doch zu vorsichtig mit dem Blick auf mächtige Akteure im Rahmen der UN gewesen zu sein. Es bleibt abzuwarten, ob die noch im Sommer von Seiten der Koordinatoren vorzulegenden Vorschläge, z.B. zur Reform des UN-Sicherheitsrats, hier konkreter werden können.
Die ökologischen Auswirkungen der Militarisierung der Welt sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten bleiben unerwähnt. Hier wird lediglich der Einfluss der Klimaveränderungen auf gewalttätige Konflikte angesprochen. Des Weiteren liegt eine unkritische Ausrichtung an der zivilen Nutzung der Atomenergie vor, welche die vorhandenen Risiken und Probleme übersieht.
Im Juni soll ein Vorschlag zur Reform der UN-Institutionen vorgelegt werden. Im Mai 2024 wird ein Zukunftsgipfel ziviler NGOs in Nairobi durchgeführt, um den Zukunftspakt weiter zu beraten und vorzubereiten. So schreibt Rolf Bader (2024), ein IPPNW-Aktivist:
Nairobi wurde als Tagungsort ausgewählt, um die Interessen und Belange Afrikas stärker gewichten zu können. Die ungleiche Verteilung von Lebenschancen zwischen Staaten des Südens und des Nordens ist eine wesentliche Ursache von Spannungen und gewaltsamen Konflikten. Auf der Konferenz der Zivilgesellschaft in Afrika wird sicher auch über Entschuldung, den Abbau des Protektionismus und über gerechtere Handelsstrukturen beraten werden.“ [8]
Mit dem Blick auf die im Untertitel gestellte Ausgangsfrage lässt sich feststellen, dass die UN über die Empfehlungen für einen zu beschließenden UN-Zukunftspakt tatsächlich etwas in Bewegung kommen könnte, allerdings ist es fraglich, ob die Luft dafür ausreicht, angesichts der vorhandenen und erwartbaren Bedrohungen schnell und kontinuierlich genug zu laufen. Oder anders ausgedrückt: Wie viel Tempo ist von den Akteuren des Reformprozesses zu erwarten und welche Hindernisse werden an Veränderung uninteressierte Machtzentren aufbauen, um den Reformlauf zu stoppen?
Wird der UN-Zukunftspakt nur ein ‚ziviles Feigenblättchen‘ darstellen und nur einen Alibi-Charakter für ansonsten nicht-partizipatorische Prozesse in inneren UN-Zirkeln der Macht haben? Die Beantwortung dieser Frage wird davon abhängen, mit wie viel Macht der UN-Zukunftspakt ausgestattet werden wird. Also: Welche Verbindlichkeit wird der Zukunftspakt haben? Welche Kontrollen und Sanktionen für die Einhaltung der konkreten im Zukunftspakt vorgesehenen Schritte für eine an den Sustainable Development Goals orientierten zukünftigen Weltentwicklung sind vorgesehen? Wer hat die die Macht, über den weiteren Implementierungsweg des UN-Zukunftspakts zu entscheiden? Und natürlich: Wie ist die Resonanz in den einzelnen Staaten sowie in der zivilen Weltgesellschaft und u.a. den NGOs, die an diesem Implementierungsprozess beteiligt sind?

Anmerkungen:
[1] Pact for the Future, in: https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/sotf-co-facilitators-zero-draft_pact-for-the-future.pdf, S.1, 26.1.2024, 13.3.2024.
[2] Pact for The Future: a.a.O., S.5.
[3] Pact for the Future: a.a.O., S.8.
[4] Pact for the Future: a.a.O., S.10.
[5] Pact for the Future: a.a.O., S. 12.
[6] Pact for the Future: a.a.O., S.12.
[7] Vgl. https://www.un.org/en/summit-of-the-future/pact-for-the-future-zero-draft, o.D., 15.3.2024.
[8] Bader, Rolf (2024): Reform der Vereinten Nationen. Freundlicher Angriff auf die Veto-Mächte, in: https://www.telepolis.de/features/Reform-der-Vereinten-Nationen-Freundlicher-Frontalangriff-auf-die-Veto-Maechte-9651133.html, 11.3.2024, 11.3.2024. 


 
actual blog 4

The UN Pact for the Future.
Are the United Nations on the move?

by Klaus Moegling
3/16/24

In January 2024, recommendations from a UN Pact for the Future, which was discussed with hundreds of NGOs and is to be further developed, were presented. The Pact for the Future is based on the UN reform processes for the UN General Secretariat's 'Our Common Agenda', the 2030 Agenda for Sustainable Development and the SDG follow-up conferences. The text with the results and measures of the UN Pact for the Future is to be adopted at a Future Summit in September 2024 and then reviewed by the UN General Assembly in 2026 with regard to its implementation.
The German UN Ambassador Antje Leendertse and Namibia's Ambassador Neville Gertze have been instrumental in driving forward the preparatory process for the Pact for the Future. The 'Pact for the Future' summarizes the current global crisis situation as a starting point for the necessary measures:
"We are at a moment of acute global peril. Across our world, people are suffering from the effects of poverty, hunger, inequality, armed conflicts, violence, displacement, terrorism, climate change, disease, and the adverse impacts of technology. Humanity faces a range of potentially catastrophic and existential risks. We are also at a moment of opportunity, where advances in knowledge and technology, properly managed, could deliver a better future for all." (1)
 Multilateral cooperation is viewed critically with regard to the UN Security Council and the global financial architecture, among other things.
The recommendations for the Pact for the Future, which are to be adopted by the UN in late summer 2024, advocate a new start in international cooperation based on the United Nations Charter. Based on the three pillars of the UN Charter - development, peace, security and human rights policy - a series of rather general proposals for change are made across 148 topics on 29 pages with a focus on poverty reduction, peacekeeping and the fight against the climate crisis and environmental degradation.

The demands of the UN Pact for the Future 

The demands of the recommendations for the UN Pact for the Future are divided into five thematic areas:
* Sustainable development and financing for development;
* International peace and security;
* Science, technology and innovation and digital cooperation;
* Youth and future generations;
* Transforming global governance;
The seriousness of the situation is appropriately formulated in point 23, among others:
"We remain resolved, between now and 2030, to end poverty in all its forms and dimensions and hunger, everywhere, as a priority. We recognize our responsibility to ensure the lasting protection of the planet and its natural resources and that we may be the last generation to have a chance of saving the planet." (2)
The climate targets of the Paris Climate Conference, including the 1.5-degree target that will probably already be exceeded in 2023 and the target of zero CO2 emissions for 2050, are now adopted and the focus is placed in particular on the aspect of climate justice with a view to developing countries. However, point 45 reminds us in very general terms, i.e. without naming specific polluters, to refrain from unilateral measures of economic protection driven by national interests that could hinder the socio-ecological development of poorer countries.
The peace and security policy at the heart of the recommendations of the Pact for the Future contains correct, but largely very general formulations, such as in point 50:
"We recognize the interdependence of international peace and security, sustainable development and human rights. We reaffirm the need to build peaceful, just and inclusive societies that provide equal access to justice and are based on human rights, the rule of law and good governance at all levels and on transparent, effective and accountable institutions. In this regard, we recognize the importance of fostering a culture of peace, upholding the rule of law and promoting human security." (3)
Specifically, it calls for all cases of violence worldwide to be halved by 2030. The participation of women in all decisions to enforce peace and security as well as the protection of civilians and especially young people and children in embattled areas are also called for. However, the implementation measures for this remain vague.
The link between climate change and violent conflicts is finally correctly addressed in point 69:
 "We recognize that climate impacts can multiply risks that fuel conflict. We encourage the relevant organs of the United Nations, as appropriate and within their respective mandates, to intensify their efforts in considering and addressing climate change, including its possible security implications. We urge the Security Council to address the peace and security implications of climate change in the mandates of peace operations and during discussions on other country or regional situations on its agenda, where relevant." (4)
However, the environmental and climate-destroying effects of the military in both peacetime and wartime are not addressed. As there are now enough meaningful statistics on this, this could have been mentioned very specifically at this point. Thus, the ecological effects of the militarization of the world remain a blind spot in the recommendations of the UN Pact for the Future.
There is a clear call for the further development and better financing of peacekeeping, peacebuilding and enforcement action in order to enforce international security on the basis of Chapter VII of the UN Charter, without, however, naming specific and relevant financial policy instruments. 
A future UN General Assembly is proposed to deal with international disarmament issues.
Point 81 speaks out in favor of the civilian use of nuclear energy:
"We reaffirm the inalienable right of all countries to develop research, production and use of nuclear energy for peaceful purposes without discrimination." (5)
This negligently fails to address the dangers posed by nuclear accidents and the lack of disposal options for radioactive waste. It also fails to mention that the generation of energy in nuclear power plants is by far the most expensive method of energy production, which can only be made possible through massive state subsidies.
Until the final abolition of nuclear weapons, paragraph 80 calls on the nuclear weapon states to take measures to prevent accidental nuclear war and the use of nuclear weapons in military conflicts. Furthermore, additional measures for nuclear disarmament are called for. The proposals remain general and even refrain from deliberately mentioning the UN Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. 
With regard to innovative technological development measures, the security aspect of developing measures to ensure the peaceful use of outer space and prevent military conflicts in space is addressed. Military threats to systems stationed in space and an arms race in space would have to be prevented by means of appropriate regulations. However, such rules and measures are not specified.
With regard to the limited use of AI in weapons systems and the prevention of autonomous weapons systems, however, points 88 and 89 of the proposed pact for the future contain somewhat more specific formulations:
"88. building on progress made in multilateral negotiations, we commit to concluding without delay a legally binding instrument to prohibit lethal autonomous weapons systems that function without human control or oversight, and which cannot be used in compliance with international humanitarian law, and to regulate all other types of autonomous weapons systems. 
89. We commit to strengthening oversight mechanisms for the use of data-driven technology, including artificial intelligence, to support the maintenance of international peace and security. We also commit to developing norms, rules and principles on the design, development and use of military applications of artificial intelligence through a multilateral process, while also ensuring engagement with stakeholders from industry, academia, civil society and other sectors." (6)
Point 90 is very cautious about only exploring measures that relate to the application of biotechnologies, particularly in the event of war.
The area of "Science, technology and innovation and digital cooperation" emphasizes the use of science and new technological developments for the benefit of humanity by promoting, among other things, a better income, more sustainability in production and more inclusive forms of participation in line with the 2030 Agenda. The major differences in access to science and new technologies between rich countries and developing countries must be reduced. Barriers that prevent women and girls from having access to science and new technologies in particular must be removed worldwide.
In particular, research and innovative technologies for the implementation of the Sustainable Development Goals (SDG) must be activated and disseminated worldwide. And in point 101, with reference to the policy briefs of the UN General Secretariat, the focus is once again placed on the situation of developing countries and the promotion of digital technologies:
"We call upon the United Nations system to support the efforts of developing countries to develop and strengthen their national science, technology and innovation ecosystems. To facilitate these efforts, we welcome the Secretary-General's vision to work towards a UN 2.0 to increase the effectiveness of the Organization through enhancing capabilities in data analytics, digital transformation, strategic foresight, and results orientation."
The thematic area "Youth and Future Generations" emphasizes that today's actions determine the future of youth and the next generations. In this context, political action by young people who are committed to climate protection, social justice and gender equality is welcomed (point 103). However, the aspect of a commitment to the preservation or implementation of democracy is not mentioned here - in consideration of authoritarian states? 
However, the participation of young people at regional, national and international level is called for and the establishment of a UN fund or UN investment platform to support youth work within the framework of the United Nations is demanded (point 111).Young people should be protected in all countries. Obstacles to the political participation of young people under the age of 30 should be removed.
The thematic area "Transforming global governance" was unable to present any specific proposals for improvement relating to the UN Security Council and the UN General Assembly. In addition to a few general formulations on improved communication and coordination between the various UN bodies, the co-organizers were only able to comment that work would be carried out in the course of 2024.
The general and non-binding statements that the UN General Assembly needs to be revitalized are particularly disappointing. The UN General Assembly is an important advisory and policy-making body that will continue to work together with the UN Security Council and the UN Secretary-General in "full compliance with existing mandates" (point 119). Despite the considerable need to restructure the UN Security Council and the cooperation between the Security Council and the UN General Assembly, nothing more can be inferred here.
In the further course of the statement, the strengthening of the UN Economic and Social Council and its improved cooperation with other UN bodies, e.g. to deal with global economic shocks and to improve the position of economically underdeveloped regions, particularly in dealing with the debt problem, are addressed at a general level.

Critical evaluation of the UN Pact for the Future 

In addition to some welcome general considerations on human rights, environmental sustainability, participation, the debt problem and the international wealth gap as well as security and peace policy, there are only a few specific innovative demands in the recommendations for the UN Pact for the Future, which is to be further discussed in the course of 2024 and adopted in September 2024.
Positive aspects include more concrete proposals on equal rights for women and girls, the participation of young people in decision-making processes, the ban on autonomous weapons systems that function without human control and the strong focus on the catch-up development of poorer regions of the world. The rejection of nuclear weapons and the associated disarmament proposals should also be mentioned positively.
The public relations work of the two UN ambassadors as part of the collective preparation of the recommendations for the Pact for the Future should also be seen as positive overall: Extensive statements were included as part of participatory communication:
 - From 80 delegations from UN member states
 - From 500 statements from major groups and civil society groups and stakeholders
All of these statements have been published in a transparent process. (7) The various proposals are read and discussed at three digital events with the participation of delegations from the various groups and institutions. There is nothing wrong with this. The documents published by the various idea providers represent a wealth of creative proposals from global society for shaping the future world and the future of the United Nations and are well worth reading.
Rather weak and in urgent need of supplementation are the demands in the draft Pact for the Future that relate to the centers of power in the global security and financial architecture. Here, the previous recommendations appear to have been too cautious with regard to powerful actors within the UN framework. It remains to be seen whether the proposals to be presented by the coordinators in the summer, e.g. on the reform of the UN Security Council, can be more concrete in this context.
The ecological effects of the militarization of the world in both peacetime and wartime remain unmentioned. Only the influence of climate change on violent conflicts is mentioned here. Furthermore, there is an uncritical focus on the civilian use of nuclear energy, which overlooks the existing risks and problems.
A proposal to reform the UN institutions is to be presented in June. In May 2024, a future summit of civil NGOs will be held in Nairobi to further discuss and prepare the pact for the future. So writes Rolf Bader (2024), an IPPNW activist:
"Nairobi was chosen as the location for the meeting in order to give greater weight to the interests and concerns of Africa. The unequal distribution of life opportunities between countries of the South and the North is a major cause of tensions and violent conflicts. The civil society conference in Africa will certainly also discuss debt relief, the reduction of protectionism and fairer trade structures." (8)
With a view to the initial question posed in the subtitle, it can be stated that the UN could indeed get things moving via the recommendations for a UN Pact for the Future to be adopted, but it is questionable whether there is enough air for this to happen quickly and continuously enough in view of the existing and expected threats. Or to put it another way: how much speed can be expected from the players in the reform process and what obstacles will power centers uninterested in change put up to stop the reform process?
Will the UN Pact for the Future only be a 'civilian fig leaf' and merely serve as an alibi for otherwise non-participatory processes in the UN's inner circles of power? The answer to this question will depend on how much power the UN Pact for the Future will be endowed with. In other words: How binding will the Pact for the Future be? What controls and sanctions are planned for compliance with the specific steps envisaged in the Pact for the Future for a future world development oriented towards the Sustainable Development Goals? Who has the power to decide on the further implementation of the UN Pact for the Future? And, of course, what is the response in the individual states and in civil society worldwide, including the NGOs involved in this implementation process?

Notes:
[1] Pact for the Future, in: https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/sotf-co-facilitators-zero-draft_pact-for-the-future.pdf, S.1, 26.1.2024, 13.3.2024. 
[2] Pact for The Future: a.a.O., S.5. 
[3] Pact for the Future: a.a.O., S.8. 
[4] Pact for the Future: a.a.O., S.10. 
[5] Pact for the Future: a.a.O., S. 12. 
[6] Pact for the Future: a.a.O., S.12. 
[7] Vgl. https://www.un.org/en/summit-of-the-future/pact-for-the-future-zero-draft, o.D., 15.3.2024. 
[8] Bader, Rolf (2024): Reform der Vereinten Nationen. Freundlicher Angriff auf die Veto-Mächte, in: https://www.telepolis.de/features/Reform-der-Vereinten-Nationen-Freundlicher-Frontalangriff-auf-die-Veto-Maechte-9651133.html, 11.3.2024, 11.3.2024. 

 




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(deutsche Übersetzung danach)

AI and war

When will people lose control of weapons systems?

by Karl Hans Bläsius/ Klaus Moegling

last update: March/1/24

Most AI applications are positive and have led to an improvement in the quality of human life. In connection with military applications, however, considerable dangers can arise, including a loss of control.

The world is increasingly moving away from Immanuel Kant's ideas

In 1795, Immanuel Kant, who would have been 300 years old in 2024, formulated fundamental ideas on an international peace policy in his essay 'On eternal peace', which stand in contrast to today's reality of increasingly militarized conflicts. Kant, on the other hand, called for the warlike state of humanity to be overcome in favor of conscious peacemaking:
"The state of peace among men living side by side is not a state of nature (status naturalis), which is rather a state of war, i.e. if not always an outbreak of hostilities, yet a perpetual threat of the same. It must therefore be created; (...)" (1)
Kant was of the opinion that republican states would be more inclined to peace than to war and called for an international peace alliance as a prerequisite for ending all wars. This would show "that reason, from the throne of the highest moral and legislative power, absolutely condemns war as a legal process, but makes a state of peace an immediate duty, which cannot be established or secured without a treaty between nations: - so there must be a covenant of a special kind, which may be called the covenant of peace (foedus pacificum), which would differ from the treaty of peace (pactum pacis) in that the latter would seek to end only one war, while the former would seek to end all wars forever. " (2)
But what does this legitimate requirement for an internationally organized and institutionalized peace foundation mean in the current global development situation and under the influence of the dynamic further development of AI on the Internet? Algorithms, the internet and artificial intelligence were unknown and unimaginable phenomena for Kant. Does the ideal peace policy therefore still lie in peace treaties and peace alliances? What influence should the United Nations exert on the development of AI in individual countries?

Outline of major global conflicts worldwide

Many regions and states are currently in a major conflict with each other that is being fought by military means or are on the brink of war. Military interventions are increasingly replacing diplomatic and civil conflict resolution. Particularly in the Middle East in the war between Israel and Hamas supported by Iran, in the war between the Russian Federation and Ukraine or the Western camp and the USA in particular, the threatening situation between the People's Republic of China and Taiwan/supported by the USA and the rejection of diplomatic activities and the nuclear threat in the conflict between North and South Korea, there is the potential for a third world war with the option of the use of nuclear weapons in the event of further escalation. Nuclear powers are involved in all of the crisis situations mentioned, and in the case of North Korea and the Russian Federation, they are even openly threatening to use nuclear weapons. 
At the same time, we find ourselves in a state of the United Nations that is characterized by a deliberate weakening of the UN. The structure of the UN, in particular the veto rights of the five permanent members of the UN Security Council and the relative powerlessness of the UN General Assembly, mean that the UN is institutionally helpless in current conflicts. (3)
In the meantime, however, the overall situation has been exacerbated by a problem for which neither the UN, the EU nor national politics are prepared: The development and use of artificial intelligence in connection with modernized weapons systems.

Consequences of major global conflicts: unchecked arms race, including in terms of software

A policy geared towards confrontation rather than cooperation between the major industrialized nations and military powers will fuel an unchecked arms race. This also applies to software-based weapons such as cyber and autonomous weapons. In a confrontation between the major nations, no one will take the risk of lagging behind their competitors in the technologically important areas of cyberspace and artificial intelligence (AI). Software development in these areas can take place completely uncontrolled and in secret. None of the nations can know which capabilities an opponent already has and which will be available in the near future. That is why each side must go to great lengths to keep up. An arms race in the field of AI could lead much faster than expected to extremely dangerous military products that are almost impossible to control. It is increasingly likely that the point at which internationally coordinated and responsible control of AI in weapons systems is possible in the course of the arms race has already been passed or is about to be passed.
Arms control and verification are possible for conventional weapons systems. Aircraft, ships, tanks and nuclear weapons can be counted. With cyber weapons and AI-based weapons, however, it is all about software. Software systems have special characteristics for which arms control and the verification of agreements are hardly feasible. A state will hardly allow employees of an opposing state to gain access to its own software in order to verify arms control agreements. The risk would be too high that the opponent could obtain a copy of this software. Furthermore, checking the possible functionalities would be very time-consuming and could take years, during which time the software would be developed further anyway. 
It is completely incalculable what the future holds for us in terms of software-based weapons. 
Disarmament agreements relating to software will hardly be possible. With software, any number of copies can be produced in a short space of time and can be used as often as required. Once developed, software for autonomous weapons will always be available.

AI in weapon systems

Major advances in the field of artificial intelligence have also led to corresponding advances in military technology. In particular, autonomously acting robots or drones can also be used for military purposes. Enemy targets can be automatically identified and attacked on the basis of automatic image recognition with good object classification. There is a wide range of applications for autonomy in weapon systems. Many types of weapons can be equipped with more and more autonomy. This applies to robots, vehicles, flying objects and even ships or submarines. In such systems, humans can be replaced by AI components. As with autonomous driving, this can also be done gradually. Our modern cars already contain many autonomous functions, including fully autonomous driving, although a human must still be able to intervene at any time for legal reasons. This is because accidents involving autonomous vehicles are not yet tolerated in road traffic. This can be different in war situations, where collateral damage is more likely to be accepted. Less sophisticated autonomous functions could also be used here. This increases the risk of such systems being used in times of war. 
Modern warfare is not just about weapons, but also about the increasing use of AI in reconnaissance, determining the situation of the enemy and one's own armed forces and planning actions. AI-based software is also being used for these purposes in the war in Ukraine. (4) 
Decisions regarding the selection of targets are also increasingly being made by machines. In the Gaza war, Israel is using AI systems to determine targets. These systems provide significantly more targets with precise location information on members of Hamas than would be possible with intelligence information. (5)
In weapons systems of the future, the attack chain, the so-called "kill chain", will be reduced in time, possibly to a few seconds. This attack chain describes the process from observation, identification of targets, planning and decision-making to the execution of an action. AI can be used in all of these phases, thereby shortening the entire decision-making process to such an extent that humans can barely intervene. Even though politicians repeatedly emphasize that ultimately the decision on the lethal use of a weapon must remain with a human ("man in the loop"), this principle is already being questioned in some cases. In situations in which a machine recognizes that a soldier's life is threatened, it must also be able to decide independently whether to use a weapon if it would take too long to involve a human being. (6)
Lahl and Varwick argue similarly: "Formal competence is one thing, the actual chance of intervention is another. The more complex a collective network of semi-autonomous weapon systems is, the more impossible it becomes for the controlling human to see through the 'black box' and recognize errors or manipulation - in other words, to understand, evaluate and, if necessary, correct the results delivered by algorithms. In highly intensive situations under extreme time pressure, their role is then de facto reduced to pseudo-control." (7)
In most cases, it will not be possible to meet the requirement of leaving people in the decision-making chain with the ability to evaluate given situations with sufficient certainty ("meaningful human control"). When using neural networks, decisions made by the machine are not comprehensible anyway. Even when using symbolic AI, decisions by the machine would generally not be made in the sense of IF-THEN-ELSE branches in a decision tree, which might be relatively easy to understand. Instead, decisions are based on hundreds of features that are uncertain and vague and are calculated using formulas of some kind. Simple control will not be possible here.

Increasing risk of nuclear war

An unchecked arms race of nuclear powers on a confrontation course also increases the risk of nuclear war to a considerable extent. (8)
In recent years, a new arms race has begun in various military dimensions. Most of these developments are still in their beginnings and the consequences can hardly be calculated.  This applies to new nuclear weapon delivery systems such as hypersonic missiles, the planned weaponization of space, laser weapons, the expansion of cyber warfare capabilities and the increasing use of artificial intelligence systems through to autonomous weapon systems. All of these aspects also interact with early warning systems for detecting nuclear missile attacks and will significantly increase the complexity of these systems. 
The further development of weapon systems with greater accuracy, improved maneuverability and ever shorter flight times (hypersonic missiles) will increasingly require artificial intelligence (AI) techniques to automatically make decisions for certain subtasks. In connection with early warning systems, there are already calls for the development of autonomous AI systems that evaluate an alarm message fully automatically and trigger a counter-attack if necessary, as there is no time left for human decisions. However, the data available for a decision is usually vague, uncertain and incomplete. This is why even AI systems cannot make reliable decisions in such situations. In the short time available, it will hardly be possible to check the machine's decisions. Humans can only believe what the machine delivers. Due to the uncertain and incomplete data basis, neither humans nor machines will be able to reliably evaluate alarm messages. 
According to a November 2019 report by the US National Security Commission on Artificial Intelligence, there is a risk that AI-enabled systems could track and attack previously invulnerable military positions, undermining global strategic stability and nuclear deterrence. States could thus be tempted to behave more aggressively, which could increase the incentives for a first strike.  The report also proposes agreements between the US, Russia, China and other nations to achieve a ban on the launch of nuclear weapons authorized or triggered by AI systems. (9)
The SIPRI report on the impact of AI on strategic stability and nuclear risks also warns against the increasing use of autonomous or AI-based decision support systems, which only appear to provide a clear picture in a short space of time. In order to maintain a certain degree of stability, an exchange between military forces on the respective AI capabilities is necessary in order to uphold the principle of nuclear deterrence.  (10)
Potential cyber attacks are also incalculable, whereby components or data of an early warning system could be manipulated, which could be possible in a variety of ways.

AI - social development trends

There have been some surprises in civilian AI applications in recent years, with unexpected capabilities being achieved, most recently with generative AI systems such as ChatGPT. In 2023, the world's leading AI scientists and heads of major AI companies issued urgent warnings about the potential risks of this development. Superintelligence that far exceeds the level of human intelligence is also considered possible in the coming years. (11)
With the help of deepfake techniques and generative AI systems, masses of texts, images and videos can be generated that convey supposed facts. Such disinformation can be used to manipulate people and destabilize societies. If more and more media content is generated automatically without the possibility of verifying its truthfulness, political action in democratic states will become increasingly difficult. Chaos with social upheaval, riots and possibly civil wars could be the result. 
Increasingly difficult political action combined with ever more dangerous weapons systems, such as the further development of hypersonic missiles and the trend towards AI-based weapons described above, form a mixture that is becoming unmanageable for our political systems and can easily lead to a global catastrophe due to misunderstandings, e.g. in the form of an accidental nuclear war.

Demands

A policy based solely on mutual confrontation between the West and Russia or China will result in dangerous weapons systems being further developed on all sides with the highest priority, including the incorporation of AI technologies. The current wars provide an "ideal testing ground" for testing and perfecting these military capabilities. To avoid a global catastrophe that could lead to the annihilation of humanity, this process must be reversed.
The current wars must be ended as quickly as possible. Instead of supplying weapons to war zones, extensive diplomacy should be the order of the day. Instead of mutual confrontation, trust, cooperation and good communication channels must be rebuilt and improved. The economic and geostrategic interests of the various sides must be taken into account in negotiation processes.
Instead of stationing new hypersonic missiles in East and West, effective arms control agreements, including nuclear disarmament, are required. Global agreements to ban autonomous weapons systems and regulate AI are also urgently needed. Dependence on internet services should not increase any further. Instead, important infrastructure systems, such as healthcare and power supply, must function flawlessly even without the internet. It must also be ensured that dangerous weapons systems, such as nuclear missiles, cannot be controlled via the internet.
It is also argued that such international control processes can be supported by reforming the UN - reform processes that affect both its structure and the legal status of the people represented by the UN. (12)
On the one hand, the UN must be strengthened in terms of its effectiveness and financial independence so that it also has the power to make the necessary decisions for the future. At the same time - and always slightly before expanding its powers - the United Nations must be democratized in order to guarantee democratic elections to UN organs and to achieve legitimate and institutionally balanced control over the decision-making bodies.
Immanuel Kant also linked his idea of peace with a change or necessary addition to constitutional and international law:
 "Since it has now come to such a pass with the (narrower or wider) community once consistently prevalent among the peoples of the earth that the violation of rights in one place on earth is felt in all: so the idea of a world civil right is not a fantastic and extravagant conception of law, but a necessary addition to the unwritten code, both of constitutional and international law to public human rights (...) in general, and so to eternal peace, to which one may flatter oneself to be in continuous approximation only on this condition." (13)
Current initiatives for UN reform and world citizenship law (14) should also include the demands for international control of AI in their agenda. (15) This will then have to clarify the opportunities that exist in its social application, but also the problems that arise from insufficiently controlled AI development, particularly in connection with major inter- and intra-societal conflicts.  It is to be expected that there will be strong resistance to UN-coordinated control of AI development from powerful actors who want to defend their interests in the United Nations without responsibility for the whole. But too much is at stake here without at least significantly raising the stakes to achieve responsible AI development for the global civic community.

About the authors: 
Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, computer scientist with a focus on AI, https://blaesius.net/ 
Prof. Dr. Klaus Moegling, political scientist and sociologist, https://www.klaus-moegling.de/


Notes:
[1] Kant, Immanuel: Werke itwelve volumes. Volume 11, Frankfurt am Main 1977, p. 203.
[2] Kant, Immanuel: Works in twelve volumes. Volume 11, Frankfurt am Main 1977, from the chapter "International law should be based on a federalism of free states", p. 210.
[3] Cf. on this in more detail e.g. Moegling: Neuordnung. 5th updated edition (2024), Chapter 1.2: Political crises: Crisis of the UN, retreat of democracies and return of authoritarian forms of rule. Freely available at: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
[4] https://www.heise.de/news/Palantir-wirbt-mit-KI-Plattform-zur-Kriegsfuehrung-8981871.html
[5] https://www.heise.de/news/100-pro-Tag-statt-50-pro-Jahr-KI-liefert-Ziele-fuer-israelische-Luftangriffe-9547241.html?wt_mc=nl.red.ho.ho-nl-newsticker.2023-12-05.link.link.
[6] Kirsten Bialdiga, Christina Kyriasoglou: Kommandosache KI, Manager Magazin, February 2024, page 40-46.
7] Kersten Lahl, Johannes Varwick: Understanding security policy - fields of action, controversies and solutions. Wochenschauverlag, 2nd edition, 2021, page 134.
[8] Cf. also Müller, Bernd: AI would quickly use nuclear weapons in war.  In: Telepolis, https://www.telepolis.de/features/KI-wuerde-im-Krieg-rasch-Atomwaffen-einsetzen-9624831.html.
[9] Eric Schmidt, Robert O. Work, et al: National Security Commission on Artificial Intelligence - Interim Report, November 2019, https://www.epic.org/foia/epic-v-ai-commission/AI-Commission-Interim-Report-Nov-2019.pdf , page 11 and 46
[10] Vincent Boulanin (ed.): The Impact of Artificial Intelligence on Strategic Stability and Nuclear Risk. Sipri Report, https://www.sipri.org/sites/default/files/2019-05/sipri1905-ai-strategic-stability-nuclear-risk.pdf, 2019, page 50-51
[11] See e.g. https://Ki-folgen.de  
[12] Cf. on this, among others, Moegling, Klaus: Neuordnung.  Chapter 5: Reorganization of the system of international relations. 5th updated edition (2024), freely available at: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
[13] Kant, Immanuel: Works in twelve volumes. Volume 11, Frankfurt am Main 1977, from the chapter "Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein", p. 215.
[14] Cf. https://www.democracywithoutborders.org/we-the-peoples/
[15] Previous attempts by the UN (UN Advisory Council on Artificial Intelligence) are based only on non-binding recommendations, cf. https://www.welt.de/debatte/kommentare/article249269132/UN-Gremium-Das-ist-noetig-um-die-KI-in-den-Griff-zu-bekommen.html.




Blog 5

KI und Krieg

Wann entgleitet den Menschen die Kontrolle über die Waffensysteme?

von Karl Hans Bläsius, Klaus Moegling

(letzte Bearbeitung: 1.3.2024)

 
Die meisten KI-Anwendungen sind positiv und haben zu einer Verbesserung der menschlichen Lebensqualität geführt. In Zusammenhang mit militärischen Anwendungen können aber erhebliche Gefahren entstehen, bis hin zu einem Kontrollverlust.
 

Die Welt entfernt sich zunehmend von Immanuel Kants Ideen

Immanuel Kant, der in diesem Jahr 2024 300 Jahre alt geworden wäre, formulierte 1795 in seiner Schrift ‚Zum Ewigen Frieden‘ grundlegende Überlegungen zu einer internationalen Friedenspolitik, die in einem Gegensatz zu der heutigen Realität zunehmend militärisch ausgetragener Konflikte stehen. Kant forderte hingegen die Überwindung des kriegerischen Zustands der Menschheit zugunsten einer bewussten Friedensstiftung:
„Der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturstand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d.i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er muß also gestiftet werden; (…)“ [1]
Kant vertrat die Auffassung, dass republikanisch strukturierte Staaten eher zu Frieden als zu Krieg neigen würden und forderte einen internationalen Friedensbund als Voraussetzung der Beendigung aller Kriege. Dann würde sich zeigen, „daß doch die Vernunft, vom Throne der höchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab, den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht, welcher doch, ohne einen Vertrag der Völker unter sich, nicht gestiftet oder gesichert werden kann: – so muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte.“ [2]
Was aber bedeutet diese legitime Anforderung an eine international zu organisierende und zu institutionalisierende Friedensstiftung in der aktuellen globalen Entwicklungssituation und unter dem Einfluss einer sich dynamisierenden Weiterentwicklung von KI im Internet? Algorithmen, Internet und Künstliche Intelligenz waren für Kant unbekannte und unvorstellbare Phänomene. Liegt der friedenspolitische Königsweg daher noch in Friedensverträgen und Friedensbünden? Welchen Einfluss müssten ggf. Die Vereinten Nationen auf die KI-Entwicklung in den einzelnen Staaten nehmen?

Skizzierung weltweiter globaler Großkonflikte

Derzeit befinden sich viele Regionen und Staaten miteinander in einem mit militärischen Mitteln ausgetragenen Großkonflikt oder kurz vor einem Krieg. Militärische Interventionen verdrängen zunehmend diplomatische und zivile Konfliktlösungen. Insbesondere im Nahen Osten im Krieg zwischen Israel und der Hamas unterstützt vom Iran, im Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine bzw. dem westlichen Lager und insbesondere den USA, der bedrohlichen Lage zwischen der VR China und Taiwan/unterstützt von den USA und der Verwerfung diplomatischer Aktivitäten und der nuklearen Bedrohung im Konflikt zwischen Nord- und Südkorea ist bei weiterer Eskalation das Potenzial eines 3. Weltkriegs mit der Option eines Einsatzes von Atomwaffen angelegt. Bei allen genannten Krisensituationen sind Nuklearmächte beteiligt, die im Falle von Nordkorea und der Russischen Föderation sogar ganz offen mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen.
Gleichzeitig befinden wir uns in einem Zustand der Vereinten Nationen, die durch eine gezielte Schwächung der UN gekennzeichnet ist. Die Struktur der UN, insbesondere das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und die relative Machtlosigkeit der UN-Generalsversammlung, führen zu einer institutionellen Hilflosigkeit der UN bei gegenwärtigen Konflikten. [3]
Inzwischen kommt allerdings eine die Gesamtsituation verschärfende Problematik hinzu, auf die weder die UN noch die EU oder die nationale Politik vorbereitet sind: Die Entwicklung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit modernisierten Waffensystemen.

Folgen globaler Großkonflikte: ungebremster Rüstungswettlauf, auch bzgl. Software

Eine auf Konfrontation statt auf Zusammenarbeit ausgerichtete Politik zwischen den großen Industrienationen und Militärmächten wird einen ungebremsten Rüstungswettlauf befeuern. Dies gilt auch für softwarebasierte Waffen, wie Cyber- und autonome Waffen. Bei einem Konfrontationskurs der großen Nationen wird niemand das Risiko eingehen, in den technologisch wichtigen Bereichen Cyberraum und Künstliche Intelligenz (KI) den Konkurrenten hinterher zu hinken. Die Softwareentwicklung auf diesen Gebieten kann völlig unkontrolliert und im Verborgenen ablaufen. Keine der Nationen kann wissen, welche Fähigkeiten ein Gegner bereits hat und welche in kurzer Zeit erreichbar sein werden. Deshalb muss jede Seite allergrößte Anstrengungen aufnehmen, um mithalten zu können. Ein Rüstungswettlauf im Bereich KI könnte deutlich schneller als erwartet zu äußerst gefährlichen militärischen Produkten führen, die kaum noch beherrschbar sind. Die Wahrscheinlichkeit nimmt zu, dass der Zeitpunkt der Möglichkeit einer international koordinierten und verantwortlichen Kontrolle von KI in Waffensystemen im Zuge des Rüstungswettlaufs bereits überschritten ist oder kurz davor steht, überschritten zu werden.
Bei üblichen Waffensystemen sind Rüstungskontrolle und Verifikation möglich. Flugzeuge, Schiffe, Panzer und Atomwaffen können gezählt werden. Bei Cyberwaffen und KI-basierten Waffen geht es indessen um Software. Softwaresysteme haben spezielle Merkmale, für die eine Rüstungskontrolle und die Verifikation von Vereinbarungen kaum realisierbar sind. Ein Staat wird kaum zulassen, dass bzgl. Verifikation von Rüstungskontrollvereinbarungen Mitarbeiter eines gegnerischen Staates Einblick in die eigene Software erhalten. Das Risiko wäre zu hoch, dass damit der Gegner eine Kopie dieser Software erhalten könnte. Des Weiteren wäre eine Überprüfung der möglichen Funktionalitäten sehr aufwendig und könnte Jahre dauern, währenddessen die Software ohnehin weiterentwickelt würde. 
Es ist völlig unkalkulierbar, was in Zukunft hinsichtlich softwarebasierter Waffen auf uns zukommt. 
Abrüstungsvereinbarungen bezogen auf Software werden kaum möglich sein. Bei Software sind beliebig viele Kopien in kurzer Zeit herstellbar und entsprechend beliebig oft anwendbar. Einmal entwickelte Software für autonome Waffen wird immer erhalten bleiben.

KI in Waffensystemen

Große Fortschritte im Gebiet „Künstliche Intelligenz“ haben auch zu entsprechenden Fortschritten in der Militärtechnik geführt. Insbesondere können selbständig agierende Roboter oder Drohnen auch für militärische Zwecke eingesetzt werden. Auf der Basis einer automatischen Bilderkennung mit guter Objektklassifikation können feindliche Ziele automatisch identifiziert und attackiert werden. Für Autonomie in Waffensystemen gibt es ein großes Anwendungsspektrum. Viele Arten von Waffen können mit immer mehr Autonomie versehen werden. Dies betrifft Roboter, Fahrzeuge, Flugobjekte und auch Schiffe oder U-Boote. In solchen Systemen können Menschen durch KI-Komponenten ersetzt werden. Dies kann ähnlich wie beim Autonomen Fahren auch schrittweise erfolgen. Unsere modernen Autos enthalten schon viele autonome Funktionen bis hin zum völlig autonomen Fahren, wobei aus rechtlichen Gründen aber ein Mensch noch jederzeit eingreifen können muss. Denn im Straßenverkehr werden Unfälle von autonomen Fahrzeugen noch nicht toleriert. In Kriegssituationen kann das anders sein, Kollateralschäden werden eher in Kauf genommen. Auch weniger gut ausgereifte autonome Funktionen könnten hier zum Einsatz kommen. Damit steigt das Risiko, dass solche Systeme in Kriegszeiten auch eingesetzt werden.
Bei der modernen Kriegsführung geht es nicht nur um Waffen, sondern auch um einen zunehmenden Einsatz von KI bei der Aufklärung, der Bestimmung von Lagebildern des Gegners und der eigenen Streitkräfte sowie bei der Planung von Aktionen. Auch im Ukraine-Krieg wird KI-basierte Software für diese Zwecke eingesetzt. [4]
Auch Entscheidungen, die die Auswahl von Zielen betreffen, werden zunehmend von Maschinen getroffen. Im Gaza-Krieg setzt Israel KI-Systeme ein, um Angriffsziele zu bestimmen. Diese Systeme liefern erheblich mehr Ziele mit genauen Ortsangaben von Mitgliedern der Hamas, als das durch Geheimdienstinformationen möglich wäre. [5]
In Waffensystemen der Zukunft wird die Angriffskette, die sogenannte „Kill-Chain“ zeitlich reduziert, eventuell auf wenige Sekunden. Diese Angriffskette beschreibt den Prozess von der Beobachtung, der Identifikation von Zielen, der Planung und Entscheidung bis zur Durchführung einer Aktion. In all diesen Phasen kann KI eingesetzt werden und damit den gesamten Entscheidungsprozess zeitlich soweit verkürzen, dass Menschen kaum noch eingreifen können. Auch wenn in der Politik immer wieder betont wird, dass letztendlich die Entscheidung über den tödlichen Einsatz einer Waffe bei einem Menschen bleiben muss („man in the loop“), wird dieses Prinzip teilweise bereits in Frage gestellt. In Situationen, in denen eine Maschine erkennt, dass das Leben eines Soldaten bedroht ist, müsse diese auch selbständig über einen Waffeneinsatz entscheiden können, falls die Einbeziehung eines Menschen zu lange dauern würde. [6]
Lahl und Varwick argumentieren ähnlich: „Die formale Kompetenz ist das eine, die tatsächliche Eingriffschance das andere. Je komplexer ein kollektiver Verbund teilautonomer Waffensysteme ist, desto unmöglicher wird es dem kontrollierenden Menschen, die ‚Black Box‘ zu durchschauen und Fehler oder Manipulation zu erkennen – also die von Algorithmen gelieferten Ergebnisse nachzuvollziehen, zu bewerten und notfalls auch zu korrigieren. In hochintensiven Lagen unter extremem Zeitdruck reduziert sich seine Rolle dann de facto auf eine Scheinkontrolle.“ [7]
Die Forderungen Menschen in der Entscheidungskette zu belassen mit der Möglichkeit gegebene Situationen mit hinreichender Sicherheit bewerten zu können („Meaningful Human Control“), wird in den meisten Fällen nicht realisierbar sein. Bei der Verwendung von Neuronalen Netzen sind Entscheidungen der Maschine eh nicht nachvollziehbar. Auch bei der Verwendung von symbolischer KI würden Entscheidungen der Maschine in der Regel nicht im Sinne von IF-THEN-ELSE-Verzweigungen in einem Entscheidungsbaum erfolgen, was eventuell relativ einfach nachvollziehbar wäre. Stattdessen basieren Entscheidungen auf Hunderten von Merkmalen, die unsicher und vage sind und mit irgendwelchen Formeln verrechnet werden. Eine einfache Kontrolle wird hierbei nicht möglich sein.

Atomkriegsrisiko steigt

Ein ungebremster Rüstungswettlauf von Atommächten auf Konfrontationskurs erhöht auch das Atomkriegsrisiko in erheblichem Umfang. [8]
In den letzten Jahren hat ein neues Wettrüsten in verschiedenen militärischen Dimensionen begonnen. Die meisten dieser Entwicklungen sind noch am Anfang und die Folgen kaum kalkulierbar.  Dies gilt für neue Trägersysteme von Atomwaffen, wie etwa die Hyperschallraketen, die geplante Bewaffnung des Weltraums, Laserwaffen, den Ausbau von Cyberkriegskapazitäten und die zunehmende Anwendung von Systemen der Künstlichen Intelligenz bis hin zu autonomen Waffensystemen. Alle diese Aspekte haben auch Wechselwirkungen mit Frühwarnsystemen zur Erkennung von Angriffen mit Atomraketen und werden die Komplexität dieser Systeme deutlich erhöhen.
Die Weiterentwicklung von Waffensystemen mit höherer Treffsicherheit, verbesserter Lenkbarkeit und immer kürzeren Flugzeiten (Hyperschallraketen) wird zunehmend Techniken der Künstlichen Intelligenz (KI) erforderlich machen, um für gewisse Teilaufgaben Entscheidungen automatisch zu treffen. Es gibt im Zusammenhang mit Frühwarnsystemen bereits Forderungen, autonome KI-Systeme zu entwickeln, die vollautomatisch eine Alarmmeldung bewerten und gegebenenfalls einen Gegenschlag auslösen, da für menschliche Entscheidungen keine Zeit mehr bleibt. Die für eine Entscheidung verfügbaren Daten sind in der Regel jedoch vage, unsicher und unvollständig. Deshalb können auch KI-Systeme in solchen Situationen nicht zuverlässig entscheiden. In der kurzen verfügbaren Zeit wird es kaum möglich sein, Entscheidungen der Maschine zu überprüfen. Dem Menschen bleibt nur zu glauben, was die Maschine liefert. Aufgrund der unsicheren und unvollständigen Datengrundlage werden weder Menschen noch Maschinen in der Lage sein, Alarmmeldungen zuverlässig zu bewerten.
Nach einem Bericht der „National Security Commission on Artificial Intelligence“ der USA vom November 2019 besteht die Gefahr, dass KI-fähige Systeme bisher unverletzliche militärische Positionen verfolgen und angreifen und somit die globale strategische Stabilität und nukleare Abschreckung untergraben könnten. Staaten könnten dadurch zu einem aggressiveren Verhalten verleitet werden, was die Anreize für einen Erstschlag erhöhen könnte.  In dem Bericht werden auch Vereinbarungen zwischen USA, Russland, China und anderen Nationen vorgeschlagen, um ein Verbot für einen durch KI-Systeme autorisierten oder ausgelösten Abschuss von Atomwaffen zu erwirken. [9]
Auch der SIPRI-Bericht über die Auswirkungen der KI auf die strategische Stabilität und die nuklearen Risiken warnt vor einem zunehmenden Einsatz von autonomen oder KI-basierten Entscheidungsunterstützungssystemen, die nur scheinbar ein klares Bild in kurzer Zeit liefern. Um ein gewisses Maß an Stabilität aufrechtzuerhalten, sei ein Austausch zwischen Militärs über die jeweiligen KI-Fähigkeiten erforderlich, um das Prinzip der nuklearen Abschreckung aufrecht erhalten zu können. [10] 
Unkalkulierbar sind auch potenzielle Cyberangriffe, wobei Komponenten oder Daten eines Frühwarnsystems manipuliert werden könnten, was auf vielfältige Art möglich sein kann.

KI –  gesellschaftliche Entwicklungstendenzen

Bei zivilen KI-Anwendungen gab es in den letzten Jahren einige Überraschungen, wobei unerwartete Fähigkeiten erreicht wurden, wie zuletzt mit Systemen der generativen KI, wie z.B. ChatGPT. Weltweit führende KI-Wissenschaftler und auch Chefs von großen KI-Unternehmen haben in 2023 eindringlich vor den möglichen Risiken dieser Entwicklung gewarnt. Auch eine Superintelligenz, bei der das menschliche Intelligenzniveau weit überschritten wird, wird in den nächsten Jahren für möglich gehalten. [11]
Mit Hilfe von Techniken von „deepfake“ und Systemen der generativen KI können massenhaft Texte, Bilder und Videos erzeugt werden, die vermeintliche Tatsachen vermitteln. Mit solchen Desinformationen können Menschen manipuliert und Gesellschaften destabilisiert werden. Wenn immer mehr Medieninhalte automatisch erzeugt werden, ohne Möglichkeit den Wahrheitsgehalt zu prüfen, wird politisches Handeln in demokratischen Staaten immer schwieriger. Chaos mit sozialen Verwerfungen, Aufständen und eventuell Bürgerkriege könnten die Folge sein. 
Zunehmend schwieriges politisches Handeln verbunden mit immer gefährlicheren Waffensystemen, wie z.B. die Weiterentwicklung  von Hyperschallraketen und die oben beschriebene Tendenz zu KI-basierten Waffen bilden eine Mischung, die für unsere politischen Systeme unbeherrschbar wird und auch durch Missverständnisse leicht zu einer globalen Katastrophe führen kann, z.B. in Form eines Atomkriegs aus Versehen.

Forderungen

Eine Politik, die einzig auf eine wechselseitige Konfrontation zwischen dem Westen und  Russland oder China setzt, wird zur Folge haben, dass gefährliche Waffensysteme auf allen Seiten mit höchster Priorität weiterentwickelt werden, einschließlich der Einbeziehung von Techniken der KI. Die aktuellen Kriege bieten ein „ideales Testfeld“ zur Erprobung und Perfektionierung dieser militärischen Fähigkeiten. Um eine globale Katastrophe zu vermeiden, die zu einer Vernichtung der Menschheit führen könnte, muss dieser Prozess umgekehrt werden.
Die aktuellen Kriege müssen so schnell wie möglich beendet werden. Statt Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sollte umfangreiche Diplomatie das Gebot der Stunde sein. An die Stelle eines gegenseitigen Konfrontationskurses  müssen Vertrauen, Kooperationen und gute Kommunikationskanäle wieder aufgebaut und verbessert werden. Hierbei müssen ökonomische und geostrategische Interessen der verschiedenen Seiten in Verhandlungsprozessen berücksichtigt werden.
Statt neue Hyperschallraketen in Ost und West zu stationieren sind wirksame Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle, einschließlich nuklearer Abrüstung erforderlich. Auch weltweite Vereinbarungen zum Verbot autonomer Waffensysteme und einer Regulierung der KI werden dringend benötigt. Die Abhängigkeit von Internetdiensten sollte nicht weiter steigen. Stattdessen müssen wichtige Infrastruktursysteme, wie das Gesundheitswesen und die Stromversorgung auch ohne Internet fehlerfrei funktionieren. Auch muss sichergestellt werden, dass gefährliche Waffensysteme, wie Atomraketen, nicht über das Internet ansteuerbar sind.
Hier soll zudem die Auffassung vertreten werden, dass derartige  international anzulegende Kontrollprozesse über eine Reform der UN unterstützt werden können – Reformprozesse,  die sowohl ihre Struktur als auch den Rechtsstatus der über die UN vertretenen Menschen betreffen. [12]
Die UN sind zum einen in ihrer Wirkmächtigkeit und finanziellen Unabhängigkeit zu stärken, damit sie auch die Macht bekommen, über die notwendigen Zukunftsentscheidungen maßgeblich zu bestimmen. Gleichzeitig – und immer etwas vor der Erweiterung der Befugnisse – sind die Vereinten Nationen zu demokratisieren, um demokratische Wahlen der UN-Gremien zu gewährleisten und eine legitime und institutionell ausbalancierte Kontrolle über die Entscheidungsgremien zu bekommen.
Immanuel Kant verband seine Idee vom Frieden zudem mit einer Veränderung bzw. notwendigen Ergänzung im Staats- und Völkerrecht:
„Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte (…) überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.“ [13]
Gegenwärtige Initiativen zur UN-Reform und zum Weltbürgerrecht [14] müssten auch die Forderungen hinsichtlich der internationalen Kontrolle der KI in ihre Agenda aufnehmen. [15]  Dies wird dann die Chancen, die in der gesellschaftlichen Anwendung vorhanden sind, aber auch die Probleme klären müssen, die sich aus einer ungenügend kontrollierten KI-Entwicklung, insbesondere im Zusammenhang mit inter- und intragesellschaftlichen Großkonflikten, ergeben.  Es ist zu erwarten, dass es bei mächtigen Akteuren, die in den Vereinten Nationen ihre Interessen ohne Verantwortung für das Ganze vertreten wollen, erhebliche Widerstände gegen eine UN-koordinierte Kontrolle der KI-Entwicklung geben wird. Doch hier geht es um zu viel, ohne zumindest den Einsatz dafür deutlich zu erhöhen, eine verantwortliche KI-Entwicklung für die weltbürgerliche Gemeinschaft zu erreichen.

Zu den Autoren:
Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, Informatiker mit Schwerpunkt KI, https://blaesius.net/
Prof. Dr. Klaus Moegling, Politikwissenschaftler und Soziologe, https://www.klaus-moegling.de/

Anmerkungen:
[1] Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden. Band 11, Frankfurt am Main 1977, S. 203.
[2] Kant,Immanuel: Werke in zwölf Bänden. Band 11, Frankfurt am Main 1977, aus dem Kapitel „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein.“, S. 210.
[3] Vgl. hierzu ausführlicher u.a. Moegling: Neuordnung. 5. aktualisierte Auflage (2024), Kapitel 1.2: Politische Krisen: Krise der UN, Rückzug der Demokratien und Wiederkehr autoritärer Herrschaftsformen. Frei lesbar in: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
[4] https://www.heise.de/news/Palantir-wirbt-mit-KI-Plattform-zur-Kriegsfuehrung-8981871.html
[5] https://www.heise.de/news/100-pro-Tag-statt-50-pro-Jahr-KI-liefert-Ziele-fuer-israelische-Luftangriffe-9547241.html?wt_mc=nl.red.ho.ho-nl-newsticker.2023-12-05.link.link.
[6] Kirsten Bialdiga, Christina Kyriasoglou: Kommandosache KI, Manager Magazin, Februar 2024, Seite 40-46.[
7]
Kersten Lahl, Johannes Varwick: Sicherheitspolitik verstehen – Handlungsfelder, Kontroversen und Lösungsansätze. Wochenschauverlag, 2. Auflage, 2021, Seite 134.
[8] Vgl. auch Müller, Bernd: KI würde im Krieg Atomwaffen rasch einsetzen.  In: Telepolis, https://www.telepolis.de/features/KI-wuerde-im-Krieg-rasch-Atomwaffen-einsetzen-9624831.html.
[9] Eric Schmidt, Robert O. Work, u.a.: National Security Commission on Artificial Intelligence – Interim Report, November 2019, https://www.epic.org/foia/epic-v-ai-commission/AI-Commission-Interim-Report-Nov-2019.pdf , Seite 11 und 46
[10] Vincent Boulanin (ed.): The Impact of Artificial Intelligence on Strategic Stability and Nuclear Risk. Sipri Report, https://www.sipri.org/sites/default/files/2019-05/sipri1905-ai-strategic-stability-nuclear-risk.pdf, 2019, Seite 50-51
[11] Siehe z.B. https://Ki-folgen.de 
[12] Vgl. hierzu u.a. Moegling, Klaus: Neuordnung.  Kapitel 5: Neuordnung des Systems internationaler Beziehungen. 5. aktualisierte Auflage (2024), frei lesbar in: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
[13] Kant, Immanuel: Werke in zwölf Bänden. Band 11, Frankfurt am Main 1977, aus dem Kapitel „Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“, S. 215.
[14] Vgl. https://www.democracywithoutborders.org/we-the-peoples/
[15] Bisherige Versuche der UN (UN-Beratungsgremium für künstliche Intelligenz) basieren nur auf unverbindlichen Empfehlungen, vgl. https://www.welt.de/debatte/kommentare/article249269132/UN-Gremium-Das-ist-noetig-um-die-KI-in-den-Griff-zu-bekommen.html.


(Eine etwas modifizierte Fassung dieses Artikels wurde in der Online-Zeitschrift Telepolis in zwei Teilen veröffentlicht:

Teil 1
Karl Hans Bläsius, Klaus Moegling
KI und Krieg: Entgleitet uns Menschen die Kontrolle?
Viele KI-Tools führen zur Verbesserung der Lebensqualität. Bei militärischen Anwendungen lauern aber große Gefahren. Eine Warnung.
https://www.telepolis.de/features/KI-und-Krieg-Entgleitet-uns-Menschen-die-Kontrolle-9638085.html, 25.2.2024.)

Teil 2
Klaus Moegling, Karl Hans Bläsius
KI und nukleare Risiken
Mitwirken der KI bei nuklearen Waffensystemen bedrohlich. Politische Forderungen müssen zu mehr Kontrolle führen. 
https://www.telepolis.de/features/KI-und-Krieg-Nukleare-Risiken-und-politische-Forderungen-9638955.html,  26.2.2024.)



Blog 6

Demonstrations and protests against the extreme right in Germany 

by Klaus Moegling
2/16/2024

'Remigration' and the North African 'model state'

The rise of the political right and far-right movements can be observed in Western countries. This is also the case in Germany. On the one hand, this is due to the dissatisfaction of large sections of the population with government policy, with more and more people feeling socially left behind. On the other hand, economic and political factors that can only be partially influenced by national policy also have an impact here. In particular, the complexity of many global problems - from the climate crisis to military escalations and the lack of transparency in the financial markets - strengthens the desire for simple solutions, which the far right appears to offer.
The percentage rise of the initially right-wing nationalist 'Alternative for Germany' (AfD) to become the strongest party - according to current surveys - in individual eastern German states, e.g. Thuringia or Saxony, therefore seemed unstoppable. The more right-wing extremist the party became, the greater its electoral success. Then the leading party of group-focused misanthropy came out with a racial-ethnic distinction between 'bio-Germans' and people with a migration background or migrants through a leaked secret meeting in a Potsdam villa. 
According to the Correctiv research center, the meeting was attended by right-wing nationalist politicians from the AfD, the 'Werte-Union' and two CDU politicians as well as right-wing extremist entrepreneurs and influencers. A Correctiv employee took part undercover and documented the proceedings.
The focus of the meeting, which included leading AfD members, was a so-called 'master plan' for the repatriation of millions of migrants ('remigration'), including Germans of migrant origin, 'non-assimilated persons' and uncomfortable people who oppose the deportation plans. In particular, the speech by the radical right-wing activist and author, Martin Sellner, the long-time spokesperson of the 'Identitarian Movement Austria', clearly crossed the red lines of right-wing populist discourse that have been accepted far too often up to now - according to Correctiv about Sellner's anti-constitutional speech:
"Sellner takes the floor. He explains the concept in the course of the speech as follows: there are three target groups of migrants who should leave Germany. Or, as he says, "to reverse the settlement of foreigners". He lists who he means: asylum seekers, foreigners with the right to stay - and "non-assimilated citizens". In his view, the latter are the biggest "problem". In other words, Sellner divides the people into those who should live in Germany unmolested and those for whom this basic right should not apply." (1)
On the one hand, migrants should be deported and on the other, all those who would oppose this 'remigration':
"One idea here is also a "model state" in North Africa. Sellner explains that up to two million people could live in such an area. Then you would have a place where you could "move" people. There would be opportunities for training and sport. And anyone who supports refugees could also go there." (2)
Sellner's 'master plan' was received positively by the participants and further speeches referred to it in more detail.

Public outcry in the republic

After Correctiv's research became known, there was a public outcry in Germany and the start of mass demonstrations against organized right-wing extremism and especially against the AfD: Within three weeks, protests with several million participants took place at the beginning of 2024, e.g. in Berlin with 500 organizing organizations and Hamburg with 180,000 participants. In Munich, 100,000 participants demonstrated. The TAZ calculated the number of participants in the anti-AfD demonstrations that had taken place by the time of publication (9.2.2024) at around three million (according to the organizers: four million participants). (3)
Memories of the '68 era and the fight for more democracy at that time came flooding back. For the first time since 1989, people took to the streets en masse and stood up for the fundamental values of the German constitution, which prohibit discriminatory distinctions between people. (4) This is presented in the leading media as a long-overdue symbolic act that is an expression of the functioning of democracy.
The AfD, on the other hand, shows fake photos of half-empty squares, even though there was usually barely enough space for the demonstrating crowds. The AfD is also trying to make excuses by calling the Potsdam conference at the Landhaus Adlon a 'private meeting'. Nevertheless, the personal advisor to AfD leader Alice Weidel, who had attended the conference, immediately lost his job. Robert Pausch therefore concludes in 'Die Zeit':
"For a party that claims to represent the silent majority, it is after all a strategic problem to be taken seriously when a vocal majority stands up against it and also sets the record straight in purely numerical terms: 25,000 participants demonstrated at the height of the right-wing mobilization in the Pegida year of 2015, between one and one and a half million people did so last weekend alone, depending on how you count." (5)
Members of the Bundestag and members of the government of the traffic light parties and parts of the opposition in the Bundestag also repeatedly took part in the anti-AfD demonstrations and demonstrations against right-wing extremism. Their motivation here could also lie in the elimination of unwelcome party competition and in the promotional ingratiation with the demonstrators. It is also often critically argued that their decisions were often the cause of the AfD's electoral success. If the responsible politicians had developed and implemented policies that were in the interests of the citizens, the rise of the AfD would not have been possible. According to journalist Philipp Fess (2024) in Telepolis: 
"The almost total taboo on the subject of migration has contributed to the fact that only the political fringe forces still dare to venture beyond the horizon of what is socially sanctioned. The right-wingers are single-handedly exploring the no-man's land behind the thought bans, so to speak." (6)

The anti-AfD demonstrations as an expression of a revitalized democracy?

The question now is whether the current anti-AfD demonstrations are more than just a self-affirmation of identity by progressive milieus. It is possible that the demonstrations are becoming smaller from week to week until only the small group of activists who otherwise demonstrate against the AfD remain.
David Begrich, an employee of the Magdeburg 'Arbeitsstelle Rechtsextremismus', sees the anti-AfD demonstrations as an important clarification and contrast to right-wing extremist politics on the one hand, but on the other he believes that a break in the AfD's increasing success can only be achieved through a longer-term perspective of activity: 
"I don't think we should be under the illusion that these demonstrations will break up the right-wing spaces of dominance. (...) This would require these demonstrations to be transformed into a small-scale, long-term commitment on the local level." (7)
In any case, people need to realize that the state elections in Saxony, Thuringia and Brandenburg and the local elections in Mecklenburg-Western Pomerania in 2024 are all about the big issues - the question is: "Will the AfD succeed in setting off something like an initial impulse for an authoritarian right-wing social order in eastern Germany?" (8) The far right sees eastern Germany as a testing ground for its socio-political concepts and it must now be clear, especially to those who are undecided, that "everything is at stake". 
In the same interview, Heike Kleffner from the 'Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.' (Association of Counselling Centers for Victims of Right-Wing, Racist and Anti-Semitic Violence) makes it clear that it will take even more courage in eastern Germany than in western Germany to protest against the dominance of the far right in many places. The demonstrations against the AfD have broken the "right-wing extremist dominance in public space" for the first time since the coronavirus pandemic. In places such as Zwickau and Stralsund, thousands of demonstrators have shown that it is not the extreme right that represents the majority and that there are also democratic counter-movements to this. This is also very important for the undecided, who have not yet dared to express their opinion against right-wing extremist hegemony in everyday life. (9)
In this sense, the current demonstrations may well be a strengthening of democracy through grassroots democratic activities. The weakness of parliamentary democracy, which allows almost no forms of co-determination and action at federal level in the sense of direct democracy, is countered by the mass gatherings and rallies against the extreme right that are currently taking place. And: it is not primarily about criticizing individual politicians or ruling parties, but about a commitment to democracy and the fundamental content of the constitution.
However, the question is how long the anti-symbol AfD will strengthen the fragile solidarity in the center of society. When will the loss of solidarity in times of social tension and divisive resource struggles take hold again? However, the assessment of a future fading anti-AfD movement is countered by the fact that state and local elections are due in 2024 and, of course, the next federal election in late summer or fall 2025, which is already in the public eye. Here, the issue of right-wing radicalism and the AfD will continue to be in the public focus. If the AfD succeeds in gaining government responsibility in the federal states or even at federal level, this will have serious implications for justice and the quality of life in Germany. Critics who describe the current parliamentary system as a 'façade democracy' will long for the republic before the AfD's possible triumph.

"Never again 1933!"

The question now arises as to whether the numerous parallels and comparisons drawn between today and the beginning of the Nazi era before 1933 are actually true or whether they are an inadmissible exaggeration. Niklas Nelle (2024) rightly doubts that the situation is identical:
"Nevertheless, we are not currently "shortly before 1933", the year of the transfer of power, the ban on trade unions, the book burnings, the founding of the Dachau concentration camp and the introduction of the "Aryan certificate".
From 1933, Jews could no longer work as civil servants or public employees. Within a few weeks, the opposition was eliminated, minorities were harassed and the German people were sworn to the National Socialist project. We are not at that point in 2024. And yet that is no reason to give the all-clear." (10)
However, this needs to be clarified and looked at more closely in future: can the politics of the AfD be equated with the politics of fascism and its extreme forms of German National Socialism or is a more differentiated analysis necessary? Is the AfD a fascist party or a national-chauvinist bourgeois party with individual right-wing extremist members? The answer to these questions will then also determine the extent to which the AfD and its youth organization 'Junge Alternative' should be allowed to continue to operate without restriction or whether individual members judged to be fascist should have their eligibility for election revoked. After all, the historical experience of Weimar Germany led to the concept of 'defending democracy' being very deliberately enshrined in Germany's Constitution to protect democracy against its declared enemies. However, it must be borne in mind that a ban on the AfD by the Federal Constitutional Court would be the most powerful instrument available to the German state. Restrictive instruments should therefore also be used step by step, which are below the level of a party ban, but which could also be suspended again if the AfD is shown to be moving in a different direction.

Consequences of the rise of radical right-wing forces and the AfD in particular

The strengthening of the extreme right is not a German phenomenon, but can currently be observed throughout Europe. The following considerations therefore also apply, at least in part, to other European countries. 
The consequences of a political response to the rise of the far right relate in particular to 'good policy' on the part of the responsible governments, but also to a permanent commitment from below.
First of all, the public and educational institutions need to address the rather simple demands of the AfD in a differentiated and fact-based manner, so that it becomes clear that the AfD's demands cannot solve the existing problems that require much more complex solutions. For example, the renaissance of fossil fuels called for by the AfD is in contrast to the political need for action resulting from the increasingly urgent climate crisis; the demand for the reactivation of nuclear power plants ignores the permanent danger of accidents, the extreme costs and the lack of disposal options; the demand for the reduction of social benefits reinforces social divisions and is at the expense of the disadvantaged, etc.

Measures of a resilient democracy

In response to right-wing extremist murders (e.g. in Hanau), the planned rebellion by 'Reichsbürger' and presumably also in reaction to the talks in the Potsdam Villa on the remigration of millions of Germans, Federal Interior Minister Faeser proposed the following measures in the spirit of a resilient democracy (11):
- An early detection unit that can take timely action against fake accounts and AI-controlled misinformation;
- the tightening of gun laws for right-wing extremists;
- the uncovering and drying up of financial sources of right-wing extremist organizations by the Office for the Protection of the Constitution, which should be strengthened in its competence in this area;
- an amendment to the Constitution to protect the Federal Constitutional Court against enemies of democracy;
- preventing right-wing extremists from entering and leaving the country;
- a stricter disciplinary law for the civil service to make it easier to remove right-wing extremists from the service.
The concept of 'resilient democracy' seems to be taken seriously here. The question is how far a democracy is allowed to go here so that it does not abolish itself in its defense against enemies of the constitution. The extremist ban ('Berufsverbote') practiced in Germany for a long time, which was once mainly directed against the left, was banned by the European Court of Justice as undemocratic and unlawful. It had to be withdrawn by the German government. The danger of the expansion of surveillance and spying by state authorities also involves the risk of creeping de-democratization. This means that the balance between measures for a defensive democracy and the need to avoid damaging democratic structures must be carefully balanced.
Demonstrations against the rise of radical right-wing parties and groups also provide a grassroots democratic opportunity to express themselves symbolically and strengthen the sense of belonging in the still democratically-minded social mainstream. They also exert pressure on governing politicians at all levels to continue to reject coalitions and organized cooperation with the AfD ('firewall'), which should not be underestimated. Nevertheless, demonstrations should also lead to systematic and long-term engagement on the ground everywhere and especially in places where radical right-wing groups still dominate the public sphere.
However, according to the TAZ, it is particularly important for elected officials at all levels to pursue 'good' policies that do not contradict the needs and interests of the people:
"It is also the world situation determined by many crises that makes people vote for the AfD. The feeling of the weakness of the nation state, the climate crisis, the fear of the middle class of being left behind. All of this is leading to the rise of the right-wing populists, and not just in Germany, and it cannot simply be demonstrated away." (12)
This also means creating intelligent, practicable and humane solutions to the migration problem. After all, the AfD's recipe for success lies in the long tabooing and neglect of this issue.
Above all, it is important to develop positive ideas for the future that are concrete and comprehensible and show how a multicultural society can be developed democratically and fairly and how people from different backgrounds can live together peacefully.


Notes:
(1) Correctiv (2024): Secret plan against Germany. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/, 10.1.2024, 11.2.2024.
(2) Correctiv (2024): Secret plan against Germany. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ ,10.1.2024, 11.2.2024.
(3)  https://taz.de/Protestwelle-gegen-Rechtsextremismus/!5991343/, 9.2.2024, 11.2.2024.
(4) See also Angele, Michael (2024): Anti-AfD demos: A whiff of 1968 on the streets. In: Der Freitag, https://www.freitag.de/autoren/michael-angele/ein-hauch-von-68-auf-den-strassen, issue 5/2024.
(5) Pausch, Robert (2024): There has never been so much center. In: Die Zeit, from 8.2.2024, p.1.
(6)  Philipp Fess (2024): The AfD and taboos in the debate: Why the political center is failing. In: Telepolis, https://www.telepolis.de/features/Die-AfD-und-Tabus-in-der-Debatte-Warum-die-politische-Mitte-versagt-9624676.html?seite=all, 10.2.2024, 10.2.2024.
(7)  Quote from the podcast interview by Ebru Taşdemir with Heike Kleffner and David Begrich: Dealing with the AfD: do demos, party bans or alliances help? https://www.freitag.de/autoren/podcast/podcast-zum-umgang-mit-der-afd-helfen-demos-parteiverbote-oder-buendnisse, undated, 11.2.2024, 09:55-10:23.
(8) Cf. the corresponding statements by David Begrich in Ebru Taşdemir's podcast interview with Heike Kleffner and David Begrich: Dealing with the AfD: do demos, party bans or alliances help? https://www.freitag.de/autoren/podcast/podcast-zum-umgang-mit-der-afd-helfen-demos-parteiverbote-oder-buendnisse, undated, 11.2.2024, 19:10ff.
 (9) Cf. the corresponding statements by Heike Kleffner in the podcast interview by Ebru Taşdemir with Heike Kleffner and David Begrich: Dealing with the AfD: do demos, party bans or alliances help? https://www.freitag.de/autoren/podcast/podcast-zum-umgang-mit-der-afd-helfen-demos-parteiverbote-oder-buendnisse, undated, 11.2.2024, 10:45ff.
(10)  Kersten Augustin (2024): Getting smaller, but finer. In: TAZ, https://taz.de/Demos-gegen-rechts/!5987599/, 9.2.2024, 11.2.2024.
(11) Cf. https://www.tagesschau.de/inland/faeser-rechtsextremismus-108.html, 9.2.2024, 13.2.2024.
(12) https://taz.de/Proteste-gegen-Rechtsextreme/!5987699/, 4.2.2024, 11.2.2024.


 Blog 6

Demonstrationen und Proteste gegen die extreme Rechte in Deutschland


von: Klaus Moegling

16.2.2024

‚Remigration‘ und nordafrikanischer ‚Musterstaat‘ 

In westlichen Staaten lässt sich ein Aufkommen der politischen Rechten und auch rechtsextremer Bewegungen feststellen. Auch ist dies in Deutschland der Fall. Dies hängt einerseits mit der Unzufriedenheit in größeren Teilen der Bevölkerung mit der Regierungspolitik zusammen, bei der sich zunehmend Menschen sozial abgehängt fühlen. Andererseits wirken hier auch ökonomische und politische Faktoren, die von nationaler Politik nur zum Teil zu beeinflussen sind. Insbesondere die Komplexität vieler globaler Problemlagen – von der Klimakrise, über miltärische Eskalationen und der Intransparenz der Finanzmärkte – stärkt den Wunsch nach einfachen Lösungen, welche die extreme Rechte scheinbar bietet.
Der prozentualer Aufstieg der zunächst rechtsnationalen ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD) bis hin zur stärksten Partei – nach aktuellen Umfragen – in einzelnen ostdeutschen Bundesländern, z.B. Thüringen oder Sachsen, schien daher unaufhaltbar. Je rechtsradikaler sich die Partei entwickelte, desto größer war ihr Wahlerfolg. Dann outete sich die führende Partei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mit einer völkisch-ethnischen Unterscheidung zwischen ‚Biodeutschen‘ und Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Migranten durch ein geleaktes Geheimtreffen in einer Potsdamer Villa.
Dort nahmen – laut dem Recherche-Zentrum Correctiv – rechtsnationale Politiker von der AfD, der Werte-Union und zwei CDU-Politiker sowie rechtsextreme Unternehmer und Influenzer an der Tagung teil. Ein Correctiv-Mitarbeiter nahm verdeckt teil und sicherte die Vorgänge.
Im Fokus des u.a. mit führenden AfD-Mitgliedern besetzten Treffens stand ein sogenannter ‚Masterplan‘ zur Rückführung von Millionen Migranten (‚Remigration‘), auch Deutscher mit Migrationsherkunft, ‚nicht assimilierter Personen‘ sowie von unbequemen Menschen, die sich gegen die Deportationspläne sperren. Insbesondere der Redebeitrag des rechtsradikalen Aktivisten und Autors, Martin Sellner, dem langjährigen Sprecher der ‚Identitären Bewegung Österreich‘, überschritt deutlich die bisher immer noch viel zu häufig akzeptierten roten Linien des rechtspopulistischen Diskurses – so Correctiv über Sellners verfassungsfeindlichen Redebeitrag:
„Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.“ [1]
Einerseits sollten Migranten deportiert werden und andererseits alle diejenigen, die sich dieser ‚Remigration‘ widersetzen würden:
„Eine Idee ist dabei auch ein „Musterstaat“ in Nordafrika. Sellner erklärt, in solch einem Gebiet könnten bis zu zwei Millionen Menschen leben. Dann habe man einen Ort, wo man Leute „hinbewegen“ könne. Dort gebe es die Möglichkeit für Ausbildungen und Sport. Und alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten auch dorthin.“ [2] 
Sellners ‚Masterplan‘ wurde von den Teilnehmern positiv aufgenommen und weitere Redebeiträge bezogen sich konkretisierend hierauf. 

Öffentlicher Aufschrei in der Republik 

Nach dem Bekanntwerden der Recherchen von Correctiv kam es zu einem öffentlichen Aufschrei in Deutschland und zu einem Einsetzen von Massendemonstrationen gegen den organisierten Rechtsextremismus und insbesondere gegen die AfD: Innerhalb von drei Wochen fanden Anfang 2024 Proteste mit mehreren Millionen Teilnehmern statt, z.B. in Berlin mit 500 veranstaltenden Organisationen und Hamburg mit 180.000 Teilnehmern. In München demonstrierten 100.000 Teilnehmer. Die TAZ berechnet die Teilnehmerzahl der bis zum Veröffentlichungszeitpunkt (9.2.2024) erfolgten Anti-AfD-Demonstrationen mit ca. drei Millionen Teilnehmern (nach Veranstalterangaben: vier Mill. Tn). [3]
Erinnerungen an die 68er-Zeit und dem damaligen Kampf für mehr Demokratie wurden wach. Die Menschen gehen erstmals seit 1989 wieder massenhaft auf die Straße und setzen sich für die Grundwerte des Grundgesetzes ein, die eine diskriminierende Unterscheidung der Bevölkerung verbieten. [4] Dies wird in den Leitmedien als längst fällige symbolische Handlung dargestellt, die ein Ausdruck des Funktionierens der Demokratie sei.
Die AfD hingegen zeigt gefakte Fotos von halb leeren Plätzen, obwohl in der Regel der Platz für die demonstrierenden Menschenmengen kaum ausreichte. Auch will sich die AfD mit der Bezeichnung der Potsdamer Tagung im Landhaus Adlon als ‚privates Treffen‘ herausreden. Dennoch verliert der persönliche Referent der AfD-Spitzenpolitikerin Alice Weidel, der an der Tagung teilgenommen hatte, umgehend seinen Job. Daher folgert Robert Pausch in ‚Die Zeit‘:
„Für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die schweigende Mehrheit zu vertreten, stellt es eben doch ein ernst zu nehmendes strategisches Problem dar, wenn eine lautstarke Mehrheit dagegen aufsteht und auch rein zahlenmäßig die Verhältnisse einmal geraderückt: 25.000 Teilnehmer demonstrierten auf dem Höhepunkt der rechten Mobilisierung im Pegida-Jahr 2015, zwischen einer und anderthalb Millionen Menschen waren es, je nach Zählweise, allein am vergangenen Wochenende.“ [5]
Auf den Anti-AfD-Demonstrationen bzw. Demos gegen den Rechtsextremismus nahmen auch immer wieder Bundestagsabgeordnete und Regierungsmitglieder der Ampelparteien und Teilen der Opposition im Bundestag teil. Hierbei könnte deren Motivation auch im Ausschalten einer unliebsamen Parteienkonkurrenz und in der werbenden Anbiederung an die Demonstrierenden liegen. Ebenfalls wird des Öfteren kritisch eingewendet, dass gerade ihre Entscheidungen doch oftmals auch Ursache der AfD-Wahlerfolge gewesen seien. Würden die verantwortlichen Politiker eine Politik entwickeln und umsetzen, die den Interessen der Bürger entsprechen würden, dann wäre auch der Aufstieg der AfD nicht möglich gewesen. So der Journalist Philipp Fess (2024) in Telepolis:
„Das nahezu totale Tabu über dem Thema Migration hat dazu beigetragen, dass nur die politischen Randkräfte sich noch über den Horizont des gesellschaftlich Sanktionierten wagen. Die Rechten ergründen sozusagen im strammen Alleingang das Niemandsland hinter den Gedankenverboten.“ [6] 

Die Anti-AfD-Demonstrationen als Ausdruck einer revitalisierten Demokratie? 

Die Frage ist nun, ob es sich bei den derzeitigen Anti-AfD-Demonstrationen um mehr als nur eine identitätswirksame Selbstvergewisserung progressiver Milieus handelt. Möglicherweise werden die Demonstrationen von Woche zu Woche kleiner, bis nur noch das Häufchen Aktivisten übrig bleibt, das auch ansonsten gegen die AfD demonstriere.
Der Mitarbeiter der Magdeburger ‚Arbeitsstelle Rechtsextremismus‘, David Begrich, sieht in den Anti-AfD-Demonstrationen einerseits eine wichtige Klarstellung und Kontrastierung gegenüber rechtsextremer Politik, andererseits ist er der Auffassung, dass sich eine Brechung des ansteigenden AfD-Erfolgs nur durch eine längerfristige Aktivitätsperspektive erreichen lasse:
„Ich glaube, man darf sich nicht die Illusion machen, dass diese Demonstrationen die rechten Dominanzräume aufbrechen. (…) Dafür bräuchte es die Überführung dieser Demonstrationen in ein kleinteiliges langfristiges Engagement vor Ort.“ [7]
In jedem Fall müsse den Menschen klar werden, dass es mit den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und auch den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2024 um das Ganze gehe – es stelle sich die Frage: „Gelingt es der AfD so etwas wie eine Initialzündung für eine autoritär formierte rechte Gesellschaftsordnung in Ostdeutschland vom Zaun zu brechen?“ Die extreme Rechte betrachte Ostdeutschland als Experimentierfeld für ihre gesellschaftspolitischen Konzepte und es müsse vor allem den Unentschlossenen jetzt klar sein, dass es „um Alles“ gehe. [8]
Heike Kleffner vom ‚Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.‘ macht im gleichen Interview deutlich, dass es im Osten Deutschlands noch mehr Mut als in Westdeutschland brauche, um gegen die rechtsextreme Dominanz in vielen Orten auf die Straße zu gehen. Durch die Demonstrationen gegen die AfD sei erstmals seit dem Eintreten der Corona-Pandemie die „rechtsextreme Dominanz im öffentlichen Raum“ gebrochen worden. In Orten, wie in Zwickau oder Stralsund, hätten Tausende Demonstranten gezeigt, dass es nicht die extreme Rechte ist, welche die Mehrheit darstellt und es auch demokratische Gegenbewegungen hierzu gäbe. Dies sei auch sehr wichtig für die Unentschiedenen, die sich bisher nicht trauen würden, ihre Meinung gegen eine rechtsextreme Hegemonie im Alltag zu äußern. [9] 
In diesem Sinne kann es sich also durchaus bei den derzeitigen Demonstrationen um eine Stärkung der Demokratie durch basisdemokratische Aktivitäten handeln. Der Schwäche der parlamentarischen Demokratie, fast keine Mitbestimmungs- und Aktionsformen auf Bundesebene im Sinne direkter Demokratie zu ermöglichen, werden die derzeit erlebbaren massenhaften Versammlungen und Kundgebungen gegen die extreme Rechte entgegengesetzt. Und: Es geht nicht primär um die Kritik an einzelnen Politikern oder regierenden Parteien sondern um ein Engagement für die Demokratie und die grundlegenden Verfassungsinhalte. 
Die Frage ist allerdings, wie lange das Antisymbol AfD den brüchigen Zusammenhalt in der gesellschaftlichen Mitte stärkt. Wann schlägt die Entsolidarisierung in Zeiten gesellschaftlicher Anspannung und spaltender Ressourcenkämpfe wieder durch? Der Einschätzung einer zukünftig auslaufenden Anti-AfD-Bewegung stehen allerdings der Fakt der in 2024 anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen sowie natürlich die bereits im öffentlichen Fokus stehende nächste Bundestagswahl im Spätsommer bzw. Herbst 2025 entgegen. Hier wird das Thema des Rechtsradikalismus und der AfD weiterhin in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Wenn es der AfD gelingt, in den Bundesländern oder gar auf Bundesebene in Regierungsverantwortung zu kommen, hat dies gravierende Kompetenzen für die Gerechtigkeit und die Lebensqualität in Deutschland. Da werden sich die Kritiker, die das aktuelle parlamentarische System als ‚Fassadendemokratie‘ bezeichnen, noch an die Republik vor einem etwaigen Siegeszug der AfD zurücksehnen. 

„Nie wieder 1933!“ 

Es stellt sich nun die Frage, ob die zahlreich gezogenen Parallelen und Vergleiche zwischen heute und dem Beginn der Nazizeit vor 1933 tatsächlich zutreffen oder eine unzulässige Überspitzung darstellen. Niklas Nelle (2024) zweifelt zu Recht an, dass es sich um eine identische Situation handele:
„Dennoch stehen wir aktuell nicht „kurz vor 1933“, dem Jahr der Machtübergabe, des Verbots der Gewerkschaften, der Bücherverbrennungen, der Gründung des KZ Dachau und der Einführung des „Ariernachweises“.
Ab 1933 konnten Jüdinnen und Juden nicht mehr als Beamte oder öffentliche Angestellte arbeiten. Innerhalb weniger Wochen wurde damals die Opposition ausgeschaltet, Minderheiten drangsaliert und das deutsche Volk auf das nationalsozialistische Projekt eingeschworen. So weit sind wir 2024 nicht. Und trotzdem ist das kein Grund zur Entwarnung.“ [10] 
Zu klären und genau hinzuschauen ist allerdings zukünftig hierauf: Kann die Politik der AfD mit der Politik des Faschismus und seiner extremen Formen des deutschen Nationalsozialismus gleichgesetzt werden oder ist eine differenziertere Analyse notwendig? Handelt es sich bei der AfD um eine faschistische Partei oder um eine nationalchauvinistisch-bürgerliche Partei mit einzelnen rechtsextremen Mitgliedern? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt dann auch ab, inwieweit die AfD und auch ihre Jugendorganisation ‚Junge Alternative‘ uneingeschränkt weiterhin agieren dürfen bzw. einzelnen als faschistisch beurteilten Mitgliedern die Wählbarkeit entzogen werden sollte. Denn: Aus der historischen Erfahrung von Weimar heraus ist das Konzept der ‚Wehrhaften Demokratie‘ sehr bewusst im bundesdeutschen Grundgesetz verankert worden, um die Demokratie gegen ihre erklärten Feinde zu schützen. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass ein Verbot der AfD durch das Bundesverfassungsgericht das mächtigste Instrument wäre, das der bundesdeutsche Staat zur Verfügung hätte. Daher sind auch Schritt für Schritt restriktive Instrumente einzusetzen, die unterhalb des Parteienverbots angesiedelt sind, die allerdings auch wieder ausgesetzt werden könnten, wenn sich die AfD nachweisbar in eine andere Richtung entwickeln würde. 

Konsequenzen aus dem Erstarken rechtsradikaler Kräfte und insbesondere der AfD 

Das Erstarken der extremen Rechten ist kein bundesdeutsches Phänomen, sondern lässt sich derzeit überall in Europa beobachten. Daher sind die folgenden Überlegungen, zumindest zum Teil auch auf andere europäische Staaten zu beziehen. 
Die Konsequenzen hinsichtlich einer politischen Reaktion auf das Anwachsen der extremen Rechten beziehen sich insbesondere auf eine ‚gute Politik‘ der verantwortlichen Regierungen, aber auch auf ein permanentes Engagement von unten. 
Zunächst einmal gilt es, sich in der Öffentlichkeit und auch in Bildungsinstitutionen argumentativ – differenziert und faktengestützt – mit den recht simplen Forderungen der AfD auseinanderzusetzen, so dass deutlich wird, dass die AfD-Forderungen die vorhandenen nach wesentlich komplexeren Lösungsansätzen verlangenden Probleme nicht lösen können. Die von der AfD geforderte Renaissance der fossilen Energieträger steht beispielsweise in einem Gegensatz zu den politischen Handlungsnotwendigkeiten, die sich aus der immer drängender werdenden Klimaproblematik ergeben; die Forderung nach der Reaktivierung der Atomkraftwerke blendet die permanente Gefahr von Störfällen, die extremen Kosten und die fehlende Entsorgungsmöglichkeit aus; der geforderte Abbau von Sozialleistungen verstärkt gesellschaftliche Spaltungen und geht zu Lasten von Benachteiligten etc. 

Maßnahmen der wehrhaften Demokratie 

Die Bundesinnenministerin Faeser schlug in Reaktion auf rechtsextremistisch motivierte Morde (u.a. in Hanau), auf den geplanten Putsch der 'Reichsbürger' sowie vermutlich auch in Reaktion auf die Gespräche in der Potsdamer Villa zur Remigration Millionen Deutscher folgende Maßnahmen im Sinne der Wehrhaften Demokratie vor [11]:
·         Eine Früherkennungseinheit, die rechtzeitig gegen Fake-accounts und KI-gesteuerter Fehlinformation vorgehen kann;
·         die Verschärfung der Waffengesetze für Rechtsextremisten;
·         die Aufdeckung und Austrocknung von Finanzquellen rechtsextremer Organisationen durch den in seiner Kompetenz hier zu stärkenden Verfassungsschutz;
·         eine Änderung des Grundgesetzes, um das Bundesverfassungsgericht gegen Demokratiefeinde zu schützen;
·         die Verhinderung der Ein- und Ausreise von Rechtsextremisten;
·         ein verschärftes Disziplinarrecht für den öffentlichen Dienst, um leichter Rechtsextremisten aus dem Dienst entfernen zu können.
Hier scheint man mit dem Konzept der 'wehrhaften Demokratie' ernst machen zu wollen. Die Frage ist, wie weit eine Demokratie hier gehen darf, damit sie sich in der Gegenwehr gegen Verfassungsfeinde nicht selbst abschafft. Der in Deutschland lange Zeit praktizierte Extremistenerlass (‚Berufsverbote‘), der sich einst vorwiegend gegen die Linke richtete, wurde als undemokratisch und rechtswidrig vom Europäischen Gerichtshof verboten. Er musste von der deutschen Regierung zurück genommen werden. Auch die Gefahr der Ausweitung der Überwachung und Bespitzelung durch Staatsorgane birgt die Gefahr einer schleichenden Entdemokratisierung in sich. Dies bedeutet, dass die Balance zwischen Maßnahmen einer wehrhaften Demokratie und der Notwendigkeit, hierdurch die demokratischen Strukturen nicht zu beschädigen sorgfältig austariert werden muss.
Auch Demonstrationen gegen das Erstarken rechtsradikaler Parteien und Gruppierungen bilden eine basisdemokratische Gelegenheit, sich symbolisch Ausdruck zu verleihen und das Zusammengehörigkeitsgefühl in der noch demokratisch gesonnenen gesellschaftlichen Mitte zu stärken. Auch üben sie einen nicht zu unterschätzenden Druck auf regierende Politiker_innen auf allen Ebenen aus, Koalitionen und organisierte Zusammenarbeit mit der AfD weiterhin abzulehnen (‚Brandmauer‘). Dennoch müssten Demonstrationen auch in ein systematisches und längerfristiges Engagement vor Ort überall und insbesondere dort münden, wo bislang rechtsradikale Gruppierungen noch die Deutungshoheit im öffentlichen Raum haben.
Es gilt allerdings vor allem für die gewählten Verantwortlichen auf allen Ebenen, eine ‚gute‘ Politik zu machen, die nicht den Bedürfnissen und Interessen der Menschen widerspricht – so die TAZ:
„Es ist auch die von vielen Krisen bestimmte Weltlage, die Menschen dazu bringt, die AfD zu wählen. Das Gefühl der Schwäche des Nationalstaats, die Klimakrise, die Angst der Mittelschicht, abzusteigen. All das führt ja nicht nur in Deutschland zu einem Aufstieg der Rechtspopulisten und lässt sich nicht einfach wegdemonstrieren.“ [12] 
Dies bedeutet also auch, sinnvolle, realisierbare und menschlich vertretbare Lösungen für die Migrationsproblematik zu schaffen. Denn in der langen Tabuisierung und Vernachlässigung dieser Thematik liegt das Erfolgsrezept der AfD begründet. 
Vor allem gilt es, positive Zukunftsvorstellungen zu entwickeln, die konkret und nachvollziehbar sind und zeigen, wie eine multikulturelle Gesellschaft demokratisch und gerecht weiterentwickelt werden kann und Menschen unterschiedlicher Herkunft hierbei friedlich zusammen leben können. 

 

Anmerkungen 

[1] Correctiv (2024): Geheimplan gegen Deutschland. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/, 10.1.2024, 11.2.2024.
[2] Correctiv (2024): Geheimplan gegen Deutschland. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ ,10.1.2024, 11.2.2024.
[3] https://taz.de/Protestwelle-gegen-Rechtsextremismus/!5991343/, 9.2.2024, 11.2.2024.
[4] Vgl. auch Angele, Michael (2024): Anti-AfD-Demos: Ein Hauch von 1968 auf den Straßen. In: Der Freitag,  https://www.freitag.de/autoren/michael-angele/ein-hauch-von-68-auf-den-strassen, Ausgabe 5/2024.
[5] Pausch, Robert (2024): So viel Mitte war nie. In: Die Zeit, vom 8.2.2024, S.1.
[6] Philipp Fess (2024): Die AfD und Tabus in der Debatte: Warum die politische Mitte versagt. In: Telepolis, https://www.telepolis.de/features/Die-AfD-und-Tabus-in-der-Debatte-Warum-die-politische-Mitte-versagt-9624676.html?seite=all, 10.2.2024, 10.2.2024.
[7] Zitat aus dem Podcast-Interview von Ebru Taşdemir mit Heike Kleffner und David Begrich: Umgang mit der AfD: helfen Demos, Parteiverbote oder Bündnisse? https://www.freitag.de/autoren/podcast/podcast-zum-umgang-mit-der-afd-helfen-demos-parteiverbote-oder-buendnisse, o.D., 11.2.2024, 09:55-10:23.
[8] Vgl. die entsprechenden Aussagen von David Begrich im Podcast-Interview von Ebru Taşdemir mit Heike Kleffner und David Begrich: Umgang mit der AfD: helfen Demos, Parteiverbote oder Bündnisse? https://www.freitag.de/autoren/podcast/podcast-zum-umgang-mit-der-afd-helfen-demos-parteiverbote-oder-buendnisse, o.D., 11.2.2024, 19:10ff..
[9] Vgl. die entsprechenden Aussagen von Heike Kleffner im Podcast-Interview von Ebru Taşdemir mit Heike Kleffner und David Begrich: Umgang mit der AfD: helfen Demos, Parteiverbote oder Bündnisse? https://www.freitag.de/autoren/podcast/podcast-zum-umgang-mit-der-afd-helfen-demos-parteiverbote-oder-buendnisse, o.D., 11.2.2024, 10:45ff.

[10] Kersten Augustin (2024): Kleiner, aber feiner werden. In: TAZ, https://taz.de/Demos-gegen-rechts/!5987599/, 9.2.2024, 11.2.2024.
[11] Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/faeser-rechtsextremismus-108.html, 9.2.2024, 13.2.2024.
[12] https://taz.de/Proteste-gegen-Rechtsextreme/!5987699/, 4.2.2024, 11.2.2024.

(Der Text wurde in modifizierter Form erstmals in 'Telepolis veröffentlicht': Stärken die Anti-AfD-Proteste die Demokratie? In: https://www.telepolis.de/features/Staerken-die-Anti-AfD-Proteste-die-Demokratie-9626421.html, 13.2.2024)



Blog 7

Hyperschallwaffen: Der schnelle Weg zum globalen Inferno?

 
von: Karl-Wilhelm Koch, Klaus Moegling, Bernhard Trautvetter

 

08. Februar 2024 

 
Russland und China besitze nuklear bestückbare Hyperschallraketen. Nun droht eine US-Stationierung in Deutschland und in Osteuropa. Die Gefahren sind erheblich.

Im Angesicht der erschreckenden Aussichten, die sich der Menschheit eröffnen, werden wir uns umso stärker der Tatsache bewusst, dass Frieden der einzige lohnenswerte Kampf ist.
Albert Camus

Die Monatszeitschrift Le Monde Diplomatique  (01/2024) hat unlängst die Entwicklung von Hyperschallraketen in allen Staaten, die an ihnen arbeiten, in einen brisanten Zusammenhang gestellt.

Die neue Ära der Hyperschallraketen

Die Zunahme internationaler Spannungen, die Kriege unserer Tage sowie der militärisch-industrielle Komplex in den führenden Staaten des Weltwaffenhandels destabilisierten die Lage der Menschheit:
"Der weltweite Waffenmarkt, der durch die aktuellen Kriege wie elektrisiert ist, profitiert (…) von der Ausweitung auf neue Geschäftsbereiche (…).
Auch Hyperschallwaffen, für die sich immer mehr Staaten interessieren, zählen dazu. Hier liefern sich die USA und Russland einen Wettlauf. Weitere Beispiele sind Instrumente für Cyberabwehr und Cyberangriffe, für den ›Informationskrieg‹ und zur Verteidigung von Kommunikationsnetzen."
(1)

Appell gegen Hyperschallraketen in Deutschland und Osteuropa

Angesichts des aktuellen Rüstungswettlaufes hat die Autorengruppe einen Appell gegen die nukleare Aufrüstung (2) und insbesondere gegen die Stationierung von Hyperschallraketen auf den Weg gebracht.
Dieser Appell richtet sich zunächst an die politischen Entscheidungsträger in Deutschland. Zugleich aber sind die internationalen Risiken zu nennen, die der Rüstungsboom in allen Staaten in Ost und West für die Menschheit bedeutet.

Die geopolitische Bedeutung von Hyperschallraketen

Russland etwa hat laut dem Verteidigungsministerium in Moskau drei mit Hyperschallraketen bestückte Kampfflugzeuge in der russischen Exklave Kaliningrad, zwischen Litauen und Polen, stationiert.
Die Flugzeuge des Typs MIG-31i mit Kinschal-Raketen seien auf dem Stützpunkt Schkalowsk in Kaliningrad untergebracht worden. Sie bildeten dort eine Kampfeinheit, die "rund um die Uhr einsatzbereit" sei. (3)

Chinas Fortschritte im Hyperschallbereich

Die Volksrepublik China hat bereits im Jahr 2021 eine nuklear bestückbare Hyperschallrakete im Test einmal um die Erde fliegen lassen – auch wenn sie bisher nicht zielgenau genug war. (4) Die italienische Website Nato-Exit berichtet im August 2022: Der Stabschef der Armee und die Pentagon Research Agency teilen mit, dass die Vereinigten Staaten bald Hyperschallraketen in Europa stationieren werden, die Russland am nächsten sind (etwa die baltischen Republiken). Es ist von einem wahrscheinlichen ersten Stützpunkt in Polen oder Rumänien die Rede. (5)
Auch verdichten sich die Anzeichen, dass der Standort Deutschland eine Rolle spielen wird – entweder bei der Stationierung und/oder der Koordinierung der US-Hyperschallwaffen im Falle eines Angriffs bzw. Gegenangriffs. (6)

Die strategische Reichweite von Hyperschallraketen

Da Hyperschallraketen bereits mit etwa 10.000 Kilometer pro Stunde fliegen können, können sie ihre europäischen Ziele, die gegnerischen Hauptstädte, in fünf bis zehn Minuten erreichen.
Russland baut auch Hyperschallraketen mittlerer Reichweite, aber wenn sie von seinem eigenen Territorium aus abgefeuert werden, kann Washington nicht getroffen werden, da die USA außerhalb der Reichweite liegen.
Russische Hyperschallraketen werden allerdings in der Lage sein, in wenigen Minuten europäische US-Stützpunkte zu erreichen, vorwiegend jene mit Nuklearwaffen wie die Stützpunkte Büchel (Deutschland), Ghedi, Aviano (beide Italien) und andere Ziele in Europa.
Russland setzt wie die USA auch neue Interkontinentalraketen ein. (7) Das russische Verteidigungsministerium hat laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri bereits 2022 erklärt, es plane ab dem betreffenden Jahr Avangard-Raketen einzuführen; inzwischen seien sechs "Einheiten" an die Armee ausgeliefert. (8)

Die versteckte Gefahr: Atomkrieg durch Fehlalarm

Schon die russischen Hyperschallraketen innerhalb Europas steigern die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen in unverantwortlicher Weise und müssen wieder wie einst die SS 20 und die Pershing II abgebaut und entsorgt werden.
Die Vorwarnzeit ist bei manövrierfähigen und tieffliegenden Hyperschallraketen extrem kurz. Es ist daher äußerst schwierig, sie rechtzeitig zu entdecken.

Künstliche Intelligenz und nukleare Sicherheit

Ebendarum ist eine Beurteilung durch Regierungschefs oder Sicherheitsstäbe zeitlich nicht mehr möglich. Es ist davon auszugehen, dass künstliche Intelligenz in Entscheidungsprozessen für militärische Reaktionen – Abschuss angreifender Raketen, Zweitschlag – auf einen Alarm, egal ob Fehlalarm oder nicht, genutzt werden wird.
Durch den Wegfall fast jeder Vorwarnzeit durch die Flugzeit und Variabilität der Flugrichtung von Hyperschall-Mittelstreckenraketen und bei einer sich gleichzeitig beschleunigt entwickelnden KI wachsen hierbei die Gefahren eines Nuklearkriegs aus Versehen.
Automatismen sorgen möglicherweise bei Fehlinformationen des KI-gesteuerten Systems zu einem politisch ungewollten nuklearen Gegenschlag. Die sich daraus ergebende nukleare Kettenreaktion würde unseren Planeten verwüsten und auf Jahrhunderte unbewohnbar machen.

Die Illusion der nuklearen Abschreckung

Auch unter der Annahme, dass eine nukleare Abschreckung nützlich und wichtig sei, ist die jetzt geplante Aufrüstung keine Verbesserung der nuklearen Abschreckung. Sie erhöht nur die Risiken einer nuklearen Eskalation. Denn für eine nukleare Abschreckung reichen wenige Atomwaffen.
Staaten wie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel verfügen auch bereits über eine hinreichende nukleare Abschreckung. Des Weiteren schützt eine nukleare Abschreckung nicht vor einem Atomkrieg aus Versehen, der wegen kürzerer Vorwarnzeiten wahrscheinlicher wird.
Und nukleare Abschreckung schützt auch nicht vor neuen Risiken, wie sie von KI ausgehen können. Der KI-Forscher Prof. Dr. Karl Hans Bläsius warnt in diesem Zusammenhang im Dezember 2023: Hierbei "könnten mithilfe der Künstlichen Intelligenz Cyberangriffstechniken realisiert werden, die bisher völlig unbekannt sind, weswegen als Vorbeugung auch keine Schutzmaßnahmen realisierbar sind". (9)

Die Notwendigkeit umfassender Abrüstungsverträge

Geboten ist daher gegen jegliche Angriffssysteme vorzugehen, welche die Menschheit bedrohen, die Zivilisten gefährden und die ökologischen, sozialen und humanen Ziele der UNO untergraben.
Laut J.F. Kennedy (1961) gilt: "Die Kriegswaffen müssen abgeschafft werden, bevor sie uns abschaffen." (10) Europa wäre der erste und der letzte Schauplatz eines finalen Krieges, der mit den russischen und Nato-Hyperschall-Raketen ausgelöst werden kann.
Hierbei gilt es über transnationale Bemühungen und ein internationales, transparentes Vorgehen, zunächst den von den USA aufgekündigten und von der Russischen Föderation ausgesetzten INF-Vertrag wieder zu aktivieren und dabei auch die Volksrepublik China sowie möglichst auch die anderen Atommächte einzubeziehen.
Mit dem INF-Vertrag (Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen – die USA haben diesen Vertrag mit Nato-Unterstützung 2019 aufgekündigt) wäre dann die völkerrechtliche Grundlage für die beteiligten Staaten zum Abbau der existierenden Hyperschallraketen bzw. für die Nicht-Installation der vorgesehenen Angriffssysteme gegeben.
Letztlich müssen aber die unterschiedlichen Möglichkeiten aggressiver Handlungsweisen, von Hyperschallraketen, Interkontinentalraketen, Cyber-Angriffen, autonomen Waffensystemen bis hin zu KI-gelenkter Desinformation in Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträgen einbezogen werden.
Es wird erhebliche Widerstände gegen ein derartiges friedenspolitisches Anliegen geben. Doch angesichts der drohenden Risiken müssen diese Forderungen in aller Deutlichkeit erhoben werden.
Die verantwortlichen Politiker, die derzeit ein präventives Engagement verweigern, sind hiermit wirkungsvoll zu konfrontieren. Insbesondere der Zusammenhang zwischen KI-Steuerung und immer schwieriger zu berechnenden angreifenden Waffensystemen lässt keine Zeit des Wartens mehr zu.

Friedenspolitik in der Ära der KI

Da Arsenale für den Atomkrieg die Sicherheit des Lebens untergraben, bedarf es einer Friedenspolitik der Kooperation und gegenseitigen – also gemeinsamen – Sicherheit, wie sie die OSZE-Sicherheitscharta von 1999 verlangt:
"Wir müssen Vertrauen zwischen den Menschen innerhalb der Staaten schaffen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten vertiefen. (…) Wir werden uns noch mehr als bisher bemühen, für die volle Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (…) zu sorgen. Gleichzeitig werden wir verstärkte Anstrengungen unternehmen, um mehr Vertrauen und Sicherheit zwischen den Staaten zu schaffen. Wir sind entschlossen, die uns zur Verfügung stehenden Mittel zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen ihnen weiterzuentwickeln." (11)
Das ist die einzig zu verantwortende Alternative zur Steigerung der Spannungen zwischen den Völkern und Staaten der Welt.

Anmerkungen:
(1)  LE MONDE diplomatique | Berlin, Januar 2024 , S. 13.  
(2)  Vgl. https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung
(3) Siehe: https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/russland-stationiert-hyperschallraketen-in-kaliningrad/
(4)  Vgl. https://www.heise.de/news/Bericht-China-testet-nuklearfaehige-Hyperschallrakete-6220361.html, 18.10.2021. 
(5)  Vgl.www.natoexit.it/2021/03/23/missili-ipersonici-usa-in-europa-a-5-minuti-da-mosca/, 19.08.2022. 
(6)  Vgl. u.a. folgende Quellen hierzu: https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe, 10.11.2021, https://www.imi-online.de/2021/12/16/die-neue-nachruestung/,  16.12.2021,  https://www.hessenschau.de/panorama/hyperschallwaffen-in-mainz-kastel-der-kalte-krieg-kehrt-zurueck-nach-wiesbaden,airbase-kastel-hyperwaffen-100.html, 13.1.2022, https://www.fr.de/rhein-main/wiesbaden/wiesbaden-alte-befuerchtungen-91277511.html, 2.2.2022. 
(7)  Vgl.www.natoexit.it/2021/03/23/missili-ipersonici-usa-in-europa-a-5-minuti-da-mosca/, 19.08.2022. 
(8) Vgl. https://www.sipri.org/sites/default/files/2022-05/eunpdc_no_80.pdf, Mai 2022. 

(9)  Diese Zusammenhänge werden dargestellt in: Bläsius, Karl Hans (2023): Atomwaffen schützen oder bedrohen – Bedrohungslagen und Schutzmöglichkeiten. In: https://www.fwes.info/Atomwaffen-schuetzen-oder-bedrohen-2023-2.pdf, 11.12.2023.
(10)  https://www.derstandard.de/story/2000134208184/atomkrieg-eine-angst-die-nicht-sein-muesste, 19.03.2022.
(11)  https://www.osce.org/files/f/documents/b/f/125809.pdf, S. 2 

Zu den Autoren:
Karl-W. Koch, Dipl.-Ing. (FH, chem.) Gymnasiallehrer in den Fächern Chemie, Mathematik und Umwelttechnologie sowie Fachbuchautor ("Störfall Atomkraft"). Er ist Gründer des AK Atom bei B90/Die Grünen.
Klaus Moegling, apl. Prof. Dr. habil. i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Autor u. a. von Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Aktualisierte frei lesbare 5. Auflage (2/2024).
Bernhard Trautvetter, Studiendirektor a.D., Friedens- und Umweltaktivist, Publizist, Essener Friedensforum, Bundesausschuss Friedensratschlag.

(Etwas modifizierte) Erstveröffentlichung des Beitrags in 'Telepolis': https://www.telepolis.de/features/Hyperschallwaffen-Der-schnelle-Weg-zum-globalen-Inferno-9622881.html, 8.2.2024.



aktueller Blog 8

 Auswege aus dem globalen Kriegsregime 

 
 

Von Klaus Moegling 

10.1.2024

 
 

Die derzeitige Dominanz militärischer Machtdurchsetzung treibe auf ein globales Kriegsregime (Negri) zu, d.h. einer Welt, die mehr und mehr in regionale und überregionale Kriege versinkt. Ist diese Einschätzung korrekt? Wenn ja: Ist dies eine zwangsläufige Entwicklung und gibt es überhaupt noch Auswege aus einer drohenden nuklearen Katastrophe? 

 
 
Antonio Negri sprach von einem globalen Kriegsregime, das die Welt mehr und mehr erfasse. Imperiale Staaten und Mächte suchen derzeit im Zuge des schwindenden Einflusses der USA den eigenen Herrschaftsbereich auszudehnen. Die Globalisierung militarisiere sich. [1]
Ein Krieg bedeutet – in Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher Istvan Kende - eine gewalttätige Konfliktaustragung und ist ein gewaltsamer Massenkonflikt, wobei zumindest ein Staat Konfliktpartei ist, zentralisierte Organisationsstrukturen der Konfliktparteien vorhanden sind und Streitkräfte geplant und strategisch über einen längeren Zeitraum operieren. [2] Der Krieg ist die extremste Form unterschiedlicher Konfliktaustragungen und ist Ausdruck des Scheiterns diplomatischer Bemühungen.
Der Prozess einer Ausdehnung militärischer Konfliktlösungen ist allerdings schon lange im Gange und im Laufe des 21. Jahrhunderts hinsichtlich der quantitativen Ausprägung kaum verändert. So werden für 2022 in der internationalen Statistik 362 Konflikte (leicht, mittelschwer, schwer) weltweit gezählt. Dies liegt etwas über der durchschnittlichen Anzahl von Konflikten in den letzten beiden Dekaden. [3] Hierbei lässt sich seit 2015 eine deutliche Steigerung der Anzahl von Bürgerkriegen feststellen, bei denen externe Staaten intervenieren. [4]
In Westeuropa – und auch in Deutschland – ist das subjektive Gefühl einer gesteigerten Kriegshäufigkeit vor allem deswegen vorhanden, da die Kriege und Auswirkungen militärischer Konflikte im Inneren durch den Krieg in der Ukraine und auch im Nahen Osten näher rücken und damit auch ein Gefühl der individuellen Bedrohung entsteht. Dies wird sicherlich durch die Tatsache verstärkt, dass es insbesondere in den letzten zwei Jahren immer mehr Todesopfer und Schwerverletzte im Zuge gewaltsam ausgetragener Massenkonflikte gab. [5]  Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass es bereits seit längerer Zeit eine Tendenz zu einem hohen quantitativen Niveau militärisch ausgetragener Konflikte gibt, was die die Einschätzungen  Antonio Negris bestätigt, die sich auf eine militarisierte Globalisierung und zumindest eines drohenden globalen Kriegsregimes beziehen. 

Kriege als Folge unkontrollierter Machtanhäufung und illegitimer Herrschaft 

Im Krieg in der Ukraine sind bereits mehrere Hundertausend Todesopfer zu beklagen. Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine seit dem Februar 2022 ist seit dem ebenfalls völkerrechtswidrigen Überfall der USA auf den Irak im Jahr 2003 der erste groß angelegte Krieg, der von einer der nuklear bewaffneten Großmächte initiiert wurde. 
Die Russische Föderation trägt aufgrund ihrer massiven Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen im Ukraine-Krieg die Hauptverantwortung für diesen Krieg. Das russische Regime ist durch eine Repression nach innen und außen gekennzeichnet. Da gibt es keinen Grund, die RF zu schonen. Auch der historische Kontext der NATO-Osterweiterung und die vergebenen Verhandlungschancen bieten keine Legitimation für das tägliche Morden und die Inhaftierung Andersdenkender.  Andererseits ist auch das westliche Lager hinsichtlich der Eskalation militärisch ausgetragener Konflikte zu kritisieren: Die Verhinderung eines Verhandlungsergebnisses zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung im Frühjahr 2022 oder auch die unverhältnismäßige Reaktion Israels auf den schrecklichen Hamas-Terrorangriff, die u.a. zum Tod von Tausenden Kindern und Jugendlichen im Gazastreifen führte und weiterhin führt. Die türkischen Überfälle und Vernichtungsanschläge auf die Kurdengebiete, der völkerrechtswidrige Angriff der USA im 3. Golfkrieg auf den Irak, der Krieg Saudi Arabiens im Jemen - diese Liste ließe sich fortführen und zeigt: Überall, wo es unkontrollierte Machtanhäufung und eine Ansammlung technologisch hochentwickelter Waffen gibt, spielen das Völkerrecht sowie die Menschenrechte keine Rolle mehr. Solange hier auf der Ebene der Vereinten Nationen keine wirkungsvollen und legitimierten Interventionsmöglichkeiten vorhanden sind, werden die für Kriege verantwortlichen Mächte weiterhin frei agieren können. Nur eine transnationale und demokratisch legitimierte Gegenmacht kann das sich ausbreitende globale Kriegsregime und die Militarisierung von Konflikten eindämmen. Nur eine übergeordnete globale Instanz, die mit politischer, ökonomischer und weltpolizeilicher Macht ausgestattet ist – so die hier vertretene These – kann die sich feindlich gegenüber stehenden Kräfte in Formen friedlicher Kooperation überführen. 

Die nukleare Eskalationsspirale 

Die Welt befindet sich – seit der Kubakrise – wieder vor einem dramatischen Wendepunkt und einer drohenden nuklearen Ereigniskette.  Hier sind die vor allem von den USA aufgekündigten Abrüstungs- und Kontrollverträge, die fortschreitende ‚Modernisierung‘ von Atomwaffen sowie die Drohung zumindest von russischer Seite zu nennen, auch Nuklearwaffen im Zuge des Ukraine-Kriegs einzusetzen. Die Frage ist allerdings, wann eine derart gefährliche Drohkulisse zur bitteren Realität wird. Wo ist der nukleare Kipppunkt und welchen Einfluss haben neuere technologische Entwicklungen dorthin?
Die Gefahr eines Nuklearkrieges wird durch die Existenz bereits entwickelter Hyperschallraketen mit der Fähigkeit, nukleare Sprengköpfe mit über 6-facher Schallgeschwindigkeit auf ein Ziel zu lenken, noch drastisch erhöht. Derartige Hyperschallraketen existieren bereits in der Russischen Föderation sowie in der VR China. In den USA stehen sie kurz vor dem Abschluss ihrer Entwicklung und die Zeichen verdichten sich, dass sie zumindest mit konventionellen, aber extrem zerstörerischen Sprengköpfen in Westeuropa, z.B. in Deutschland oder Polen, stationiert werden sollen. [6]
Hyperschallraketen sind aufgrund ihrer Schnelligkeit und aufgrund der nur wenigen Minuten Reaktionszeit sowie der Lenkbarkeit der anfliegenden Raketen nur schwer oder gar nicht zu verteidigen. Selbst wenn sie ‚nur‘ mit einem konventionellen Sprengkopf ausgestattet sind, können sie einen Staat in Bezug auf seine Regierung ‚enthaupten‘, wenn die Regierungsspitze oberirdisch tagt. Die Gefahr, dass ein derartiger ‚Enthauptungsschlag‘ dann eine nukleare Reaktion des angegriffenen Staates nach sich zieht, erscheint realistisch.
Daher wendet sich ein derzeit in der Verbreitung und Unterzeichnung begriffener Appell sehr deutlich gegen die Stationierung von Hyperschallraketen in allen Staaten und wendet sich auch gegen die drohende Stationierung in Deutschland. [7]
In der Tat: Es hat bereits mehrfach technisches Versagen im Rahmen der nuklearen Waffentechnologie gegeben. Ein nuklear ausgetragener Weltkrieg wurde  gerade noch im letzten Moment durch besonnenes Handeln Einzelner verhindert. [8] Je schneller und unberechenbarer die Raketen aber fliegen, desto geringer ist die Chance eines menschlichen Einlenkens in einer festgestellten Angriffssituation. 

Offene Fragen, die zu klären wären 

Doch wie ernst sind beispielsweise Russlands Drohungen zu nehmen, nukleare Waffen - möglicherweise sogar nukleare Hyperschallwaffen - im Krieg in der Ukraine einzusetzen? Wie ernst zu nehmen sind Drohungen einzelner führender russischer Politiker, sogar westliche Staaten, wie z.B. Deutschland, mit Atombomben anzugreifen? Wie gefährlich sind Nordkoreas Drohungen und Raketentests (Reichweite bis in den Osten der USA)? Welche Rolle könnten die chinesischen Hyperschallwaffen mit nuklearen Sprengköpfen im Konflikt um Taiwan und im südchinesischen Meer spielen? Wird die drohende Stationierung von Hyperschallraketen in Deutschland oder in Polen nicht auf der konventionellen Ebene beschränkt bleiben, sondern letztlich zu einem Dual Use-System unter Einbezug nuklearer Sprengköpfe führen?
Müsste dies alles nicht ernsthaft geprüft werden? Aber: Welche Informationen, Überprüfungs- und Kontrollmechanismen sowie Kriterien haben wir, um diese Fragen zu beantworten?
Müssten Antworten auf diese Fragen nicht Konsequenzen für die internationale Diplomatie und Friedenspolitik haben?
Wenn die Eskalationsspirale weiter voranschreitet und die Drohungen ernst zu nehmen sind, dann bestünde eine Antwort darin, so wie es die Politikwissenschaftler-Kollegen Herfried Münkler [9] und Carlo Masala/ Frank Sauer [10] fordern, Europa weiter aufzurüsten und die nuklearen Optionen auszubauen. Das würde der Realismustheorie der internationalen Beziehungen folgen. Friede durch Abschreckung. Aber wollen wir das? Was ist wenn sich die Technologie der Abschreckung in gefährlichen Händen befindet oder sich gar durch Softwarefehler und insbesondere manipulierte KI verselbstständigt? [11]  Sind Menschen nicht in der Lage, ohne das Eingehen solcher Risiken Frieden zu halten? 

Lösungswege über die Vereinten Nationen 

Eine alternative Möglichkeit zu einer ungebremsten Aufrüstungsspirale liegt m.E. in der Demokratisierung und gleichzeitigen Stärkung der Vereinten Nationen.
Die Erfahrung mit dem Ausbruch gewalttätiger Konflikte bis hin zu regelrechten Kriegen zeigt, dass im Zuge des Wegfalls oder der Schwächung vorhandener Herrschaftsstrukturen, also in der Situation eines entstehenden Machtvakuums, in der Regel militante und nicht-legitime Kräfte versuchen die Macht an sich zu reißen. Auch wenn ein Machtungleichgewicht entsteht, vergrößert sich die Gefahr, geostrategischer und ökonomischer Begehrlichkeiten von Seiten des deutlich mächtigeren Staates.
Daher ist es - konsequent zu Ende gedacht - zukünftig notwendig, dass eine übergeordnete, demokratisch streng kontrollierte Macht, im Auftrag der Weltgemeinschaft die weltpolizeiliche Sicherung übernimmt, will die Welt nicht in einer Vielzahl sich steigernder Kriege und einer zunehmenden militarisierten Globalisierung mit fatalem Ausgang versinken. Dies gilt ebenfalls für den Krieg des Menschen gegen die Natur und dem Versuch, die verheerende ökologische Antwort in Form der Klimakrise einzudämmen.
Der Weg kann nur über eine einschneidende Strukturveränderung der UN stattfinden, die von professionellen NGOs, überregionalen und lokalen zivilgesellschaftlichen Bewegungen im Zusammenspiel mit hieran interessierten Parlamenten und Regierungen Schritt für Schritt zu erfolgen hat.
Sicherlich ist der Weg dorthin beschwerlich und voller Hindernisse. Massive politische, militärische und ökonomische Interessen stehen dagegen. [12]
Vorschläge hierzu gibt es innerhalb und außerhalb der UN zahlreich [13]. Sie betreffen vor allem die Reform des UN-Sicherheitsrats, der internationalen Gerichtsbarkeit unter dem Dach der UN und die Finanzierung der UN. Weitere Vorschläge sind ebenfalls durchaus ausgearbeitet, siehe u.a. die Aktivitäten von 'Democracy Without Borders' [14] zur globalen Demokratie über ein UN-Parlament (UNPA-Kampagne), die geforderte Einführung einer  Weltbürgerschaft und Initiativen globaler direkter Demokratie oder die differenzierten Vorschläge der Friedensinitiative von 'Sicherheit neu denken' u.a. in Bezug auf Weltinnenpolitik und weltpolizeiliche Maßnahmen. [15] Auch die Relevanz und Bedeutungssteigerung des Zusammenspiels von zivilgesellschaftlichen Initiativen und NGOs und vorhandenen UN-Institutionen, wie z.B. dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), stellen Möglichkeiten zur Demokratisierung der UN dar. [16] 
Möglicherweise weist die sich immer noch in der Entwicklung befindliche EU den Weg in eine solche Zukunft. Derartige, Kriege zwischen den beteiligten Staaten verhindernde, Zusammenschlüsse müssten sich weltweit in fünf bis sechs Weltregionen entwickeln, die wiederum in ihrem Zusammenwirken die Kraft für eine Reform der UN aufbringen. 

Eine Chronologie zukünftiger UN-Reformen 

 Die chronologische Skizzierung einer entsprechenden Reform hin zu einem fairen multipolaren System unter dem Dach der UN könnte wie folgt aussehen: 
Der erste Schritt würde in der Einrichtung eines Zweikammer-Systems - also der UN-Generalversammlung mit den Delegierten der nationalen Regierungen und einem global in freien und allgemeinen Wahlen gewählten Parlament – bestehen. Das sich gegenseitig kontrollierende, Gesetzesinitiativen hervorbringende und wählende Zweikammersystem wäre die Grundlage einer zukünftig zu demokratisierenden UN. 
Ein nächster Schritt bestünde im Aussetzen des Veto-Rechts eines angreifenden Ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrats, wie z.B. im Falle der Russischen Föderation, wenn ein Beschluss diese Konfliktsituation betreffend zu fassen ist. 
Ein weiterer Schritt würde – nach einiger Zeit –  im grundsätzlichen Wegfall des Veto-Rechts privilegierter Sicherheitsratsmitglieder und in der gleichberechtigten Wahl aller Sicherheitsratsmitglieder durch die beiden UN-Kammern erfolgen. Die Unterscheidung zwischen ständigen und wechselnden Sicherheitsratsmitgliedern würde hiermit abgeschafft. 
Im Zuge dieser verschiedenen Schritte gilt es dann auch, eine streng kontrollierte und umfassend legitimierte Weltpolizei in Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden, NGOs und Initiativen zu bilden, die auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates eingreift, wenn die Menschenrechte und das Völkerrecht massiv beeinträchtigt werden. 
Parallel hierzu sind Kontroll- und Abrüstungsverträge wieder in Kraft zu setzen und in einem nächsten Schritt noch konsequenter zu fassen. Zunächst sind hierbei die Nationalstaaten von ihren gefährlichsten Waffensystemen zu trennen, die es in kontrollierten Prozessen zu zerstören gilt – vor allem natürlich zunächst die nuklearen Waffenarsenale betreffend. Der sich in der fortschreitenden Unterzeichnungs- und Ratifizierungsphase befindliche UN-Atomwaffenverbotsvertrag wäre dann hierfür der erste notwendige Schritt gewesen. 
Wenn ein Empowerment der UN-Generalversammlung im Zusammenspiel mit einem in freien Wahlen zu bestimmenden UN-Parlament stattgefunden hat, könnte von einem derartigen Zweikammersystem ausgehend, das sich gegenseitig kontrolliert und die wesentlichen Entscheidungsprozesse auf den Weg bringt, auch eine Art demokratisch zu wählende und rechtsstaatlich kontrollierte Weltregierung um das UN-Generalsekretariat herum aufgebaut werden. Der UN-Generalsekretär und die Regierungsvertreter in den einzelnen Ressorts – auf Vorschlag des Generalsekretärs  – wären dann von dem UN-Parlament zu wählen und von der UN-Generalversammlung zu bestätigen. 

Widerstände gegen eine multipolare Welt unter dem Dach der UN 

Die Widerstände gegen eine derartige Reform der UN und einer nachfolgenden Weltinnenpolitik werden erheblich sein.
Zu nennen sind natürlich vor allem die Staaten, die von der existierenden politischen und weltwirtschaftlichen Ordnung profitieren und sich durch konsequente Reformen der UN nicht ihre Einflussmöglichkeiten beschneiden wollen. Beispielsweise ist es unwahrscheinlich zu erwarten, dass die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrat freiwillig auf ihr Veto-Recht verzichten werden. Hier wird wohl erst das Zusammenwirken katastrophaler globaler Entwicklungen mit zivilgesellschaftlichem und institutionellem Druck zu einer Verhaltensänderung führen.
Zu nennen sind hier sicherlich ebenfalls die Strukturen weltkapitalistischer Produktions- und Aneignungsweise, deren Akteure von Kriegen profitieren. Nutznießer sind hier Shareholder der Rüstungsindustrie sowie multinationale Konzerne und internationales Finanzkapital, die Kriegserfolge, z.B. hinsichtlich der Ausbeutung regionaler Ressourcen, auszunutzen wissen.
Auch orthodoxe Gruppierungen und Kräfte in allen bedeutenden Religionen, die eine Vermischung von Staat und institutionalisierter Religion anstreben, um gesellschaftliche Herrschaft mit innerer Macht über Menschen zu verbinden, werden fanatische Gegner einer demokratisch organisierten Multipolarität sein.
Zu nennen sind aber auch Bewusstseinsentwicklungen, die im Kontext einer ‚Imperialen Lebensweise‘ (Brand/Wissen 2017) [17] entstanden sind. Insbesondere die Mentalität vieler Menschen in den reichen Ländern und aus den weltweit privilegierten sozialen Milieus, dass sowohl der globale Süden als auch die natürliche Umwelt ein Feld unbegrenzter Nutzenmaximierung im generationsegoistischen Sinne seien, trägt dazu bei, dass notwendige sozialökologische Reformen, aber auch friedensstiftende Maßnahmen und überregionaler Interessensausgleich auf einer fairen Verhandlungsebene eine zu geringe Unterstützung finden. 
Hinzu kommt in diesem Zusammenhang das Erstarken populistisch agierender rechtsextremer Parteien, die mit zunehmendem Erfolg die durch Flucht und Migration entstehenden Ängste und Vorurteile einheimischer Bevölkerungen ausnutzen. Rechtsextreme Politiker sind nationalchauvinistisch ausgerichtet und sind entschiedene Gegner einer multilateralen Kooperation im hier skizzierten Sinne. 

Eine in ferner Zukunft liegende Utopie? 

Natürlich werden daher viele einwenden, dass das friedliche Zusammenwirken unter einem gemeinsamen Dach nur eine Utopie sei, die in ferner Zukunft liege. Natürlich wird ein solcher Prozess - trotz hohem und unmittelbarem Problemdruck - noch Generationen brauchen, um sich durchzusetzen. Dennoch:  Zeigt sich die neue Qualität nicht bereits im Alten? Lebenswerte friedenspolitische Ansätze hierzu und reformfreudige Milieus gibt es bereits in jeder Menge: Zivilgesellschaftliche Bewegungen, institutionelle Reformtendenzen, solidarische Formen des Lebens und Arbeitens, mediale Gegenöffentlichkeiten, gewerkschaftliche Gegenwehr und Ansätze innerparteilicher Demokratie, Transformationen regionaler und überregionaler Zusammenarbeit und auch in den Vereinten Nationen vertretene Reformbewegungen. Auch die vorhandenen und noch zu steigernden Einflussmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Vereinten Nationen sind hier zu nennen. 
Dies bedeutet nicht, dass die Friedenskräfte mit Sicherheit die Oberhand gewinnen werden. Die Auseinandersetzung ist im Gange und die imperialen Kräfte werden zunehmend aggressiver. Gleichzeitig werden die reaktionären und nationalchauvinistischen Kräfte innerhalb der Gesellschaften gestärkt und stellen auch in den Gesellschaften mit einem demokratischen Selbstanspruch mehr und mehr die Machtfrage. 
Vieles wird davon abhängen, inwieweit die Mehrheit der Gesellschaften erkennt, was verloren gehen kann und was es im Sinne von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu erreichen gilt. Nur wenn die z.T. immer noch schweigende Mehrheit in den Gesellschaften erkennt, um was es in diesen Jahrzehnten wirklich geht, wird die Welt wieder friedfertiger werden können, wird die Klimakrise entschärft werden, wird die globale Ungerechtigkeit und Armut großer Teile der Weltbevölkerung beseitigt, wird sich die Demokratie – in durchaus unterschiedlichen Formen - durchsetzen können. Dieser Prozess findet allerdings in der Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Herrschaftsstrukturen statt und ist nicht bequem und auch nicht überall ungefährlich. Die Gefahr für ein derartiges Engagement nimmt mit dem Repressionsgrad eines politischen Systems im Inneren zu. 
Politisch-historische Bildung und die mediale Verantwortung werden hierbei weiterhin einen hohen Stellenwert haben - zwei Bereiche, die aber auch immer von Herrschaftsstrukturen und systemischen Vereinnahmungstendenzen bedroht sind. 

Eine anwachsende Friedensbewegung als Voraussetzung friedensfördernder Veränderungen 

Die Friedensbewegung muss sich international vernetzen – auch in die Vereinten Nationen hinein -  und muss Antworten auf den militärisch gestützten Machtmissbrauch geben, die zu einem politischen Einfluss auf das Handeln der Verantwortlichen führen. 
Allerdings: Eine Friedensbewegung in einer sich nur selbstbestätigenden Blase hilft auch nicht weiter, sondern wäre ein Teil des Problems. Erst eine unabhängige und kritische internationale Friedensbewegung wird zu einem ernsthaften Gegner der Profiteure von Kriegen – dem internationalen Finanzkapital sowie den Machthabern, die sich durch innere und äußere Repression maßlos bereichern. Erst eine Friedensbewegung, die gelernt hat, sich mit sowohl anderen zivilgesellschaftlich aktiven Gruppen als auch den Parteien, Regierungen, Parlamenten oder supranationalen Institutionen zu verständigen, ist in der Lage, einen wirksamen Einfluss im hier gemeinten Sinne auszuüben. 
Nur eine Friedensbewegung, die unabhängig von Parteien, Staaten und dogmatischer ideologischer Ausrichtung ist und die ihre kritische Analyse überall dort ansetzt, wo ökonomische, militärische und politische Macht missbraucht wird, verdient ihren Namen als Friedensbewegung. Eine derart unabhängige und kritische Haltung ist die Voraussetzung dafür, dass die Friedensbewegung aus einem bisher noch recht begrenzten gesellschaftlichen Milieu heraustreten und breitere Kreise erreichen und sich international vernetzen kann – so wie es beispielsweise die zivilgesellschaftliche Gegenbewegung zum Vietnam-Krieg wirkungsvoll geleistet hatte. 

Es gibt keine Alternative 

Hinsichtlich notwendiger Reformen der UN und der Wichtigkeit einer multilateralen Verständigung ist dem langjährigen UN-Diplomaten Hans von Sponeck (2023) [18] zuzustimmen:
“To move from a lose-lose to a win-win United Nations will take time, much time; infinite patience; hard-nosed perseverance; and strong leadership at both government and non-government levels.   
The stakes for humanity and for a reformed United Nations  are high when a culture of selfishness, of greed and corruption, competition and impunity prevail, instead of a humane and ecological sensitive realism for international relations, determined by an atmosphere of trust, empathy, convergence, compromise, and accountability.
The choice? There is no choice!” [19] [20]
Klar ist: Wenn es keine übergeordnete und demokratisch legitimierte, rechtsstaatliche Instanz gibt, welche die Macht hat, imperiale Kräfte zu entwaffnen und friedensbringende Kräfte politisch zu stärken, dann wird das globale Kriegsregime weiterhin zunehmen, die Welt in einer Vielzahl - dann auch irgendwann nuklear ausgetragener - Kriege versinken. Auch werden die notwendigen Ressourcen nicht in gemeinsamer internationaler Anstrengung freigestellt werden können, um die bedrohliche Klimaentwicklung noch eindämmen zu können. Große Teile der Weltbevölkerung werden auf der Flucht sein, rechtsextreme Kräfte werden gestärkt werden.
Viele werden sagen, dass die Entwicklung einer fairen multipolaren Welt unter dem Dach der UN möglicherweise Generationen brauchen wird, wenn es denn überhaupt gelingen kann. Es ist hingegen zu fragen: Hat denn die Menschheit überhaupt eine Alternative, wenn sie zu einem globalen Frieden, zu einer ökologisch verträglichen Situation und zu einer Veränderung ungerechter Lebensverhältnisse finden will – also wenn die Menschheit als Gattungsart auf diesem Planeten noch eine Chance haben will?

(Der Artikel wurde in etwas modifizierter Fassung veröffentlicht in: Telepolis, https://www.telepolis.de/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html, 7.1.2024.)


Anmerkungen:
[1] Vgl. Negri, Antonio: Kämpfen wir global gegen das Kriegsregime! In: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/antonio-negri-kaempfen-wir-global-gegen-das-kriegsregime, 19.12.2023.
[2] Vgl. zu einer anerkannten Definition des Krieges: Kende, Istvan (1971): Twenty-five Years of Local Wars. In: Journal of Peace Research, 1971, 1.
[3] Vgl. https://de.statista.com/themen/5861/kriege-und-internationale-konfliktsituationen/#topicOverview, 21.6.2023.[
4]
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168188/umfrage/anzahl-internationale-konflikte/, 2.1.2024.
[5] Vgl. https://www.tagesschau.de/wissen/krieg-frieden-leibniz-institut-konfliktforschung-ukraine-100.html, 9.9.2023.
[6] Vgl. u.a. folgende Quellen hierzu: https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe,  10.11.2021, https://www.imi-online.de/2021/12/16/die-neue-nachruestung/, 16.12.2021,  https://www.hessenschau.de/panorama/hyperschallwaffen-in-mainz-kastel-der-kalte-krieg-kehrt-zurueck-nach-wiesbaden,airbase-kastel-hyperwaffen-100.html, 13.1.2022, https://www.fr.de/rhein-main/wiesbaden/wiesbaden-alte-befuerchtungen-91277511.html, 2.2.2022.
[7] Der von Bernhard Trautvetter und den Erstunterzeichnern Ende 2023 auf den Weg gebrachten Appell gegen die nukleare Aufrüstung kann unterzeichnet werden unter https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung
[8] Vgl. z.B. https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-stanislaw-petrow-verhindert-atomkrieg-100.html, 26.9.2018.
[9] Vgl. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/militaerische-abschreckung-herfried-muenkler-raet-europa-zur-atomaren-aufruestung-a-49e8f606-1ca4-4b48-82dd-099d611f33d6, 29.11.23.
[10] Vgl. die entsprechenden Aussagen in https://www.merkur.de/politik/ukraine-friede-krieg-ende-russland-atomwaffen-sanktionen-militar-putin-podcast-masala-92235281.html, 25.4.2023.
[11] Vgl. zum gefährlichen Zusammenspiel von KI und Nuklearwaffen u.a. Bläsius, Hans Karl (2023): Atomwaffen schützen oder bedrohen – Bedrohungslagen und Schutzmöglichkeiten. https://www.fwes.info/Atomwaffen-schuetzen-oder-bedrohen-2023-2.pdf, 11.12.2023.
[12] Dieser Weg sowie die Hindernisse und Chancen ist ausführlicher in meinem jetzt frei lesbar publizierten Buch 'Neuordnung' beschrieben: https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/, 1.9.2023; siehe auch Moegling, Klaus (2023): Auf dem Weg zu einer gesellschaftlichen Pazifizierung. Strategien, Engagement und Ziele müssen von den gleichen Werten getragen werden. In: Harmsen, Dirk-M./Maaß Stefan/ Scheffler, Horst/Ziegler, Theodor (Hrsg.): Weltinnenpolitik und Internationale Polizei. Göttingen: Brill, 69-77.
[13] Vgl. u.a. die reichhaltigen Publikationen zu Reformvorschlägen in Bezug auf die UN von Zumach, Andreas (2021): Reform oder Blockade. Welche Zukunft hat die UNO?, Zürich: Rotpunktverlag, 29ff. und Trent, John/ Schnurr, Laura (2021): Renaissance der Vereinten Nationen. Gegenwart und Potentiale im 21. Jahrhundert. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, 143ff.
[14] Vgl. Democracy Without Borders (Ed.): https://www.democracywithoutborders.org/promoting-global-governance/, o.D., vgl. auch Leinen, Jo/ Bummel, Andreas (2017): Das Demokratische Weltparlament. Eine kosmopolitische Vision. Bonn: Dietz-Verlag.
[15] Vgl. Initiative Sicherheit neu denken (2023): Sicherheits—Strategien neu denken. Gewalt stoppen und überwinden. https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/353462/snd-impulspapier-nr.-4-sicherheits-strategien-neu-denken-20.11.2023.pdf, 20.11.2023
[16] Vgl. Zafarana, Zaira (2024): Die Zivilgesellschaft und die Vereinten Nationen. In: FriedensForum, H. 1/2024,46ff.
[17] Vgl. Brand, Ulrich/ Wissen, Markus (2017): Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom-Verlag, sowie Behr, Alexander (2022): Globale Solidarität. Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen. München: Oekom.
[18] Dr. h.c. Hans von Sponeck war UN-Diplomat in verschiedenen Leitungsfunktionen, u.a. UN Assistant Secretary-General.
[19] Zitat aus einem noch bisher unveröffentlichten Vortrag von Hans von Sponeck: United Nations: Working Towards Effective Multilateralism. Istanbul, 8 December 2023.
[20] “Der Übergang von einer "Lose-Lose"- zu einer "Win-Win"-UN braucht Zeit, viel Zeit, unendliche Geduld, Beharrlichkeit und eine starke Führung sowohl auf Regierungs- als auch auf Nichtregierungsebene.   Es steht viel für die Menschheit und für eine reformierte UNO auf dem Spiel, wenn eine Kultur des Egoismus, der Gier und Korruption, des Wettbewerbs und der Straflosigkeit vorherrscht, statt eines humanen und ökologisch sensiblen Realismus für internationale Beziehungen, der von einer Atmosphäre des Vertrauens, der Empathie, der Annäherung, des Kompromisses und der Verantwortlichkeit bestimmt wird. Die Wahlmöglichkeit? Es gibt keine Wahlmöglichkeit?” (Quelle siehe Anmerkung 19) 


 

actual blog 8

Ways out of the global war regime 

 

By Klaus Moegling
 
1/10/2024 

 

The current dominance of military power enforcement is driving towards a global war regime (Negri), i.e. a world world that is sinking more and more into regional and supra-regional wars. Is this assessment correct? If so, is this an inevitable development? And are there any ways out of an impending nuclear catastrophe?

 
Antonio Negri spoke of a global war regime that is increasingly world more and more. Imperial states and powers are currently looking for the dwindling influence of the USA. Globalization is becoming militarized [1]. 
A war means - in the words of the Hungarian peace researcher Istvan Kende - a violent mass conflict in which at least one state is a party to the conflict, centralized organizational structures of the conflict parties are in place and armed forces operate in a planned and strategic manner over a longer period of time [2]. A war ist he most extreme form of conflict and is an expression of the failure of diplomatic failure of diplomatic efforts. 
However, the process of expanding military conflict resolution haslong underway and has hardly changed in quantitative terms over the course of the 21st century. For 2022, for example, the international statistics counted 362 conflicts (light, medium, heavy) worldwide. 
This is slightly above the average number of conflicts in the last two decades [3]. 
Since 2015, there has been a significant increase in the number of civil wars in which external 
states intervene [4]. 
In Western Europe - and also in Germany - the subjective feeling of an increased frequency of war is mainly due to the fact that wars and the effects of military conflicts within the country due to the war in Ukraine and also in the Middle East are getting closer and this is also creating a feeling of individual threat. This is certainly reinforced by the fact that, particularly in the last two years, there have been more and more deaths and serious injuries in the course of violent mass conflicts. [5] 
In summary, it can therefore be stated that there has been a trend towards a high quantitative level of military conflicts, which confirms Antonio Negri's assessments, which refer to militarized globalization and at least the threat of a global war regime. 

Wars as a consequence of uncontrolled accumulation of power and illegitimate rule 

 The war in Ukraine has already claimed several hundred thousand lives. The Russian Federation's attack on Ukraine since February 2022 is the first large-scale war initiated by one of the nuclear-armed superpowers since the US invasion of Iraq in 2003, which also violated international law. 
The Russian Federation bears the main responsibility for the war in Ukraine due to its massive violations of human rights and international law. The Russian regime is characterized by internal and external repression. There is no reason to spare the RF. The historical context of NATO's eastward expansion and the missed negotiating opportunities also offer no legitimization for the daily murder and imprisonment of dissidents. On the other hand, the Western camp must also be criticized for escalating military conflicts: The prevention of a negotiated outcome between the Ukrainian and Russian governments in spring 2022 or Israel's disproportionate response to the horrific Hamas terror attack, which led and continues to lead to the deaths of thousands of children and young people in the Gaza Strip, among other things. The Turkish raids and extermination attacks on the Kurdish regions, the US attack on Iraq in the 3rd Gulf War in violation of international law, Saudi Arabia's war in Yemen - the list goes on and on: Wherever there is an uncontrolled accumulation of power and an accumulation of technologically advanced weapons, international law and human rights no longer play a role. As long as there are no effective and legitimized possibilities for intervention at the level of the United Nations, the powers responsible for wars will continue to be able to act freely. Only a transnational and democratically legitimized counter-power can curb the spreading global war regime and the militarization of conflicts. Only a superordinate global authority equipped with political, economic and global police power - according to the thesis put forward here - can transform the opposing forces into forms of peaceful cooperation. 

The nuclear escalation spiral 

 Since the Cuban Missile Crisis, the world is once again facing a dramatic turning point and the threat of a nuclear chain of events. The disarmament and control treaties that have been terminated by the USA in particular, the ongoing 'modernization' of nuclear weapons and the threat, at least from the Russian side, to also use nuclear weapons in the course of the war in Ukraine should be mentioned here. The question is, however, when such a dangerous threat will become a bitter reality. Where is the nuclear tipping point and what influence will recent technological developments have on this? 
The danger of nuclear war is drastically increased by the existence of hypersonic missiles already developed with the ability to direct nuclear warheads at a target at over 6 times the speed of sound. Such hypersonic missiles already exist in the Russian Federation and the People's Republic of China. In the USA, they are nearing the end of their development and there are increasing signs that they are to be stationed in Western Europe, e.g. in Germany or Poland, at least with conventional but extremely destructive warheads.(6) 
Hypersonic missiles are difficult or even impossible to defend against due to their speed and the fact that they only take a few minutes to react and can be guided. Even if they are 'only' equipped with a conventional warhead, they can 'decapitate' a state in relation to its government if the top government is meeting above ground. The danger that such a 'decapitation strike' could then result in a nuclear response from the attacked state seems realistic. 
For this reason, an appeal currently being circulated and signed is very clearly opposed to the deployment of hypersonic missiles in all countries and also opposes the threat of deployment in Germany. (7) 
In fact, there have already been several technical failures in nuclear weapons technology. (8) 
A nuclear world war was prevented at the last moment by the prudent actions of individuals.  However, the faster and more unpredictable the missiles fly, the less chance there is of human intervention in an attack situation. 

Open questions that need to be clarified 

 But how seriously should Russia's threats to use nuclear weapons - possibly even hypersonic nuclear weapons - in the war in Ukraine be taken? How seriously should we take threats by individual leading Russian politicians to attack even Western countries, such as Germany, with nuclear bombs? How dangerous are North Korea's threats and missile tests (reaching as far east as the USA)? What role could Chinese hypersonic weapons with nuclear warheads play in the conflict over Taiwan and in the South China Sea? Will the impending deployment of hypersonic missiles in Germany or Poland not be limited to the conventional level, but ultimately lead to a dual-use system involving nuclear warheads? 
Shouldn't all this be seriously examined? But what information, verification and control mechanisms and criteria do we have to answer these questions? 
Shouldn't the answers to these questions have consequences for international diplomacy and peace policy? 
If the escalation spiral continues and the threats are to be taken seriously, then one answer would be, as political scientist colleagues Herfried Münkler (9) and Carlo Masala/Frank Sauer (10) have called for, to further arm Europe and expand its nuclear options. This would follow the realism theory of international relations. Peace through deterrence. But is that what we want? What if the technology of deterrence is in dangerous hands or even takes on a life of its own due to software errors and, in particular, manipulated AI? (11)  Are humans incapable of maintaining peace without taking such risks? 

Solutions via the United Nations 

 In my opinion, an alternative possibility to an unchecked spiral of rearmament lies in the democratization and simultaneous strengthening of the United Nations. 
Experience with the outbreak of violent conflicts, including outright wars, shows that militant and non-legitimate forces usually try to seize power when existing power structures are eliminated or weakened, i.e. in the situation of an emerging power vacuum. Even if an imbalance of power arises, the danger of geostrategic and economic desires on the part of the much more powerful state increases. 
It is therefore necessary - if we think this through to its logical conclusion - for a superior, democratically strictly controlled power to take over global policing on behalf of the global community if the world is not to sink into a multitude of increasing wars and an increasingly militarized globalization with a fatal outcome. This also applies to man's war against nature and the attempt to contain the devastating ecological response in the form of the climate crisis. 
The only way forward is through a radical structural change in the UN, which must be achieved step by step by professional NGOs, national and local civil society movements in cooperation with interested parliaments and governments. 
Of course, the path to this goal is arduous and full of obstacles. Massive political, military and economic interests stand in the way. (12) 
There are numerous proposals for this inside and outside the UN. (13) They mainly concern the reform of the UN Security Council, international jurisdiction under the umbrella of the UN and the financing of the UN. Other proposals are also well developed, such as the activities of 'Democracy Without Borders' on global democracy (14) via a UN parliament (UNPA campaign), the introduction of global citizenship and initiatives for global direct democracy or the differentiated proposals of the peace initiative of 'Rethinking Security', for example with regard to global domestic policy and global policing measures. (15) The relevance and increased importance of the interaction between civil society initiatives and NGOs and existing UN institutions, such as the Economic and Social Council (ECOSOC), also represent opportunities for democratizing the UN. (16) 
It is possible that the EU, which is still in the process of development, points the way to such a future. Such alliances, which prevent wars between the states involved, would have to develop worldwide in five to six regions of the world, which in turn, by working together, would provide the strength to reform the UN. 

A chronology of future UN reforms 

The chronological outline of a corresponding reform towards a fair multipolar system under the umbrella of the UN could look as follows: 
The first step would be to establish a bicameral system - i.e. the UN General Assembly with delegates from national governments and a parliament elected globally in free and universal suffrage. The bicameral system, which would control each other, produce legislative initiatives and elect each other, would be the basis of a UN to be democratized in the future. 
A next step would be to suspend the right of veto of an aggressor permanent member of the UN Security Council, as in the case of the Russian Federation, for example, when a decision has to be taken regarding this conflict situation. 
A further step would - after some time - be the fundamental abolition of the veto right of privileged Security Council members and the equal election of all Security Council members by the two UN chambers. The distinction between permanent and rotating Security Council members would thus be abolished. 
In the course of these various steps, a strictly controlled and comprehensively legitimized world police force should be formed in cooperation with local authorities, NGOs and initiatives, which would intervene by decision of the UN Security Council when human rights and international law are massively violated. 
At the same time, control and disarmament treaties must be reinstated and, in a next step, made even more consistent. First of all, nation states must be separated from their most dangerous weapons systems, which must be destroyed in controlled processes - above all, of course, with regard to nuclear arsenals. The UN Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, which is currently in the process of being signed and ratified, would have been the first necessary step in this direction. 
Once the UN General Assembly has been empowered in conjunction with a UN Parliament to be determined in free elections, a kind of democratically elected world government controlled by the rule of law could be set up around the UN General Secretariat on the basis of such a bicameral system, which controls each other and initiates the key decision-making processes. The UN Secretary-General and the government representatives in the individual departments - on the proposal of the Secretary-General - would then be elected by the UN Parliament and confirmed by the UN General Assembly. 

Resistance to a multipolar world under the aegis of the UN 

 There will be considerable resistance to such a reform of the UN and a subsequent global domestic policy. 
Of course, the states that benefit from the existing political and global economic order and do not want to see their influence curtailed by consistent reforms of the UN are the main ones. For example, it is unlikely that the permanent members of the UN Security Council will voluntarily relinquish their veto rights. Only the interaction of catastrophic global developments with civil society and institutional pressure will lead to a change in behavior. 
The structures of global capitalist production and appropriation, whose actors profit from wars, should certainly also be mentioned here. The beneficiaries here are shareholders in the arms industry as well as multinational corporations and international finance capital, which know how to exploit war successes, e.g. with regard to the exploitation of regional resources. 
Orthodox groups and forces in all major religions, which strive for a mixture of state and institutionalized religion in order to combine social domination with internal power over people, will also be fanatical opponents of democratically organized multipolarity. 
However, there are also developments in consciousness that have emerged in the context of an 'imperial way of life' (Brand/Wissen 2017) (17). In particular, the mentality of many people in rich countries and from the world's privileged social milieus that both the global South and the natural environment are a field of unlimited benefit maximization in an intergenerational egoistic sense contributes to the fact that necessary socio-ecological reforms, but also peace-building measures and supra-regional reconciliation of interests at a fair negotiation level find too little support. 
Another factor in this context is the rise of populist far-right parties, which are increasingly successful in exploiting the fears and prejudices of local populations caused by flight and migration. Right-wing extremist politicians are national chauvinists and are staunch opponents of multilateral cooperation in the sense outlined here. 

A utopia in the distant future? 

Of course, many will object that peaceful cooperation under a common roof is just a utopia that lies in the distant future. Of course, such a process - despite the high and immediate pressure of problems - will take generations to establish itself. Nevertheless, isn't the new quality already evident in the old? There are already plenty of viable peace policy approaches and reform-minded milieus: civil society movements, institutional reform tendencies, forms of living and working in solidarity, media counter-publics, trade union resistance and approaches to inner-party democracy, transformations of regional and supra-regional cooperation and reform movements represented in the United Nations. The existing and yet to be increased opportunities for civil society forces to exert influence in the United Nations should also be mentioned here. 
This does not mean that the forces for peace will certainly gain the upper hand. The conflict is ongoing and the imperial forces are becoming increasingly aggressive. At the same time, the reactionary and national-chauvinist forces within societies are being strengthened and are increasingly challenging the question of power even in societies that claim to be democratic. 
Much will depend on the extent to which the majority of societies recognize what can be lost and what needs to be achieved in terms of freedom, justice and democracy. Only if the majority of societies, some of whom are still silent, recognize what is really at stake in these decades will the world be able to become more peaceful again, will the climate crisis be defused, will the global injustice and poverty of large parts of the world's population be eliminated and will democracy - in various forms - be able to assert itself. However, this process takes place in a confrontation with power relations and power structures and is not easy or safe everywhere. The danger of such engagement increases with the degree of repression of a political system internally. 
Political-historical education and media responsibility will continue to play an important role here - two areas that are, however, always threatened by power structures and systemic tendencies of appropriation. 

A growing peace movement as a prerequisite for peace-promoting change 

The peace movement must network internationally - including in the United Nations - and must provide answers to the military-supported abuse of power that lead to political influence on the actions of those responsible. 
However, a peace movement in a self-confirming bubble does not help, but would be part of the problem. Only an independent and critical international peace movement will become a serious opponent of the profiteers of war - international finance capital and those in power who enrich themselves excessively through internal and external repression. Only a peace movement that has learned to communicate with other groups active in civil society as well as with parties, governments, parliaments or supranational institutions is in a position to exert an effective influence in the sense meant here. 
Only a peace movement that is independent of parties, states and dogmatic ideological orientation and that applies its critical analysis wherever economic, military and political power is abused deserves its name as a peace movement. Such an independent and critical stance is the prerequisite for the peace movement to emerge from a hitherto rather limited social milieu and reach broader circles and network internationally - just as, for example, the civil society counter-movement to the Vietnam War did so effectively. 

There is no alternative 

 With regard to the necessary reforms of the UN and the importance of multilateral understanding, the long-standing UN diplomat Hans von Sponeck (2023) (18) agrees:
"To move from a lose-lose to a win-win United Nations will take time, much time; infinite patience; hard-nosed perseverance; and strong leadership at both government and non-government levels.   
The stakes for humanity and for a reformed United Nations are high when a culture of selfishness, of greed and corruption, competition and impunity prevail, instead of a humane and ecologically sensitive realism for international relations, determined by an atmosphere of trust, empathy, convergence, compromise, and accountability.
The choice? There is no choice!"  (19)
One thing is clear: if there is no overarching, democratically legitimized, constitutional authority that has the power to disarm imperial forces and politically strengthen peace-bringing forces, then the global war regime will continue to grow and the world will sink into a multitude of wars - which will eventually be nuclear. It will also not be possible to free up the necessary resources in a joint international effort to contain the threatening climate development. Large parts of the world's population will be on the run, right-wing extremist forces will be strengthened.
Many will say that the development of a fair multipolar world under the umbrella of the UN may take generations, if it can succeed at all. However, the question must be asked: does humanity have any alternative if it wants to achieve global peace, an ecologically compatible situation and a change in unjust living conditions - in other words, if humanity as a species still wants to have a chance on this planet?
 
(The article was published in a slightly modified version in: Telepolis, https://www.telepolis.de/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html, 1/7/2024.)
 
 
Notes

[1] Cf. Negri, Antonio: Let us fight globally against the war regime! In: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/antonio-negri-kaempfen-wir-global-gegen-das-kriegsregime, 19.12.2023.
[2] Cf. for a recognized definition of war: Kende, Istvan (1971): Twenty-five Years of Local Wars. In: Journal of Peace Research, 1971, 1.
[3] Cf. https://de.statista.com/themen/5861/kriege-und-internationale-konfliktsituationen/#topicOverview, 21.6.2023.
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168188/umfrage/anzahl-internationale-konflikte/,
2.1.2024.
[5] Cf. https://www.tagesschau.de/wissen/krieg-frieden-leibniz-institut-konfliktforschung-ukraine-100.html, 9.9.2023.
[6] Cf. e.g. the following sources: https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe, 10.11.2021,
https://www.imi-online.de/2021/12/16/die-neue-nachruestung/, 16.12.2021, https://www.hessenschau.de/panorama/hyperschallwaffen-in-mainz-kastel-der-kalte-krieg-kehrt-zurueck-nach-wiesbaden,airbase-kastel-hyperwaffen-100.html, 13.1.2022, https://www.fr.de/rhein-main/wiesbaden/wiesbaden-alte-befuerchtungen-91277511.html, 2.2.2022.
[7] The report  launched by Bernhard Trautvetter and the first signatories at the end of 2023
appeal against nuclear armament launched by Bernhard Trautvetter and the first signatories can be signed at https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung
[8] Cf. e.g.
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-stanislaw-petrow-verhindert-atomkrieg-100.html,
26.9.2018.
[9] Cf. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/militaerische-abschreckung-herfried-muenkler-raet-europa-zur-atomaren-aufruestung-a-49e8f606-1ca4-4b48-82dd-099d611f33d6,
29.11.23.
[10] Cf. the corresponding statements in https://www.merkur.de/politik/ukraine-friede-krieg-ende-russland-atomwaffen-sanktionen-militar-putin-podcast-masala-92235281.html, 25.4.2023.
[11] Cf. on the dangerous interplay between AI and nuclear weapons, e.g. Bläsius, Hans Karl
(2023): Protecting or threatening nuclear weapons - threat situations and protection options. https://www.fwes.info/Atomwaffen-schuetzen-oder-bedrohen-2023-2.pdf, 11.12.2023.
[12] This path as well as the obstacles and opportunities are described in more detail in my
now freely readable published book 'Neuordnung': https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/, 1.9.2023; see also Moegling, Klaus (2023): On the way to a social pacification. Strategies, commitment and goals must be supported by the same values. In: Harmsen, Dirk-M./Maaß Stefan/Scheffler, Horst/Ziegler, Theodor (eds.): Weltinnenpolitik und Internationale 
Police. Göttingen: Brill, 69-77. 
[13] Cf. inter alia the extensive publications on reform proposals in relation to the UN by 
Zumach, Andreas (2021): Reform or Blockade. What future does the UN have? 
Zurich: Rotpunktverlag, 29ff. and Trent, John/ Schnurr, Laura (2021): Renaissance 
of the United Nations. Present and potential in the 21st century. Opladen, 
Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, 143ff. 
[14] Cf. Democracy Without Borders (Ed.): https://www.democracywithoutborders.org/promoting-global-governance/, n.d., cf. also Leinen, Jo/ Bummel, Andreas (2017): The Democratic 
World Parliament. A cosmopolitan vision. Bonn: Dietz-Verlag. 
[15] Cf. Rethinking Security Initiative (2023): Rethinking security strategies. Stopping and overcoming violence. https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/353462/snd-impulspapier-nr.-4-sicherheits-strategien-neu-denken-20.11.2023.pdf, 20.11.2023 
[16] Cf. Zafarana, Zaira (2024): Civil society and the United Nations. In: PeaceForum, H. 1/2024,46ff. 
[17] Cf. Brand, Ulrich/ Wissen, Markus (2017): On the exploitation of people and nature in 
global capitalism. Munich: Oekom-Verlag, and Behr, Alexander (2022): Global Solidarity. How we can overcome the imperial way of life and implement the implement the socio-ecological transformation. Munich: Oekom. 
[18] Dr. h.c. Hans von Sponeck was a UN diplomat in various leading leadership functions, including UN Assistant Secretary-General. 
[19] Quote from an as yet unpublished lecture by Hans von Sponeck: United Nations: Working 
Towards Effective Multilateralism. Istanbul, December 8, 2023. 
 




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Appell gegen die nukleare Aufrüstung 


von: Klaus Moegling

18.12.2023


Die u.a. in Kaliningrad stehenden russischen, nuklear bestückbaren Hyperschallraketen können in wenigen Minuten Deutschland erreichen. Dies stellt eine bedrohliche Entwicklung dar und ist eine unverantwortliche Maßnahme der Regierung der Russischen Föderation. Nun droht die Gegenreaktion der USA und der NATO, indem sich die Anzeichen verdichten, dass auch in Europa, z.B. in Deutschland oder in Polen, bisher konventionell getestete (‚Dark Eagle‘) stationiert werden sollen. (1) 
Hyperschallraketen sind sie auch als konventionelle Waffe ein nicht zu verteidigendes Kampfmittel im Sinne eines Enthauptungsschlages und könnten zu einem nuklear geführten Krieg führen. 

Diese Waffen bewegen sich deutlich schneller als Mach 5 (=über 6000 km/Std.), tragen lenkbare Gleitflugkörper, die mit den bisherigen Abwehrtechniken nicht mehr zu verteidigen sind. Eine Reaktion ist aufgrund der hohen Fluggeschwindigkeit und der Unberechenbarkeit der Flugbahn nicht mehr möglich. Bei einem Softwarefehler bzw. einer Eigendynamik oder einem fehlerhaften Verhalten der KI ist weder die Abwehr noch die umfassende Prüfung einer angemessenen Gegenreaktion möglich.
Analysiert man diese bedenkliche Entwicklung im Kontext nuklearer Modernisierungstendenzen, wie z.B. der im Rahmen der nuklearen Teilhabe neu anzuschaffenden Kampfjets F-35, einem Tarnkappen-Mehrzweckflugzeug mit der Höchstgeschwindigkeit von 1,6 Mach, sowie dem damit verbundenen Kampfflugzeugsystem FCAS, dann wird auch der westliche, und insbesondere der deutsche, Anteil an der nuklearen Eskalationsspirale in Europa deutlich. (2) 

Daher haben wir – Bernhard Trautvetter und die Erstunterzeichner_innen –  gerade angesichts der gegenwärtigen aggressiven globalen Situation einen Appell gegen die Stationierung der Hyperschallraketen und gegen die nukleare Aufrüstung auf den Weg gebracht und die Rückkehr zu Abrüstungsverhandlungen eingefordert. Hierbei ist die deutsche Bundesregierung der Adressat. Wir fordern von der Bundesregierung ein Veto gegen die zukünftige Stationierung von Hyperschallraketen sowie ein Eintreten für die Wiederbelebung bzw. Weiterentwicklung von Verträgen zur nuklearen Abrüstung.

Der Text des Appells gegen die nukleare Aufrüstung: 

"Die Anzeichen verdichten sich, dass die USA in naher Zukunft in Deutschland Hyperschallraketen stationieren wollen. Wir appellieren an die Bundesregierung, eine Aufstellung von US-Hyperschallraketen in Deutschland zu verhindern.
Diese Raketen steigern, wie auch die ebenso unverantwortliche Stationierung der russischen Hyperschallraketen in Kaliningrad, aufgrund ihrer kurzen Flug- und damit faktisch nicht mehr vorhandenen Vorwarnzeit das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen. Das Mitteilungsblatt (Bulletin) kritischer Nuklearwissenschaftler stuft die Gefahr eines Atomkriegs ohnehin schon so hoch ein, wie nie seit Hiroshima. 
Niemand hat das Recht, das völlig unkalkulierbare Risiko des Atomkrieges jemals einzugehen.
Schon konventionell bestückt steigern US-Hyperschallraketen auf europäischem Boden im Spannungsfall wegen ihrer Fähigkeit, gegnerische Führungszentralen mit einem Enthauptungsschlag auszuschalten, die Eskalationsgefahr im Vorfeld eines Atomkrieges. 
Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend eine Verhandlungsinitiative zwischen den Nato-Staaten und Russland zu initiieren, um die gekündigten Abrüstungs- und Beschränkungsverträge für atomare und konventionelle Waffen- und Trägersysteme unverzüglich zu reaktivieren, so dass ein Atomkrieg aus Versehen oder aufgrund technischer Fehler auszuschließen ist. 
Mittelfristig erwarten wir von unserer, der westlichen Seite eine Initiative zu einer weitgehenden Abrüstungsoffensive gemäß der unterzeichneten Verträge wie dem UNO-Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV). Ein erster Schritt dafür ist Deutschlands Unterschrift unter den bereits völkerrechtlich gültigen Atomwaffenverbotsvertrag (AVV)."

Zur Unterzeichnung auf Change.org: 

https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung 

Fortführung der Debatte

Gern würde ich die Diskussion – wie bei meinen anderen Beiträgen -  hierzu eröffnen und bin gespannt auf weitere Hinweise in Bezug auf eine drohende nukleare Eskalation im Zusammenhang mit Hyperschallraketenstationierungen und Maßnahmen im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland (Diskussionsbeiträge bitte an klaus(at)moegling.de senden, hierbei at durch @ ersetzen). Natürlich sind wir nicht naiv. Hinter der militärischen Eskalation stehen politische und ökonomische Interessen. Doch bei einem nuklearen Inferno sind alle Verlierer – auch die Milliardäre und die Kriegsherren auf allen Seiten.
Die österreichische Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) kritisiert die Uneinsichtigkeit und Dummheit der Kriegstreiber und der Politik der Abschreckung und eskalierender Bestrafungsaktionen. Sie schreibt in diesem Zusammenhang sehr treffend
"Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen - nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden."  (2) (3)
 
Anmerkungen 
(1): Vgl. folgende Quellen hierzu: 
https://www.imi-online.de/2021/12/16/die-neue-nachruestung/, https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_reports/RRA800/RRA809-1/RAND_RRA809-1.pdf, https://www.hessenschau.de/panorama/hyperschallwaffen-in-mainz-kastel-der-kalte-krieg-kehrt-zurueck-nach-wiesbaden,airbase-kastel-hyperwaffen-100.html, 
https://www.nachdenkseiten.de/?p=107893,
https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe,
https://merkurist.de/wiesbaden/us-militaer-das-sagt-die-us-regierung-zu-den-raketengeruechten-in-mainz-kastel_XLP,
https://www.fr.de/rhein-main/wiesbaden/wiesbaden-alte-befuerchtungen-91277511.html
(2) Vgl. hierzu die Verlautbarungen des Bundesverteidigungsministeriums in  

https://www.bmvg.de/de/tornado-nachfolger-beschaffung-neue-kampfflugzeuge-fuer-truppe und https://www.bmvg.de/de/aktuelles/f-35-das-mehrzweckkampfflugzeug-der-neuesten-generation-5371316 

(3): Aus:Bertha von Suttner "Die Waffen nieder", S.218 - Livi Verlag 2022 (mein Dank gilt Ulrike Koushan für den Hinweis auf dieses aussagekräftige Zitat.)
(4) Zuerst veröffentlicht in: https://www.freitag.de/autoren/profdrklausmoegling1952/hyperschallraketen-appell-gegen-die-nukleare-aufruestung, 18.12.2023.

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Appeal against nuclear armament 


by: Klaus Moegling

December 12, 2023


The Russian nuclear-capable hypersonic missiles located in Kaliningrad, among other places, can reach Germany in a matter of minutes. This is a threatening development and an irresponsible measure by the government of the Russian Federation. The USA and NATO are now threatening a counter-reaction, with increasing signs that hypersonic missiles ('Dark Eagle'), which have been conventionally tested, are also to be stationed in Europe, e.g. in Germany or Poland. (1)
Hypersonic missiles as a conventional weapon are  an undefendable weapon in the sense of a decapitation strike. 
These weapons travel significantly faster than Mach 5 (= over 6000 km/h) and carry steerable gliding missiles that can no longer be defended against using existing defense techniques. A reaction is no longer possible due to the high flight speed and the unpredictability of the flight path. In the event of a software error, self-dynamics or faulty behavior of the AI, neither defense nor comprehensive testing of an appropriate counter-reaction is possible. 
If one analyses this alarming development in the context of nuclear modernization trends, such as the F-35 fighter jets to be purchased as part of nuclear sharing, a stealth multi-role aircraft with a maximum speed of 1.6 Mach, and the associated FCAS fighter aircraft system, then the Western, and in particular the German, contribution to the nuclear escalation spiral in Europe also becomes clear. (2)
This is why we - Bernhard Trautvetter and the first signatories - have launched an appeal against against the deployment of hypersonic missiles and nuclear armament and called for a return to disarmament negotiations, particularly in view of the current aggressive global situation. The German government is the addressee here. We call on the German government to veto the future deployment of hypersonic missiles and to advocate the revival or further development of nuclear disarmament treaties. 

The text of the appeal against nuclear armament: 

"There are increasing signs that the USA intends to station hypersonic missiles in Germany in the near future. We appeal to the German government to prevent the deployment of US hypersonic missiles in Germany.
These missiles, as well as the equally irresponsible stationing of Russian hypersonic missiles in Kaliningrad, increase the risk of an accidental nuclear war due to their short flight time and the fact that there is virtually no warning time. The Bulletin of Critical Nuclear Scientists already rates the risk of nuclear war as higher than at any time since Hiroshima.
 No one has the right to ever take the completely incalculable risk of nuclear war.
Even when conventionally equipped, US hypersonic missiles on European soil increase the risk of escalation in the run-up to a nuclear war in the event of tension due to their ability to take out enemy command centers with a decapitation strike.
 We call on the German government to immediately launch a negotiation initiative between the NATO states and Russia to reactivate the terminated disarmament and limitation treaties for nuclear and conventional weapons and delivery systems without delay, so that a nuclear war by mistake or due to technical errors can be ruled out.
 In the medium term, we expect our side, the Western side, to take the initiative for a far-reaching disarmament offensive in accordance with the signed treaties such as the UN Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT). A first step in this direction is Germany's signature of the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW), which is already valid under international law."
 
 To sign on Change.org:

https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung 

Continuation of the debate

As with my other contributions in the community, I would be happy to open the discussion on this and am looking forward to further information on the threat of nuclear escalation in connection with hypersonic missile deployments and measures within the framework of the nuclear sharing of the Federal Republic of Germany. Of course we are not naive. There are political and economic interests behind the military escalation. But in a nuclear inferno, everyone loses - including the billionaires and warlords on all sides.
The Austrian Nobel Prize winner Bertha von Suttner (1843-1914) criticized the lack of insight and stupidity of the warmongers and the policy of deterrence and escalating punitive actions. She writes very aptly in this context
"It will not occur to any sensible person to want to clean up ink stains with ink, oil stains with oil - only blood, which should always be washed out with blood."  (3) (4)
 
Notes 
(1): Cf. the following sources on this: 
https://www.imi-online.de/2021/12/16/die-neue-nachruestung/, https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_reports/RRA800/RRA809-1/RAND_RRA809-1.pdf, https://www.hessenschau.de/panorama/hyperschallwaffen-in-mainz-kastel-der-kalte-krieg-kehrt-zurueck-nach-wiesbaden,airbase-kastel-hyperwaffen-100.html, 

https://www.nachdenkseiten.de/?p=107893,
 https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe,
https://merkurist.de/wiesbaden/us-militaer-das-sagt-die-us-regierung-zu-den-raketengeruechten-in-mainz-kastel_XLP,
https://www.fr.de/rhein-main/wiesbaden/wiesbaden-alte-befuerchtungen-91277511.html 

(2) Cf. the statements of the Federal Ministry of Defense in  

https://www.bmvg.de/de/tornado-nachfolger-beschaffung-neue-kampfflugzeuge-fuer-truppe und https://www.bmvg.de/de/aktuelles/f-35-das-mehrzweckkampfflugzeug-der-neuesten-generation-5371316 

(3): From:Bertha von Suttner "Die Waffen nieder", p.218 - Livi Verlag 2022 (my thanks to Ulrike Koushan for pointing out this meaningful quote). 
(4) First published in:
 https://www.freitag.de/autoren/profdrklausmoegling1952/hyperschallraketen-appell-gegen-die-nukleare-aufruestung, 18.12.2023.


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Internationale 

Friedenskonferenz in Wien: 

 Wie kann die internationale

 Friedensbewegung wieder an

 Bedeutung gewinnen? 


von Klaus Moegling

15.6.2023, letzte Aktualisierung: 18.6.2023


Analyse. Obwohl die Bedenken hinsichtlich der Eskalation des Kriegs in der Ukraine in vielen Ländern sowohl bei den Regierenden als auch in der Bevölkerung wachsen, fristet die eigentlich derzeit in voller Stärke gebrauchte internationale Friedensbewegung noch ein Schattendasein. Was sind die Gründe hierfür? Welche Perspektiven lassen sich für eine zu stärkende internationale Friedensbewegung entwickeln? 


Zum konflikthaften Ablauf der Tagung ‚International Summit for Peace in Ukraine, Vienna‘ 

Am 10./11.6.2023 fand eine internationale Friedenskonferenz mit ca.300 dort anwesenden Teilnehmern*innen aus 35 Ländern in Wien statt. [1] Das Ziel dieses Kongresses sollte u.a. die Verabschiedung einer ‚Wiener Erklärung für den Frieden‘ sein.  Doch ein erstes Problem trat bereits vor der Konferenz auf. Bereits zwei Tage vor der Tagung sagte der Österreichische Gewerkschaftskongress (ÖGB) überraschend die bereits zugesagten Räumlichkeiten für die Tagung ab, da dort unerwünschte Redner vertreten seien. Der ukrainische Botschafter in Österreich, Chymynez, hatte die Blockierung der Räume gefordert und begründete dies mit der Teilnahme von Rednern, wie z.B. Prof. Jeffrey Sachs, der einen einseitigen Blickwinkel auf den Krieg in der Ukraine habe. Auch fehle in „vorliegenden Papieren der Konferenz (…) eindeutig, dass ein nachhaltiger und umfassender Frieden nur im Einklang mit dem Völkerrecht und der Befreiung aller von Russland besetzten Gebieten möglich ist". [2] 

Dann sagte auch noch der Presseclub Concordia die Veranstaltung zur Presseinformation mit der Begründung ab, es gehe „um die bei dieser Konferenz angekündigten Leute und wo sie sonst auftreten, nämlich nach dem 24. Februar 2022 in Kreml-Propagandamedien, wo zum Massenmord an der ukrainischen Zivilbevölkerung aufgerufen wird“ [3] 

Jeffrey Sachs ist sicherlich auf dem russischen Auge ziemlich blind. Auch lässt er sich von russischen Propagandisten Solowjew ins Fernsehen einladen - einem Hetzer, der den Angriff u.a. auf Deutschland fordert. Das ist Sachs sicherlich vorzuwerfen. Aber er kann die Historie des Ukraine-Kriegs aus der US-kritischen Perspektive immerhin kenntnisreich dokumentieren. 

Seine Einseitigkeit dürfte aber weder von dem ukrainischen Botschafter noch von den Gewerkschaften als Argument herhalten, eine derartige internationale Friedenskonferenz zu blockieren. Insbesondere den Gewerkschaften (ÖGB) ist vorzuwerfen, dass sie vor dem politischen Druck eingeknickt sind. Sie hätten durchaus Gewerkschafter auf den Kongress entsenden und hier kritisch gegen die Einseitigkeit von Sachs argumentieren können. Da hätte es sicherlich Redemöglichkeiten für Gewerkschaftsvertreter_innen gegeben. 

Daher lässt sich feststellen, dass in einer Gesellschaft mit einem deutlichen Demokratieanspruch versucht wurde, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine auf undemokratische Weise aufgrund u.a. des Vorstoßes des ukrainischen Botschafters zu verhindern. 

Es gelang den Veranstaltern jedoch, u.a. das International Peace Bureau (IPB), der Women’s International League for Peace & Freedom (WILPF), CODEPINK (USA) und das österreichische Aktionsbündnis für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit (AbFaNG), kurzfristig neue Räumlichkeiten zu finden, so dass die Veranstaltung dennoch stattfinden konnte. 

Nach einem ausverkauften und von Gerhard Kofler (AbFaNG) moderierten Auftaktkonzert am Freitagabend zum 180. Geburtstag der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner („Die Waffen nieder!“) u.a. mit dem 1. Österreichischen Frauenorchester fanden dann am Wochenende zahlreiche friedenspolitische Vorträge und Grußbotschaften sowie zwei Phasen mit Workshopgruppen statt. Zum Schluss der Tagung wurde eine fertige Deklaration der Autoren dem Plenum präsentiert, wobei hier Stellungnahmen im Plenum bzw. eine Diskussion nicht erwünscht waren (Reiner Braun, IPB: „nur eine Deklaration der Organisatoren“). Das Abschlussdokument wurde dann auch lediglich als die Deklaration der Vorbereitungsgruppe dargestellt.

Besser aber wäre es gewesen, das Dokument am Sonntagvormittag in allen Workshop-Gruppen zur Diskussion zu stellen, im Plenum es erneut anzudiskutieren und dann noch einmal redaktionell zu überarbeiten. Das wäre demokratischer gewesen, da hier der gesamte Kongress tatsächlich partizipiert hätte. Dann wäre die Deklaration möglicherweise auch anders ausgefallen.  Hier stellt sich also die Frage nach den Machtstrukturen in der Friedensbewegung und den damit verbundenen Verengungen von Diskussionskanälen. 

Zu den Inhalten der Friedenstagung 

Während der Tagung gelang es den Veranstaltern, Vertretern*innen der Friedensbewegung und der Politik aus vielen Ländern per Video oder live zu präsentieren. 

Hierbei wurden insbesondere von zum Teil im Exil lebenden Rednern*innen, die aus den direkt von dem Krieg in der Ukraine betroffenen Staaten stammten, wichtige Statements vorgenommen – einige Beispiele: 

 

Karyna  Radchenko (Ukraine), Partnership for Advancing Innovative Sustainability: 

„Nothing can justify weapons against civilians. Nothing can justify this invasion.“ 

Oleg Bodrow (Russland), IPB: 

There are „32 nuclear units around the Baltic region. (…) We cannot be enemies.“ 

Nina Potarska (Ukraine), WILPF: 

„Peace is not when shooting has ended. (…) Ukraines ask for guaranties for ceasefire.“ 

Yurii Sheliazhenko (Ukraine), Ukrainian Pacifist Movement: 

„Peace work: Turn enimies into friends. (…) War is killing, war is criminal.“ 

Olga Karach (Belarus), Our House: 

„Women often hear when they are trying to talk about their problems: 'we have no time for women's problems, for climate change problems, because we have a war.' “ 

 

Doch der hauptsächliche Tenor der Tagung - vor allem in den Plenumsbeiträgen - lag auf der Kritik des Westens und dessen Schuld bei der Entstehung des Kriegs in der Ukraine – auch hier einige Beispiele: 

 

Prof. Jeffrey Sachs (USA):  „The war should weaken Russia.“ (…) „US don’t think about Ukraine but about weakening Russia.“  „The United States stopped negotiations.“ 

Prof. Noam Chomsky (USA): „For a better negotation position (…) continuing slaughter and destruction.“ sowie 
Prof. Anuradha Chenoy (India): „Peace has come when the West wants it.“ 

Auch in weiteren Redebeiträgen, u.a. vom IPB-Organisator Reiner Braun oder von Alain Rouy (National Secretary of Movement de la Paix, France), wurden vor allem der Westen, also insbesondere die USA, die NATO und die EU, für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht. 

Die von den Organisatoren selbst erstellte und leider nicht im Plenum diskutierte Abschlusserklärung beschränkte ihre Kritik an dem russischen Angriff auf die Ukraine auf den knappen Satz „We condemn Russia’s illegal invasion of Ukraine.“ Die  Forderung nach dem Abzug der russischen Truppen und der Einstellung der russischen Luftangriffe fehlte jedoch. Hier wäre eine Öffnung zu weiteren politischen Positionen besser gewesen, wenn man den zuvor medial geäußerten Verdacht der politischen Einseitigkeit hätte zerstreuen wollen. 

Perspektiven für die internationale Friedensbewegung 

Was lässt sich nun aus dem Ablauf und den Inhalten dieser internationalen Konferenz hinsichtlich der Perspektiven für die internationale Friedensbewegung folgern? 

Hauptgegner sind immer noch die NATO und die USA sowie die EU - also die Hauptakteure des sogenannten Westens. Übergangen wird in den meisten Redebeiträgen der brutale Imperialismus Russlands. Nur wenige Teilnehmer_innen verweisen darauf, dass es sich bei der gegenwärtigen russischen Regierung und den damit verbundenen Institutionen um ein autoritäres Regime handelt, das nach innen repressiv seine Opposition ausschaltet und nach außen imperialistisch-aggressiv agiert. 

Die Kritik an den völkerrechtswidrigen Kriegen der USA, wie z.B. dem Vietnamkrieg oder den 2. Irakkrieg, ist nachvollziehbar und berechtigt. Aber in diesem Fall ist die Russische Föderation in ihren Nachbarstaat mit dem Ziel einmarschiert, die Staatlichkeit der Ukraine zu zerstören. Dies haben das russische Militär sowie u.a. die Privatarmee der Wagner-Gruppe mit unglaublicher Brutalität gegen die ukrainische Zivilbevölkerung vorgenommen. Auch die völkische Ideologie und die rassistische Überhöhung des Russentums in Verbindung mit den russischen Großmachtambitionen müssten von der Friedensbewegung beim Namen genannt werden, wenn sie aus der ideologischen Sackgasse und der geopolitisch einseitigen Sichtweise herauskommen will, in der sie sich jetzt noch befindet. Das bedeutet nicht - um nicht missverstanden zu werden -  die westlichen ökonomischen und geopolitischen Interessen zu verschweigen. Die Profite des militärisch-industriellen Komplexes, die Bewirtschaftung riesiger ukrainischer Agrarflächen durch US-Konzerne, Bodenschätze, z.B. bereits entdeckte Gasvorkommen und weitere Bodenschätze in der Süd- und Ostukraine, wie Lithium, Grafit und Kobalt und verschiedene Seltene Erden, winkende Profite im Falle eines wirtschaftlichen Wiederaufbaus sowie Strategien geopolitischer Konkurrenz spielen sicherlich eine Rolle bei dem bisherigen Desinteresse der US-Regierung an ernstzunehmenden Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung sowie der westlichen Intervention in die Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022.  [4] 

Nur ein ukrainischer Sieg würde diesen ökonomischen und politischen Interessen nutzen. Dies muss auch kritisch analysiert und klar angesprochen werden. 

Also sollte für die Friedensbewegung gelten: Das eine nicht lassen, das andere aber ebenfalls tun. Die westlichen Interessen und das Ausschlagen diplomatischer Verhandlungsergebnisse  einerseits und andererseits die Verurteilung der russischen Aggression als völkerrechtswidrig verbunden mit der Forderung, das russischen Militärs aus dem ukrainischen Gebiet zurückzuziehen, müssten von der Friedensbewegung angemessen thematisiert werden. 

Wenn dies glaubhaft öffentlich vermittelt werden kann, wird die Friedensbewegung wieder aus dem Schatten treten können und den Zulauf und die Unterstützung bekommen, welche die brutale Problematik derzeit weltweit geführter Kriege verdient. 

Diese Einschätzung wird manchem ideologischen Hardliner nicht gefallen, der immer noch aus alter Verbundenheit denkt, die russische Regierung und Putin seien in der gegenwärtigen Lage zu unterstützen und es handele sich vorwiegend um einen US-imperialistischen Stellvertreterkrieg. Doch im Interesse des internationalen Friedens und auch letztlich im Interesse der internationalen Friedensbewegung ist eine kritische Perspektive auf beide Seiten zu fordern. 

Dementsprechend schreibt die österreichische Journalistin Anna Giulia Fink in ihrem Kommentar in der Tageszeitschrift ‚Der Standard‘: 

„Die alte Friedensbewegung mag es gut meinen in ihren Absichten: Tatsächlich sollte alles versucht werden, um ernsthafte Initiativen für Verhandlungen zu ermöglichen. (…) Zwar wird Moskau als Aggressor bezeichnet, aber nicht alle gestehen der Ukraine das Recht zu, fremde Streitkräfte aus dem eigenen Land zu vertreiben. Mehr noch: Kiew wird Mitschuld an der Invasion gegeben. Diese Weigerung, die Positionen des unbedingten Pazifismus zu hinterfragen, ist gefährlich: Sie macht blind für russische Kriegsverbrechen. Diese waren bei der sogenannten Friedenskonferenz nur am Rande Thema.“ [5] 
Auch wenn ‚Der Standard‘ im Laufe seiner Berichterstattung z.T. unbegründete Vorwürfe erhob bzw. über Unerwünschtes nicht berichtete, wird hier ein wichtiger Aspekt angesprochen: Ein ‚unbedingter Pazifismus‘ kann zur fehlenden militärischen Gegenwehr gegen einen verbrecherischen Überfall auf ein Land, wie der Ukraine, führen. In diesem Fall ist ein derartiger Pazifismus bequem und gut für das eigene Gewissen, aber er hilft letztendlich dem angegriffenen Land wenig. Mit Liederketten, Sitzblockaden oder Gebeten, also mit zivilgesellschaftlichem Widerstand, hätten sich auch die Nationalsozialisten nicht aufhalten lassen. Genauso verhält sich dies im Falle des russischen Angriffs in der Ukraine. Bis zu einem gewissen Punkt waren Waffenlieferungen in die Ukraine zur Selbstverteidigung (leider) notwendig. Die gebrochenen Versprechen an die russische Seite sowie die ökonomischen, politischen und geostrategischen Interessen des Westens hätten für die Russische Föderation ein Grund für weitere und intensivierte Verhandlungen gewesen sein können. Sie können jedoch nicht als Grund für den brutalen Überfall auf den ukrainischen Nachbarstaat gelten.
Wie verwerflich ist es, dass jetzt die ganze Welt weiter aufrüstet, Waffen kauft und Atomwaffen modernisiert, Rüstungskonzerne riesige Profite erzielen und die Finanzierung des unbedingt Notwendigen zu kurz kommen wird: Die Beseitigung des Welthungers und globaler Ungerechtigkeit, der Kampf gegen die eintretende Klimakatastrophe und die Beendigung der weltweiten mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikte.

Das Ziel von Verhandlungen muss es nun sein, dass sich das russische Militär soweit wie möglich in Richtung auf ihre eigenen Staatsgrenzen zurückzieht, beide Staaten müssen die Kampfhandlungen einstellen, es ist eine international zu schützende entmilitarisierte Zone an der russischen Ostgrenze zur Ukraine einzurichten und über den Status der Krim sowie der weiteren russisch besetzten Gebiete muss verhandelt werden. Dies sollten zentrale Forderungen der internationalen Friedensbewegung sein. Bis dahin aber ist die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung gegenüber einem übermächtigen Angreifer zu unterstützen – allerdings ohne solche Waffen zu liefern, die den Krieg noch mehr eskalieren können und vollends außer Kontrolle geraten lassen. Ausgeschlossen hiervon sollten daher Lieferungen z.B. von Kampfjets und Langstreckenraketen sein, da hiermit Angriffe auf russisch besetztes und innerrussisches Gebiet möglich und wahrscheinlich werden. Dann wäre der Punkt des ‚no return‘ erreicht und die Eskalationsdynamik ließe sich nicht mehr kontrollieren. Zwangsläufig würden dann die Stimmen noch lauter werden, auch NATO-Soldaten im größeren Umfang einzusetzen. 
Hier wird deutlich, wie wichtig es wäre, wenn wir eine immer größer werdende zivilgesellschaftliche Friedensbewegung hätten, welche die Problematik differenziert und mehrperspektivisch wahrnehmen kann und die herrschende Politik mehr und mehr unter Druck setzt, den verhängnisvollen bellizistischen Eskalationskurs zu verlassen 

Waffenstillstandsverhandlungen sind so früh wie möglich zu beginnen und auch über internationalen Druck und die Vermittlung der hierfür zuständigen internationalen Organisationen (United Nations und OSZE) vorzunehmen. [6] 

 Wie wichtig ist die internationale Friedensbewegung? 

Das Problem ist, dass die Ukraine angegriffen wurde. Nicht die Amerikaner haben die russische Grenze überschritten, sondern die Russische Föderation die ukrainische Grenze.  Die RF hat sich vier ukrainische Regionen völkerrechtswidrig angeeignet und in ihr Staatsgebiet eingegliedert. Während der Invasion und der Besatzung hat die RF zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten. [7] 

All dies darf man nicht verdrängen und sich einseitig auf die Seite der Angreifer stellen bzw. diesen Ausbruch aus dem nach dem 2. Weltkrieg angelegten Versuchs einer rechtsbasierten Weltordnung relativieren, weil man die Geschichte der brutalen US-Übergriffe und deren Missachtung der internationalen Rechtsordnung in der Vergangenheit kennt. Wenn aber (organisierte) Teile der Friedensbewegung dies einseitig vornehmen und dort auch versuchen, die entscheidenden Machtpositionen zu besetzen, dann werden die zukünftig möglichen Teilnehmer_innen an Friedensaktionen verprellt, die mitarbeiten und sich ein selbstständiges kritisches Bild machen wollen. Auch wird die Friedensbewegung dann nicht in der Öffentlichkeit ernst genommen bzw. wird sie weiterhin medial bekämpft werden. 

Der Weg aus der Sackgasse führt für die Friedensbewegung über genaue und gestufte Forderungen zu einem Friedensprozess, der sich präzise am Völkerrecht und insbesondere der UN-Charta orientiert. Alles andere ist aus meiner Sicht kontraproduktiv und nicht im Interesse der angegriffenen ukrainischen Zivilgesellschaft und der Teile der Welt, die den größten Nachteil durch diesen Krieg haben. 

Die BRD und deren (Ampel)Regierung sind ein bedeutender internationaler Akteur, der einen erheblichen Einfluss auf EU-Entscheidungen und auch auf Prozesse im internationalen Kontext hat. Daher müsste der prioritäre Adressat der deutschen Friedensbewegung erst einmal die deutsche Bundesregierung sein. Andere nationale Friedensbewegungen müssten hier dementsprechend auch auf ihre Regierungen Druck ausüben. 

Die internationale Friedensbewegung müsste sich vor allem an die UN, die OSZE und die EU wenden. 

Die zivilgesellschaftliche Bewegung gegen den Vietnam-Krieg und auch die Massenproteste gegen die Raketenstationierung in Europa hatten großen Erfolg und könnten (mit Einschränkungen) Vorbild für eine derartige Bewegung sein. 

Die Frage danach, wie die internationale Friedensbewegung aus der Sackgasse kommt, ist keine vorwiegend theoretische und abstrakte Fragestellung, sondern sie berührt unser aller existenzielles Interesse. Die gegenwärtig zu beobachtende sich beständig beschleunigende Eskalationsdynamik des Kriegs in der Ukraine zeigt, wie wichtig ein zivilgesellschaftlicher Gegenpol zu den diese Eskalation befeuernden Politiker_innen wäre. 

Dies alles macht aber nur Sinn und ist nur dann wirkungsvoll, wenn die Friedensbewegung zahlenmäßig wieder anwächst. Dies wird aber nur bei einer unabhängigen und jeden Machtmissbrauch kritisierenden Friedensbewegung der Fall sein. Hierzu wird es notwendig sein, die Machtstrukturen der gegenwärtigen Friedensbewegung kritisch zu analysieren und zu rekonstruieren, wie kritische Positionen von derzeitigen Drehpunkten der Friedensbewegung kanalisiert bzw. unterdrückt werden. Eine für ein weiteres friedenspolitisches Spektrum geöffnete Diskussion ist die Voraussetzung für das Anwachsen der Friedensbewegung und den Einbezug von Menschen, die sich selbst nicht als klassisch ‚links‘ einordnen. Hierbei geht es um das Gewinnen von Menschen für die Friedensbewegung, die aus der gesellschaftlichen Mitte stammen und in Kirchen, Sportvereinen, Gewerkschaften und Parteien aktiv sind. 

Ohne diese Veränderungen jedoch wird die derzeitige Friedensbewegung eher den Charakter einer – recht bedeutungslosen – politischen Gruppierung ohne einen nennenswerten friedenspolitischen Einfluss annehmen. Doch dies wäre fatal, denn die Welt benötigt gerade jetzt eine gestärkte und demokratische internationale Friedensbewegung. 

 

(Prof. Dr. habil. Klaus Moegling i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Homepage mit ökologischen, demokratietheoretischen und friedenspolitischen Inhalten: https://www.klaus-moegling.de/

 
Der Beitrag wurde in modifizierter Form zuerst in einer kurzen Ausgabe in der Online-Zeitschrift 'der Freitag/Community' veröffentlicht. Es ist derzeit der am meisten diskutierte Beitrag dort. Er ist zusammen mit allen Kommentaren zu finden unter 
https://www.freitag.de/autoren/profdrklausmoegling1952/internationale-friedenstagung-wie-kommt-die-internationale-friedensbewegung-aus-der-sackgasse, vom 15.6.2023.
Des Weiteren wurde er in einer längeren Version in der Zeitschrift 'Telepolis' veröffentlicht. Hier beginnt gerade die Diskussion:
https://www.telepolis.de/features/Kann-die-Friedensbewegung-wieder-an-Bedeutung-gewinnen-9190970.html?seite=all, 18.6.2023.

 

 Anmerkungen:

[1] Ca. 500 Personen waren zusätzlich per Video zugeschaltet.[
2]
https://www.puls24.at/news/politik/oegb-setzt-wiener-ukraine-friedensgipfel-vor-die-tuer/299396, 7.6.2023, 16.6.2023.
[3] https://www.puls24.at/news/politik/oegb-setzt-wiener-ukraine-friedensgipfel-vor-die-tuer/299396, 7.6.2023, 16.6.2023.
[4] Vgl. zur Intervention der USA und Großbritanniens kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen für eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine u.a. https://www.tagesspiegel.de/internationales/israels-ex-premier-befeuert-vorwurfe-wie-nah-kamen-kiew-und-moskau-einer-friedenslosung-9326102.html, 10.2.2023, 13.6.2023.
[5] Anna Giula Fink: Pazifisten in der Sachgasse. In: Der Standard, Ausgabe vom Montag, den 12.6.2023, S.20.
[6] Vgl. hierzu die verschiedenen Initiativen für eine internationale Friedensvermittlung bei https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
[7] Vgl. hierzu den Beitrag über die von russischen Soldaten begangenen Kriegsverbrechen in der Ukraine unter https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-internationaler-gerichtshof-101.html, 4.3.2023, 18.6.2023. Allerdings müssen ebenfalls ukrainische Kriegsverbrechen untersucht werden. Vgl. hierzu https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine-krieg--ukrainische-soldaten-filmten-wohl-eigenes-kriegsverbrechen-31766548.html, 8.4.2022, 18.6.2022. 


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 actual blog 10

International Peace Conference in Vienna: How can the international peace movement regain importance?

by Klaus Moegling

15th June 2023, actualized 18th June 2023


Analysis.
Although concerns about the escalation of the war in Ukraine are growing in many countries, both among those in power and among the population, the international peace movement, which would actually be needed in full strength at the moment, is still living a shadowy existence. What are the reasons for this? What perspectives can be developed for an international peace movement that needs to be strengthened?

About the conflictual course of the conference 'International Summit for Peace in Ukraine, Vienna'

On 10/11.6.2023 an international peace conference with about 300 participants from 35 countries took place in Vienna. [1] 

 he aim of this congress was to adopt a 'Vienna Declaration for Peace'.  But a first problem arose already before the conference. Already two days before the conference, the Austrian Trade Union Congress (ÖGB) surprisingly cancelled the already promised rooms for the conference, because there were undesirable speakers. The Ukrainian ambassador in Austria, Chymynez, demanded the blocking of the rooms and justified this with the participation of speakers, such as Prof. Jeffrey Sachs, who had a one-sided perspective on the war in Ukraine. He also said that in "available papers of the conference (...) it is clearly missing that sustainable and comprehensive peace is possible only in accordance with international law and liberation of all territories occupied by Russia."  [2] 

Then even the Concordia Press Club cancelled the press briefing event with the justification that it was "about the people announced at this conference and where else they appear, namely after February 24, 2022 in Kremlin propaganda media calling for mass murder of Ukrainian civilians"  [3] 

Jeffrey Sachs is certainly quite blind in the Russian eye. He also allows himself to be invited on television by Russian propagandist Soloviev - an agitator who calls for the attack on Germany, among other countries. Sachs is certainly to be blamed for that. But he can knowledgeably document the history of the Ukraine war from the U.S.-critical perspective.
However, his one-sidedness should not be used by the Ukrainian ambassador or the trade unions as an argument to block such an international peace conference. The trade unions (ÖGB) in particular are to be reproached for buckling under political pressure. They could have sent trade unionists to the congress and argued critically against the one-sidedness of Sachs. There would certainly have been opportunities for union representatives to speak.
Therefore, it can be stated that in a society with a clear claim to democracy, an attempt was made to prevent a substantive discussion of the war in Ukraine in an undemocratic manner due to, among other things, the advance of the Ukrainian ambassador.
However, the organizers, including the International Peace Bureau (IPB), the Women's International League for Peace & Freedom (WILPF), CODEPINK (USA) and the Austrian Action Alliance for Peace, Active Neutrality and Nonviolence (AbFaNG), managed to find new rooms at short term so that the event could still take place.
After a sold-out opening concert on Friday evening, moderated by Gerhard Kofler (AbFaNG), on the 180th birthday of Nobel Peace Prize laureate Bertha von Suttner ("Lay down your arms!") with, among others, the 1st Austrian Women's Orchestra, numerous peace policy lectures and greetings as well as two phases with workshop groups then took place over the weekend. At the end of the conference a finished declaration of the authors was presented to the plenum, whereby comments in the plenum or a discussion were not welcome here (Reiner Braun, IPB: "only a declaration of the organizers"). The final document was then also presented simply as the declaration of the organizers.
However, it would have been better to present the document for discussion in all workshop groups on Sunday morning, to discuss it again in the plenum and then to revise it again editorially. This would have been more democratic, since the whole congress would have actually participated.
Then the declaration would possibly have turned out differently. So here the question of power structures in the peace movement and related narrowing of discussion channels arises.

About the contents of the peace conference

During the conference, the organizers managed to present representatives of the peace movement and politics from many countries via video or live. 
In particular, important statements were made by speakers, some of whom lived in exile and came from countries directly affected by the war in Ukraine - some examples:

Karyna Radchenko (Ukraine), Partnership for Advancing Innovative Sustainability:
"Nothing can justify weapons against civilians. Nothing can justify this invasion."
Oleg Bodrov (Russia), IPB:
There are "32 nuclear units around the Baltic region. (...) We cannot be enemies."
Nina Potarska (Ukraine), WILPF:
"Peace is not when shooting has ended. (...) Ukraines ask for guaranties for ceasefire."
Yurii Sheliazhenko (Ukraine), Ukrainian Pacifist Movement:
"Peace work: turn enimies into friends. (...) War is killing, war is criminal."
Olga Karach (Belarus), Our House:
„Women often hear when they are trying to talk about their problems: 'we have no time for women's problems, for climate change problems, because we have a war.' “ 


But the main tenor of the meeting - especially in the plenary contributions - was to criticize the West and its culpability in causing the war in Ukraine - again, some examples:

Prof. Jeffrey Sachs (USA): "The war should weaken Russia." (...) "US don't think about Ukraine but about weakening Russia."  "The United States stopped negotiations."
Prof. Noam Chomsky (USA): "For a better negotiation position (...) continuing slaughter and destruction." as well as 
Prof. Anuradha Chenoy (India): "Peace has come when the West wants it."

Also in other speeches, among others by IPB organizer Reiner Braun or by Alain Rouy (National Secretary of Movement de la Paix, France), mainly the West, i.e. in particular the USA, NATO and the EU, were held responsible for the war in Ukraine.
The final declaration, drafted by the organizers themselves and unfortunately not discussed in plenary, limited its criticism of the Russian attack on Ukraine to the short sentence "We condemn Russia's illegal invasion of Ukraine." However, the demand for the withdrawal of Russian troops and the cessation of Russian airstrikes was missing. Here, an opening to other political positions would have been better, if one had wanted to dispel the suspicion of political one-sidedness that had previously been expressed in the media.

Perspectives for the international peace movement

What can now be concluded from the course and contents of this international conference with regard to the perspectives of the international peace movement?
The main opponents are still NATO and the USA as well as the EU - i.e. the main actors of the so-called West. The brutal imperialism of Russia is ignored in most of the speeches. Only a few participants pointed out that the current Russian government and its associated institutions are an authoritarian regime that repressively eliminates its opposition internally and acts in an imperialist-aggressive manner externally.
The criticism of the wars of the USA, which are contrary to international law, such as the Vietnam War or the 2nd Iraq War, is understandable and justified. But in this case, the Russian Federation invaded its neighboring state with the aim of destroying Ukraine's statehood. This has been done by the Russian military as well as, among others, the private army of the Wagner Group with incredible brutality against the Ukrainian civilian population. The peace movement should also call a spade a spade if it wants to get out of the ideological dead end and the geopolitically one-sided view in which it still finds itself. This does not mean - lnot to be misunderstood - keeping quiet about Western economic and geopolitical interests. The profits of the military-industrial complex, the cultivation of huge Ukrainian agricultural areas by U.S. corporations, mineral resources, e.g. already discovered gas deposits and other mineral resources in southern and eastern Ukraine, such as lithium, graphite and cobalt and various rare earths, beckoning profits in the event of economic reconstruction, and strategies of geopolitical competition certainly play a role in the U.S. government's disinterest to date in serious ceasefire negotiations between the Ukrainian and Russian governments, as well as Western intervention in the peace negotiations in the spring of 2022. [4] 

Only a Ukrainian victory would benefit these economic and political interests. This must also be critically analyzed and clearly addressed.
So it should be true for the peace movement: Don't leave the one, but do the other as well. The Western interests and the rejection of diplomatic negotiation results on the one hand and on the other hand the condemnation of the Russian aggression as illegal under international law combined with the demand to withdraw the Russian military from the Ukrainian territory would have to be adequately addressed by the peace movement.
If this can be credibly communicated to the public, the peace movement will be able to come out of the shadows again and gain the support that the brutal problems of wars currently being fought around the world deserve.
This assessment will not please some ideological hardliners who still think, out of old affinity, that the Russian government and Putin are to be supported in the current situation and that it is mainly a US imperialist proxy war.
But in the interest of international peace and also ultimately in the interest of the international peace movement, a critical perspective on both sides is to be demanded.
Accordingly, Austrian journalist Anna Giulia Fink writes in her commentary in the daily newspaper 'Der Standard':
"The old peace movement may mean well in its intentions: In fact, everything should be tried to enable serious initiatives for negotiations. (...) Although Moscow is called the aggressor, not everyone concedes Ukraine the right to expel foreign forces from its own country. Even more: Kiev is given complicity in the invasion. This refusal to question the positions of unconditional pacifism is dangerous: it blinds us to Russian war crimes. These were only a marginal topic at the so-called peace conference."  [5]
Even if 'Der Standard' in the course of its reporting made partly baseless accusations or failed to report on undesirable matters, an important aspect is addressed here: An 'unconditional pacifism' can lead to a lack of military resistance against a criminal invasion of a country, such as Ukraine. In this case, such pacifism is convenient and good for one's inner conscience, but it ultimately does little to help the country under attack. Even the National Socialists could not have been stopped by chains of songs, sit-in blockades or prayers, i.e. by civil society resistance. The same is true in the case of the Russian attack in Ukraine. Up to a certain point, arms deliveries to Ukraine were (unfortunately) necessary for self-defense. The broken promises to the Russian side as well as the economic, political and geostrategic interests of the West would have been a reason for further and intensified negotiations. However, they cannot be considered as a reason for the brutal attack on the Ukrainian neighboring state.
How condemnable it is that now the whole world will continue to rearm, buy weapons and modernize nuclear weapons, armament corporations will make huge profits and the financing of what is absolutely necessary will fall short: The elimination of world hunger and global injustice,, the fight against the beginning climate catastrophe and the end of the worldwide conflicts fought with armed force.
The goal of negotiations must now be that the Russian military withdraws as far as possible towards their own state borders; both states must cease hostilities; an internationally protected demilitarized zone must be established on Russia's eastern border with Ukraine; and the status of Crimea and other Russian-occupied territories must be negotiated. These should be central demands of the international peace movement. Until then, however, Ukraine must be supported in its self-defense against an overpowering aggressor - but without supplying weapons that could escalate the war even further and cause it to get completely out of control. Excluded from this should be deliveries  e.g. of fighter jets and long-range missiles, as this would make attacks on Russian-occupied and internal Russian territory possible and probable. Then the point of no return is reached and the escalation dynamics can no longer be controlled. Inevitably, voices will then become even louder to deploy NATO soldiers on a larger scale as well. Here it becomes clear how important it would be if we had a growing peace movement in society that can perceive the problem in a differentiated and multi-perspective way and put more and more pressure on the ruling politicians to abandon the disastrous bellezistic course of escalation.
Ceasefire negotiations should be started as early as possible and should also be carried out through international pressure and the mediation of the international organizations responsible for this (United Nations and OSCE). [6] 

How important is the international peace movement?

The problem is that Ukraine was attacked. It was not the Americans who crossed the Russian border, but the Russian Federation that crossed the Ukrainian border. The RF has appropriated four Ukrainian regions in violation of international law and incorporated them into its territory. During the invasion and occupation, the RF has committed numerous crimes against humanity. [7] 

All this must not be suppressed and one-sidedly take the side of the aggressors or relativize this breakout from the post-World War II attempt at a rights-based world order, knowing the history of brutal US incursions and their disregard for the international legal order in the past. But if (organized) parts of the peace movement do this unilaterally and try to occupy the decisive positions of power there, then the future possible participants in peace actions will be driven away, who want to cooperate and form their own critical picture. Also, the peace movement will not be taken seriously by the public and will continue to be fought in the media.
For the peace movement, the way out of the impasse is through precise and staged demands for a peace process that is precisely oriented to international law and, in particular, the UN Charter. Anything else, in my view, is counterproductive and not in the interest of the Ukrainian civil society under attack and the parts of the world that have suffered the greatest disadvantage from this war.

The FRG and its (traffic light) government are a major international actor that has a significant influence on EU decisions and also on processes in the international context. Therefore, the priority addressee of the German peace movement would first have to be the German government. Other national peace movements would also have to exert pressure on their governments.

The international peace movement would have to turn primarily to the UN, the OSCE and the EU.

The civil society movement against the Vietnam War and also the mass protests against missile deployment in Europe had great success and could (with limitations) be models for such a movement.

The question of how the international peace movement can escape the impasse is not a predominantly theoretical and abstract question, but one that touches on the existential interests of all of us. The current escalating dynamics of the war in Ukraine shows how important it would be to have a civil society counterpart to the politicians fanning the flames of this escalation.

But all this only makes sense and is only effective if the peace movement grows in numbers again. But this will only be the case with an independent peace movement that criticizes every abuse of power. For this it will be necessary to critically analyze the power structures of the current peace movement and to reconstruct how critical positions are channeled or suppressed by current pivots of the peace movement. A discussion open to a broader peace policy spectrum is the prerequisite for the growth of the peace movement and the inclusion of people who do not classify themselves as classically 'left'. This involves getting people for the peace movement who come from the middle of society and are active in churches, sports clubs, trade unions and political parties.

Without these changes, however, the current peace movement will tend to take on the character of a - quite meaningless - political group without any significant peace policy influence. But this would be fatal, because the world needs a strengthened and democratic international peace movement right now.


(Prof. Dr. habil. Klaus Moegling (ret.), political scientist and sociologist, homepage with ecological, democratic-theoretical and peace-political contents: https://www.klaus-moegling.de/ )


This article was first published in modified form in the online magazine 'der Freitag/Community'. It is currently the most discussed article there. It can be found together with all comments at: 
https://www.freitag.de/autoren/profdrklausmoegling1952/internationale-friedenstagung-wie-kommt-die-internationale-friedensbewegung-aus-der-sackgasse, dated 6/15/2023.



Notes:

[1] Approx. 500 people were additionally connected via video[.
[2] https://www.puls24.at/news/politik/oegb-setzt-wiener-ukraine-friedensgipfel-vor-die-tuer/299396, 7/6/2023, 6/16/2023.
[3] https://www.puls24.at/news/politik/oegb-setzt-wiener-ukraine-friedensgipfel-vor-die-tuer/299396, 7.6.2023, 16.6.2023.
[4] Cf. on U.S. and U.K. intervention shortly before the conclusion of negotiations to end the war in Ukraine, among others, https://www.tagesspiegel.de/internationales/israels-ex-premier-befeuert-vorwurfe-wie-nah-kamen-kiew-und-moskau-einer-friedenslosung-9326102.html, 10.2.2023, 13.6.2023.
[5] Anna Giula Fink:  

Pazifisten in der Sackgasse. In: Der Standard, issue of Monday, 12.6.2023, p.20.
[6] Cf. the various initiatives for international peace mediation at https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/.
[7] Cf. the article on war crimes committed by Russian soldiers in Ukraine at https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-internationaler-gerichtshof-101.html, 4.3.2023, 18.6.2023. However, Ukrainian war crimes must also be investigated. Cf. https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine-krieg--ukrainische-soldaten-filmten-wohl-eigenes-kriegsverbrechen-31766548.html, 8.4.2022, 28.6.2022.


 



aktueller Blog 11

 

Die Letzte Generation – Kriminelle Organisation oder legitimer zivilgesellschaftlicher Protest? 

von Klaus Moegling

1.6.2023, letzte Aktualisierungen: 3.6.2023, 5.6.2023)

 

Kriminalisierung von Protest. Angesichts der vorgenommenen Razzien und des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die Letzte Generation stellt sich die Frage, ob sich der Staat nicht in seinen Maßnahmen selbst delegitimiert. 

Die Letzte Generation ist eine Umweltorganisation in Deutschland und Österreich, die aufgrund der fortschreitenden Klimazerstörung und anderer Umweltbelastungen nicht mehr bereit war, traditionelle Formen des Protests wahrzunehmen, wie z.B. Demonstrationen und Kundgebungen, sondern für die Gesellschaft unangenehmere Protestformen entwickelte. Sie sind der Auffassung, dass sie die letzte Generation seien, die noch etwas gegen die bereits eintretende Klimakatastrophe und gegen weitere Formen der Umweltzerstörung unternehmen könnten. Sie wurden insbesondere bekannt durch die Behinderung des Nahverkehrs durch das Hinsetzen auf die Verkehrswege und das Ankleben der Hände. Wenn Autofahrer sie nicht überfahren wollten, mussten sie ihr Fahrzeug anhalten. Es kam zu Staus, zu langen Wartezeiten und zum Teil wütenden Reaktionen der Autofahrer bis hin zu Gewalttätigkeiten der Aufgehaltenen. 
Die Polizei brauchte jeweils eine längere Zeit, um die Handflächen wieder von dem Asphalt zu lösen und die Protestierenden der Letzten Generation wegzutragen, bis die Sitzblockade beendet war und sich die Staus wieder auflösten. 
Auch wurden Gemälde in Kunstgalerien mit Farbattacken auf die Glasscheiben symbolisch beschmutzt. Ein Hungerstreik wurde erfolglos abgebrochen. 

Razzien gegen die Letzte Generation 

Waren es anfangs nur wenige jüngere Menschen, denen die Proteste von Fridays for Future nicht mehr ausreichten, so wurden es immer mehr Protestierende, die sich dieser Bewegung anschlossen, entstanden Büros und finanzielle Unterstützungssysteme.
Wurden bislang nur vereinzelte ordnungs- und strafrechtliche Maßnahmen gegen aktive Mitglieder der Letzten Generation verhängt, wird nun, z.B. von der bayrischen Landesregierung und der nachgeordneten Strafverfolgungsbehörden der Staatsanwaltschaft sowie in Brandenburg und Thüringen, erwogen, gegen Mitglieder der Letzten Generation Anklage mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu erheben. [ 1] In diesem Kontext erfolgten bereits Ende Mai 2023 unter Leitung der bayrischen Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Bankkonten,  Sperrung der Homepage, Beschlagnahmung von Computern und Datenmaterial in sieben Bundesländern, was wiederum Protestaktionen, wie Protestmärsche von Unterstützern, in mehreren Städten auslöste. So fand Ende Mai 2023 ein Protestmarsch von ca. 400 Unterstützern der Letzten Generation in Berlin statt. Der Protest verlief durchweg friedlich und es wurden Briefe an das Kanzleramt überreicht. Zwei ältere an der Kundgebung Teilnehmende trugen ein Plakat mit der Aufschrift „Unsere Kinder sind keine Verbrecher“. [2]  In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die Linkspartei in Bayern Strafanzeige gegen Mitglieder der bayrischen Landesregierung und der bayrischen Staatsanwaltschaft gestellt hat. Es handele sich hierbei um den Tatbestand der Verleumdung und Beleidigung, wenn z.B. die Homepage der Letzten Generation mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung gesperrt werde. [3]
Auf einen Spendenaufruf im Anschluss an die Razzien beteiligten sich spontan  6000 Menschen an der Aktion und spendeten innerhalb von zwei Tagen 300.000€ an die Organisation Letzte Generation. [4]
58 Prozent der deutschen Bevölkerung halten hingegen in einer Umfrage die Razzia gegen die Letzte Generation für richtig, immerhin 37 Prozent fanden das Vorgehen für überzogen. [5] 
Carl-Christian Porsch, ein Aktivist der Letzten Generation, kritisiert die Razzien gegen Mitglieder der Letzten Generation mit folgenden Worten: 

„Polizisten und Polizistinnen standen morgens mit Waffen in ihrer Wohnung. Ich empfinde das als sehr unverhältnismäßig. Ich verstehe nicht, warum wir kriminalisiert werden. Wir setzen uns doch nur für den Planeten ein. Andere, die unsere Zukunft verheizen, kommen ungeschoren davon.“  [6] 

Zur Frage des strafrechtlichen Vorgehens gegen Klimaproteste 

Der Vorwurf einer kriminellen bzw. sogar terroristischen Vereinigung stellt m.E. eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen dar, die hochproblematisch ist. Vorwiegend jüngere Menschen, deren Zukunft offensichtlich bedroht ist, versuchen auf die eintretende Klimakatastrophe mit immer noch friedlichen Mitteln und der Verneinung von Gewalt aufmerksam zu machen und werden von denen, die interessengeleitet nicht die notwendigen Maßnahmen hiergegen ergreifen, möglicherweise als Terroristen eingestuft und verfolgt. Handelt es sich nicht eher um den Terrorismus der die Umwelt zerstörenden Generationen, die gegenwärtig an der Macht sind und generationenegoistisch handeln? Müssten nicht Fossilkonzerne, umweltzerstörende Staaten und Institutionen,  Kriegswaffen produzierende und an hegemoniale Kriege führende Staaten Waffen ausliefernde Konzerne und dies befürwortende Politiker vor Gericht gestellt werden? Handelt es sich hier nicht um eine Umkehrung der Verhältnisse – die Opfer werden verfolgt, die eigentlichen Täter stellen sich als moralisch in Talkshows hin, wenn sie rechtsstaatliche Strukturen für die Zerstörung der Biosphäre missbrauchen.
Es ist des Weiteren sicherlich nicht abwegig, die nun gerade von der bayrischen Landesregierung und insbesondere dem bayrischen Ministerpräsidenten Söder geforderte rechtsstaatliche Strenge gegen die Letzte Generation in einem Zusammenhang mit den am 8.10.2023 stattfindenden Landtagswahlen zu betrachten. Es wäre ein weiterer rechtsstaatlicher Skandal, wenn regierende Politiker mit eher populistisch konnotierten Forderungen Wählerstimmen zu Lasten einer angemessenen Einordnung rechtswidriger aber auch an einem übergeordneten, durchaus vertretbaren Ziel orientierter Aktionen junger Menschen zu gewinnen suchen.
Sicherlich ist es fraglich, ob durch massive Verkehrsbehinderungen und der damit verbundenen Belastungen für die Verkehrsteilnehmer Unterstützer für das ökologische Anliegen gewonnen werden können. Aber vergreift sich der Staat nicht in den Mitteln, wenn er Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, wie das friedliche Blockieren einer Straße, die im Interesse zukünftiger Generationen als Form des politischen Protests begangen werden, mit Aktivitäten einer kriminellen Vereinigung gleichsetzt? So stellt der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent fest, dass die Mitglieder der Letzten Generation „auffällig friedlich“ seien und sich nicht einmal wehren würden, wenn sie von aufgebrachten Autofahrern körperlich angegriffen und verprügelt würden.
Des Weiteren sind die Verkehrsblockaden auch nicht so weit von den Streikmaßnahmen einzelner Eisenbahngewerkschaften oder der Flugpiloten entfernt  ohne dies gleichsetzen zu wollen. Einerseits geht es dort um das gesetzlich verbriefte Streikrecht. Andererseits werden hier Verkehrsblockaden mit durchaus vorhandener Nötigung der Passagiere u.a. zur Steigerung der eigenen materiellen Vergütungsoptionen genutzt, während die Letzte Generation nicht für einen höheren eigenen Lohn den Verkehr blockiert, sondern ihre ebenfalls friedlichen Aktionen im berechtigten Interesse ihrer und kommender Generationen an einem zu erhaltenen Planeten durchführt.
Auch geraten Landesregierungen, wie z.B. in Bayern, in Verdacht mit der übertriebenen Strenge gegen Klimaschützer von ihrer eigenen Vernachlässigung des Klimaschutzes abzulenken zu wollen. So ist liegt Bayern hinten beim derzeitigen Bau von Windrädern. Im ersten Quartal des Jahres 2023 (Stand: Mitte März) wurde beispielsweise dort noch kein einziges Windkraftwerk genehmigt. Im flächenmäßig halb so großen Nordrhein-Westfalen lagen im gleichen Zeitraum bereits 20 Genehmigungen vor. Gleichzeitig kehrt Bayern zunehmend zu Kohle und Gas zurück und die Landesregierung fordert den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke.[7] 

 

Gewünschte Radikalisierung? 

Und: Wenn tatsächlich der Versuch die Letzte Generation als kriminelle oder sogar terroristische Organisation einzustufen und deren Mitglieder und Unterstützer in schwerster Form zu kriminalisieren sich durchsetzen würde, würde nicht möglicherweise ein Teil der Mitglieder – in dieser Weise kriminalisiert -  in den Untergrund gehen und beginnen tatsächlich umweltterroristische Handlungen zu begehen? In diesem Fall hätte der Staat durch ein strafrechtliches Überreagieren sich seine eigene ökoterroristische Organisation geschaffen. In diesem Sinne formuliert Quent:
„Soziale Bewegungen radikalisieren sich häufig, wenn sie sich isoliert und in den Untergrund gedrängt fühlen. Razzien dieser Art können dazu führen, dass künftig klandestine Aktionen durchgeführt werden. Es ist gut möglich, dass die Kriminalisierung innerhalb der Klimabewegung zu Radikalisierung führen kann und dass diese auch im Interesse ihrer politischen Gegner ist.“ [8]
Hier könnte somit von interessierten Kreisen versucht werden, ein Exempel zu statuieren, das dann auch für Klima-Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion einschüchternd wirken soll. Hierbei sollte man bedenken, dass eine derartige Wirkung durchaus bereits eintreten kann, wenn man bedenkt, dass beispielsweise in Bayern eine Teilnahme an Klebeaktionen bereits zu 30 Tagen Präventivgewahrsam im Gefängnis führen kann, bevor eine ordentliche Anklageerhebung oder gar ein ordentlicher Prozess stattfindet. 

Auch der Rechtswissenschaftler Robin Mayer hält die staatlichen Maßnahmen und den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung für völlig überzogen und sie würden vor allem verfassungsrechtlichen Urteilen widersprechen:
„Das Bundesverfassungsgericht hat Blockadeaktionen als zulässige Demonstrationsform und von der Versammlungsfreiheit geschütztes Verhalten bestätigt. Und zwar selbst dann, wenn die Blockade beabsichtigt und nicht nur Nebenfolge ist. Es steht dem Staat nicht zu, von diesem geschützten Verhalten durch Repressionen abzuschrecken, indem er sie als Zweck zur Begehung von Straftaten wertet. Die Wahrnehmung eines Grundrechts kann nicht gleichzeitig einen Straftatbestand verwirklichen. Nach wie vor zeigt sich, dass das Strafrecht als Antwort auf zivilen Ungehorsam völlig ungeeignet ist.“ [9]
Hier gerät der Staat in den begründeten Verdacht sich selbst zu delegitimieren, wenn er rechtsstaatlich widersprüchlich und unangemessen hart reagiert und der Letzten Generation die Bildung einer kriminellen Organisation vorwirft sowie Mitglieder nachts mit vorgehaltenen Waffen aus ihren Betten holt. Dieses überharte Reagieren ist vielleicht politisch opportun und bringt Wählerstimmen. Aber die politischen Schäden sind groß, ohne dass dies im Kontext einer politischen Ordnung mit einem demokratischen Anspruch notwendig wäre. 

Lösungsperspektiven

Wäre es daher nicht so viel richtiger – anstatt zivilgesellschaftlichen Klimaprotest zu kriminalisieren -,  in vernünftiger Reaktion auf die Proteste und das Anliegen der Letzten Generation zu reagieren und mit ihren Mitgliedern und Sprechern wiederholt und auch auf Augenhöhe zu sprechen und gemeinsame Wege aus der eintretenden Klimakatastrophe zu suchen? Die jungen  Menschen, die sich dort zivilgesellschaftlich organisieren und engagieren, sind gesprächsbereit und haben konkrete ökologische Forderungen. Sie fordern z.B. im direktdemokratischen Sinne in einem offenen Brief an den deutschen Bundeskanzler einen – zufällig gelosten – Gesellschaftsrat, der über geeignete Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe und die Umweltzerstörung berät.  Dann würden sie ihren Protest beenden. [10]  Auch fordern sie entschiedenere Maßnahmen zur Reduktion von Klimagasen und zur Verkehrswende, wie z.B. ein Tempolimit oder ein 9-Euro-Ticket für die Bahn. Ein paar Milliarden weniger für die Anschaffung von Waffen könnten dies sicherlich finanzieren.
Auf ihrer inzwischen wieder freigeschalteten Homepage schreibt die Letzte Generation selbst: 

„Die Regierung hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben: ‚Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren.‘ Wir nehmen sie beim Wort, denn Vorbilder aus Frankreich, Irland, Belgien zeigen, dass das Format Menschen in ihrer Anstrengung vereint und konstruktive Ansätze hervorbringt. 

Wir fordern die Bundesregierung auf, einen Gesellschaftsrat einzusetzen und seine Beschlüsse umzusetzen. Wir fordern, dass wir, die 99 Prozent, endlich mitentscheiden dürfen über den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Denn es hat sich gezeigt: immer da, wo Bürger:innen informiert über ihr Schicksal mitentscheiden dürfen, wartet eine bessere, sicherere, gerechtere Welt auf uns.“  [11] 

Vielleicht hört man daher ihnen einmal zu und korrigiert ggf. dann auch staatliches, ökonomisches und auch individuelles Verhalten, das die Biosphäre dieses Planeten und die Lebensbedingungen der nächsten Generationen zerstört. Immerhin waren in einer 2022 durchgeführten repräsentativen Umfrage von Infratest dimap 82 Prozent der deutschen Bevölkerung der Auffassung, dass es einen großen oder sogar sehr großen Handlungsbedarf hinsichtlich des Klimaschutzes gäbe. Nur 4 Prozent waren der Auffassung, dass die bisherigen Klimaschutzaktivitäten nicht verändert werden müssten. [12]
Bedenkenswert ist auch die Forderung nach dem Schutz von Klimaaktivisten im Anschluss an die Razzien bei der Letzten Generation von Seiten der UN. Antonio Gutèrres ließ seinen Sprecher ausrichten, Klimaschützer müssten sich einerseits an staatliche Gesetze halten, andererseits seien sie aber auch zu schützen - so der Sprecher des UN-Generalsekretärs:
"Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiterverfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt mehr denn je." [13]
Die Soziologie-Professorin Gesa Lindemann ordnet die Aktivitäten der Letzten Generation oder von Ende Gelände als den legitimen Versuch junger Menschen ein, für ihre Zukunft gegen ökologische Gewalt, die strukturell verankert sei, zu kämpfen. Es handele sich bei den massiven Verfolgungen der Letzten Generation um eine völlig überzogene staatliche Reaktion, die gegen das die ökologische Arbeitsverweigerung der Bundesregierung anprangerte BVerG-Urteil stehe und somit eine Täter-Opfer-Verkehrung darstelle:

„Die Aktionen von Letzte Generation oder Ende Gelände tun nichts anderes, als die deutsche Politik daran zu erinnern, dass das BVerfG sie dazu verpflichtet, der ökologischen Gewalt nach innen und in der internationalen Politik entgegenzutreten. Diese Aktivist:innen kämpfen nicht nur für den Schutz des Klimas, sondern faktisch auch für den Schutz der Verfassung. Nur, wenn die ökologische Gewalt wirksam bekämpft wird, lässt sich die moderne verfassungsbasierte Ordnung des Vertrauens in Gewaltlosigkeit erhalten.“  [14] 
Sie fordert dementsprechend den zivilgesellschaftlichen Widerstand innerhalb des Nationalstaats gegen derartige Täter-Opfer-Verkehrungen und illegitime staatliche Übergriffe und den damit verbundenen Versuch, diesen auch international gegen alle Formen ökologischer Gewalt zu mobilisieren, ein.

 


Anmerkungen:

[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/letzte-generation-umfrage-kriminelle-vereinigung-100.html, 25.5.2023, 1.6.2023.
[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-06/klimaschutzbewegung-letzte-generation-demonstriert-in-mehreren-staedten?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F, 1.6.2023, 1.6.2023.
[3] https://www.sueddeutsche.de/bayern/letzte-generation-anzeige-razzia-soeder-linke-1.5892616, 31.5.2023, 1.6.2023.
[4] https://www.telepolis.de/features/Letzte-Generation-Mehrheit-findet-Razzien-richtig-9092956.html, 31.5.2023, 1.6.2023.
[5] https://www.telepolis.de/features/Letzte-Generation-Mehrheit-findet-Razzien-richtig-9092956.html, 31.5.2023, 1.6.2023.
[6]  Aus einem Interview in der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), vom 3.6.2023, S.7.
[7] Vgl. https://www.erneuerbareenergien.de/technologie/onshore-wind/2023-noch-keine-einzige-genehmigung-fuer-neue-windturbine-bayern, 17.3.2023, 3.6.2023.

[8] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/letzte-generation-razzia-radikalisierung-soziologe-quent-100.html, 24.5.2023, 1.6.2023.
[9] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/letzte-generation-die-friedlichen-kriminellen, o.D., 1.6.2023.
[10] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/klimaschutzgruppe-letzte-generation-demonstrationen-klima-100.html, 31.5.2023, 1.6.2023.
[11]  https://letztegeneration.org/erklaerung/, o.D., 5.6.2023. 

[12] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1252503/umfrage/umfrage-zum-handlungsbedarf-im-klimaschutz/, 5.5.2023, 1.6.2023.
[13] https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/razzia-klimaschuetzer-un-schutz-antonio-guterres#:~:text=Die%20Welt%20brauche%20Klimasch%C3%BCtzer%20mehr,Er%20forderte%20friedlichen%20Protest, 26.5.2023, 1.6.2023.
[14] Gesa Lindemann: Die ökologische Gewalt fordert längst ihre Opfer. In: https://www.zeit.de/kultur/2022-11/klimawandel-oekologische-gewalt-aktivismus-klimaschutz, 11.11.2022, S.8. 



Gastbeitrag

 

FRIEDENSKLIMA!
Eine Ausstellung beflügelt die Friedensbewegung in Mannheim 

 

von Otto Reger 

31.5.2023

 
Vom 14. April bis zum 8. Oktober 2023 präsentiert der Förderverein für Frieden, Abrüstung und internationale Zusammenarbeit (kurz Förderverein) auf der Bundesgartenschau (Buga 23) in Mannheim die Ausstellung „FRIEDENSKLIMA! 17 Ziele für Gerechtigkeit und Frieden“. Sie erklärt die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die 193 Länder der UNO 2015 als für sich verpflichtend mit der Agenda 2030 beschlossen haben und warum das Ziel 16, „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“, besonders wichtig ist.
Die Ausstellung wurde von der Friedensregion Bodensee und den Friedensräumen Lindau konzipiert und 2021 auf der Gartenschau in Lindau gezeigt. Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative hat uns von der DFG-VK auf die Ausstellung hingewiesen und vorgeschlagen, die Ausstellung auf die Buga in Mannheim zu bringen. Diese Idee haben wir aufgegriffen und mit dem gemeinnützigen Förderverein und dem Friedensbündnis Mannheim umgesetzt. Auch wenn nur ein Teil der erwarteten zwei Millionen Besucher*innen die Ausstellung ansieht, erreichen wir so viele Menschen wie sonst nie.
Die professionell erstellte Ausstellung beschreibt mit zwei Meter hohen Säulen (Stelen) und Würfeln (1x1 Meter) die SDGs, was zu ihrer Realisierung auf den Weg gebracht wurde und was der/die Einzelnen dazu beitragen kann. Es wird bewusst gemacht, wie dringend es ist, den Temperaturanstieg zu bremsen (1,5-Grad-Ziel), die Folgen des Klimawandels, wie etwa Dürren und Überschwemmungen zu meistern, um den Menschen bis 2030 ein Leben in Frieden und Sicherheit zu ermöglichen. Dazu bedarf es eines politischen und gesellschaftlichen Klimas, das auf Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit ausgerichtet ist.
 
Militärische Sicherheitspolitik ist das Problem
Militär zerstört die Umwelt und erschwert lösungsorientiertes kooperatives Denken und Handeln. Der Einsatz von Waffen und Militär „löst“ keine Konflikte, verlängert die vielen Kriege und verschärft die Fluchtbewegungen. Kriegsgerät und Kasernen verschlingen bei Produktion und im Betrieb sehr viel Energie und Rohstoffe und vergeuden menschliche Arbeit und Erfindungskraft. Eine Tornado-Flugstunde erzeugt so viel CO2 wie ein Mensch in Deutschland durchschnittlich pro Jahr. Die finanziellen Ressourcen fehlen, um Klimaschutz, (SDG 13) Gesundheit (SDG 3) und Bildung (SDG 4), die Bekämpfung von Armut und Hunger (SDG 1 und 2) zu realisieren. Um den Menschen sauberes Trinkwasser (SDG 6) sowie saubere und bezahlbare Energie (SDG 7) verfügbar zu machen, muss die Geschlechtergerechtigkeit (SDG 5) verbessert und Ungleichheit (SDG 10) reduziert werden. Die komplexen Zusammenhänge macht die Ausstellung bewusst.

Vielfältige Aktivitäten auch außerhalb der Buga
Wir sind mit Vorträgen im Buga-Bildungscampus vertreten, die über den Veranstaltungskalender bekannt gemacht werden. An der Ausstellung gibt es musikalische Auftritte von Lebenslaute und Angebote für Kinder: Friedensbilder malen und Anstecker (Buttons) erstellen. Wir fördern die Vernetzung von Friedens- und zivilgesellschaftlichen Organisationen, indem diese sich an der Ausstellung darstellen können. Besonders intensiv ist die Kooperation mit den NaturFreunden.
Unsere Vorträge bieten wir auch abends an, weil nicht alle Menschen auf die Buga gehen können oder wollen. Sie ergänzen unsere traditionellen Aktionen wie Ostermarsch und Antikriegstag, ohne Buga hätten wir aber weniger Aktivitäten und nicht so langfristig geplant organisiert.
Mit dem Internetauftritt frieden-mannheim.de/buga23 weisen wir auf unsere Aktivitäten unter „Termine“ und „Aktuelles“ hin. Zusätzlich versuchen wir über Instagram (Frieden_Mannheim) und Facebook, mehr Leute zu erreichen und durch sie das Programm breiter bekannt zu machen.
 
Konversion nützlich aber unvollendet
Mannheim war für die US-Armee aufgrund ihrer Kasernen-Drehscheibe für ihre Einsätze auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan wichtig. Wir haben uns gegen Kriege und für Verhandlungen eingesetzt und die Konversion der Kasernen gefordert, auch aufgrund der dadurch verursachten Grundwasserverschmutzung und Umweltbelastung. Nachdem die US-Armee 2014 ihre Militäreinrichtungen nach Wiesbaden und Ramstein verlagert hat, gab sie viele Kasernen frei, die mittlerweile im Interesse der Bevölkerung genutzt werden können. Besonders erfreulich ist es, dass die Buga auf der ehemaligen US-Spinelli-Kaserne angesiedelt ist. So wird durch neu gepflanzte Bäume der Grünzug Nordost erweitert und das Klima in der Innenstadt verbessert.
Die US-Armee hatte die Coleman-Kaserne im Mannheimer Norden bereits geräumt, reaktivierte sie aber nach der Annexion der Krim durch Russland. Seither warten Zivilbeschäftigte für die US-Armee Panzer und Militärfahrzeuge, um sie mit über Ramstein eingeflogenen Soldat*innen zu Manövern schnell in die baltischen und osteuropäischen NATO-Länder transportieren zu können. Auch die Lieferung von Waffen an die Ukraine erfolgt über Coleman. Wir fordern die Konversion der Coleman-Kaserne und haben dazu eine besondere Ausstellungs-Stele erstellt. Sie zeigt, wie Mannheim von Militäreinrichtungen geprägt und belastet war und noch ist, welche Rolle die US-Air Base Ramstein spielt und welchen Nutzen die Konversion für Mannheim hat.

Hintergrundinformationen nutzen
Die Begleitbroschüre zur Ausstellung stellt die Bilder und Texte der Stelen zusammen und enthält zahlreiche Grußworte, u. a. von Professor Klaus Moegling, dem Mitinitiator des Appells Ökologie des Friedens, der hier unterzeichnet werden kann: https://chng.it/N2ggCS5Q.

Otto Reger ist Diplom Ökonom und seit Jahrzehnten in der DFG-VK engagiert, Gewerkschafts- und Naturfreunde-Mitglied.


Dieser Artikel wird veröffentlicht im Heft 4/23, Juli/August 2023 der Zeitschrift FriedensForum – Die Zeitschrift für und über die Friedensbewegung, herausgegeben vom Netzwerk Friedenskooperative. 




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A call for more and new diplomacy: for a ceasefire and peace in Ukraine


by May-May Meijer and Klaus Moegling


May 8, 2023


The following blog was written mainly by May-May Meijer (director of the peace NGO Peace SOS, The Netherlands) and at her request supplemented by Klaus Moegling with some perspectives. The article is published jointly in English, German and Dutch here. It will be published simultaneously on the international website of Peace SOS: 

 https://peacesos.nl/a-call-for-more-and-new-diplomacy-for-a-ceasefire-and-peace-in-ukraine/ 



At a meeting of the UN Security Council, UN Secretary-General Guterres recently warned that tension between the major powers is historically high as a result of Russia’s invasion of Ukraine. There is also a risk of conflict due to setbacks or miscalculations, Guterres told the members of the UN Security Council.
Fortunately, there is hope. President Zelensky recently had a long telephone conversation with Chinese President Xi Jinping. Xi Jinping suggested to Zelensky that he facilitate peace talks aimed at reaching a cease-fire as soon as possible. China has good ties with President Putin, so will certainly be able to play a significant role in this.
Despite renewed diplomatic efforts, it seems Ukraine and the international community are now focused on reclaiming territory captured by Russia. Ukraine’s counteroffensive is likely to take place in May, depending on weather and arms supplies. President Zelensky visited the Netherlands last May 4. Dutch Prime Minister Rutte announced then that the Netherlands is working hard behind the scenes to reach consensus with allies on delivering fighter jets to Ukraine. Supplying the fighter jets is sensitive because of fears of a further escalation of the war between Ukraine and Russia. Added to this is the recent drone attack on the Kremlin. The Kremlin spoke of it as a planned “terrorist act” and an attempt on the life of Russian President Vladimir Putin. Ukraine has denied having anything to do with the attack, if indeed there was one. “We are not attacking Putin or Moscow, we are fighting on our own territory,” President Zelensky said at a press conference in Finland.
We call for maximum diplomatic effort to reach a cease-fire and a peace solution through the negotiating table soon.
Some 40,000 civilians have already been killed and 200,000 soldiers killed or wounded, which is already far too many. Every human life should be spared. It should be noted that the current arsenals of weapons of the great powers are so vast compared to those in World War II that the war in Ukraine cannot be solved through military means. The tension between the superpowers is already historically high and will only increase with a new and large-scale offensive by Ukraine. The longer the war in Ukraine lasts and the deeper the hostilities are, the more difficult it will be to achieve peace again.
Although we condemn the Russian invasion, we also pay attention to other perspectives in this conflict, which is necessary to achieve peace. As is indicated on the Dutch Parliament website, Russia is threatening Ukraine because it wants Ukraine, once part of the Soviet Union, to never join NATO. According to Putin, NATO promised in 1990 that NATO would not expand eastward, but the alliance has not kept this promise. Russia also wants NATO to withdraw weapons and troops from Eastern Europe. Another perspective in the war in Ukraine is the struggle for world hegemony between the US and China, as pointed out by Professor Demmers during her presentation to the Flemish Peace Institute. Added to this, there is also tension between the US and China, for example when it comes to Taiwan. This affects China’s role as a mediator in the war in Ukraine.
Reducing the tension between the major powers and achieving peace in Ukraine requires new diplomacy;
diplomacy in which countries that are not among the five permanent members of the UN Security Council can also play a role. In connection with the tension between the US and China, it is essential to also give these countries room to contribute to a peace process through diplomatic channels. This could include a country like Brazil. Brazil’s current president, Lula da Silva, calls for peace and maintains good relations with both China and the United States. A country like India can also play a role. India has made it clear in subtle terms that it does not support the war by emphasizing the importance of international law and the territorial integrity and sovereignty of Ukraine. Also, India maintains good relations with Russia. This could be given shape in a UN Secretariat-led “high-level” negotiating initiative that is legitimized. High-level negotiation initiative means at least at the level of foreign ministers. Legitimized means that a large part of the United Nations General Assembly gives the commission negotiating authority. The commission should make efforts to achieve a cease-fire between the Ukrainian and Russian governments as a stepping stone to peace negotiations. Possibly, a connection could be sought with the Mexican president’s López Obrador’s initiative for a peace commission for an overall global cease-fire. López Obrador suggests including Pope Francis and António Guterres, amongst others. Furthermore, we hope that dialogue with the Russian Federation can be continued, for example in the OSCE.
In short, it is high time for peace. High time for a cease-fire and maximum and new diplomacy before reaching the point of no return where the escalation can no longer be stopped. Life should be cherished. It would be good if the Netherlands, Germany, the EU and other countries committed to this.
Hopefully, there will soon be a Ukraine – and a world – in which all children can play.

(The linking for the sources has been done in the English version)


aktueller Blog 12

 

Forderung nach mehr und neuer Diplomatie: Für einen Waffenstillstand und den Frieden in der Ukraine 


von May-May Meijer und Klaus Moegling

8. Mai 2023


Der folgende Blog wurde insbesondere von May-May Meijer (Leiterin der Friedens-NGO Peace SOS, The Netherlands) verfasst und auf ihren Wunsch hin von Klaus Moegling um einige Perspektiven ergänzt. Der Beitrag wird gemeinsam in englischer, deutscher und holländischer Sprache hier veröffentlicht. Er wird zeitgleich auf der internationalen Webseite von Peace SOS publiziert: 

https://peacesos.nl/a-call-for-more-and-new-diplomacy-for-a-ceasefire-and-peace-in-ukraine/ 



UN-Generalsekretär Guterres warnte kürzlich auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats, dass die Spannungen zwischen den Großmächten wegen des russischen Einmarschs in der Ukraine historisch hoch seien. Es bestehe auch das Risiko eines Konflikts zwischen den Großmächten aufgrund von Rückentwicklungen oder Fehleinschätzungen, so Guterres gegenüber den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats. 

Glücklicherweise gibt es aber auch Hoffnung. Präsident Zelensky hatte kürzlich ein langes Telefongespräch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Xi Jinping schlug Zelensky vor, Gespräche über den Frieden zu ermöglichen, um so schnell wie möglich einen Waffenstillstand zu erreichen. Da China gute Beziehungen zu Präsident Putin unterhält, wird China dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen können. 

Trotz erneuter diplomatischer Bemühungen scheinen sich die Ukraine und die internationale Gemeinschaft nun darauf zu konzentrieren, die von Russland eroberten Gebiete militärisch zurückzuerobern. Die Gegenoffensive der Ukraine wird wahrscheinlich im Mai stattfinden, je nach Wetterlage und erfolgten Waffenlieferungen. 

Präsident Zelensky besuchte am 4. Mai 2023 die Niederlande. Der niederländische Premierminister Rutte teilte dabei mit, dass die Niederlande hinter den Kulissen hart daran arbeiten, mit den westlichen Verbündeten einen Konsens über die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine zu erzielen. Die Lieferung von Kampfflugzeugen ist allerdings problematisch, da eine weitere Eskalation des Krieges zwischen der Ukraine und Russland befürchtet wird. Hinzu kommt der jüngste Drohnenangriff auf den Kreml. Der Kreml sprach von einem geplanten "terroristischen Akt" und einem Anschlag auf das Leben des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Ukraine hat hingegen bestritten, irgendetwas mit dem Angriff zu tun zu haben, falls es tatsächlich einen gab. “Wir greifen weder Putin noch Moskau an, wir kämpfen auf unserem eigenen Territorium”, sagte Präsident Zelensky auf einer Pressekonferenz in Finnland. 

Der hier vorliegende Artikel ruft nun zu maximalen diplomatischen Anstrengungen auf, um bald einen Waffenstillstand und eine Friedenslösung am Verhandlungstisch zu erreichen. Etwa 40.000 Zivilisten wurden bereits getötet und 200.000 ukrainische und russische Soldaten getötet oder verwundet, was bereits viel zu viel ist. Jedes Menschenleben sollte verschont werden. 

Es sei darauf hingewiesen, dass die derzeitigen Waffenarsenale der Supermächte im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg so umfangreich sind, dass der Krieg in der Ukraine nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Die Spannungen zwischen den Großmächten sind bereits historisch hoch und werden mit einer neuen Großoffensive der Ukraine nur noch zunehmen. Je länger der Krieg in der Ukraine dauert und je tiefer die Feindseligkeiten sind, desto schwieriger wird es sein, wieder Frieden zu schaffen. 

Obwohl wir die russische Invasion verurteilen, ist dieser Artikel auch ein Plädoyer dafür, in diesem Konflikt auch andere Perspektiven zu betrachten, die für die Erreichung des Friedens notwendig sind. Wie auf der Website des Repräsentantenhauses zu lesen ist, bedroht Russland die Ukraine, weil es möchte, dass die Ukraine, die einst Teil der Sowjetunion war, niemals der NATO beitritt. Putin zufolge habe die NATO 1990 versprochen, sich nicht nach Osten auszudehnen, aber das Bündnis habe sich nicht daran gehalten. Russland möchte auch, dass die NATO ihre Waffen und Truppen aus Osteuropa abzieht. Eine weitere Perspektive im Krieg in der Ukraine ist der Kampf um die Weltherrschaft zwischen den USA und China, wie Professor Demmers in ihrem Vortrag vor dem Flämischen Friedensinstitut betonte. Darüber hinaus gibt es auch wachsende Spannungen zwischen den USA und China, zum Beispiel in Bezug auf Taiwan. Dies wirkt sich auf Chinas Rolle als Vermittler im Krieg in der Ukraine aus. 

Um die Spannungen zwischen den Großmächten abzubauen und Frieden in der Ukraine zu schaffen, bedarf es einer neu angelegten Diplomatie - einer Diplomatie, in der auch Länder, die nicht zu den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats gehören, eine Rolle spielen können. Im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und China ist es wichtig, auch diesen Ländern Raum zu geben, um auf diplomatischem Weg zu einem Friedensprozess beizutragen. Dazu könnte auch ein Land wie Brasilien gehören. Der derzeitige brasilianische Präsident Lula da Silva ruft zum Frieden auf und unterhält gute Beziehungen sowohl zu China als auch zu den USA. Auch ein Land wie Indien kann in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Indien hat auf subtile Weise deutlich gemacht, dass es den Krieg nicht unterstützt, indem es die Bedeutung des Völkerrechts und der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine betont hat. Außerdem unterhält Indien gute Beziehungen zu Russland. Dies könnte in einer vom UN-Sekretariat geleiteten "hochrangigen Verhandlungsinitiative, die legitimiert ist", Gestalt annehmen. Mit hochrangiger Verhandlungsinitiative ist zumindest die Ebene der Außenminister gemeint. Legitimiert bedeutet, dass ein großer Teil der UN-Generalversammlung der Kommission Verhandlungsspielraum gibt. Diese Kommission sollte einen Waffenstillstand zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung als Voraussetzung für Friedensverhandlungen erreichen. Möglicherweise könnte sie sich des Weiteren der Initiative des mexikanischen Präsidenten für eine Friedenskommission hinsichtlich eines weltweiten Waffenstillstands anschließen. López Obrador schlägt u.a. Papst Franziskus und António Guterres hierfür vor. Außerdem hoffen wir, dass der Dialog mit der Russischen Föderation fortgesetzt werden kann, zum Beispiel im Rahmen der OSZE.

Kurzum, es ist höchste Zeit für den Frieden. Für einen Waffenstillstand und eine maximale und neue Diplomatie, bevor der Punkt erreicht wird, an dem es kein Zurück mehr gibt und die Eskalation nicht mehr aufzuhalten ist. 

Das Leben sollte geschützt werden. 

Es wäre gut, wenn sich die Niederlande, Deutschland, die EU und andere Länder dafür einsetzen würden. 

Hoffentlich wird es bald eine Ukraine - und eine Welt - geben, in der alle Kinder spielen können. 



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Staakt-het-vuren en diplomatie zijn hard nodig om vrede in Oekraïne te bereiken


door May-May Meijer en Klaus Moegling 


8 mei 2023

De volgende blog is vooral geschreven door May-May Meijer (directeur van de vredes-NGO Peace SOS, Nederland) en op haar verzoek door Klaus Moegling aangevuld met enkele perspectieven. Het artikel wordt hier gezamenlijk gepubliceerd in het Engels, Duits en Nederlands.
Het zal gelijktijdig worden gepubliceerd op de internationale website van Peace SOS: 

 https://peacesos.nl/a-call-for-more-and-new-diplomacy-for-a-ceasefire-and-peace-in-ukraine/ 


Onlangs waarschuwde de secretaris-generaal van de VN Guterres bij een vergadering van de Veiligheidsraad van de Verenigde Naties dat de spanning tussen de grootmachten historisch groot is vanwege de Russische invasie van Oekraïne. Ook bestaat er risico op conflict door tegenslag of misrekening zo hield Guterres de leden van de VN Veiligheidsraad de leden voor. 

Gelukkig is er hoop. President Zelensky voerde recentelijk een lang telefoongesprek met de Chinese president Xi Jinping. Xi Jinping stelde aan Zelensky voor om vredesgesprekken te faciliteren die erop gericht zijn om zo spoedig mogelijk een staakt-het-vuren te bereiken. China heeft goede banden met president Poetin, dus zal daar zeker een rol van betekenis in kunnen spelen. 

Ondanks dat er  weer diplomatieke inspanningen plaatsvinden, lijk het erop dat Oekraïne en de internationale gemeenschap zich nu richten op het terugwinnen van terrein dat door Rusland veroverd is. Het tegenoffensief van Oekraïne zal waarschijnlijk in  mei plaatsvinden afhankelijk van het weer en de wapenleveranties. President Zelensky bezocht Nederland op 4 mei jongstleden. De Nederlandse premier Rutte liet toen weten dat Nederland achter de schermen hard aan het werk is om consensus te bereiken met bondgenoten over het leveren van straaljagers aan Oekraïne. Het leveren van de straaljagers ligt gevoelig omdat er gevreesd wordt voor een verdere escalatie van de oorlog tussen Oekraïne en Rusland. Hier komt de recente drone-aanval op het Kremlin nog eens bij. Het Kremlin sprak van een sprak van een geplande „terroristische daad” en een aanslag op het leven van de Russische president Vladimir Poetin. Oekraïne heeft ontkend iets met de aanval, als daar inderdaad sprake van was, te maken te hebben. „We vallen Poetin of Moskou niet aan, we vechten op ons eigen grondgebied”, zei president Zelensky tijdens een persconferentie in Finland. 

In dit artikel wordt gepleit voor maximale diplomatieke inspanning om spoedig tot een staakt-het-vuren en een vredeoplossing te komen via de onderhandelingstafel. Er zijn reeds ongeveer 40.000 burgers omgekomen en 200.000 soldaten omgekomen of gewond geraakt, dat is al veel te veel. Elk mensenleven dient gespaard te worden. Hierbij wordt opgemerkt dat de huidige wapenarsenalen van de grootmachten zo omvangrijk zijn in vergelijking met de Tweede Wereldoorlog dat de oorlog in Oekraïne niet via de militaire weg opgelost kan worden. De spanning tussen de grootmachten is al historisch groot en zal bij een nieuwe en grootschalig offensief van Oekraïne alleen maar groter worden. Hoe langer de oorlog in Oekraïne duurt en hoe dieper de vijandelijkheden zijn, hoe moeilijker het wordt om weer vrede te bereiken. 

Alhoewel wij de Russische invasie veroordelen is dit artikel tevens een pleidooi om ook te kijken naar andere perspectieven in dit conflict, dat is noodzakelijk om te komen tot vrede. Zoals wordt aangegeven op de website van de Tweede Kamer bedreigt Rusland Oekraïne omdat ze wil dat Oekraïne, ooit deel van de Sovjet-Unie, nooit zal toetreden tot de NAVO. Volgens Poetin heeft de NAVO in 1990 beloofd dat de NAVO niet naar het oosten zou uitbreiden, maar heeft het bondgenootschap zich hier niet aangehouden. Ook wil Rusland dat de NAVO wapens en troepen terugtrekt uit Oost-Europa. Een andere perspectief in de oorlog in Oekraïne is de strijd om wereldhegemonie tussen de VS en China, zoals wordt aangegeven door hoogleraar Demmers tijdens haar presentatie voor het Vlaams Vredesinsituut. Hier komt bij dat er ook spanning is tussen de VS en China, bijvoorbeeld als het gaat om Taiwan. Dit heeft invloed op de rol van China als bemiddelaar in de oorlog in Oekraïne. 

Om de spanning tussen de grootmachten te verminderen en om tot vrede te komen in Oekraïne is nieuwe diplomatie nodig. Diplomatie waarbij ook landen die niet behoren tot de vijf permanente leden van de VN Veiligheidsraad een rol kunnen spelen. In verband met de spanning tussen de VS en China is het essentieel om ook deze landen de ruimte te geven om via de diplomatieke weg bij te dragen aan een vredesproces. Hierbij kan onder andere gedacht worden aan een land als Brazilië. De huidige president van Brazilië, Lula da Silva, roept op tot vrede en onderhoudt zowel goede betrekkingen met China als met de Verenigde Staten. Ook een land als India kan hierin een rol spelen. India heeft volgens de NOS in subtiele bewoordingen duidelijk gemaakt niet achter de oorlog te staan door de nadruk te leggen op het belang van internationale wetgeving en de territoriale integriteit en soevereiniteit van Oekraïne. Tevens onderhoudt India goede betrekkingen met Rusland. Een en ander kan vorm gegeven worden in een door het VN secretariaat geleid ‘onderhandelingsinitiatief op hoog niveau dat gelegitimeerd’ is. Met een onderhandelingsinitiatief op hoog niveau wordt bedoeld, tenminste op het niveau van de ministers van Buitenlandse Zaken. Met gelegitimeerd wordt bedoeld dat een groot deel van de Algemene Vergadering van de Verenigde Naties de commissie onderhandelingsruimte geeft. De commissie dient zich bezig te houden met een staakt-het-vuren tussen de Oekraïense en de Russische regering als opstap naar vredesonderhandelingen. Eventueel kan aansluiting gezocht worden bij het initiatief van de Mexicaanse president om te komen tot een vredescommissie voor een algehele wereldwijde wapenstilstand. López Obrador onder meer Paus Franciscus en António Guterres voorstelt. Verder hopen wij dat de dialoog met de Russische Federatie kan worden voortgezet, bijvoorbeeld in de OVSE.

Kortom, het is de hoogste tijd voor vrede. Voor een staakt-het-vuren en maximale en nieuwe diplomatie voordat het point of no return bereikt wordt waarbij de escalatie niet meer gestopt kan worden. Het leven dient gekoesterd te worden. Het zou goed zijn als Nederland, Duitsland, de EU en andere landen zich hiervoor inzetten. 


 


Aktueller Blog 13

Öffentliche Denunzierung des Friedensanliegens -

Zum gesellschaftlichen Umgang mit Friedensappellen zum Krieg in der Ukraine

von: Klaus Moegling

2.4.2023, aktualisiert am 1.6.2023


Unabhängig von der Frage, ob die Russische Föderation die Alleinschuld für die militärische Eskalation in der Ukraine trägt oder auch die NATO bzw. einflussreiche NATO-Staaten, wie die USA oder Großbritannien, eine Mitschuld an dem Ausbruch des Krieges tragen, versuchten verschiedene Friedensinitiativen mit Hilfe von Aufrufen und Appellen Unterstützung in der Friedensbewegung sowie in breiteren Kreise der Bevölkerung zu finden. Das Mittel hierzu waren insbesondere Unterzeichner_innen-Listen auf Internetplattformen oder Webseiten, z.T. verbunden mit Aufrufen zu Kundgebungen und Konferenzen.

Zu nennen sind hier vor allem der von Alice Schwarzer an den Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtete offene Brief mit über 500.000 Unterzeichner_innen sowie das weitere gemeinsam von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierte ‚Manifest für Frieden‘ mit fast 800.000 Unterzeichnungen auf der Internetplattform Change.org  (Stand: April 2023). 

Über die öffentliche Aufnahme dieser breitere Bevölkerungskreise erreichenden Friedensaktion insbesondere von Vertretern_innen der Regierungspolitik, von Politikwissenschaftlern sowie in den Medien wird etwas weiter unten noch ausführlicher geschrieben.

Zusätzlich gab es einen internationalen Aufruf vom International Peace Bureau (IPB) zu Weihnachten 2022/23, den nur wenige Tausend internationale Friedensfreunde_innen unterzeichnet hatten. Auch ein englischsprachiger 'Peace Appeal' mit Erstunterzeichner_innen aus 10 Staaten auf der Internetplattform ‚Action Network‘ fand bisher nur etwas über 3000 internationale Unterzeichner_innen (Stand: April 2023).

Appell für den Frieden

Etwas mehr Unterzeichnungen im internationalen Kontext fand ein deutsch-österreichischer-schweizerischer Aufruf, der ‚Appell für den Frieden‘, mit insgesamt 16.400 Unterzeichnungen (Beendigung: 28.8.2023). Er weist einen friedensökologischen Ansatz auf und enthält drei Forderungen:

Nationale Regierungen und transnationale Institutionen sollten sich vor allem für drei friedenspolitische und -ökologische Maßnahmen stark machen: 

1.       Im Krieg in der Ukraine müssten spätestens ab jetzt diplomatische Initiativen Vorrang haben. Hierzu wird gefordert, dass eine durch den UN-Generalsekretär geleitete internationale hochrangige und hochlegitimierte Verhandlungskommission den Weg für Waffenstillstandsverhandlungen in der Ukraine als Voraussetzung für Friedensverhandlungen freimachen müsste. Die deutsche und die österreichische Bundesregierung sollten sich mit Nachdruck für eine derartige Friedensinitiative beim UN-Generalsekretär einsetzen.

2.       Bei künftigen Klimaschutzverhandlungen sollten Regeln und Vorgaben für die verbindlichere Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen erarbeitet werden, die die einzelnen Staaten zu mehr Transparenz verpflichten. Hierbei sollten wirksame Kontrollen und strenge Sanktionen bei fehlender Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen im In- und Ausland im Rahmen der nationalen CO2-Bilanzen vorgesehen werden. Die bisherigen Regelungen hierzu reichen nicht aus.

3.       Der Krieg in der Ukraine wird derzeit für die internationale Aufrüstungsspirale instrumentalisiert. Zusätzlich sind fast alle wichtigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge von den USA und der Russischen Föderation gekündigt oder ausgesetzt worden. Im Gegensatz hierzu sind über die UN kontrollierte und koordinierte Abrüstungsverhandlungen zu fordern. Insbesondere sollte der Atomwaffenverbotsvertrag, der von ICAN erfolgreich in die Vereinten Nationen eingebracht wurde, von den anzusprechenden Staaten in einem miteinander koordinierten und überwachten Prozess unterzeichnet, ratifiziert und umgesetzt werden. (Österreich hat den Vertrag bereits ratifiziert.)

Allen diesen verschiedenen Friedensaufrufen ist gemeinsam, dass derartige friedenspolitische Initiativen in den sozialen Medien, neben Unterstützungen, einem extremen ‚Shitstorm‘ ausgesetzt waren. Auch die Verfasser_innen mussten sich Schmähkritik und persönliche Beleidigungen sowie Drohungen anhören bzw. lesen. Hier lässt sich eine Verrohung der öffentlichen Auseinandersetzung nun auch um friedenspolitische Inhalte über die sozialen Medien, wie z.B. Facebook oder Twitter, feststellen.

Auch hat man den Eindruck, dass hier organisierte Kräfte den Schutz der Anonymität und ihrer Decknamen nutzen, um Personen, die für Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen plädieren, als Putinknechte, Verräter am ukrainischen Volk, bezahlt von Putin und Ähnliches zu diskreditieren.

Frieden schaffen! 

Die jüngste Friedensinitiative stammt aus der Feder von SPD-Politikern, u.a. vom ältesten Sohn von Willy und Ruth Brandt, Peter Brandt (Historiker und Professor i.R.), Reiner Braun (Internationales Friedensbüro), Reiner Hoffmann (ehemaliger DGB-Vorsitzender) und Michael Müller (Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands). In zwei deutschen Tageszeitungen wurde dieser Aufruf unter dem Titel "Frieden schaffen! Waffenstillstand und Gemeinsame Sicherheit jetzt!" mit 200 Unterzeichnern_innen veröffentlicht, zu denen u.a. der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die Ex-Justizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Dr. Margot Käßmann, Theologin und ehem. Ratsvorsitzende der EKD, und EX-EU-Kommissar Günter Verheugen sowie u.a. mehrere Politikwissenschaftler_innen gehören. In diesem Aufruf wird Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert, eine Verhandlungskommission zusammen mit Frankreich und  insbesondere mit Brasilien, China, Indien und Indonesien zu bilden, die einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine bewirken sollten. In dem Text heißt es „ (…) Mit jedem Tag wächst die Gefahr der Ausweitung der Kampfhandlungen. Der Schatten eines Atomkrieges liegt über Europa. Aber die Welt darf nicht in einen neuen großen Krieg hineinschlittern. Die Welt braucht Frieden. Das Wichtigste ist, alles für einen schnellen Waffenstillstand zu tun, den russischen Angriffskrieg zu stoppen und den Weg zu Verhandlungen zu finden.

Aus dem Krieg ist ein blutiger Stellungskrieg geworden, bei dem es nur Verlierer gibt. Ein großer Teil unserer Bürger und Bürgerinnen will nicht, dass es zu einer Gewaltspirale ohne Ende kommt. Statt der Dominanz des Militärs brauchen wir die Sprache der Diplomatie und des Friedens. (…)“ [1]

Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland war bereits vorher durch seine drastischen Aussagen (über Bundeskanzler Scholz: „beleidigte Leberwurst“) und seine maßlosen und mit großer Dreistigkeit vorgetragenen Forderungen nach Waffenlieferungen für die Ukraine aufgefallen. Er hat sich sofort auch hier per Twitter in einem Ton eingeschaltet, der sicherlich der Ukraine nicht weiterhilft. Der zum stellvertretenden Außenminister der Ukraine beförderte Andrij Melnyk, schrieb auf Twitter, Brandt und Co. sollten sich mit ihren „senilen Ideen“, einen „schnellen Waffenstillstand zu erreichen“ und „den Frieden nur mit Russland zu schaffen“ zum Teufel scheren. [2] Kein weiterer Kommentar hierzu ...


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Aktuelle Unterzeichnungsmöglichkeiten für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine:


Offener Brief an den Bundeskanzler               
https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz 
       
Manifest für Frieden             
https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
     
Christmas Appeal               
https://www.christmasappeal.ipb.org/german-de/
(Anfang 2023 beendet)

Peace Appeal               
https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/

Deutsch-österreichischer-schweizerischer Appell für den Frieden: Das Töten in der Ukraine muss beendet werden!             
https://chng.it/N2ggCS5Q
(zum 28.8.2023 beim Stand von 16.400 Unterzeichnungen beendet)

Appell "Manifest der Achtzigjährigen - die Stimme der Kriegskinder zum Krieg in der Ukraine" 

https://www.change.org/p/ein-manifest-der-achtzigj%C3%A4hrigen-die-stimme-der-kriegskinder-zum-krieg-in-der-ukraine


Appell "Frieden schaffen"
https://friedenschaffen.net


(Des Weiteren sind ähnliche Friedensinitiativen u.a. in den Niederlanden, in Finnland, in Dänemark, in Mexiko, Brasilien, Tschechien und Italien bekannt.)

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Der propagandistische Feldzug gegen das ‚Manifest für Frieden‘

Die Kampagnen von Schwarzer und Schwarzer/Wagenknecht konnten auf große und über Jahre hinweg aufgebaute Netzwerke und Publikationsmedien zurückgreifen. Dies erklärt – neben dem Bekanntheitsgrad der beiden Persönlichkeiten – die hohe Unterzeichner_innenzahl dieser beiden Friedenstexte.

Daher stand insbesondere das ‚Manifest für Frieden‘, das mit einer Großkundgebung am Brandenburger Tor verbunden war, im Mittelpunkt der öffentlichen Reaktionen.

Das ‚Manifest für Frieden‘ sprach sich gegen eine eskalierende Fortführung des Kriegs in der Ukraine und für sofortige Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen aus. Es endet mit der Forderung an den deutschen Bundeskanzler:

„Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.“

An vier Beispielen soll nun deutlich gemacht werden, wie versucht wurde, den Text und die Intentionen der beiden Initiatorinnen zu verfälschen und diese zu diskreditieren.

1.       Es wurde den Verfasserinnen in den Medien und von führenden Politikern unterstellt, dass sie im Text des Manifests geschrieben hätten, sie seien grundsätzlich gegen Waffenlieferungen zur Unterstützung der Selbstverteidigung der angegriffenen Ukraine. [3] Der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, äußerte sich dementsprechend auch abwertend: „Hallo ihr beide Putinschen Handlanger:Innen @SWagenknecht & #Schwarzer, euer Manifest für Verrat der Ukrainer könnt ihr zusammenrollen & gleich in den Mülleimer am Brandenburger Tor werfen.“ [4]

Fakt aber ist: Im Text wenden sich die Verfasserinnen gegen die „Eskalation von Waffenlieferungen“, was ein anderer Sachverhalt ist. Hierbei geht es um die Überschreitung ‚roter Linien‘, was zu einer unkontrollierbaren Eskalationsdynamik führen kann. Jürgen Habermas hat dies mit seiner Benennung von Kipppunkten, einem ‚point of no return‘ angesprochen. [5]

2.       Es wurde den Verfasserinnen eine Täter-Opfer-Umkehr vorgeworfen. Dieser Vorwurf wurde zuerst vom deutschen Politikwissenschaftler Herfried Münkler vorgebracht [6] und anschließend von verschiedenen Politikern_innen Mantra artig wiederholt. Es wird Schwarzer/ Wagenknecht hierbei vorgeworfen, sie würden primär die NATO und den Westen als Aggressor sehen und die Russische Föderation als Opfer. Auch dies ist eine Falschdarstellung, da im Text des Manifests der russische Aggressor klar benannt ist. Dort heißt es eindeutig: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ [7]

Dennoch denunziert der Politologe Münkler den Text als „gewissenloses Manifest“  und Schwarzer/Wagenknecht  „betreiben mit kenntnislosem Dahergerede Putins Geschäft“. [8] [9]

3.       Es wird Schwarzer/ Wagenknecht vorgeworfen, sie wollten die Ukraine über einen russischen Diktatfrieden an die Russische Föderation ausliefern. So Außenministerin Baerbock in diesem Zusammenhang: „Ein Diktatfrieden, wie ihn manche jetzt fordern, das ist kein Frieden. Sondern das wäre die Unterwerfung der Ukraine unter Russland.“ [10] Fakt aber ist, dass im Manifest steht:

„Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!“ [11] Eine derartige Formulierung ist aber weit weg von der Akzeptanz eines ‚Diktatfriedens‘.

4.       Es wurde Schwarzer/Wagenknecht - sogar von Teilen der Partei 'Die Linke' - vorgeworfen, sie würden sich nicht zum Rechtsextremismus abgrenzen und billigend in Kauf nehmen, dass Rechtsextreme an der auf das Manifest bezogenen Kundgebung teilnehmen würden. [12] So urteilte auch der ‚Spiegel‘: „Bei der sogenannten Friedensdemonstration am Samstag in Berlin zeigten sich die Konturen dessen, was Sahra Wagenknecht in Wahrheit anstrebt: eine prorussische, antiamerikanische, national orientierte Sammlungsbewegung. Die AfD reagiert erfreut.“ [13] Abgesehen davon, dass man bei einer Kundgebung, an der mehr als 10.000 Personen teilnehmen, nicht verhindern kann, dass sich einzelne Rechtsextreme unter die Menge mischen, basiert aber auch dieser Vorwurf auf einer Falschaussage. So ist öffentlich per Videoaufnahme dokumentiert, dass sich Sahra Wagenknecht in ihrer Ansprache vor dem Brandenburger Tor sehr deutlich mit folgenden Worten von rechtsextremer Beteiligung distanziert:

„Selbstverständlich haben Neonazis und Reichsbürger, die in der Tradition von Regimen stehen, die für die schlimmsten Weltkriege der Menschheitsgeschichte Verantwortung tragen, auf unserer Friedenskundgebung nichts zu suchen.“ [14]

Auch der grüne Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour grenzt sich demagogisch in diese Richtung ab und unterstellt, dass der Vorsitzende der AFD zu den Erstunterzeichnern des Manifests gehöre: „Der Vorsitzende der AfD ist einer der Erstunterzeichner des Manifests. Die Linkspartei muss sich fragen lassen, wie sie damit umgehen will, dass eines ihrer bekanntesten Gesichter zusammen mit AfD‑Vorsitzenden Papiere unterschreibt.“ [15] Auch diese Aussage ist falsch, da der AfD-Vorsitzende nicht zu den 69 Erstunterzeichnern__innen gehörte, sondern sich unter die zahlreichen Mitunterzeichner_innen gemischt hatte, was sich sicherlich bei einer offenen Unterzeichnungssituation wie bei Change.org nicht verhindern lässt.

Fazit

Der Friedensaktivist Bernhard Trautvetter bringt die Kritik am gesellschaftlichen Umgang mit dem ‚Manifest für Frieden‘ und an der Kampagne gegen die Friedensbewegung insgesamt auf seine Weise auf den Punkt:

„Die Kampagne gegen die Friedensbewegung stützt sich auf invalide Behauptungen, sie zersetzt demokratische Strukturen, indem sie Demokratinnen und Demokraten ausgrenzt, sie stärkt Kriegsgewinnler wie die Rüstungskonzerne in den Nato-Staaten sowie Nationalisten wie jene in der AfD, der sie mit der Behauptung, es gebe ein Bündnis unter ihrer Beteiligung, Aufmerksamkeit zukommen lässt, sie wertet den Militarismus auf, indem sie seine Narrative aufgreift; die Kampagne gegen die Friedensbewegung widerspricht den Lebensinteressen der Menschen nicht nur in unserem Land, da sie die Spannungen und die Risiken steigert,  die mit der Eskalation der Gewalt verbunden sind. Und sie lenkt von vielen weltweiten  Völkerrechtsbrüchen  ab, in die Nato-Staaten aktiv verwickelt sind, etwa mit der Formulierung, man sei gegen den Krieg, so als gäbe es keine anderen Kriege etwa in der weiteren Golf-Region oder in Afrika.“ [16]

Trotz des mehrfachen Dementis von Wagenknecht/ Schwarzer und anderer Erstunterzeichner_innen des ‚Manifests für Frieden‘ werden die hier angesprochenen vier Falschaussagen von maßgeblichen Politikern, Politikwissenschaftlern und Medien permanent wiederholt. Insbesondere die Berichterstattung des angesprochenen Teils der bürgerlichen Presse ist kein Ausdruck einer unabhängigen und kritischen Berichterstattung, sondern weckt eher Erinnerungen an einen ‚eingebetteten Journalismus‘. Im Gegensatz hierzu ist von den Medien als selbsternannte vierte Instanz in der Demokratie zu verlangen, dass sie Argumente konträrer friedenspolitischer Positionen unabhängig und kritisch abwägen. Alle Formen des ‚eingebetteten Journalismus‘ mit Elementen der Kriegspropaganda und der Verunglimpfung der Andersdenkenden stehen in einem Widerspruch zum medialen Selbstanspruch als vierte Gewalt in einer Demokratie – im Gegenteil, dies stellt einen Beitrag zur Aushöhlung noch vorhandener demokratischer Strukturen dar. [17]

 

Anmerkungen
 

[1] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/frieden-fuer-die-ukraine-ein-friedensappell-aus-der-mitte-der-gesellschaft-li.332707, 1.4.2023, 2.4.2023.
[2] https://www.deutschlandfunk.de/peter-brandt-initiiert-friedensappell-prominente-spd-mitglieder-unterschreiben-100.html, 1.4.2023, 1.4.2023. 

[3] Vgl. z.B. https://www.rnd.de/politik/manifest-fuer-frieden-junge-politiker-kontern-petition-von-wagenknecht-und-schwarzer-LDP5L5PETFBXJOEEHGMT4HSCY4.html, 24.2.2023, 31.3.2023 oder https://www.berliner-zeitung.de/open-source/kommentar-meinung-krieg-waffenlieferungen-ukraine-konflikt-ist-das-manifest-fuer-frieden-ein-manifest-der-unterwerfung-li.321476, 25.2.2023.
[4] https://www.berliner-zeitung.de/news/annalena-baerbock-schmettert-ukraine-vorstoss-von-wagenknecht-und-schwarzer-ab-manifest-fuer-frieden-li.316625,11.2.2023, 30.3.2023.
[5] Siehe sein Interview in der Süddeutschen Zeitung, wo er sich für die Parallelität der politischen, humanitären und militärischen Unterstützung der Ukraine und für die Forcierung von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Sinne einer Doppelstrategie einsetzt: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukraine-sz-verhandlungen-e159105/?reduced=true, 14.2.2023, Zugriff: 6.3.2023, (hinter einer Bezahlschranke).
[6] Vgl. https://rp-online.de/politik/deutschland/herfried-muenkler-nennt-wagenknecht-schwarzer-manifest-verlogen_aid-84912697, 14.2.2023, 31.3.2023.
[7] https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
[8] https://www.berliner-zeitung.de/news/gewissenloses-manifest-berliner-politologe-herfried-muenkler-verurteilt-friedensaufruf-von-alice-schwarzer-und-sahra-wagenknecht-li.317574, 14.2.2023, 30.3.2023.
[9] Mit den Thesen Herfried Münklers setzt sich Matthias Kreck kritisch auseinander und kommt abschließend zu folgender zusammenfassender Einschätzung:  „Die Kritik von Herrn Münkler hält einer wissenschaftlichen Analyse nicht stand. Und wenn er dem hochverehrten Kollegen Habermas als Reaktion auf dessen sehr nachdenklichen Artikel in der Süddeutschen Zeitung wünscht, dass er „etwas mehr Politikwissenschaftler“ wäre, dann stellt sich angesichts der wissenschaftlichen Fehler, auf die ich in diesem Artikel hinweise, die Frage, ob Kollege Münkler den Grundkurs über gute wissenschaftliche Praxis besuchen sollte.“, in: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/eine-kritik-an-der-kritik-von-herfried-muenkler-an-dem-manifest-fuer-frieden-li.320045, 21.2.2023, 2.4.2023.
[10] https://www.berliner-zeitung.de/news/annalena-baerbock-schmettert-ukraine-vorstoss-von-wagenknecht-und-schwarzer-ab-manifest-fuer-frieden-li.316625, 10.2.2023, 30.3.2023.
[11] https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
[12] Vgl. hierzu https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/wagenknecht-schwarzer-manifest-frieden-afd-100.html., 4.3.2023, 31.3.2023.
[13]  https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kundgebung-in-berlin-querfront-ja-aber-bitte-diskret-kolumne-a-9abaaaab-c006-4cca-947a-f81465217086 26.2.2023, 31.3,2023.
[14] Zitat nach der YouTube-Originalaufnahme: https://www.google.com/search?q=Sarah+Wagenknechts+Rede+am+Brandenburger+Tor+2023+Abgrenzung+gegen+Rechtsextreme&oq=Sarah+Wagenknechts+Rede+am+Brandenburger+Tor+2023+Abgrenzung+gegen+Rechtsextreme&aqs=chrome..69i57.19759j0j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:7c9181da,vid:I0AwgCYNz5s, 25.3.2023, 30.3.2023.
[15] https://www.rnd.de/politik/omid-nouripour-die-aeusserungen-von-frau-wagenknecht-wirken-in-der-ukraine-wie-hohn-E6KEVS7BMNAN5ABYGVOUZY4KIQ.html , 24.2.2023, 31.3.2023.
[16] Zitat aus einem noch unveröffentlichten Manuskript von Bernhard Trautvetter (3/2023): Die Strategische Kommunikation der Militärlobby und die Kampagne gegen die Friedensbewegung.
[17] Positiv zu nennen ist im Gegensatz hierzu der journalistische Ansatz bei Malte Lehming im Tagesspiegel, der jeweils fünf wichtige Fragen an die friedenspolitischen Kontrahenten stellt, die es abzuwägen gelte. Vgl. https://www.tagesspiegel.de/internationales/deutschland-streitet-uber-den-richtigen-weg-zum-frieden-beide-seiten-mussen-funf-fragen-beantworten-9359345.html, 16.2.2023, 31.3.2023.



actual blog 13

Public Denunciation of the Peace Issue -

On the Social Treatment of Appeals for Peace on the War in Ukraine

by Klaus Moegling


2 April, 2023, updated at 1 May, 2023


Irrespective of the question of whether the Russian Federation bears sole responsibility for the military escalation in Ukraine or whether NATO or influential NATO states, such as the United States or Great Britain, are also partly to blame for the outbreak of war, various peace initiatives attempted to find support in the peace movement and in broader circles of the population with the help of appeals and calls. The means to this end were, in particular, lists of signatories on Internet platforms or websites, sometimes combined with calls for rallies and conferences.
Particularly worthy of mention are Alice Schwarzer's open letter to Chancellor Olaf Scholz, with over 500,000 signatures, and the 'Manifesto for Peace' initiated jointly by Alice Schwarzer and Sahra Wagenknecht, with almost 800,000 signatures on the Change.org Internet platform (as of April 2023). 
The public reception of this peace action, which reached broader sections of the population, especially by representatives of government policy, political scientists and the media, will be written about in more detail below.
In addition, there was an international appeal by the International Peace Bureau (IPB) at Christmas 2022/23, which was signed by only a few thousand international peace activists. Also a Peace Appeal with first signatories from 10 countries on the internet platform 'Action Network' found so far only a little over 3000 international signatories (as of April 2023).

Appeal for Peace

A German-Austrian-Swiss appeal, the 'Appell für den Frieden' (Appeal for Peace), found a little more signatures in the international context with over 16.400 signatures so far (finished at 8/28/23). It features a peace ecology approach and contains three demands:
National governments and transnational institutions should advocate for three peace-political and -ecological measures in particular: 
1) diplomatic initiatives would have to take priority in the war in Ukraine, at the latest from now on. To this end, it is demanded that an international high-ranking and highly legitimized negotiating commission headed by the UN Secretary General would have to clear the way for ceasefire negotiations in Ukraine as a prerequisite for peace negotiations. The German and Austrian governments should strongly advocate such a peace initiative to the UN Secretary General.
2) In future climate protection negotiations, rules and guidelines should be drawn up for more binding consideration of military-related CO2 emissions, obliging individual states to be more transparent. This should include effective controls and strict sanctions for failure to take into account military-related CO2 emissions at home and abroad in national CO2 balances. 
3) The war in Ukraine is currently being instrumentalized for the international arms build-up spiral. In addition, almost all major arms control and disarmament treaties have been terminated or suspended by the USA and the Russian Federation. In contrast, controlled and coordinated disarmament negotiations should be called for through the UN. In particular, the Nuclear Weapons Ban Treaty, successfully introduced by ICAN to the UN, should be signed, ratified and implemented by the states to be addressed in a mutually coordinated and monitored process. (Austria has already ratified the treaty).
Common to all these different peace appeals is that such peace policy initiatives have been subjected to extreme 'shitstorms' in social media, in addition to endorsements. The authors also had to listen to or read abusive criticism and personal insults as well as threats. Here we can see a brutalization of the public debate now also around peace policy content via social media, such as Facebook or Twitter.

Build peace!

One also has the impression that organized forces are using the protection of anonymity and their aliases to discredit people advocating ceasefires and peace negotiations as Putin's servants, traitors to the Ukrainian people, paid by Putin and the like.
The latest peace initiative was penned by SPD politicians, including the eldest son of Willy and Ruth Brandt, Peter Brandt (historian and retired professor), Reiner Braun (International Peace Office), Reiner Hoffmann (former chairman of the DGB) and Michael Müller (federal chairman of the Naturefriends). This appeal was published in two German newspapers under the title "Build Peace! Ceasefire and Common Security Now!" with 200 signatories, among them the former Bundestag president Thierse, the ex-minister of justice Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Dr. Margot Käßmann, theologian and former chairman of the council of the EKD, and EX-EU-Commissar Verheugen as well as several political scientists. In this appeal, Chancellor Olaf Scholz is asked to form a negotiating commission together with France and in particular the states together with France in particular Brazil, China, India and Indonesia, which should bring about a ceasefire and peace negotiations in Ukraine. The text states " (...) With each passing day, the danger of the expansion of hostilities grows. The shadow of a nuclear war lies over Europe. But the world must not slide into a new great war. The world needs peace. The most important thing is to do everything for a quick cease-fire, to stop the Russian war of aggression and to find the way to negotiations.
The war has turned into a bloody war of positions in which there are only losers. A large part of our citizens do not want to see a spiral of violence without end. Instead of the dominance of the military, we need the language of diplomacy and peace. (...)" [1]
The former Ukrainian ambassador to Germany had already attracted attention with his drastic statements (about Chancellor Scholz: "insulted liver sausage") and his exorbitant demands for arms deliveries for Ukraine, which were made with great audacity. He also immediately intervened here via Twitter in a tone that certainly does not help Ukraine. Andrij Melnyk, promoted to deputy foreign minister of Ukraine, wrote on Twitter that Brandt and Co. should go to hell with their "senile ideas" of "achieving a quick ceasefire" and "making peace only with Russia." [2] No further comment on this ....

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Signing opportunities for ceasefire and peace negotiations in Ukraine:

- Open letter to the German Chancellor
              https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz
- Manifesto for Peace
              https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
- Christmas Appeal
              https://www.christmasappeal.ipb.org/german-de/
              (ended in early 2023)
- Peace Appeal
              https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/
- German-Austrian_Swiss Appeal for Peace: The killing in Ukraine must be stopped!
              https://chng.it/N2ggCS5Q (finished at 8/28/23). 

- Appeal "Manifesto of the eighty-year-olds - the voice of the children of war on the war in Ukraine".

https://www.change.org/p/ein-manifest-der-achtzigj%C3%A4hrigen-die-stimme-der-kriegskinder-zum-krieg-in-der-ukraine 

Appeal "build peace"

https://friedenschaffen.net/ 


Furthermore, similar peace initiatives are known in the Netherlands, Finland, Denmark, Mexico, Brazil, the Czech Republic and Italy, among others. 

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The propagandistic campaign against the 'Manifesto for Peace'.

The Schwarzer and Schwarzer/Wagenknecht campaigns were able to draw on large networks and publication media that had been built up over many years. This explains - in addition to the high profile of the two personalities - the high number of signatories of these two peace texts.
Therefore, especially the 'Manifesto for Peace', which was linked to a large rally at the Brandenburg Gate, was the focus of public reactions.
The 'Manifesto for Peace' spoke out against an escalating continuation of the war in Ukraine and for immediate ceasefire and peace negotiations. It ends with the demand to the German Chancellor:
"We call on the German Chancellor to stop the escalation of arms deliveries. Now! He should lead a strong alliance for a ceasefire and peace negotiations at both the German and European levels. Now! Because every day lost costs up to 1,000 more lives - and brings us closer to a 3rd world war."
Four examples will now illustrate how attempts were made to falsify the text and the intentions of the two initiators and to discredit them.
1) The authors were accused in the media and by leading politicians of having written in the text of the manifesto that they were fundamentally opposed to the supply of weapons to support the self-defense of Ukraine under attack. [3] 

The former Ukrainian ambassador to Germany, Andrij Melnyk, accordingly also expressed himself pejoratively: "Hello you two Putin's stooges:inside @SWagenknecht & #Schwarzer, you can roll up your manifesto for betrayal of Ukrainians & throw it straight into the trash garbage can at the Brandenburg Gate."  [4] 

But the fact is: In the text, the authors oppose the "escalation of arms deliveries," which is a different matter. This is about the crossing of 'red lines' that can lead to an uncontrollable escalation dynamic. Jürgen Habermas addressed this with his naming of tipping points, a 'point of no return'. [5] 

2) the authors have been accused of a perpetrator-victim reversal. This accusation is first made by the German political scientist Herfried Münkler [6] and then repeated mantra-like by various politicians. Schwarzer/Wagenknecht are accused of primarily seeing NATO and the West as the aggressor and the Russian Federation as the victim. This is also a misrepresentation, since the text of the manifesto clearly names the Russian aggressor. There it clearly states, "The Ukrainian people brutally invaded by Russia need our solidarity." [7] 

Nevertheless, political scientist Münkler denounces the text as an "unconscionable manifesto" and Schwarzer/Wagenknecht "are doing Putin's business with ignorant talk."  [8]  [9] 

3) Schwarzer/Wagenknecht are accused of wanting to hand over Ukraine to the Russian Federation via a Russian dictatorship peace. According to Foreign Minister Baerbock: "A dictatorial peace, as some are now calling for, that is not peace. Rather, it would be the subjugation of Ukraine to Russia."  [10] 

But the fact is that the manifesto states:
"Negotiating does not mean capitulating. Negotiating means compromising, on both sides. With the aim of preventing further hundreds of thousands of deaths and worse. That's what we think too, that's what half of the German population thinks. It is time to listen to us!"  Such a formulation, however, is far from acceptance of a 'dictatorship peace'. [11] 

4) Schwarzer/Wagenknecht were accused of not distinguishing themselves from right-wing extremism and of accepting that right-wing extremists would take part in the manifesto-related rally.  [12] 

This was also the verdict of 'Der Spiegel': "At the so-called peace demonstration in Berlin on Saturday, the contours of what Sahra Wagenknecht is actually striving for became apparent: a pro-Russian, anti-American, nationally oriented rallying movement. The AfD is reacting delightedly."  [13] 

Apart from the fact that it is impossible to prevent individual right-wing extremists from mingling with the crowd at a rally attended by more than 10,000 people, however, this accusation is also based on a false statement. For example, it is publicly documented via video recording that Sahra Wagenknecht, in her speech in front of the Brandenburg Gate, very clearly distanced herself from right-wing extremist participation with the following words:
"Of course, neo-Nazis and Reich citizens, who stand in the tradition of regimes responsible for the worst world wars in human history, have no place at our peace rally."   [14] 

Green Party co-chairman Omid Nouripour also demagogically distances himself in this direction and insinuates that the chairman of the AFD is one of the first signatories of the manifesto: "The chairman of the AfD is one of the first signatories of the manifesto. The Left Party must ask itself how it wants to deal with the fact that one of its best-known faces signs papers together with AfD chairmen."  [15] 

 This statement is also wrong, because the AfD chairman is not one of the 69 first signers, but had mixed himself among the numerous co-signers, which certainly cannot be prevented in an open signing situation like at Change.org.

Conclusion

Peace activist Bernhard Trautvetter sums up the criticism of society's handling of the 'Manifesto for Peace' and the campaign against the peace movement as a whole in his own way:
"The campaign against the peace movement is based on invalid assertions, it corrodes democratic structures by excluding democrats, it strengthens war profiteers such as the arms corporations in the NATO states as well as nationalists such as those in the AfD, to which it gives attention by claiming that there is an alliance with their participation, it valorizes militarism by taking up its narratives. The campaign against the peace movement goes against the vital interests of people not only in our country, because it increases tensions and the risks associated with the escalation of violence. And it distracts from many worldwide violations of international law in which NATO states are actively involved, for example, with the formulation that one is against war, as if there were no other wars in, say, the wider Gulf region or in Africa."  [16] 

Despite the repeated denials by Wagenknecht/ Schwarzer and other initial signatories of the 'Manifesto for Peace', the four false statements addressed here are permanently repeated by authoritative politicians, political scientists and the media. In particular, the reporting of this part of the bourgeois press is not an expression of independent and critical reporting, but rather evokes memories of 'embedded journalism'. In contrast, the media, as the self-appointed fourth authority in democracy, must be expected to weigh arguments of contrary peace policy positions independently and critically. All forms of 'embedded journalism' with elements of war propaganda and denigration of dissenters contradict the media's self-claim as the fourth power in a democracy  - on the contrary, this represents an influence to undermine still existing democratic structures. [17] 



Notes
 

[1]  https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/frieden-fuer-die-ukraine-ein-friedensappell-aus-der-mitte-der-gesellschaft-li.332707, 1.4.2023, 2.4.2023. 

[2] https://www.deutschlandfunk.de/peter-brandt-initiiert-friedensappell-prominente-spd-mitglieder-unterschreiben-100.html, 4/1/2023, 4/1/2023. 
[3] See, e.g., https://www.rnd.de/politik/manifest-fuer-frieden-junge-politiker-kontern-petition-von-wagenknecht-und-schwarzer-LDP5L5PETFBXJOEEHGMT4HSCY4.html, 2/24/2023, 3/31/2023 or https://www.berliner-zeitung.de/open-source/kommentar-meinung-krieg-waffenlieferungen-ukraine-konflikt-ist-das-manifest-fuer-frieden-ein-manifest-der-unterwerfung-li.321476, 2/25/2023. 
[4] https://www.berliner-zeitung.de/news/annalena-baerbock-schmettert-ukraine-vorstoss-von-wagenknecht-und-schwarzer-ab-manifest-fuer-frieden-li.316625,11.2.2023, 3/30/2023.
[5] See his interview in the Süddeutsche Zeitung, where he argues for parallel political, humanitarian, and military support for Ukraine and for pushing ceasefire and peace negotiations in the sense of a dual strategy: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukraine-sz-verhandlungen-e159105/?reduced=true, 2/14/2023, accessed 3/6/2023, (behind a paywall).
[6] Cf. https://rp-online.de/politik/deutschland/herfried-muenkler-nennt-wagenknecht-schwarzer-manifest-verlogen_aid-84912697, 2/14/2023, 3/31/2023.
[7] https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden 
[8] https://www.berliner-zeitung.de/news/gewissenloses-manifest-berliner-politologe-herfried-muenkler-verurteilt-friedensaufruf-von-alice-schwarzer-und-sahra-wagenknecht-li.317574, 2/14/2023, 3/30/2023.
[9] Matthias Kreck critically examines Herfried Münkler's theses and concludes with the following summary: "Mr. Münkler's criticism does not stand up to scientific analysis. And when, in response to his very thoughtful article in the Süddeutsche Zeitung, he wishes his esteemed colleague Habermas were "a bit more of a political scientist," the question arises, in view of the scientific errors I point out in this article, whether colleague Münkler should attend the basic course on good scientific practice.",  

in: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/eine-kritik-an-der-kritik-von-herfried-muenkler-an-dem-manifest-fuer-frieden-li.320045, 21.2.2023, 2.4.2023. 

[10] https://www.berliner-zeitung.de/news/annalena-baerbock-schmettert-ukraine-vorstoss-von-wagenknecht-und-schwarzer-ab-manifest-fuer-frieden-li.316625, 10.2.2023, 30.3.2023.
[11] https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
[12] Cf. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/wagenknecht-schwarzer-manifest-frieden-afd-100.html, 3/4/2023, 3/31/2023.
[13] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kundgebung-in-berlin-querfront-ja-aber-bitte-diskret-kolumne-a-9abaaaab-c006-4cca-947a-f81465217086 26.2.2023, 31.3,2023.
[14] Quote from YouTube original recording: https://www.google.com/search?q=Sarah+Wagenknechts+speech+at+Brandenburg+Gate+2023+demarcation+against+right-wing extremists&oq=Sarah+Wagenknechts+speech+at+Brandenburg+Gate+2023+demarcation+against+right-wing extremists&aqs=chrome. .69i57.19759j0j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:7c9181da,vid:I0AwgCYNz5s, 25.3.2023, 30.3.2023.
[15] https://www.rnd.de/politik/omid-nouripour-die-aeusserungen-von-frau-wagenknecht-wirken-in-der-ukraine-wie-hohn-E6KEVS7BMNAN5ABYGVOUZY4KIQ.html , 2/24/2023, 3/31/2023.
[16] Quote from an as yet unpublished manuscript by Bernhard Trautvetter (3/2023): The Strategic Communication of the Military Lobby and the Campaign against the Peace Movement.
[17] In contrast to this, the journalistic approach of Malte Lehming in the Tagesspiegel, who poses five important questions to the peace policy opponents to be weighed up, is to be mentioned positively. Cf. https://www.tagesspiegel.de/internationales/deutschland-streitet-uber-den-richtigen-weg-zum-frieden-beide-seiten-mussen-funf-fragen-beantworten-9359345.html, 16.2.2023, 31.3.2023.



blog actuel 14

(This blog is published in French, English, German translation.) 

Les trois exigences de 

l' Appel pour la paix et mon approche personnelle à ce sujet.

par Klaus Moegling 

6.3.2023


Le 'Manifeste pour la paix' d'Alice Schwarzer et Sahra Wagenknecht fait la une des journaux et suscite des discussions dans les talk-shows. Mais depuis la fin de l'année dernière, un autre appel à la paix a déjà été lancé au niveau national et international. A la différence du manifeste, il se base sur une approche écologique de la paix qui thématise le lien entre l'armée, la guerre et la destruction écologique. En outre, l''Appel pour la paix' développe trois revendications à l'intention des gouvernements nationaux, comme les gouvernements fédéraux allemand et autrichien, et des institutions transnationales, comme l'UE et le Secrétariat général des Nations unies. Les gouvernements nationaux et les institutions transnationales devraient avant tout s'engager en faveur de trois exigences : 
1.) dans la guerre en Ukraine, les initiatives diplomatiques devraient avoir la priorité, au plus tard dès maintenant. Une commission internationale de négociation de haut niveau et hautement légitime, dirigée par le secrétaire général de l'ONU, devrait ouvrir la voie à des négociations de cessez-le-feu en Ukraine (voir plus de détails ci-dessous). 
2) Lors des futures négociations sur le changement climatique, il conviendrait d'élaborer des règles et des directives pour une prise en compte plus contraignante des émissions de CO2 d'origine militaire, qui obligeraient les différents États à plus de transparence. Des contrôles et des sanctions plus efficaces devraient être prévus en cas d'absence de prise en compte des émissions de CO2 d'origine militaire dans le pays et à l'étranger dans le cadre des bilans nationaux de CO2. 
3) La guerre en Ukraine est actuellement instrumentalisée pour la spirale internationale de l'armement. De plus, presque tous les traités importants de contrôle des armements et de désarmement ont été résiliés ou suspendus. En revanche, il faut exiger des négociations de désarmement contrôlées et coordonnées via l'ONU. Le traité d'interdiction des armes nucléaires, qui a été présenté avec succès par ICAN aux Nations Unies, devrait notamment être signé et ratifié par les Etats concernés. [1] 

Où peut-on signer "l'Appel pour la paix" ? 

L'"Appel pour la paix" a été rédigé par Bernhard Trautvetter, Karl-Wilhelm Koch et moi-même et a été soutenu par une liste de premiers signataires composée de représentants de mouvements pacifistes et d'éminents opposants à la guerre. L'Appel pour la paix peut être signé sur Change.org [2]. L'"Appel pour la paix" possède une liste de premiers signataires allemands et autrichiens et a déjà été envoyé aux gouvernements fédéraux allemand et autrichien. L'initiative diplomatique de l'ONU visant à mettre fin à la guerre en Ukraine a été placée au centre de la lettre adressée aux gouvernements. 
 Parallèlement, l'Appel à la Paix international, dont le texte est en grande partie identique et quelque peu modifié pour les conditions internationales, a été traduit en anglais avec une liste internationale de premiers signataires comprenant des militants pour la paix de 11 pays jusqu'à présent. L'"Appel pour la paix" international, soutenu par "World Beyond War", peut être signé sur Action.Network [3]. Étant donné que le 'Manifeste pour la paix' d'Alice Schwarzer et Sahra Wagenknecht vise le niveau national, le 'Peace Appeal', actuellement distribué dans le monde entier, est un bon complément au Manifeste. Le Peace Appeal est soutenu par des ONG internationales comme le Bureau international de la paix (IPB), International Physicians for the Prevention of Nuclear War - Physicians in Social Responsibility (IPPNW), Women for Peace ainsi que World Beyond War. Alice Schwarzer figure d'ailleurs parmi les premiers signataires de l'Appel international pour la paix.

Il est possible de signer aussi bien sur Change.org que sur Action.Network, car les deux nombres de signatures sont traités séparément. Les chiffres ne sont donc pas additionnés, puisque la signature est prévue sur les deux plateformes Internet. 
Entre-temps, d'autres appels nationaux à la paix au contenu similaire sont en cours d'élaboration et s'adressent à leurs propres gouvernements. L'Appel international pour la paix fait actuellement l'objet d'une promotion mondiale. 
Plus les signataires des deux appels seront nombreux, plus ils feront pression sur les institutions nationales et internationales concernées pour qu'elles s'engagent dans des négociations de cessez-le-feu et de paix. Si le nombre de signataires augmente en conséquence, les gouvernements nationaux ainsi que l'UE et le Secrétariat général de l'ONU seront confrontés une nouvelle fois à l'Appel à la paix. [4] 

Mon approche personnelle de "l'Appel pour la paix". 

Même nous, les trois rédacteurs de l'Appel à la paix, avons des approches différentes du contenu de l''Appel à la paix'. Mais son texte rédigé en commun[5] représente notre point d'intersection commun. 
Ma propre vision de la guerre en Ukraine diffère donc certainement, dans l'une ou l'autre perspective, de celle de mes co-initiateurs, y compris en ce qui concerne les premiers signataires et les autres signataires de l'Appel à la paix sur les plateformes Internet. C'est bien ainsi, car il ne s'agit pas de prescrire une vision standardisée du monde politique. Ainsi, lorsque je reconstruis ci-dessous mon approche de l'Appel à la paix, je ne parle pas au nom des autres, mais je présente mon point de vue personnel sur la guerre en Ukraine et les perspectives de solution possibles : 
La guerre en Ukraine a une histoire qui précède sa naissance. Il s'agira à l'avenir de l'analyser plus précisément. Néanmoins, l'attaque militaire contre l'Ukraine constitue un crime que rien ne peut légitimer au regard du droit international et des droits de l'homme. Même si la Russie se sentait menacée dans ses intérêts de sécurité par les pays de l'OTAN, cela ne justifie pas une attaque aussi brutale contre un État voisin. Si cela est en outre étayé par des déclarations racistes et néo-impérialistes de la part du gouvernement russe, la plainte russe de violation de ses intérêts de sécurité est réduite à l'absurde. Les nombreux crimes de guerre, comme les tortures et les viols, ne peuvent pas non plus être justifiés par la perception d'une situation de menace pour la Russie.
 De même, l'argument selon lequel les Etats-Unis ont tout aussi massivement violé le droit international lors de la guerre du Vietnam ou de la deuxième guerre d'Irak ne peut pas servir de légitimation à l'attaque russe.
 La diplomatie pour mettre fin à la guerre en Ukraine doit avoir la priorité. Mais : lorsqu'un Etat est attaqué par un autre Etat - plus puissant -, l'Etat attaqué doit être soutenu par les autres Etats de l'ONU à de nombreux égards. Cela concerne (malheureusement) aussi la livraison d'armes pour permettre à l'État attaqué de se défendre. C'est la seule justification pour les livraisons d'armes dans les zones de tension, qui doivent sinon être taboues.
 Néanmoins, il existe ici une ligne rouge pour les livraisons d'armes à l'Ukraine. Les systèmes d'armes qui peuvent atteindre le territoire russe, comme les missiles à longue portée et les avions de combat, se situent au-delà de cette ligne rouge. Il en va de même pour les armes à sous-munitions et les bombes incendiaires proscrites.
 La guerre en Ukraine est dans l'impasse. Poutine et les forces qui le soutiennent se trouvent dans une impasse. Il est d'autant plus important de prendre des initiatives diplomatiques efficaces afin d'empêcher la mort et la destruction des infrastructures et de l'environnement naturel. Même si l'Ukraine parvenait à pousser l'armée de la Fédération de Russie au bord de la défaite, personne ne sait si tout calcul rationnel du gouvernement russe ne serait pas perdu et si un enfer nucléaire ne menacerait pas. Ne pas voir cela revient à occulter de manière irresponsable le risque nucléaire.
 L''Appel pour la paix' propose une initiative de négociation diplomatique via le Secrétariat général de l'ONU. Le secrétaire général de l'ONU est invité à prendre enfin l'initiative et à constituer une commission de négociation hautement légitime et de haut niveau. 
Haut niveau signifie que la commission devrait comprendre des personnalités au moins au niveau des ministres des affaires étrangères. Il serait particulièrement important que des représentants de la Chine, de l'Inde et du Brésil, qui sont particulièrement importants pour la Fédération de Russie sur le plan économique et politique, fassent partie de cette commission dirigée par le secrétaire général de l'ONU. Hautement légitimée signifie qu'une grande majorité de l'Assemblée générale des Nations unies confère à cette commission un pouvoir de négociation. La commission devrait, sous la direction du secrétaire général de l'ONU, amener le gouvernement ukrainien et le gouvernement russe à la table des négociations afin de parvenir à un cessez-le-feu, condition préalable à des négociations et à des solutions de paix. Les gouvernements nationaux et transnationaux sont instamment priés de s'engager en faveur d'une telle initiative de négociation. C'est au plus tard maintenant que le temps de la diplomatie est venu. Le risque existe, comme l'évoque également Jürgen Habermas [6], d'atteindre un 'point de non-retour', dont la dynamique d'escalade ne peut plus être stoppée par aucune des parties.
 Parallèlement, les sciences politiques et historiques, les responsables politiques et les médias sont invités à se pencher sur les antécédents de cette guerre, sans préjugés et dans une perspective plurielle, et à analyser dans quelle mesure les erreurs diplomatiques, mais aussi les intérêts des États, des entreprises et des institutions occidentales ont contribué à la sortie de la Russie de l'architecture de sécurité internationale. 
Qui sont les gagnants économiques et géopolitiques de cette guerre ? Quels sont les acteurs des différentes constellations de pouvoir du côté russe, ukrainien, mais aussi occidental, qui ont eu intérêt à déclencher ou à provoquer la guerre ? Ces questions et missions d'enquête ne doivent pas avoir pour but de relativiser les crimes de guerre et les violations du droit international commis par la Russie, mais de contribuer à améliorer l'attention et la capacité d'action dans les futures situations de crise internationale. 

Conclusion 

Les gens sont souvent impuissants face à la guerre en Ukraine. Pourtant, de plus en plus de forces sociales commencent à s'opposer au ton belliciste de la politique et des médias et à réclamer des initiatives efficaces en matière de politique de paix et de diplomatie - notamment pour soutenir la population ukrainienne. Des rassemblements et des manifestations, un comportement électoral approprié et un engagement en faveur de la politique de paix au sein des partis ainsi que le soutien d'appels à la paix adressés à la politique nationale et internationale sont autant de possibilités de ne pas rester inactif face aux agissements des seigneurs de la guerre.

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Prof. Dr. Klaus Moegling (retraité) est politologue et sociologue, travaille dans différentes ONG écologiques et de politique de paix et est l'auteur du livre en accès libre 'Realignment. A peaceful and sustainably world is (still) possible":
https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 
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Notes :

[1] L'Autriche l'a déjà fait, contrairement à la RFA.
[2] Le lien suivant mène à la possibilité de signer l'Appel austro-allemand pour la paix : https://chng.it/N2ggCS5Q
[3] Le lien suivant mène à la possibilité de signer le 'Peace Appeal' international sur Action.Network : https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/ 
[4] Les premières réactions et prises de position de la politique nationale et internationale se trouvent sur le site web créé spécialement pour l'appel à la paix : https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/. 
[5] Le texte complet de l'Appel à la paix en allemand et en anglais ainsi que les différentes listes de premiers signataires se trouvent sur https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/ 
[6] Voir son interview dans le Süddeutsche Zeitung, où il plaide pour le parallélisme du soutien politique, humanitaire et militaire à l'Ukraine et pour l'accélération des négociations de cessez-le-feu et de paix dans le sens d'une double stratégie : https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukraine-sz-verhandlungen-e159105/?reduced=true, 14.2.2023, consulté le 6.3.2023, (derrière une barrière payante). 

(Cette contribution est également publiée sous 'Tagungsbeiträge "Appel pour la paix'' sur ce site web).



actual blog 14

The three demands of the
Appeal for Peace
and my personal approach to them.

by Klaus Moegling 

6 March, 2023


The 'Manifesto for Peace' by Alice Schwarzer and Sahra Wagenknecht makes headlines and discussions in the talk shows. But since the end of last year, another appeal for peace has already been launched on a national and international level. In contrast to the manifesto, it is based on a peace ecology approach that addresses the connection between military, war and ecological destruction. In addition, the 'Appeal for Peace' develops three demands to national governments, such as the German and Austrian governments, and to transnational institutions, such as the EU and the UN General Secretariat. National governments and transnational institutions should advocate for three demands in particular: 
1.) Diplomatic initiatives would have to take priority in the war in Ukraine from now on at the latest. An international high-level and highly legitimized negotiating commission led by the UN Secretary General should clear the way for ceasefire negotiations in Ukraine (see in more detail below). 
2) In future climate change negotiations, rules and guidelines should be developed for more binding consideration of military-related CO2 emissions, obliging individual states to be more transparent. In this context, more effective controls and sanctions should be envisaged in the event that military-related CO2 emissions are not taken into account at home or abroad in the context of national CO2 balances. 
3) The war in Ukraine is currently being instrumentalized for the international arms build-up spiral. In addition, almost all major arms control and disarmament treaties have been terminated or suspended. In contrast, controlled and coordinated disarmament negotiations should be called for through the UN. In particular, the Nuclear Weapons Ban Treaty, successfully introduced by ICAN to the United Nations, should be signed and ratified by the states addressed. [1] 

Where can the 'Appeal for Peace' be signed? 

The 'Appeal for Peace' was edited by Bernhard Trautvetter, Karl-Wilhelm Koch and myself and supported by a list of initial signatories consisting of representatives of peace movements and prominent opponents of war. The Appeal for Peace can be signed at Change.org [2]. The 'Appeal for Peace' has a German and an Austrian list of initial signatories and has already been sent to the German and Austrian governments. The diplomatic UN initiative to end the war in Ukraine was placed in the center of the letter to the governments. 
Parallel to this, the international Peace Appeal, which is largely identical in text and slightly modified for international conditions, was developed in English translation with an international list of first signatories with peace activists from 11 countries so far. The international 'Appeal for Peace' supported by 'World Beyond War' can be signed on Action.Network [3].  As the 'Manifesto for Peace' by Alice Schwarzer and Sahra Wagenknecht targets the national level, the 'Peace Appeal', currently distributed worldwide, is a good complement to the Manifesto. The Peace Appeal is supported by international NGOs such as the International Peace Bureau (IPB), International Physicians for the Prevention of Nuclear War - Physicians in Social Responsibility (IPPNW), Women for Peace as well as World Beyond War. Alice Schwarzer is also one of the first signatories of the international peace appeal. 
It can be signed on Change.org as well as on Action.Network, because both signature numbers are treated separately. So the numbers are not added up, as the signing is intended in both internet platforms. 
Meanwhile, other national Peace Appeals of similar content are in the process of being established, addressed to their own governments. The international Peace Appeal is currently being promoted worldwide. 
The more people sign both appeals, the more effectively they build pressure on the relevant national and international institutions to work for ceasefires and peace negotiations. If the number of signatories grows accordingly, national governments as well as the EU and the UN General Secretariat will be confronted with the Peace Appeal one more time. [4]

My personal approach to the 'Appeal for Peace' 

Even we three editors of the Appeal for Peace have different approaches to the content of the 'Appeal for Peace'. But its jointly written text [5] represents our common point of intersection. 
My own view of the war in Ukraine therefore certainly differs in one or the other perspective from the view of my co-initiators, also with regard to the first signatories and the other signatories of the Appeal for Peace on the Internet platforms. That is also good, because it is not about the prescription of a standardized view of the political world. So when I reconstruct my approach to the appeal for peace in the following, I am not speaking for others, but presenting my personal view of the war in Ukraine and possible perspectives for a solution: 
The war in Ukraine has a prehistory of its origin. This needs to be analyzed in more detail in the future. Nevertheless, the military attack on Ukraine represents a crime that cannot be legitimized by anything in terms of international and human rights law. Even if Russia felt threatened in its security interests by the NATO states, this is no justification for such a brutal attack on a neighboring state. If this is then also underpinned by the Russian government with racist and neo-imperialist statements, then the Russian claim of violation of its security interests is reduced to absurdity. Nor can the numerous war crimes, such as torture and rape, be justified by a perceived threat to Russia.
Likewise, the argument that the U.S. violated international law just as massively in the Vietnam War or the Second Iraq War cannot serve as a legitimization for the Russian attack.
Diplomacy to end the war in Ukraine must have priority. But: If a state is attacked by another - more powerful - state, then the attacked state must be supported by the other UN states in many ways. This (unfortunately) includes arms deliveries to enable the self-defense of the attacked state. This is the only justification for arms deliveries to areas of tension, which are otherwise to be taboo.
Nevertheless, there is a red line here on arms deliveries to Ukraine. Weapons systems that can reach the Russian interior, such as longer-range missiles and fighter jets, are beyond this red line. This also applies to the outlawed cluster munitions as well as incendiary bombs.
The war in Ukraine is deadlocked. Putin and the forces behind him are at an impasse. All the more reason to take effective diplomatic initiatives now to prevent the dying, further destruction of infrastructure and the natural environment. Even if Ukraine were to succeed in bringing the Russian Federation military to the brink of defeat, no one knows whether any rational calculation on the part of the Russian government would not be lost and a nuclear inferno would loom. To overlook this is an irresponsible suppression of nuclear risk.
The 'Appeal for Peace' proposes a diplomatic negotiation initiative through the UN General Secretariat. The UN Secretary General is called upon to finally take the initiative and form a highly legitimized and high-level negotiating commission. 
High-ranking means that the commission should include personalities at least at the foreign minister level. It would be particularly important that representatives of China, India and Brazil, who are economically and politically relevant for the Russian Federation in particular, also participate in this commission under the leadership of the UN Secretary-General. Highly legitimized means that a large majority of the UN General Assembly endows this commission with negotiating power. The commission, led by the UN Secretary General, should bring the Ukrainian government and the Russian government to the negotiating table to achieve a ceasefire as a precondition of peace negotiations and solutions. National and transnational governments are urged to commit to such a negotiating initiative. Now, at the latest, is the time for diplomacy. There is a danger, as Jürgen Habermas [6] also points out, of reaching a 'point of no return' whose escalation dynamics can no longer be stopped by either side.
Furthermore, parallel to this, political science and history, the responsible politicians and the media public are called upon to deal with the prehistory of this war in an unbiased and multi-perspective manner and to analyze to what extent diplomatic mistakes, but also the interests of Western states, corporations and institutions were partly responsible for Russia's breakout from the international security architecture. 
Who are the economic and geopolitical winners of this war? Which actors of which different power constellations on the Russian, the Ukrainian, but also on the Western side had an interest in starting or provoking the war? These questions and research assignments should not be intended to relativize Russian war crimes and violations of international law, but rather to help improve awareness and the ability to act in future international crisis situations. 

Conclusion 

People are often helpless in the face of the war in Ukraine. However, social forces are increasingly beginning to resist the bellicose tone in politics and the media and to call for effective peace policy and diplomatic initiatives - especially in support of the people in Ukraine. Rallies and demonstrations, appropriate voter behavior and peace policy commitment in political parties, as well as support for peace appeals to national and international politics, are ways of not standing idly by in the face of the doings of the warlords.

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Prof. Dr. Klaus Moegling (retired) is a political scientist and sociologist, works in various ecological and peace policy NGOs and is author of the freely available book 'Realignment. A peaceful and sustainably world is (still) possible.':
https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 
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Notes:

[1] Austria has already done this, unlike the FRG.
[2] The following link leads to the possibility to sign the German-Austrian Appeal for Peace: https://chng.it/N2ggCS5Q
[3] The following link leads to the possibility to sign the international 'Peace Appeal' on Action.Network: https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/ 
[4] First reactions and statements of national and international politicians can be found on the website especially set up for the Peace Appeal: https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/ 
[5] The complete text of the Peace Appeal in German and English as well as the various lists of initial signatories can be found at https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/. 
[6] See his interview in the Süddeutsche Zeitung, where he argues for parallel political, humanitarian and military support for Ukraine and for pushing ceasefire and peace negotiations in the sense of a dual strategy: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukraine-sz-verhandlungen-e159105/?reduced=true, 14.2.2023, accessed: 6.3.2023, (behind a paywall). 

(This article is also published under 'Conference Papers 'Appeal for Peace' ' on this website).



Aktueller Blog 14


Die drei Forderungen des
Appells für den Frieden und mein persönlicher Zugang hierzu.

von Klaus Moegling

6.3.2023


Das ‚Manifest für Frieden‘ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sorgt für Schlagzeilen und Diskussionen in den Talkshows. Doch seit Ende letzten Jahres ist bereits ein weiterer Friedensappell auf nationaler und internationaler Ebene auf den Weg gebracht worden. Im Unterschied zum Manifest basiert er auf einem friedensökologischen Ansatz, das den Zusammenhang zwischen Militär, Krieg und ökologischer Zerstörung thematisiert. Darüber hinaus entwickelt der ‚Appell für den Frieden‘ drei Forderungen an nationale Regierungen, wie z.B. an die deutsche und die österreichische Bundesregierung, sowie an transnationale Institutionen, wie z.B. an die EU und das UN-Generalsekretariat. Nationale Regierungen und transnationale Institutionen sollten sich vor allem für drei Forderungen stark machen:
1.       Im Krieg in der Ukraine müssten spätestens ab jetzt diplomatische Initiativen Vorrang haben. Eine durch den UN-Generalsekretär geleitete internationale hochrangige und hochlegitimierte Verhandlungskommission sollte den Weg für Waffenstillstandsverhandlungen in der Ukraine freimachen (siehe ausführlicher weiter unten).
2.       Bei künftigen Klimaschutzverhandlungen sollten Regeln und Vorgaben für die verbindlichere Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen erarbeitet werden, die die einzelnen Staaten zu mehr Transparenz verpflichten. Hierbei sollten wirksamere Kontrollen und Sanktionen bei fehlender Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen im In- und Ausland im Rahmen der nationalen CO2-Bilanzen vorgesehen werden.
3.       Der Krieg in der Ukraine wird derzeit für die internationale Aufrüstungsspirale instrumentalisiert. Zusätzlich sind fast alle wichtigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge gekündigt oder ausgesetzt worden. Im Gegensatz hierzu sind über die UN kontrollierte und koordinierte Abrüstungsverhandlungen zu fordern. Insbesondere sollte der Atomwaffenverbotsvertrag, der von ICAN erfolgreich in die Vereinten Nationen eingebracht wurde, von den anzusprechenden Staaten unterzeichnet und ratifiziert werden. [1] 

Wo kann der ‚Appell für den Frieden‘ unterzeichnet werden? 

Der ‚Appell für den Frieden wurde von Bernhard Trautvetter, Karl-Wilhelm Koch und mir redaktionell verfasst und von einer Erstunterzeichner_innen-Liste unterstützt, die aus Vertretern_innen von Friedensbewegungen und prominenten Kriegsgegnern besteht. Der Friedensappell kann auf Change.org [2] unterzeichnet werden. Der ‚Appell für den Frieden‘ besitzt eine deutsche und eine österreichische Erstunterzeichner_innen-Liste und ist bereits an die deutsche und die österreichische Bundesregierung versendet worden. Hierbei wurde die diplomatische UN-Initiative zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine in den Mittelpunkt des Anschreibens an die Regierungen gestellt.
Parallel hierzu wurde der weitgehend textgleiche und etwas für die internationalen Verhältnisse modifizierte internationale ‚Peace Appeal‘ in englischer Übersetzung mit einer internationalen Erstunterzeichner_innen-Liste mit Friedensaktivist_innen aus bisher 11 Staaten aufgebaut. Der von ‚World Beyond War‘ unterstützte internationale ‚Appell für den Frieden‘ kann auf Action.Network [3] unterzeichnet werden.  Da das ‚Manifest für Frieden‘ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht auf die nationale Ebene abzielt, ist der derzeit weltweit verteilte ‚Peace Appeal‘ eine gute Ergänzung zum Manifest.  Der Peace Appeal wird von internationalen NGOs wie dem International Peace Bureau (IPB), International Physicians for the Prevention of Nuclear War - Physicians in Social Responsibility (IPPNW), Women for Peace  sowie World Beyond War unterstützt. Auch Alice Schwarzer ist übrigens unter den Erstunterzeichner_innen des internationalen Friedensappells.
Es kann sowohl auf Change.org als auch auf Action.Network unterzeichnet werden, da beide Unterzeichnungszahlen getrennt behandelt werden. Es werden also die Zahlen nicht addiert, da die Unterzeichnung in beiden Internetplattformen vorgesehen ist.
Inzwischen befinden sich weitere nationale Friedensappelle ähnlichen Inhalts im Aufbau, die an die eigenen Regierungen gerichtet sind. Der internationale Peace Appeal wird derzeit weltweit beworben.
Je mehr Personen beide Appelle unterzeichnen, desto wirksamer bauen sie Druck auf die entsprechenden nationalen und internationalen Institutionen auf, sich für Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen einzusetzen. Bei entsprechend gewachsener Unterzeichnerzahl werden die nationalen Regierungen sowie die EU und das UN-Generalsekretariat ein weiteres Mal mit dem Friedensappell konfrontiert. [4] 

Meine persönlicher Zugang zum ‚Appell für den Frieden‘ 

Selbst wir drei Redakteure des Friedensappells haben unterschiedliche inhaltliche Zugänge zu dem ‚Appell für den Frieden‘. Doch sein gemeinsam verfasster Text [5] stellt unseren gemeinsamen Schnittpunkt dar. 
Meine eigene Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine unterscheidet sich daher sicherlich in der einen oder anderen Perspektive von der Sichtweise meiner Mitinitiatoren auch hinsichtlich der Erstunterzeichner_innen und der weiteren Unterzeichner_innen des Friedensappells auf den Internet-Plattformen. Das ist auch gut so, denn es geht ja nicht um die Verordnung einer standardisierten Sichtweise der politischen Welt. Wenn ich also im Folgenden meinen Zugang zum Friedensappell rekonstruiere, spreche ich nicht für andere, sondern stelle meine persönliche Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine und mögliche Lösungsperspektiven dar: 
Der Krieg in der Ukraine hat eine Vorgeschichte seiner Entstehung. Diese gilt es zukünftig genauer zu analysieren. Dennoch: Der militärische Angriff auf die Ukraine stellt ein Verbrechen dar, das durch nichts völker- und menschenrechtlich legitimierbar ist. Selbst wenn Russland sich in seinen Sicherheitsinteressen durch die NATO-Staaten bedroht fühlte, ist dies keine Rechtfertigung für einen derart brutalen Angriff auf einen Nachbarstaat. Wenn dies dann auch noch von der russischen Regierung mit völkisch-rassistischen und neoimperialistischen Aussagen unterlegt wird, dann wird die russische Klage von der Verletzung ihrer Sicherheitsinteressen ad absurdum geführt. Auch die zahlreichen Kriegsverbrechen, wie Folterungen und Vergewaltigungen, lassen sich nicht mit einer wahrgenommenen Bedrohungslage Russlands rechtfertigen.
Ebenfalls die Argumentation, dass die USA im Vietnam-Krieg oder im 2. Irak-Krieg ebenso massiv das Völkerrecht verletzt haben, kann nicht als Legitimation für den russischen Angriff dienen.
Diplomatie zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine muss Vorrang haben. Doch: Wenn ein Staat von einem anderen - mächtigeren - Staat angegriffen wird, dann muss der angegriffene Staat von den anderen UN-Staaten in vielerlei Hinsicht unterstützt werden. Dies betrifft (leider) auch Waffenlieferungen, um die Selbstverteidigung des angegriffenen Staates zu ermöglichen. Dies ist die einzige Rechtfertigung für Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, die ansonsten zu tabuisieren sind.
Dennoch gibt es hier eine rote Linie bei den Waffenlieferungen in die Ukraine. Waffensysteme, die das russische Inland erreichen können, wie Raketen mit längerer Reichweite und Kampfjets, liegen jenseits dieser roten Linie. Dies gilt auch für die geächtete Streumunition sowie Brandbomben.
Der Krieg in der Ukraine ist festgefahren. Putin und die hinter ihm stehenden Kräfte befinden sich in einer Sackgasse. Umso mehr müssen jetzt wirkungsvolle diplomatische Initiativen ergriffen werden, um das Sterben, die weitere Zerstörung von Infrastruktur und der natürlichen Mitwelt zu verhindern. Selbst wenn es der Ukraine gelingen würde, das Militär der Russischen Föderation an den Rand einer Niederlage zu bringen, weiß niemand, ob nicht jedes rationale Kalkül der russischen Regierung verloren ginge und ein nukleares Inferno drohen würde. Dies zu übersehen ist ein verantwortungsloses Verdrängen des nuklearen Risikos.

Die vorgeschlagene diplomatische Initiative

 Der 'Appell für den Frieden' schlägt eine diplomatische Verhandlungsinitiative über das UN-Generalsekretariat vor. Der UN-Generalsekretär ist aufgefordert, endlich die Initiative zu ergreifen und eine hochlegitimierte und hochrangige Verhandlungskommission zu bilden.
Hochrangig meint, dass hier zumindest auf der Außenministerebene Persönlichkeiten in der Kommission enthalten sein sollten. Besonders wichtig wäre es, dass auch Vertreter_innen Chinas, Indiens und Brasiliens, die insbesondere für die Russische Föderation wirtschaftlich und politisch relevant sind, in dieser Kommission unter Leitung des UN-Generalsekretärs mitarbeiten. Hochlegitimiert meint, dass eine große Mehrheit der UN-Vollversammlung diese Kommission mit Verhandlungsmacht ausstattet. Die Kommission sollte unter Leitung des UN-Generalsekretärs die ukrainische Regierung und die russische Regierung an den Verhandlungstisch bringen, um einen Waffenstillstand als Voraussetzung von Friedensverhandlungen und -lösungen zu erreichen. Nationale und transnationale Regierungen sind dringend aufgefordert, sich für eine derartige Verhandlungsinitiative einzusetzen. Spätestens jetzt ist die Zeit der Diplomatie gekommen. Es besteht die Gefahr, so wie es Jürgen Habermas [6] ebenfalls anspricht, einen 'point of no return' zu erreichen, dessen Eskalationsdynamik von keiner Seite mehr gestoppt werden kann.

Die Vorgeschichte des Krieges muss aufgearbeitet werden

 Des Weiteren sind parallel hierzu u.a. die Politik- und Geschichtswissenschaften, die verantwortlichen Politiker_innen und die mediale Öffentlichkeit aufgefordert, sich unvoreingenommen und mehrperspektivisch mit der Vorgeschichte dieses Krieges zu befassen und zu analysieren, inwieweit auch diplomatische Fehler, aber ebenfalls Interessen westlicher Staaten, Konzerne und Institutionen für das Ausbrechen Russlands aus der internationalen Sicherheitsarchitektur mitverantwortlich waren. 
Wer sind die ökonomischen und geopolitischen Gewinner dieses Krieges? Welche Akteure welcher verschiedenen Machtkonstellationen auf der russischen, der ukrainischen, aber auch auf der westlichen Seite hatten ein Interesse daran, den Krieg zu beginnen bzw. zu provozieren? Diese Fragestellungen und Untersuchungsaufträge dürfen keine Relativierung der russischen Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverletzungen intendieren, sondern die Aufmerksamkeit und die Handlungsfähigkeit für künftige internationale Krisensituationen verbessern helfen. 

Fazit 

Oft stehen die Menschen dem Krieg in der Ukraine hilflos gegenüber. Doch es beginnen zunehmend gesellschaftliche Kräfte, sich gegen den bellizistischen Ton in Politik und Medien zur Wehr zu setzen und – gerade auch zur Unterstützung der Bevölkerung in der Ukraine – wirksame friedenspolitische und diplomatische Initiativen zu fordern. Kundgebungen und Demonstrationen, ein entsprechendes Wählerverhalten und ein friedenspolitisches Engagement in den Parteien sowie die Unterstützung von Friedensappellen an die nationale und internationale Politik sind Möglichkeiten, dem Treiben der Kriegsherren und -frauen nicht untätig gegenüberzustehen. [7] 



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Prof. Dr. Klaus Moegling (i.R.) ist Politikwissenschaftler und Soziologe, arbeitet in verschiedenen ökologischen und friedenspolitischen NGOs und ist Autor des frei zugänglichen Buches ‚Realignment. A peaceful and sustainably world is (still) possible.“: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 
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Anmerkungen:

[1] Österreich hat dies im Unterschied zur BRD bereits getan.
[2] Folgender Link führt zur Unterzeichnungsmöglichkeit für den deutsch-österreichischen Appell für den Frieden: https://chng.it/N2ggCS5Q
[3] Der folgende Link führt zur Unterzeichnungsmöglichkeit für den internationalen ‚Peace Appeal‘ auf Action.Network: https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/
[4] Erste Reaktionen und Stellungnahmen nationaler und internationaler Politik finden sich auf der eigens für den Friedensappell eingerichteten Webseite: https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
[5] Der komplette Text des Friedensappells in deutscher und englischer Sprache sowie die verschiedenen Erstunterzeichner_innenlisten finden sich auf https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
[6] Siehe sein Interview in der Süddeutschen Zeitung, wo er sich für die Parallelität der politischen, humanitären und militärischen Unterstützung der Ukraine und für die Forcierung von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Sinne einer Doppelstrategie einsetzt: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukraine-sz-verhandlungen-e159105/?reduced=true, 14.2.2023, Zugriff: 6.3.2023, (hinter einer Bezahlschranke).
[7] Eine etwas modifizierte Fassung des vorliegenden Beitrags wird im Heft 3/2023 der Zeitschrift 'FriedensForum. Zeitschrift für die Friedensbewegung' veröffentlicht.

(Dieser Beitrag ist auch unter 'Tagungsbeiträge 'Appell für den Frieden' ' auf dieser Webseite publiziert.)



Aktueller Blog 15

Im Osten nichts Neues


 von Karl-W. Koch und Klaus Moegling

(letzte Änderung: 2.1.2023)

 
Die Entwicklung des Russland-Ukraine-Krieges erinnert in übler Weise an den Stellungskrieg des deutsch-französischen Waffenganges im 1. Weltkrieg. Dieser führte fast über die gesamte Kriegsdauer zu keinerlei Erfolgen für eine der beteiligten Seiten, kostete aber Hunderttausende an Menschenleben, führte zur „Erfindung“ neuer Kriegstechniken (C-Waffen) und zerstörte eine gesamte europäische Grenzregion in unvorstellbarem Maß.
Analysiert man den Kriegsverlauf der ersten zehn Monate und die beharrliche Verweigerung immer mindestens jeweils einer Kriegsseite, irgendwelchen Verhandlungslösungen zu zustimmen, drängt sich der Schluss auf: Geschichte wiederholt sich! Auch wenn die Opferzahlen sicherlich noch nicht mit dem 1. Weltkrieg vergleichbar sind, deutet sich ein ähnliches Szenario an.
 

Zehn Monate – 200.000 Tote und Verwundete?

Russlands Militär hat seit seinem ersten Angriff auf die Ukraine Ende Februar etwa 70.000 bis 80.000 Opfer (Tote und Verletzte) zu beklagen, so der oberste politische Beamte des Pentagon, Colin Kahl, hoher Beamter im Verteidigungsministerium bereits im August gegenüber Reportern. [1] Im November ergänzte General Mark Milley, dass etwa 40.000 Zivilisten im Krieg in der Ukraine getötet wurden, die bisher höchste Schätzung eines US-Beamten. Auf einer Konferenz in New York ergänzte Milley im November, dass laut verschiedenen Nachrichtenberichten bisher mehr als 100.000 russische Soldaten im Krieg getötet oder verwundet wurden. Er fügte hinzu, dass die Zahl der Truppenopfer für die ukrainische Armee wahrscheinlich „gleich“ sei. [2] Die Ukraine meldet dagegen lediglich zwischen 10.000 und 13.000 gefallene Soldaten. [3]
 

Drei mögliche Szenarien:

Ohne massives Eingreifen von außen zeichnen sich drei mögliche Szenarien für die weitere Kriegsentwicklung ab, allesamt erschreckend und nicht Gutes verheißend:
Szenario 1:
Russland gewinnt den Krieg, z.B. durch die im Moment offenkundig sehr effektiv angewandte (völkerrechtswidrige) Zerstörung der Wasser-/Strom- und Wärme-Infrastruktur des Landes. Millionen fliehen nach den ersten Wochen des kalten Winters mit geringsten Überlebenschancen für die Zivilbevölkerung ins Ausland. Das ukrainische Militär – selbst von den Problemen (wie Treibstoffmangel) betroffen – verteidigt ein leeres Land … und gibt irgendwann auf. [4], [5]
Szenario 2:
Die Ukraine gewinnt den Krieg mit Hilfe massiver westlicher Unterstützung. Es werden – wie gefordert – immer mehr und immer stärkere Waffen geliefert, die auch für Angriffe auf russischem Gebiet, im Donbas und auf der Krim eingesetzt werden, um dort Start- und Flugplätze, Lager, Truppenansammlungen und Nachschubwege zu zerstören.

Variante 2a: Die politische/militärische Führung in Russland kollabiert oder wird gestürzt, die gesamte Infrastruktur in Russland bricht zusammen, ein Bürgerkrieg und das Auseinanderbrechen des Bundesstaates (möglichweise mit Atomwaffen auf verschiedenen „Staatsgebieten“) oder die Machtübernahme militärischer Hardliner wäre möglicherweise die Folge.

Variante 2b: Putin/die militärische Führung eskaliert den Krieg z.B. durch die Herbeiführung von atomaren Störfällen oder durch den Einsatz von Atomwaffen (s. Doktrin: Angriff auf russisches Gebiet [6]).
Dabei braucht das russische Militär nicht zu Atomwaffen zu greifen, um eine atomare Katastrophe im Osten Europas auszulösen:
Auch das Risiko einer Havarie in einem der AKWs war bereits mit der Eröffnung des Krieges 2014 absehbar. Die Nato reagierte schon damals darauf: Im Mai dieses Jahres (2014) beriet eine Nato-Kommission die Ukraine im Umgang mit Atomkraftwerken im Kriegsfall. [7]
Es geht hier nicht ausschließlich um eine mögliche Zerstörung eines Reaktorschutzbehälters mit einer oder mehreren Kernschmelzen in AKWs durch Explosionen oder Beschuss. Genauso gefährlich ist eine Unterbrechung der Kühlung durch Strom- und/oder Wasserausfall, der massiven Beschuss von Atommülllagern (Tschernobyl!), Abklingbecken etc. Die entstehenden radioaktiven Wolken können auch den dicht besiedelten und stark industrialisierten westlichen Teil Russlands verstrahlen. Der Krieg kann insofern in einem nuklearen Inferno münden, das – wenn mehrere Stellen betroffen wäre – die Auswirkungen von Tschernobyl massiv übertreffen könnte.[8]

Szenario 3:
Es gelingt den Kriegsparteien, die Szenarien 1 und 2 im Gleichgewicht zu halten. Der Krieg geht im Frühjahr in sein zweites Jahr, ohne dass eine Seite entscheidende Vorteile erzielt hätte. Dann wird die entscheidende Frage sein, welche der beiden Unterstützerseiten die längere Ausdauer besitzt. In Anbetracht steigender Belastungen durch Flüchtlinge im Millionenbereich und die Kosten durch die Sanktionen bei der westeuropäischen Bevölkerung droht hier die Stimmung eher zu kippen als in Russland, wo jedes Aufbegehren der Bevölkerung mit härtesten Sanktionen bestraft wird. Der Generaldirektor des Russischen Rates für Auswärtige Beziehungen, Andrej Kortunow, äußert in der Zeitung Wetschernjaja Moskwa die Vermutung, dass es Washington schwerfällt, die Aufmerksamkeit der US-Gesellschaft dauerhaft auf diesen Konflikt zu lenken, wenn man nicht bald ein Ergebnis präsentieren könne, das man als Sieg bezeichnen kann. [9] Es besteht die Gefahr, dass die Milliarden-schwere Dauerunterstützung [10] für die Ukraine im Vorwahlkampf der US-Präsidentschaftswahl thematisiert werden wird – und bei den knappen Verhältnissen sogar wahlentscheidend werden kann.
In Deutschland droht das Thema durch die AfD [11] besetzt zu werden und mit längerer Dauer die Wahlkämpfe zu überlagern. Sollten weitere starke, neue Flüchtlingswellen (Iran, Syrien, Kaukasus …) dazu kommen, könnte das Klima in Deutschland sehr schnell ins Negative kippen und die bisherige Unterstützung für Ukraine-Flüchtlinge zusammenbrechen.
Militärisch scheint keine andere als die drei dargestellten Varianten denkbar zu sein. Schwerste Fehler einer der beiden Seiten werden die Varianten 1 oder 2 fördern.
 

Kann nicht-militärischer Einfluss von außen entscheiden?

Der Westen vertraut bislang auf die Wirkung der Sanktionen gegen Russland. Die haben aber bisher den westlichen Staaten ebenso geschadet wie Russland selbst. Zwar zeigen sich massive negative Auswirkungen in Russland, die durch die künstlich herbeigeführte Energieknappheit und Preisexplosion eingetretenen Auswirkungen sind zumindest in Westeuropa ebenso gravierend. Die USA haben es geschafft, sich aufgrund ihrer weitgehenden Energie-Autonomie sich von dieser Krise nicht nur abzukoppeln, sie verdienen sogar mittlerweile an der Krise.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war die Hoffnung im Westen groß, dass auch politische Führungen in Afrika und dem Nahen Osten das Vorgehen der transatlantischen Verbündeten mittragen würden. Doch genauere Analysen offenbaren, wie sehr sich die Wahrnehmungen und Interessenlagen dieser Akteure von denen der westlichen Staatengemeinschaft unterscheiden. Es ist nach drei Gruppen zu unterscheiden:
1.    Die westlichen Sanktionen werden weitgehend unterstützt. Hier findet sich z.B. Ägypten.
2.    Die westlichen Sanktionen werden mehr oder minder deutlich unterlaufen. Hier finden sich z.B. Israel, Kenia, die arabischen Staaten, Südafrika.
3.    Die westlichen Sanktionen werden weitgehend ignoriert, im Gegenteil wurden Lieferlücken massiv genutzt, um den Handel mit Russland auszuweiten. Hier finden sich z.B. der Iran, die Magrebstaaten. [12]
Fazit: Was an Handelsmöglichkeiten in Richtung Westen entfällt, wird aktuell durch den Ausbau anderer oder das Knüpfen von neuen Lieferverträgen ausgeglichen. Auch Indien und China beteiligen sich in keiner Weise an Boykottmaßnahmen noch fordern sie gegenüber ihren Verbündeten deren Unterstützung. Auch wenn die Absatzwege (z.B. Pipeline für Erdgas) zu den neuen Partnern fehlen, finden sich Ersatzmöglichkeiten bei neuen Abnehmern. Wirklich schizophren wird es, wenn es offensichtlich gelingt, dass Russland gefracktes Flüssigerdgas (als Ersatz für die gestoppten Pipeline-Lieferungen) in die EU liefert, zu wesentlich höheren Preisen. [13]
 

Stärkung der USA, Schwächung Europas

Das Decoupling zwischen den westlichen Volkswirtschaften und den autoritären Regimes in Russland und China schwächt Europa und stärkt die Exportnation USA ebenso wie das Sanktionsregime gegen Russland. Letzteres führte auf Drängen der USA dazu, dass die Energielieferungen, die Zahlungssysteme und jegliche Produktionsstätten in Russland ausgeschaltet und ersetzt werden müssen, z.B. russisches Pipelinegas durch Flüssig-Frackinggas aus den USA. Das bedeutet für die Volkswirtschaft der USA eine Stärkung. Durch die gestiegenen Energiepreise und die vollen Auftragsbücher der US-Rüstungsfirmen hat sich dieser Krieg für die USA finanziell schon gelohnt. Die drei größten US-Öl- und Gaskonzerne, ExxonMobil, Chevron und ConocoPhillips, erwirtschafteten im ersten Quartal des Jahres 16 Milliarden Euro Gewinn. Die Aktien der Rüstungskonzerne Lockheed Martin (+24 %), Northrop Grumman (+18 %) und Raytheon (+6 %) schießen seit Anfang des Jahres in die Höhe. [14]
 

Ausweg? Appell für den Frieden!

Offenkundig hat die Diplomatie im Vorfeld des Kriegs in der Ukraine versagt. Auch den im Dezember 2021 vorgelegten russischen Vorschlägen zur militärischen Deeskalation in Europa wurde von Seiten der NATO nicht die nötige Beachtung geschenkt. Dennoch kann dies keineswegs als Rechtfertigung des russischen Angriffs dienen. Dieser Angriff war und ist völkerrechtswidrig und mit zahlreichen Kriegsverbrechen, wie der Zerstörung von Wohnvierteln und Energieinfrastruktur versehen. Ein weiterer Verlierer ist die Ökologie dieses Planeten. Auch gehen Ressourcen und Zeit verloren, die für die Bekämpfung der eingetretenen Klimakatastrophe dringend notwendig wären.
Selten hat ein Staat, wie die Ukraine, ein derartiges Maß an Unterstützung und Solidarität bekommen. Dies ist die nachvollziehbare Reaktion auf die völkerrechtswidrige Aggression der Russischen Föderation. Diese massive Unterstützung entspricht auch den Anforderungen der UN-Charta, Artikel 51, muss allerdings zumindest unter zwei Perspektiven betrachtet werden.
Neben der Unterstützungsperspektive muss parallel hierzu auch das Interesse der westlichen Staaten (einschließlich der osteuropäischen Staaten) an Eskalationskontrolle stehen. Hier geht es nicht um eine nationale Mentalität des ‘Ukraine first’ und der ‘Der Rest der Welt ist mir egal’, sondern darum zu verhindern, dass der Krieg sich weiter internationalisiert, geografisch ausdehnt und zu nuklearen Katastrophen führt. Diese zweite Perspektive ist zunehmend dringender neben der Unterstützungsperspektive zu berücksichtigen. Der Krieg ist in die nächste Eskalationsstufe getreten, da das ukrainische Militär begonnen hat, im russischen Hinterland anzugreifen.
Insgesamt stellt sich dies also als ein äußerst schwieriger Balanceakt zwischen der Unterstützung der Ukraine auf verschiedenen Ebenen und dem Ziel der Eskalationskontrolle dar. Aber letztendlich bietet auch das keine Perspektive zur Beendigung des Kriegs.
Wie aber kann nun dieser Krieg beendet werden?
Es helfen hier, wenn man auf die Option militärischer Mittel verzichten will, letztlich nur machtvolle und mit großer Legitimation ausgestattete diplomatische Interventionen, wie u.a. im ‚Appell für den Frieden‘ [15] mit der Initiative des UN-Generalsekretariats vorgeschlagen. Eine Kommission unter Leitung des UN-Generalsekretärs müsste auch hochrangige Vertreter von Staaten beinhalten, die für die Russische Föderation wichtig sind, wie z.B. die VR China oder Indien. Die Legitimation der Arbeit dieser Kommission müsste über ein möglichst eindeutiges Votum der UN-Vollversammlung erfolgen.
Das Ziel müsste die Aushandlung eines sofortigen Waffenstillstands als Voraussetzung für einen Friedensvertrag in Kooperation mit den Regierungen der Ukraine und der Russischen Föderation sein. Und hier kann es nur um die Aushandlung eines Kompromissfriedens und nicht um das Erzeugen eines Siegfriedens gehen, der die Voraussetzung der nächsten Angriffswelle werden würde.
Ein derartiger Friedensvertrag müsste der Beginn zu Verhandlungen einer europäischen Sicherheitsordnung unter Einbezug der Ukraine und der Russischen Föderation sein. Sicherlich ist bis dahin ein langer und steiniger Weg zurückzulegen. Dennoch sollte dies die Zielperspektive aller diplomatischen Bemühungen sein.
Daneben sind auch weitere, z.B. bilaterale diplomatische Mittel zwischen den USA und der Russischen Föderation einzusetzen, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Es gilt insgesamt aus der Kriegslogik auszusteigen, die ein Teil der deutschen Medien und der bundesdeutschen Politik erfasst hat. Es gilt, den Vorrang von Verhandlungen und Diplomatie mit dem Ziel der Deeskalation, der Abkühlung des Krieges als Voraussetzung für weitere Schritte hin zum Frieden zu erreichen.
Die Zeiten für das Eintreten in Verhandlungen scheinen wieder günstiger zu werden, da sowohl die ukrainische als auch die russische Führung merken dürften, dass die militärische Situation zunehmend festgefahren ist.
Zwar profitieren vor allem die US-amerikanische Fossil- und Rüstungsindustrien von diesem Krieg. Dieser Krieg kennt allerdings hinsichtlich der beiden direkt beteiligten Kriegsparteien, Ukraine und Russland, letztendlich nur Verlierer.
Das Bomben und Töten muss in der Ukraine, genauso wie z.B. im Jemen und in den Kurdengebieten, ein Ende haben.
Mit Bertha von Suttner (1889) also:
„Die Waffen nieder!“
Dazu gibt es keine Alternative.

(Dies ist ein etwas überarbeiteter Blog, der bei Telepolis am 31.12.2022 erschienen ist: https://www.heise.de/tp/features/Im-Osten-nichts-Neues-7441419.html )



Anmerkungen:

[1] https://thehill.com/policy/defense/3593041-russia-has-seen-70000-to-80000-casualties-in-attack-on-ukraine-pentagon-says/
[2] https://thehill.com/policy/international/3729609-milley-provides-highest-us-estimate-yet-of-ukraine-war-casualties/
[3] https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-news-am-donnerstag-angriffe-auf-ukrainisches-stromnetz-gehoeren-wohl-zu-moskaus-militaerdoktrin-a-cae981a8-8159-4ff4-9c50-2fb560619a6a
[4] https://www.berliner-zeitung.de/news/russland-zerstoert-infrastruktur-millionen-ukrainer-ohne-strom-kreml-ruestet-krim-li.288454
[5] https://unicef.at/news/einzelansicht/ukraine-angriffe-auf-infrastruktur-gefaehrden-7-millionen-kinder/
[6] https://www.t-online.de/nachrichten/ukraine/id_100094666/russland-blamiert-sich-wieder-putin-droht-mit-atomkrieg.html
[7] Zitat aus einer Datei der Tagesschau vom 28.05.2014, nicht mehr online: „Die Sensation kam eher beiläufig ans Licht und blieb von der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbeachtet: Die ukrainische Regierung hat die NATO um Beistand gebeten, und die NATO hat diesem Wunsch entsprochen – dem Wunsch um Hilfe bei der Sicherung der 15 noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke des Landes.
[8] Ausführlichere Infos: s.: https://gruene-linke.de/2022/09/04/der-kleine-atomkrieg/
[9] https://www.heise.de/tp/features/Keine-Marionette-Die-Sicht-russischer-Fachleute-auf-Ukraine-und-USA-7372860.html
[10] Bis Mai bereits 54 Mrd. US-$ lt. NYT: https://www.nytimes.com/interactive/2022/05/20/upshot/ukraine-us-aid-size.html
[11] https://afd-fraktion.nrw/2022/11/16/zahl-der-ukrainischen-fluechtlinge-steigt-behaelt-nrw-den-ueberblick-teil-ii/
[12] https://www.swp-berlin.org/publikation/jenseits-des-westens-wie-afrikanische-und-nahoestliche-staaten-auf-den-russland-ukraine-krieg-blicken
[13] https://www.merkur.de/wirtschaft/energiekrise-embargo-news-lngterminal-russland-gas-eu-lng-import-ukraine-krieg-aktuell-zr-91962114.html
[14] https://www.focus.de/politik/experten/gastbeitrag-von-gabor-steingart-im-ukraine-krieg-verfolgen-die-usa-vor-allem-drei-strategische-ziele_id_96939439.html
[15] Text auf https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
Der ‚Appell für den Frieden‘ kann u.a. auf Change.org (https://chng.it/N2ggCS5Q) unterzeichnet werden. Er ist an die Bundesregierung, an Bundestagsabgeordnete und die Öffentlichkeit gerichtet, sich u.a. für eine UN-Initiative, wie beschrieben, einzusetzen. Weitere Informationen zum Friedensappell finden sich auf https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/.



Aktueller Blog 16

Widerstand gegen den Energy Charter Treaty (ECT)

 

von Klaus Moegling


26.10.2022, letzte Aktualisierung: 5.11.2022

(Inzwischen ist Deutschland (Stand 1.12.2022) aus dem Energie-Charta-Vertrag ausgestiegen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass Deutschland noch 20 Jahre im Sinne des Vertrags (siehe unten) von Konzernen verklagt werden kann.) 


Eine Handvoll junger Menschen aus Europa klagt gegen den Energie-Charta-Vertrag. Sie wollen verhindern, dass multinationale Energiekonzerne zukünftig Staaten, die sich in der sozialökologischen Transformation befinden, vor internationalen Schiedsgerichten verklagen können. Auch zahlreiche NGOs und mehrere EU-Regierungen kritisieren den Ende des Jahres auf europäischer Ebene zur Abstimmung stehenden Vorschlag der EU-Kommission eines modernisierten ECT.

Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit unterzeichneten u.a. die EU-Staaten rechtsverbindlich 1994 einen 1998 in Kraft getretenen internationalen Vertrag, der insbesondere dazu diente, Investitions- und Handelssicherheit für multinationale Energiekonzerne zu schaffen, die damals in den rechtlich unsicheren Verhältnissen in Osteuropa und Zentralasien investieren wollten. Inzwischen sind dem Energy Charter Treaty (ECT) 51 Staaten aus Europa und Asien sowie die EU und EURATOM beigetreten. Des Weiteren bezieht sich der Vertrag – entgegen seiner ursprünglichen Intention – nun auch maßgeblich auf die energiewirtschaftliche Investitionstätigkeit innerhalb der EU. Der Vertrag, der das Risiko für eine Investitionstätigkeit im Bereich der Energiewirtschaft postsowjetischer Staaten vermindern sollte, führte vor allem zu Klagen gegen EU-Staaten in Milliardenhöhe. Besonders strittig ist hierbei die im Vertrag verankerte Funktion internationaler Sondergerichte, die zum Teil in den USA sitzen und EU-Recht nicht anerkennen. Sie entscheiden in intransparenten Verfahren, wenn ein Konzern einen Staat verklagt, der ökologische Reformen vornimmt, von denen sich dieser Konzern benachteiligt fühlt. So verklagte RWE den niederländischen Staat, da dieser den Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorziehen wollte. Auch die hohen Abfindungssummen des deutschen Staates für den schwedischen Konzern Vattenfall im Zuge des deutschen Ausstiegs aus den Kernkraftwerken sind vor dem Hintergrund des ECT zu sehen. So klagte beispielsweise auch der britische Ölkonzern Rockhopper Explorations den Staat Italien aufgrund verweigerter Bohrgenehmigungen vor der italienischen Küste (Region Abruzzen). Slowenien wurde verklagt, da es von Konzernen ein Gutachten zur Umweltverträglichkeit von Fracking verlangte. Bis heute sind 150 Investorenklagen vor dem Hintergrund des ECT bekannt. [1]
Der Absatz 16 des Vertrags über die Energiecharta legt die Bestimmungen zu den Sondergerichten fest:
„Ist ein Investor einer anderen Vertragspartei der Auffassung, daß eine Regierung ihren nach den Investitionsschutzbestimmungen zu erfüllenden Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, dann kann der Investor vorbehaltlich der bedingungslosen Zustimmung der Vertragspartei im Hinblick auf die Beilegung entweder das nationale Gericht befassen oder eine internationale Schiedsstelle (ICSID, die Zusatzeinrichtung des ICSID, das UNCITRAL oder die Stockholmer Handelskammer) einschalten.“ [2] 

Dies bedeutet, dass unter dem Vorwand des Investitionsschutzes Staaten mit Milliardenklagen multinationaler Energiekonzerne überzogen werden können, wenn sie konsequente Maßnahmen gegen die eintretende Klimakatastrophe ergreifen oder der Gefährlichkeit von AKWs und der fehlenden Entsorgung radioaktiven Materials begegnen wollen. Hierbei können nicht nur entstandene Kosten sondern auch entgangene Gewinne eingeklagt werden. Derartige Vertragsdetails werden nur selten in der Medienöffentlichkeit thematisiert. Die Berliner Zeitschrift ‚Der Tagesspiegel‘, auf die sich hier u.a. bezogen werden soll, war eine der wenigen Zeitschriften, die ausführlich über die Problematik des Energiecharta-Vertrags und die laufenden Verhandlungen im Jahr 2022 berichteten [3]

Europäische Regierungen fordern einschneidende Reformen des ECT

Die NGO ‚Investigate Europe‘ [4] berechnete, dass es zukünftig um ein Klagevolumen von ca. 345 Milliarden Euro (!) gegen EU-Staaten gehen werde. Hierbei ist in diese Berechnung insbesondere der geschätzte Wert von erschließbaren Öl- und Gasfeldern im europäischen Raum eingeflossen.
Regierungen würden bereits im Vorfeld gesetzlicher Regelungen mögliche Investorenklagen von Energieunternehmen berücksichtigen und ihre Gesetzgebung entsprechend anpassen. Die Sorge vor Investorenklagen würde daher die notwendigen Gesetze für eine konsequente Bekämpfung der Klimakrise verhindern.
Seit 2017 sind daher angesichts dieses Klagerisikos Forderungen europäischer Staaten nach einer einschneidenden Veränderung des Energiecharta-Vertrags erhoben worden. Die EU-Kommission verhandelte dann auch einen veränderten ECT und bezeichnete das neue Vertragswerk [5], das im Juni 2022 abgeschlossen wurde, als Verhandlungserfolg, da er nun den EU-Klimazielen angepasst sei. Doch verschiedene europäische Vertragsstaaten sahen dies anders. Zwar würden neue fossile Unternehmensinvestitionen zukünftig nicht mehr durch den Vertrag geschützt werden. Der Schutz gelte nun vor allem für Investitionen in Wasserstoff und erneuerbare Energien, aber bereits bestehende Investitionen in die Fossilwirtschaft würden noch weitere 10 bis 20 Jahre Investitionsschutz und damit verbunden die Klagemöglichkeit vor den fragwürdigen internationalen Schiedsgerichten besitzen. Investitionen in die Förderung von Gasvorkommen würden sogar noch bis 2040 geschützt sein. Dies wäre ein erhebliches Hindernis für die gerade in der nächsten Dekade zu leistenden Energiewende und den wirkungsvollen Kampf gegen die Klimakrise.
Problematisch ist auch im Modernisierungsvorschlag der EU-Kommission der zeitlich unbegrenzte Schutz von Kernkraftwerken, da die mit der zivilen Nutzung der Atomenergie verbundenen Probleme noch nicht gelöst sind (wenn dies überhaupt lösbar ist).
Aber auch den bisherigen Energie-Charta-Vertrag unterstützende Staaten, wie Japan und Großbritannien sowie Erdöl exportierende Staaten wie Kasachstan und Turkmenistan, wenden sich gegen  den reformierten ECT der EU-Kommission [6]. Derartige auf Fossilwirtschaft und z.T. auf Atomindustrie basierende Staaten möchten überhaupt keine Veränderungen des ursprünglichen ECT vornehmen. So kündigt Japan an, den modernisierten Vertragsvorschlag der EU-Kommission zu blockieren.

Forderungen nach dem Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag

Dementsprechend überlegen derzeit verschiedene europäische Staaten, aus dem internationalen Vertragswerk des ECT auszusteigen. Italien hat den ECT bereits 2016  aufgekündigt. Spanien und die Niederlande wollen ebenfalls voraussichtlich den ECT verlassen, Deutschland und Frankreich prüfen die Möglichkeit, den Vertrag auch unter den reformierten Bedingungen zu kündigen.
In einem offenen Brief von 78 internationalen Klimawissenschaftler_innen kritisieren diese den Reformentwurf und fordern u.a. von der EU-Kommission und dem Rat der EU einen Austritt aus dem Energie-Charta-Vertrag, da ansonsten aufgrund der staatlichen Maßnahmen gegen die Klimakrise eine Vielzahl von Investor-State-Dispute-Settlements (ISDS, also Klagen von Investoren vor internationalen Schiedsgerichten) zu erwarten seien – so die Wissenschaftler:innen:
„By maintaining in the modernised ECT the protection of foreign investment in existing fossil fuels, EU countries will have to choose between keeping the existing fossil fuel infrastructure running until the end of their lifetimes or facing new ISDS claims. Both options will jeopardise the EU climate neutrality target and the EU Green deal.“ [7]
Diese Kritik an dem Entwurf eines modernisierten Energiecharta-Vertrags wird von zahlreichen NGOs, wie z.B. dem Climate Action Network Europe (CAN) oder ATTAC geteilt. Bereits 2021 zählte die Süddeutsche Zeitung [8] in ihrem Bericht über den ECT Hunderte Wissenschaftler und mehr als 250 Mitglieder des Europäischen Parlaments, die einen Austritt aus dem ursprünglichen Vertrag fordern würden. Mehr als eine Million Menschen in Europa hatten im März 2021, bereits zwei Wochen nach deren Veröffentlichung, eine Petition [9] gegen den ECT unterschrieben.
Der modernisierte Energie-Charta-Vertrag muss nun im November 2022 einstimmig von den ECT-Vertragsparteien angenommen werden. Dies ist sicherlich fraglich, ob eine derartige Annahme des Entwurfs der EU-Kommission gelingen wird. Auch müssen hiernach der EU-Rat und das EU-Parlament dem Vertragsentwurf zustimmen. Des Weiteren müssten die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten dem Vertrag zustimmen. Dies wäre ein Prozess, der sich noch Jahre hinziehen könnte. [10]
Im September 2021 hatte übrigens bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil gefällt, dass die Anwendung von Bestimmungen des Energiecharta-Vertrags auf Rechtsansprüche im innereuropäischen Verhältnis europarechtlich nicht zulässig sei. Die Klage innereuropäischer Gegnerparteien vor internationalen Schiedsgerichten sei nicht mit dem europäischen Recht vereinbar. Gegner des ECT würdigten daher das EuGH-Urteil als die Beerdigung des Vertragswerkes. Dennoch hielt dies Unternehmen und Schiedsgerichte nicht davon ab [11], weitere Klagen einzureichen bzw. zuzulassen.

Eine 17-jährige Klimaaktivistin von Fridays for Future klagt gegen den ECT.

Gemeinsam mit einigen anderen jungen europäischen Klimaaktivisten reichte die Schülerin Julia, die aus dem von der Klimakrise massiv betroffenen Ahrtal stammt, im Juli 2022 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen zwölf europäische Staaten ein. Die Klage will erreichen, dass diese Staaten aus dem Energiecharta-Vertrag austreten. Eine französische Anwältin und mehrere NGOs unterstützen diese Klage.
Julia, die die katastrophalen Folgen der Klimakrise im Ahrtal selbst erfahren hat, ist der Auffassung, dass der Energiecharta-Vertrag den Kampf gegen die Klimakrise erschweren bzw. behindern würde. Er sei im Interesse der Fossilwirtschaft verfasst, auch in seiner modernisierten Form, und sei mit der notwendigen Energiewende im Sinne der Pariser Klima-Verträge unvereinbar. Die Klagemöglichkeit von Energie-Konzernen gegen Staaten in Milliardenhöhe stellt aus ihrer Sicht eine Verhinderung von staatlichen Maßnahmen zum Schutz des Klimas und damit auch eine massive Beeinträchtigung der Menschenrechte dar – so Julia:
„Ich habe das erlebt. Ich weiß, was Klimakrise macht. Also wenn so etwas passiert und nicht ausreichend gehandelt wird, was muss dann noch passieren? (…) Ich fühle mich direkt in meinen Menschenrechten verletzt.“ [12]

Austritt oder einschneidende Reform des ECT?

Ist dies nicht eine doppelte Unverfrorenheit von fossilen Energiekonzernen? Erst verschmutzen sie die Ökologie mit ihrer fossilen Produktion und ihren fossilen Produkten, bezahlen hierfür allerdings nicht die ökologischen Schäden und beteiligen sich nicht finanziell an der auch durch ihre Aktivität eintretenden Klimakatastrophe (Internalisierung von Gewinnen und Externalisierung von Kosten). Dann wollen sie auch noch Milliarden schwere Entschädigungen zu Lasten der Allgemeinheit haben, wenn Gesellschaften sich auf erneuerbare Energien umstellen und deren schädlichen Aktivitäten beenden wollen.

Der Austritt von Staaten aus dem Energiecharta-Vertrag, die mit der sozialökologischen Transformation angesichts der Klimakrise ernst machen wollen, scheint daher auf den ersten Blick ein plausibles Anliegen zu sein. Italien hat bereits 2016 diesen Schritt gewagt. Fakt aber ist, dass Italien, laut Vertrag, von 2016 an noch 20 Jahre von Fossilunternehmen verklagt werden kann, wenn Italien deren Investitionen behindere bzw. beeinträchtige. Ein Austritt europäischer Staaten würde also in den nächsten beiden, für die Bekämpfung der Klimakrise entscheidenden, Dekaden wenig ändern. Daher müsste m.E. eher eine deutlichere Überarbeitung des Energy Charta Treaty mit dem Ziel erfolgen, vor allem Investitionssicherheit für Energieunternehmen zu schaffen, die in erneuerbare Energien und in die zukünftige Wasserstoffwirtschaft investieren. Eine weitere Klagefrist für Fossilunternehmen vor Sondergerichten ist im Einklang mit europäischem Recht auszuschließen.

Der bisherige Modernisierungsvorschlag der EU-Kommission ist daher kritisch zu betrachten, da er zudem noch zwischen 10-20 Jahren Investitionssicherheit und die entsprechende Klagemöglichkeit vor internationalen Schiedsgerichten für die Fossilwirtschaft (Öl, Gas, Kohle) gewährleistet. Auch müsste das intransparente Klageverfahren zugunsten einer Klagemöglichkeit vor europäischen Gerichten beseitigt werden, die den Rechtsansprüchen des EuGH entsprechen. Eine weiterhin geltende Paralleljustiz widerspricht [13] europäischem Recht.
Es verwundert, dass über die genannten Aktivitäten im Widerstand gegen die Modernisierung des ECT kein größeres Protestpotenzial in der europäischen Bevölkerung ausgelöst wird – so wie es vor ein paar Jahren bei den weltweiten Protesten gegen die internationalen Investitionsschutz- und Handelsabkommen TTIP und CETA noch der Fall war.
Eine weitere Information [14] der internationalen Journalisten-NGO ‚Investigate Europe‘ könnte hier noch einmal als Weckruf wirken – nämlich,
·         „dass an den Schiedsgerichten ein kleiner Zirkel von Anwälten tätig ist, die mitunter in den Verfahren mal als Schiedsrichter und mal als Anwalt fossiler Konzerne arbeiten. Im Gespräch mit ‚Investigate Europe‘ nennt ein Schiedsrichter dies unethisch. Die Gehälter der Schiedsrichter sind zudem nahezu unbegrenzt und werden auch aus Steuergeldern bezahlt.
·         dass selbst Juristen das System der Schiedsrichter und des Energiecharta-Vertrags längst kritisch sehen. In Gesprächen mit ‚Investigate Europe‘ bezeichneten sie dieses als ‚russisches Roulette‘ sowie als ‚historischen Fehler‘.“
Die gegenwärtigen Ereignisse um den Krieg in der Ukraine scheinen die Öffentlichkeit sehr stark in ihrer Aufmerksamkeit zu fokussieren und von anderen drängenden Fragen abzulenken. Es ist zumindest zu hoffen, dass u.a. die Mitglieder des EU-Parlaments der Tragweite zukünftiger Beschlüsse hinsichtlich des Energiecharta-Vertrags weiterhin ihre kritische Aufmerksamkeit zuwenden. Wenn das EU-Parlament seine kürzlich beschlossene Resolution [15] zur Beendigung fossiler Energiewirtschaft und zur Stärkung erneuerbarer Energien ernst nimmt, dann kann es keine Klagemöglichkeit zwischen 10 und 20 Jahren hinnehmen, wenn Konzerne ihre an fossiler Energieproduktion orientierten Interessen beeinträchtigt sehen. Hier ist das EU-Parlament gefordert, sich nicht wieder – wie bei der Zustimmung zum Greenwashing der EU-Nachhaltigkeits-Taxonomie [16] – den Vorgaben der EU-Kommission mehrheitlich zu beugen.
Der ursprüngliche, noch geltende, Energy Charter Treaty ist der Versuch der neoliberalen politischen und ökonomischen Fraktion des Kapitalismus, Extra-Profite auf Kosten der Steuerzahler herauszuholen und gleichzeitig die Abkehr von der Nutzung fossiler Rohstoffe zu behindern. Hier handelt es sich um einen massiven Versuch der Privatisierung öffentlicher Gelder. Auch der modernisierte Vertragsentwurf ist noch z.T. von den Problemen des ursprünglichen Vertrags belastet. Wenn aber die Transformation des ECT nicht gelingt, würde sich an dieser Situation erneut die Unvereinbarkeit von Demokratie und ungebremstem Kapitalismus zeigen. Die Mehrheit der Bevölkerung würde sicherlich nicht einsehen wollen, warum sich Fossilkonzerne noch in der entscheidenden Phase sozialökologischer Transformation und der Bekämpfung der bereits eintretenden Klimakatastrophe mit Hilfe von intransparenten Klagen vor internationalen Schiedsgerichten auf ihre und nachfolgender Generationen Kosten bereichern können.

Fazit und offene Fragen 

Meiner Meinung nach sollte eine radikale Modernisierung des Vertrags nach einem möglichen Veto des EU-Parlaments zum aktuellen Modernisierungsvorschlag der EU-Kommission versucht werden. Hierbei sollte ein Investitionsschutz für Ökologie feindliche Konzerne (Öl, Gas, Kohle) ausgesetzt werden. Auch dürften Investitionen in Kernkraftwerke zukünftig nicht mehr durch den modernisierten ECT geschützt werden, da hier weder die Entsorgungsmöglichkeit noch die Frage der Reaktorsicherheit geklärt sind. 

Der Investitionsschutz darf sich nur auf Investitionen in die sozialökologische Transformation beziehen. Wenn eine derartige Modernisierung des ECT auf EU-Ebene nicht gelingt (was wahrscheinlich ist), sollten immer mehr Staaten aus dem Energiecharta-Vertrag aussteigen, bis dieser dadurch unwirksam wird bzw. kaum noch internationale Relevanz besitzt. Die Regierungen von Spanien, der Niederlande, Polens, Sloweniens sowie Italiens (bereits ausgetreten) haben bereits entsprechende Ankündigungen vorgenommen. Deutschland und Frankreich denken derzeit über einen Austritt nach. Voraussetzung hierfür ist, dass z.B. die europäische Gerichtsbarkeit sich gegen die europarechtliche Missachtung von Seiten der internationalen Schiedsgerichte durchsetzt und die Beendigung der Gültigkeitsklausel des ECT erreicht wird, die austretende Staaten noch zu 20 Jahren Investitionsschutz für Investitionen in fossile Energien verpflichtet ('Sunset-Klausel').
Anschließend ist auf globaler Ebene, z.B. unter dem Dach der UN, ein neuer Investitionssicherungsvertrag für Investitionen im Kampf gegen die eintretende Klimakatastrophe auszuhandeln, an dem alle UN-Staaten teilnehmen können. Dieser Vertrag müsste ohne die eine intransparente Paralleljustiz darstellenden internationalen Schiedsgerichte auskommen können. Im Konfliktfall müssten die nationale Gerichtsbarkeit und die zuständigen UN-Institutionen ausreichen, wenn ein Staat seinem Investitionsschutz nicht nachkommt. Hierbei ist auch über die Einrichtung eines multilateralen Gerichtshofs unter dem Dach der UN nachzudenken, im Rahmen dessen unabhängige und auf internationales Recht spezialisierte Richter Klagen gegen staatliche Verstöße gegen den Schutz von Klima-Investitionen verhandeln. [17] 

Offene rechtliche sowie politisch zu klärende Fragen könnten sein:
* Die internationalen Schiedsgerichte erkennen das EuGH-Urteil von 2021 nicht an, das besagt, dass die zwischen europäischen Gegnern durchgeführten internationalen Schiedsgerichtsverfahren nach EU-Recht unzulässig sind. Welches Recht gilt nun? 

* In diesem Sinne: Wie stark sind Staaten überhaupt an internationale Schiedsgerichtsverfahren gebunden, wenn deren Urteile EU-Recht und auch nationalem Recht widersprechen würden? 

* Sind internationale Schiedsgerichte, deren Mitglieder überhaupt keine Richter sind und die intransparent entscheiden, überhaupt für Demokratien zulässig? 

* Was passiert, wenn die EU zu keiner mehrheitsfähigen Auffassung kommt, ob sie den modernisierten Vertrag akzeptiert oder für einen Ausstieg plädiert? 

* Wie kann eine Investitionssicherheit für Investoren auf internationaler Ebene initiiert und durchgesetzt werden, die in erneuerbare Energien investieren? 
* Wie kann eine Diskriminierung von binnenländischen Investoren verhindert werden, die z.B. als Genossenschaften in Windparks investieren? Der ECT - auch die modernisierte Variante - schützt nur Konzerne aus anderen ECT-Staaten.

* In diesem Zusammenhang ist zu klären: Was sind überhaupt erneuerbare Energien? Auch Biogas,  Biomasse? Wasserstoff? Was ist mit Techniken wie z.B. 'Carbon capture' und 'Carbon storage'?
* Inwieweit ist ein neuer auf regenerative Energien ausgerichteter ökologischer Investitionssicherungsvertrag mit der Nachhaltigkeits-Taxonomie der EU kompatibel, die in einem umstrittenen Verfahren die Nachhaltigkeit von Kernkraft und Gas unter bestimmten Voraussetzungen festlegt? (Dies wird allerdings von Österreich vor dem EuGH beklagt.)
* Was bedeutet die vorgesehene Ausweitung des ECT auf ca. 40 weitere Staaten in Afrika und Südostasien für die Zukunft dieser Länder, von denen viele Staaten Entwicklungsländer sind?
* Müsste nicht der Investitionsschutz für Investitionen der Fossilindustrie auch aus anderen internationalen Investitionsschutz- und Handelsverträgen herausgenommen werden, wie z.B. bei CETA?
* Und letztlich: Müsste die Entwicklung eines ökologisch orientierten Investitionssicherungsvertrags nicht eine dringende Angelegenheit der UN sein, wenn der künftig geltende Energiecharta-Vertrag gegen die Klimaschutzziele der Vereinten Nationen verstoßen und deren Umsetzung behindern sollte? Sollten die UN nicht initiativ für die Einrichtung eines qualifizierten, unabhängigen und an transparenten Verfahren interessierten multilateralen Gerichtshof werden, der Investitionsstreitigkeiten verhandelt?

Dies alles sind m.E. wichtige Fragen, die es im politischen Diskurs zu klären gilt, wenn am 22.11.2022 die ECT-Vertragsstaaten ihre Entscheidung zum Modernisierungsvorschlag der EU-Kommission gefällt haben. Die umfassende Tragweite und Vielschichtigkeit eines derartigen Vertrags dürfte deutlich gemacht haben, dass bei neuen Vertragsverhandlungen verantwortungsvoller mit dem Blick auf die Klimaentwicklung und damit verbunden auch mit den sozialen Verwerfungen umgegangen werden muss, die letztlich ein derartiger Investitionsschutz- und Handelsvertrag auslösen kann. [18] 

 
 
(Hinweis: Dies ist ein überarbeiteter und aktualisierter Artikel, der ursprünglich in einer früheren Fassung in Telepolis unter dem Titel ‚Julia gegen den Energiecharta-Vertrag‘ publiziert wurde. In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Julia-gegen-den-Energiecharta-Vertrag-7317343.html, 23.10.2022, 24.10.2022.)
 

Anmerkungen:

[1] Vgl. zur Anzahl der Investorenklagen in Anmerkung 1: https://endfossilprotection.org/sites/default/files/2022-06/2022-06-21%20Letter%20from%20climate%20scientists%20to%20EU%20leaders.pdf, o.D., entnommen 26.10.2022, vgl. zu den Beispielen für Klagen u.a. https://www.energiezukunft.eu/politik/italien-verliert-energiecharta-prozess-und-soll-oelkonzern-millionen-zahlen/, 26.8.2022, 26.10.2022.
[2] Text der Energiecharta: https://www.energycharter.org/fileadmin/DocumentsMedia/Legal/ECT-de.pdf, 1.10.1996, 26.10.2022.
[3] Vgl. z.B. Schulz, Florence (2022): Ringen um die Energiecharta. In: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/ringen-um-die-energiecharta, 21.6.2022, 21.10.2022 u. Schmidt, Nico (2022): Fliehkräfte in der Energiecharta wachsen. In: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/fliehkraefte-in-energiecharta-wachsen, 18.8.2022, 21.10.2022.
[4] Vgl. https://www.investigate-europe.eu/de/2021/energiecharta-vertrag/, Februar 2021, 26.10.2021.
[5] https://www.euractiv.com/wp-content/uploads/sites/2/2022/06/Agreement-in-principle-ECT_FS.pdf?_ga=2.172897254.419498057.1666437145-801624528.1643693634, 24.6.2022, 26.10.2022.
[6] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/energiecharta-klimaziele-schiedsgerichte-klagen-1.5223327, 4.3.2021, 21.10.2021.
[7] Vgl. https://endfossilprotection.org/sites/default/files/2022-06/2022-06-21%20Letter%20from%20climate%20scientists%20to%20EU%20leaders.pdf, o.D., 26.10.2022.[8] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/energiecharta-klimaziele-schiedsgerichte-klagen-1.5223327, 4.3.2021, 21.10.2021.
[9] Vgl. https://www.energiezukunft.eu/politik/austritt-unausweichlich/, 12.3.2021, 26.10.2022.
[10] Vgl. Schmidt, Nico (2022): Fliehkräfte in der Energiecharta wachsen. In: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/fliehkraefte-in-energiecharta-wachsen, 18.8.2022, 21.10.2022.
[11] Vgl. https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/eugh-erklaert-energiecharta-vertrag-fuer-nicht-anwendbar, 3.9.2021, 26.10.2022.
[12] Nonninger, Bruno (2022): Julia aus dem Ahrtal klagt in Straßburg gegen den Klimaschutz. In: https://www.swr.de/heimat/eifel-ahr/warum-die-17-jaehrige-julia-aus-dem-ahrtal-in-strassburg-klagt-100.html, 22.7.2022, 26.10.2022.
[13] Vgl. hierzu https://www.windkraft-journal.de/2022/10/19/energiecharta-vertrag-ect-ermoeglicht-fossilen-konzernen-gegen-die-energiewende-zu-klagen/180736, 19.10.2022, 21.10.2022.
[14] Vgl. https://www.investigate-europe.eu/de/2021/energiecharta-vertrag/, Februar 2021, 26.10.2022.
[15] Vgl. https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2022-0461_EN.html, 11.10.2022, 26.10.2022.
[16] Vgl. die kritische Analyse zur von der EU-Kommission vorgestellten und u.a. vom EU-Parlament mehrheitlich beschlossenen Nachhaltigkeits-Taxonomie: Moegling, Klaus (2022): Ist der Slogan "Atomkraft? – Nein danke!" jetzt zukunftsfeindlich?
https://www.heise.de/tp/features/Ist-der-Slogan-Atomkraft-Nein-danke-jetzt-zukunftsfeindlich-6346228.html, 3.2.2022, 26.10.2022.
[17] Vgl. hier die entsprechenden Vorschläge in: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (o.D.): Investitionsschutz. In: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/investitionsschutz.html, o.D., 4.11.2022.
[18] Die NGO PowerShift ruft zu Eingaben an die Bundesregierung auf, damit Deutschland aus dem ECT aussteigt. Diese Aktion wird international und mit Bezug auf weitere nationale Regierungen durchgeführt. Dauer der Aktion: Bis zum 31.12.2022. Vgl. https://power-shift.de/exit-ect/, o.D., 5.11.2022.




actual blog 17


(See the German translation of this essay below the English version. Die deutschsprachige Version dieses Blogs findet sich nach der englischen Fassung.) 

Which influence can the UN still have on the war in Ukraine? 


by Klaus Moegling

10/16/2022

When will the United Nations finally intervene? The war in Ukraine escalates daily. Annexations that violate international law, attacks on critical infrastructure, large numbers of civilian deaths and the growing threat of nuclear disaster (attacks on nuclear power plants, use of nuclear weapons). Is it a lack of will or a lack of power that prevents the UN from intervening?
It is high time, and perhaps the last chance, for the UN Secretary-General, supported by influential forces, including the People’s Republic of China, to make a decisive attempt at mediation in the war in Ukraine. The goal should first be to freeze the conflict via a cease-fire, followed by the establishment of a demilitarized zone along a Ukrainian territory to be agreed upon, and finally for both sides to deploy UN police forces from different states on a massive scale in this border area. After this, a peace treaty within a European security architecture could be concluded under the mediation of the UN Secretary-General and the OSCE. [1] 
But why is the UN not acting recognisably? Or is it, after all, acting effectively in the course of backdoor and bridge diplomacy?

The dilemma of the UN

When the representative of Russia or the Russian Federation in the UN Security Council, Vasily Nebensya, vetoed a resolution directed against the Russian attack in Ukraine on February 25, 2022, the need for reform of the United Nations once again became very clear. How can an aggressor state, which is a permanent member of the UN Security Council, be allowed to block condemnation and action on its military aggression with a veto? Such an approach is absurd. This possibility for the Russian Federation to veto contradicts morally based norms of justice and is an expression of the balance of power prevailing at the end of World War II.
The importance of a reform of the voting mode in the Security Council, which could prevent just this, is highlighted at present. In the event of military aggression by a veto-wielding Security Council member, that state would have to be excluded from the vote affecting it at the request of the UN Secretary-General or a member state of the Security Council.

At the UN General Assembly, Ukrainian President Zelenskyy accordingly demanded that Russia be punished for its attack, which was aimed at, among other things, taking away Russia's special rights in the UN - Zelenskyy said on February 21, 2022: 

 “Remove the right of veto – if it is a Member of the UN Security Council. In order to punish the aggressor within the institutions." [2]
While there was a subsequent condemnation of Russian aggression in the UN General Assembly in early March 2022, which cannot be blocked by a veto of a member state, whereby 141 member states condemned the Russian attack on Ukraine and called on the Russian Federation to stop the attack and withdraw its troops. The five votes against came from Russia, Belarus, Eritrea, North Korea and Syria. China, India and Iran were among the 35 states that abstained. [3]  The majority in the UN General Assembly cannot hide the fact that these resolutions are only recommendations and are not binding. [4] 

Radical reforms of the United Nations

If the UN were to be structured democratically and the General Assembly were to be the central organ, then, in summarizing the corresponding reform proposals [5], five reform measures, in particular, would have to be taken:
1. The UN General Assembly would no longer consist of delegated representatives of the individual states, but the members would have to be determined in global, democratic elections. An alternative to this is a bicameral system in which the current UN General Assembly is supplemented by a democratically elected UN Parliament. This alternative is favored by the NGO 'Democracy Without Borders' (Cf. https://www.unpacampaign.org/de).
2. A democratically elected UN General Assembly would be able to make binding decisions with different, qualified majorities, which the main, subsidiary and special organizations - i.e. also the UN Security Council - would have to carry out. In this context, the UN General Secretariat and the Secretary-General would have a coordinating and controlling role with regard to the various executive institutions.
3. All UN Security Council members are elected by the UN General Assembly, with no permanent members and no veto power. In the future, the UN Security Council's powers will then be limited to advising and preparing decisions for executive implementation by the General Assembly.
4. All UN members - including states such as the USA, Russia and China - must submit to UN jurisdiction.
5. The global policing functions and capabilities of the UN police forces and the UN peacekeeping forces must be strengthened in the context of a global security architecture. [6]
Such reforms require a change in the UN Charter. For example, reform of the UN Security Council, such as abolishing the veto power, requires a two-thirds majority in the UN General Assembly. Subsequently, the intended amendment to the UN Charter would have to be ratified by two-thirds of the member states, including the five permanent members, in accordance with their national provisions. [7]
Here, it could easily (and also hastily) be argued that none of the veto-entitled states would be willing to lose their privileged influence. But the dangerousness of global crises that have already occurred and are looming could lead to relenting and a willingness to reform here. The permanent members of the UN Security Council are also affected by wars, pandemics and environmental disasters.
As difficult as such a radical reform of the UN may seem at present, it must not be dismissed in advance in the course of a truncated political realism. Only if consistent reform ideas are developed can the first implementable steps be taken systematically in this direction. Authoritative UN representatives, such as UN Secretary-General António Guterres [8], and numerous parliamentarians as well as transnational parliaments, such as the EU Parliament [9], are already thinking in this direction and calling for the first steps of a reform of the United Nations. In addition to the restructuring of the Security Council, Ukrainian President Zelenskyy is also calling for serious changes in the United Nations at the structural level, which should be developed at an international conference to be held in Kyiv in the future – said Zelenskyy during the general debate of the 77th session of the UN General Assembly: "We must do everything in our power to hand over an effective UN to the next generation." [10]
But regardless of the discussion about necessary reforms of the United Nations: How capable is the UN of acting within the framework of the structures already in place if a world political catastrophe occurs, such as the Russian invasion of Ukraine? Are they completely powerless in the face of a war started by a permanent member of their Security Council? Have they been able to accomplish little or nothing regarding the war in Ukraine?

On the Effectiveness of UN Interventions in the War in Ukraine

The measures and limited possibilities in the UN Security Council - blockaded by the veto power - and for the UN General Assembly - no legally binding relevance of security policy decisions under international law - have already been outlined.
Therefore, the mediation efforts of the UN Secretariat in particular will be analysed and classified in more detail.
In this regard, UN Secretary-General António Guterres expressed his unequivocal assessment of the Russian war of aggression during an interview conducted at the time of the 77th UN General Assembly. He also addressed the limited possibilities of the UN:
"The Russian invasion was a violation of the United Nations Charter and international law, and we clearly expressed that this fact has dramatic consequences. At the same time, we are organizing humanitarian assistance to Ukraine and surrounding states. And we are determined to find a solution to the food crisis. Unfortunately, we are not in a position to stop this war." [11]
First of all, grain exports from Ukraine should be mentioned here. Russia and Ukraine, through the mediation of UN Secretary-General António Guterres in Turkey, signed an agreement in July 2022 to allow the future delivery of millions of tons of grain from the three ports of Odesa, Chornomorsk and Yuzhne. Ukraine pledged to clear the sea route of mines and Russia agreed, among other things, not to attack transport ships carrying agricultural products from Ukraine, such as grain shipments. In return, Guterres signed a memorandum in which the UN pledged to support the export of Russian agricultural products and fertilizers. [12]  Even though these measures began rather hesitantly [13] and Russia has since hinted at blocking grain deliveries, this shows that the UN has achieved a negotiating success that is of great importance not only for Ukraine but also for the world regions affected by hunger.
The UN also intends to set up a coordination center to monitor the implementation of the contractual agreements. [14]
Another UN mediation project in Ukraine relates to the Ukrainian nuclear power plant in Zaporizhzhya, which has already been shelled several times with heavy artillery and missiles. To avoid a nuclear disaster, the nuclear plant, which has been occupied by the Russian army since March, has been repeatedly shut down. The Russian representative to the UN Security Council, Vasily Nebensya, accused Ukraine during an August 23, 2022, UN Security Council meeting of shelling the nuclear power plant almost daily, thereby risking a nuclear catastrophe. [15]  Ukraine, on the other hand, accused the Russian military of being responsible for the shelling.
United Nations Under-Secretary-General Rosemary DiCarlo called on both states to cease all military activity around the nuclear power plant and to allow a group of experts from the International Atomic Energy Agency (IAEA) to inspect the nuclear plant. In the meantime, as is well known, the IAEA group of experts visited Europe's largest nuclear power plant and presented a comprehensive report.  This report refers to the dangerous situation in Zaporizhzhya, and IAEA Director General Rafael Grossi warned the UN Security Council in July 2022 when he presented the assessment of the IAEA expert team:
"We are playing with fire and something very, very catastrophic could take place." [16]
Grossi called for a demilitarized safe zone around the nuclear plant. Guterres stressed that Russian and Ukrainian forces must commit not to conduct military activities either from or in the direction of the plant site.
In the meantime, however, renewed shelling of the nuclear plant site is taking place, for which again both sides hold the other responsible. [17]
The Russian government initially showed its disinterest in further offers of mediation by the UN. For weeks, Putin refused to meet with the UN Secretary-General. He did not even want to talk to him on the phone. It was not until April that a meeting took place in the Kremlin, where the Russian government made it clear to Guterres that they were not interested in peace negotiations or a peace plan. They could, however, talk about humanitarian issues. In the course of these talks, Guterres achieved the withdrawal of the last Ukrainian fighters from the Azov steel plant in Mariupol, although this then also allowed the Russians to take full control of the city.
Guterres sent another signal and demanded at the beginning of the general debate of the 77th UN General Assembly that an excess profits tax should be deducted from the oil companies that had made additional profits during the war in Ukraine. [18]
In my opinion, this would certainly be a sensible measure, but it would not help to contain the war in Ukraine.
Another action taken by the United Nations - in addition to various humanitarian actions in Ukraine and neighbouring states - is the investigation by a UN Human Rights Commission. While this Commission found isolated crimes committed by Ukrainian soldiers, it found massive violations committed by Russian soldiers, including rape, use of torture and shootings, and the systematic bombing of civilian objects resulting in numerous deaths. [19]  This investigation is yet another indication of the morally illegitimate actions of the Russian Federation in particular, which are not covered by any of the legitimations of the "special military operation" that it has put forward.
The war in Ukraine rages on - despite UN mediation efforts - with people being killed, infrastructure being destroyed and the environment being massively polluted. Further escalation is possible. Nuclear war is not out of the question. The world still lacks a peace policy body capable of action to end this destruction.

The UN has so far only been successful within its limited capabilities 

The UN is still a place where violations of international law, such as the Russian invasion of Ukraine, can be discussed publicly. As a result, a critical world public is created through the treatment of military aggression in the UN Security Council and the UN General Assembly. This symbolic action in the context of global public opinion is possibly still the most important function of the United Nations, at least from the perspective of the West in relation to the war in Ukraine. However, the UN General Debate also made it clear that the war in Ukraine is not a priority for African or Latin American states and that other problems, such as the lack of support from Western states as well as the climate crisis, are more of interest to them. [20] However, the UN Secretariat has also achieved at least partial success in the course of its backdoor diplomacy and official mediation offers regarding various dangers triggered by the Russian war in Ukraine. Therefore, one cannot speak of the failure of the UN in the war in Ukraine. The UN largely succeeds in what is possible with great effort within the framework of its structures.
However, Guterres' first individual successes as a bridge builder for the UN and initial mediation successes in the war in Ukraine - important as they are - do not hide the fact that the UN is not powerful enough and not capable enough to act to prevent such a conflict or in the event of war breaking out, to contain and end it.
This is not the first time that this structural inadequacy of the UN has become apparent - and this should be clearly pointed out. UN mediation attempts against U.S. military aggression and wars of aggression, such as in Vietnam or in the second Iraq war, also failed. The UN was unable to push through a resolution against the U.S. war in Vietnam, although the question of guilt under international law was clearly to the detriment of the United States. [21]  The second Iraq war (2003) was launched under the leadership of the United States without a UN resolution that clearly legitimized it. On the contrary, the attack against Iraq in 2003 was classified by then UN Secretary-General Kofi Annan as illegal and thus contrary to international law. [22]  In both historical examples, the UN was ultimately unable to act to prevent, contain or even prevent U.S. aggression.
Without drastic structural reforms, the UN will not be able to assume its global political role with regard to its 17 Sustainable Development Goals. The UN must be democratised and simultaneously strengthened. The first step would be to abolish the veto power for aggressor permanent members of the UN Security Council.
The UN will remain a significantly hindered international actor, and will not be able to take the necessary action needed to resolve serious global crises. This relates, among other things, to combating the climate crisis, eliminating world hunger, and ending wars - all of which are existential reasons for humanity to seriously consider and negotiate a new role for the UN and radical reforms to the UN Charter.

Last minute UN initiatives?

And yet: The legitimate demand for structural reforms of the UN, which the global community cannot avoid, must not distract from the fact that solutions are needed now (!). In this developmental phase of the war in Ukraine, which can quickly escalate into a nuclear war, the immediate intervention of the UN is needed to freeze the escalating war as a first step.[23]  Mexican Foreign Minister Marcelo Ebrard Casaubon’s proposal put forward at the 77th UN General Assembly contains an opportunity to end this war. Casaubon proposed that due to the paralysis of the UN Security Council, UN Secretary-General António Guterres, along with senior international figures such as Indian Prime Minister Narendra Modi and Pope Francis, form a commission to negotiate with the heads of government of Ukraine and the Russian Federation. Mexico, he said, is willing to open a diplomatic channel to the parties to the conflict to facilitate these negotiations. 24]
To the Mexican proposal, I would add that this negotiating commission urgently needs to include a high-level representative of the People’s Republic of China. This would have to be Chinese President Xi Jinping or the Chinese Foreign Minister to ensure that the Russian leadership also considers the consequences of further escalation for the relationship with China. The negotiating weight of the People’s Republic of China is likely to be critical to the Commission's success.
Furthermore, I believe that the Secretary General of the Organization for Security and Cooperation in Europe (OSCE) Helga Maria Schmid (Austria) should be included in the negotiating commission, which represents 57 member states and 11 partner states and has a high legitimacy to weigh the interests of the warring parties.
Meanwhile, the war in Ukraine has entered a further stage of escalation. Russia has annexed four occupied eastern Ukrainian territories into the Russian Federation, in violation of international law. At the same time, Putin declared that these annexed territories would now be under Russia's nuclear umbrella in case of future Ukrainian attacks (Putin: "This is not a bluff!"). [25] The nuclear Sword of Damocles hangs over Europe: what will happen if the Ukrainian military attacks Russian forces on the four annexed eastern Ukrainian territories? Attacks on critical infrastructure are also on the rise. The blowing up of the two Nord Stream pipelines is a manifestation of this. The multiple bombardments of Europe's largest nuclear power plant are also part of this. A total meltdown at the Zaporizhzhia nuclear power plant would clearly surpass Chernobyl in its destructive effect. It would be all the more important to take steps in line with the Mexican proposal under the leadership of the UN Secretary-General to first de-escalate the war in Ukraine and then end it in the manner described above.

(The article appeared in an earlier version in the magazine 'Telepolis' and represents a further developed and updated version.
Source: https://www.heise.de/tp/features/UNO-und-Ukraine-Totalversagen-oder-Erfolg-der-kleinen-Schritte-7273618.html, 25.9.2022, retrieved 30.9.2022.)

( I would like to thank Leonie Geene (GB/G) for her very helpful support with the English translation of the text.)

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Prof. Dr. Klaus Moegling, born in 1952, habilitated political scientist and sociologist, lecturer at the universities of Hamburg, Marburg and Kassel, among others author of the book 'Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.' (Barbara Budrich Publishers, 3rd expanded edition 2020). English version ‘Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible.’ in open access at https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
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Notes

[1] In summary, this corresponds to the steps of the Italian peace plan devised in spring. For more details on the various steps of the Italian peace plan, see Moegling, Klaus (2022): Russlands Krieg gegen die Ukraine: Vier Schritte nur zum Frieden? In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine-Vier-Schritte-nur-zum-Frieden-7132665.html?seite=2, 6.6.2022, 6.6.2022.
[2] https://www.president.gov.ua/en/news/vistup-prezidenta-ukrayini-na-zagalnih-debatah-77-yi-sesiyi-77905, 22.9.2022,2.10.2022.
[3] https://unric.org/de/generalversammlung-verurteilt-russlands-ueberfall-mit-grosser-mehrheit-nur-fuenf-gegenstimmen/, 2.3.2022, last seen 14.9.2022. In October 2022, the UN General Assembly again voted 143 out of 193 against Russia's annexation of Ukrainian territories in violation of international law.
[4] This also applies to an emergency session of the UN General Assembly in the sense of 'Uniting for Peace', whose resolutions have a thoroughly symbolic value, but ultimately also only a recommendatory character.
[5] Cf. for further presentation and discussion of UN reform measures e.g. John Trent/Laura Schnurr (2021): Renaissance of the United Nations. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich; cf. especially on the call for a democratically elected UN Parliament with broader powers as well as reform of the UN Security Council Leinen, Jo/ Bummel, Andreas (2017): The democratic world parliament. Bonn: Dietz-Verlag. Zumach, Andreas (2021): Reform or Blockade. What future for the UN? Zurich: Rotpunktverlag and Moegling, Klaus (2020): Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich Publishers. In English, the international edition (2022, free reading): https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 
[6] Cf. on the conception of a UN world police force in 'Rethinking Security: Turning the Perspective. Overcoming Helplessness. Rethinking download/variant/269297/rethinking-security-report-2022-turning-the-perspective.pdf, 2/18/2022, 9/14/2022.Security Report 2022. https://www.sicherheitneudenken.de/media/
[7] Cf. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/internationale-organisationen/uno/05-reform-sicherheitsrat/205630, 14.1.2022, 14.9.2022.
[8] Cf. https://unric.org/de/070222-guterres/, 2/7/2022, 9/14/2022.
[9] Cf. International Campaign for a Democratic UN Parliament: https://www.unpacampaign.org/de/, n.d., 9/14/2022.
[10] https://www.sueddeutsche.de/politik/selenskyj-un-sicherheitsrat-ukraine-1.5561576, 5.4.2022, 21.9.2022.
[11] https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-09/antonio-guterres-uno-ukraine-russland/komplettansicht, 19.9.2022, 21.9.2022
[12] Cf. https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-07/ukraine-russland-und-un-vereinbaren-ausfuhr-ukrainischen-getreides, 7/22/2022, 9/14/2022.
[13] https://www.n-tv.de/politik/UN-Generalsekretaer-Guterres-Getreide-Export-nur-Teil-der-Loesung-russischer-Duenger-entscheidend-article23537746.html, 8/22/2022, 9/14/2022.
[14] Cf. https://unric.org/de/ukraine22072022/
[15] Cf. https://www.stern.de/news/russland-und-die-ukraine-machen-sich-erneut-gegenseitig-fuer-akw-beschuss-verantwortlich-32659302.html, 8/24/2022, 9/14/2022.
[16] https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-atomkraftwerk-saporischschja-iaea-bericht-1.5652334, 9/6/2022, 9/14/2022.
[17] Cf. also the essay by Fredy Gsteiger (2022), who arrives at a similar situation description and assessment: https://www.srf.ch/news/international/vermittlung-im-krieg-versagt-die-uno-in-der-ukraine
[18] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/un-vollversammlung-161.html, 20.9.2022, 20.9.2022.
[19] Vgl. Kliver, Christian (2022): Russlands Krieg in der Ukraine. UN sehen Kriegsverbrechen bestätigt – auch ohne Gerichtsurteil. In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-in-der-Ukraine-UN-sehen-Kriegsverbrechen-bestaetigt-auch-ohne-Gerichtsurteil-7275551.html, 26.9.2022, 26.9.2022.[20] Cf. the article by Andreas Zumach in: https://www.infosperber.ch/politik/welt/uno-cassis-und-scholz-hinterlassen-wenig-glaubhaften-eindruck/, 22.9.2022, 22.9.2022.
[21] Cf. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg): Vereinte Nationen, Heft 5/1966, 159ff., in: https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_1966/Heft_5_1966/05_Beitrag_5-1966.pdf , 1.10.1966, 28.9.2022.
[22] Cf. https://www.faz.net/aktuell/politik/vereinte-nationen-kofi-annan-nennt-irak-krieg-illegal-1176615.html, 16.9.2004, 28.9.2022.
[23] The demand for a 'freeze' of the war in Ukraine is advocated for in particular by the political scientist Johannes Varwick (University of Halle-Wittenberg), who is also of the opinion that although the situation is clear under international law, one must first accept some facts of the status quo in order to prevent a nuclear escalation. Especially since one cannot achieve a negotiating success with maximum demands on Russia, such as the return of Crimea.  Although other things would then have to be renegotiated, see, inter alia, Varwick, Johannes (in interview with Alexander Graf Lambsdorff) (2022): Sollte Deutschland auch die Rückeroberung der Krim unterstützen? Interviewer: Jochen Bitter and Martin Macowecz, in: Die Zeit, 29.9.2022, 12.
[24] Cf. on the Mexican mediation proposal: https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/mexiko-schl%C3%A4gt-die-einrichtung-einer-hochrangigen-diplomatischen-delegation-vor-die-zwischen-russland-und-der-ukraine-vermitteln-soll/ar-AA1294kT , 9/25/2022, 9/26/2022.
[25] Cf. on Putin's threat to use nuclear weapons: https://www.fr.de/politik/drohung-usa-ukraine-krieg-putin-russland-atomwaffen-atombombe-nuklear-zr-91817393.html, 9/30/2022, 9/30/2022.

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aktueller Blog 17

Welchen Einfluss kann die UNO noch auf den Krieg in der Ukraine nehmen? 

 
von Klaus Moegling
 
2.10.2022


Wann wollen die Vereinten Nationen endlich eingreifen? Der Krieg in der Ukraine eskaliert täglich. Völkerrechtswidrige Annexionen, Angriffe auf die kritische Infrastruktur, eine große Zahl ziviler Tote und die wachsende Gefahr eines nuklearen Desasters droht (Angriffe auf AKWs, Einsatz von Nuklearwaffen). Will oder kann die UNO nicht eingreifen?

Jetzt wäre es höchste Zeit, vielleicht noch die letzte Möglichkeit, im Krieg in der Ukraine einen entscheidenden Vermittlungsversuch durch den UN-Generalsekretär, unterstützt von einflussreichen Kräften, u.a. der VR China, vorzunehmen. Das Ziel müsste zunächst ein Waffenstillstand, die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone entlang eines zu vereinbarenden ukrainischen Gebiets und schließlich ein von beiden Seiten akzeptierter massiver Einsatz von UN-Polizeitruppen unterschiedlicher Staaten in diesem Grenzgebiet sein. Hiernach könnte unter Vermittlung des Generalsekretärs der UN und der OSZE ein Friedensvertrag innerhalb einer europäischen Sicherheitsarchitektur geschlossen werden. [1] 

Doch warum handelt die UNO nicht erkennbar? Oder ist sie doch im Zuge einer Hintertür- und Brückendiplomatie wirkungsvoll tätig? 

Das Dilemma der UNO 

 Als der Vertreter Russlands bzw. der Russischen Föderation im UNO-Sicherheitsrat, Wassili Nebensja, am 25.2.2022 sein Veto gegen eine Resolution einlegte, die sich gegen den russischen Angriff in der Ukraine richtete, wurde die Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen erneut sehr deutlich. Wie kann einem angreifenden Staat, der ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der UNO ist, erlaubt werden, die Verurteilung und Maßnahmen in Bezug auf seine eigene militärische Aggression mit einem Veto zu blockieren? Eine solche Vorgehensweise ist absurd. Diese Möglichkeit zum Veto der Russischen Föderation widerspricht moralisch fundierten Gerechtigkeitsnormen und ist Ausdruck der inzwischen historisch überholten Machtverhältnisse zum Ende des 2. Weltkrieges. 

Wie wichtig wäre hier zumindest eine Reform des Abstimmungsmodus im Sicherheitsrat, der gerade dies verhindern könnte. Im Falle einer militärischen Aggression eines Veto-berechtigten Sicherheitsratsmitglieds, seien es nun Russland, die USA oder beispielsweise China, müsste dieser Staat auf Antrag des UNO-Generalsekretärs oder eines Mitgliedsstaates des Sicherheitsrats von der ihn betreffenden Abstimmung ausgeschlossen werden. 

Auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen forderte der ukrainische Präsident Selenskyj dementsprechend eine Bestrafung Russlands für dessen Angriff, die u.a. auf die Wegnahme auch der russischen Sonderrechte in den UN abzielte – so Selenskyj am 21.2.2022: 

"Nehmt das Stimmrecht weg! Entzieht den Delegationen ihre Privilegien! Hebt das Vetorecht auf, wenn es sich um ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats handelt!" [2] 

Zwar gab es Anfang März 2022 bereits eine spätere Verurteilung der russischen Aggression in der damaligen als Dringlichkeitssitzung einberufenen UN-Vollversammlung, bei der keine Blockade durch ein Veto eines Mitgliedsstaats möglich ist. 141 Mitgliedsstaaten verurteilten den russischen Angriff auf die Ukraine und forderten die Russische Föderation auf, den Angriff zu stoppen und die Truppen zurückzuziehen. Die fünf Gegenstimmen kamen von Russland, Belarus, Eritrea, Nordkorea und Syrien. China, Indien und der Iran zählten zu den 35 Staaten, die sich enthielten. [3] Die Mehrheit in der UNO-Generalversammlung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Beschlüsse nur einen Empfehlungscharakter haben und völkerrechtlich nicht verbindlich sind. [4] 

Einschneidende Reformen der Vereinten Nationen 

Wenn die UNO demokratisch strukturiert sein und die UN-Vollversammlung das zentrale Organ sein sollte, dann müssten, fasst man entsprechende Reformvorschläge zusammen[5], insbesondere fünf Reformmaßnahmen ergriffen werden: 

1. Die UNO-Vollversammlung dürfte – langfristig gesehen - nicht mehr aus delegierten Vertretern und Vertreterinnen der einzelnen Regierungen bestehen, sondern die Mitglieder müssten in globalen, demokratischen Wahlen ermittelt werden. 

2. Eine demokratisch gewählte UNO-Vollversammlung, also ein UN-Parlament, müsste mit unterschiedlichen, qualifizierten Mehrheiten verbindliche Entscheidungen fällen können, welche die Haupt-, Neben- und Sonderorganisationen – also auch der UNO-Sicherheitsrat – auszuführen haben. Hierbei käme dem UN-Generalsekretariat und dem/r Generalsekretär/in eine koordinierende und kontrollierende Rolle hinsichtlich der verschiedenen exekutiven Institutionen zu. 

3. Alle UNO-Sicherheitsratsmitglieder werden von der UN-Vollversammlung gewählt, ohne dass es ständige Mitglieder und ein Veto-Recht für diese Mitglieder gibt. Die Befugnisse des UNO-Sicherheitsrats werden dann zukünftig nur noch im Bereich der Beratung und der Vorbereitung einer exekutiven Umsetzung der von der Vollversammlung gefällten Entscheidungen liegen. 

4. Alle UNO-Mitglieder – auch Staaten wie die USA, Russland oder China – haben sich der UNO-Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. 

5. Die weltpolizeiliche Funktionen und Möglichkeiten der UN-Polizeikräfte und der UN-Blauhelme sind im Rahmen einer globalen Sicherheitsarchitektur zu stärken. [6] 

Derartige Reformen bedürfen nach geltendem Recht einer Veränderung der UN-Charta. So wäre für die Reform des UN-Sicherheitsrats, z.B. für die Veränderung oder gar die Abschaffung des Veto-Rechts, eine Zweidrittelmehrheit in der UNO-Vollversammlung notwendig. Anschließend müsste die beabsichtigte Änderung der UN-Charta von zwei Dritteln der Mitgliedsstaaten einschließlich der fünf ständigen Mitglieder entsprechend deren nationaler Bestimmungen ratifiziert werden. [7] 

Hier ließe sich leicht (und auch vorschnell) argumentieren, dass keine der Veto-berechtigten Staaten bereit wäre, ihren privilegierten Einfluss zu verlieren. Doch die Gefährlichkeit bereits eingetretener und drohender globaler Krisen könnte hier zu einem Einlenken und zur Reformbereitschaft führen. Auch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sind von Kriegen, Pandemien und Umweltkatastrophen betroffen. 

So schwierig eine derart radikale Reform der UNO derzeit erscheint, darf sie daher nicht im Zuge eines verkürzten politischen Realismus im Vorhinein verworfen werden. Nur wenn konsequente Reformvorstellungen entwickelt werden, können die ersten umsetzbaren Schritte systematisch in diese Richtung vorgenommen werden. Maßgebliche UN-Vertreter, wie z.B. der UN-Generalsekretär António Guterres [8], und zahlreiche Parlamentarier sowie transnationale Parlamente, wie z.B. das EU-Parlament, [9] denken bereits in diese Richtung und fordern erste Schritte einer einschneidenden Reform der Vereinten Nationen ein. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj fordert über die Umstrukturierung des Sicherheitsrats hinaus gravierende Veränderungen der Vereinten Nationen auf der strukturellen Ebene, die auf einer zukünftig in Kiew stattfindenden internationalen Konferenz entwickelt werden sollten – so Selenskyj im Rahmen der Generaldebatte der 77. UN-Vollversammlung: "Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um der nächsten Generation eine effektive UN zu übergeben." [10] 

Doch unabhängig von der Diskussion über notwendige Reformen der Vereinten Nationen: Wie handlungsfähig ist die UNO im Rahmen der bereits vorhandenen Strukturen, wenn eine weltpolitische Katastrophe, wie der russische Überfall auf die Ukraine, eintritt? Sind sie völlig machtlos bei einem Krieg, der von einem ständigen Mitglied ihres Sicherheitsrates begonnen wird? Haben sie hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine bisher nichts oder nur wenig erreichen können? 

Zur Wirksamkeit der UNO-Interventionen im Krieg in der Ukraine 

 Die Maßnahmen und begrenzten Möglichkeiten im UN-Sicherheitsrat - Blockade durch das Veto-Recht -  und für die UNO-Vollversammlung – keine völkerrechtlich verbindliche Relevanz sicherheitspolitischer Beschlüsse - wurden bereits skizziert. 

Daher sollen insbesondere die Vermittlungsbemühungen des UNO-Generalsekretariats genauer analysiert und eingeordnet werden. 

Hierzu äußerte der UN-Generalsekretär António Guterres während eines im zeitlichen Kontext der 77. UN-Vollversammlung durchgeführten Interviews seine eindeutige Einschätzung des russischen Angriffskriegs, sprach aber gleichzeitig auch die begrenzten Möglichkeiten der UN an: 

„Die russische Invasion war eine Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts, und wir haben klar zum Ausdruck gebracht, dass diese Tatsache dramatische Konsequenzen hat. Zugleich organisieren wir die humanitäre Hilfe für die Ukraine und umliegende Staaten. Und wir sind fest entschlossen, eine Lösung für die Ernährungskrise zu finden. Leider sind wir nicht in der Lage, diesen Krieg zu stoppen.“ [11] 

Hinsichtlich einzelner Maßnahmen des UN-Generalsekretariats sind also zunächst die Getreideexporte aus der Ukraine zu nennen. Russland und die Ukraine haben im Juli 2022 über die Vermittlung des UN-Generalsekretärs in der Türkei ein Abkommen unterzeichnet, das die Auslieferung von Millionen Tonnen Getreide aus den drei Häfen Odessa, Tschornomorsk und Juschne zukünftig ermöglichen sollte. Die Ukraine verpflichtete sich, den Seeweg von Minen zu räumen und Russland sagte u.a. zu, Transportschiffe mit landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine, wie z.B. Getreidetransporte, nicht anzugreifen. Im Gegenzug unterzeichnete Guterres ein Memorandum, bei dem sich die UN verpflichtet, sich für den Export russischer landwirtschaftlicher Produkte sowie von Düngemitteln einzusetzen. [12] Auch wenn diese Maßnahmen recht zögerlich begannen [13] und auch Russland bereits schon wieder über die Blockade der Getreidelieferungen Andeutungen gemacht hat, zeigte sich hier, dass der UNO ein Verhandlungserfolg gelungen ist, der nicht nur für die Ukraine sondern auch für andere von Hunger betroffene Weltregionen eine große Bedeutung hat. 

Die UNO will des Weiteren in diesem Zusammenhang ein Koordinationszentrum einrichten, um die Umsetzung der vertraglichen Vereinbarungen zu überwachen. [14] 

Ein weiteres Vermittlungsprojekt der Vereinten Nationen in der Ukraine bezieht sich auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, das bereits mehrfach mit schwerer Artillerie und Raketen beschossen wurde. Um eine nukleare Katastrophe zu vermeiden wurde das seit März von der russischen Armee besetzte AKW immer wieder abgeschaltet. Der russische Vertreter im UN-Sicherheitsrat, Wassili Nebensja, warf während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats vom 23.8.2022 der Ukraine vor, das AKW fast täglich zu beschießen und eine nukleare Katastrophe in Kauf zu nehmen. [15] Die Ukraine hingegen beschuldigte das russische Militär, für den Beschuss verantwortlich zu sein. 

Die Untergeneralsekretärin der Vereinten Nationen, Rosemary DiCarlo, rief beide Staaten auf, jegliche militärische Aktivität um das Kernkraftwerk einzustellen und einer Expertengruppe der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die Inspektion des AKWs zu ermöglichen. Inzwischen hat bekanntlich die IAEA-Expertengruppe das größte Atomkraftwerk Europas besucht und einen umfassenden Bericht vorgelegt.  Dieser Bericht verweist auf die gefährliche Situation in Saporischschja. Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, warnte im Juli 2022 vor dem UN-Sicherheitsrat, als er dort die Einschätzung des IAEA-Experten-Teams vortrug: 

"Wir spielen mit dem Feuer und etwas sehr, sehr Katastrophales könnte passieren." [16] 

Grossi forderte eine entmilitarisierte Schutzzone um das AKW herum. Guterres betonte, dass sich russische und ukrainische Streitkräfte verpflichten müssten, weder vom Werksgelände aus noch in Richtung des Werksgeländes militärische Aktivitäten zu entwickeln. 

Inzwischen fand allerdings erneuter Beschuss des AKW-Geländes statt, für den sich wiederum beide Seiten verantwortlich machten. 

Die russische Regierung zeigte zunächst ihr Desinteresse hinsichtlich weiterer Vermittlungsangebote der UN. So verweigerte Putin wochenlang dem UN-Generalsekretär eine Begegnung. Nicht einmal telefonieren wollte er mit ihm. Erst im April fand eine Begegnung im Kreml statt, wo die russische Regierung Guterres deutlich machte, dass sie nicht an Friedensverhandlungen oder einem Friedensplan interessiert seien. Man könne aber über humanitäre Angelegenheiten sprechen. Im Zuge dieser Gespräche erreichte Guterres den Abzug der letzten ukrainischen Kämpfer aus dem Stahlwerk Asow in Mariopol, was allerdings dann auch den Russen die vollständige Kontrolle über die Stadt ermöglichte. [17] 

Guterres setzte ein weiteres Zeichen und forderte des Weiteren zu Beginn der Generaldebatte der 77. UN-Vollversammlung, dass den Ölunternehmen, die während des Kriegs in der Ukraine zusätzliche Gewinne erzielt hätten, eine Übergewinnsteuer abgezogen werden sollte. 

Auch dies wäre m.E. sicherlich eine sinnvolle Maßnahme, würde allerdings ebenfalls nicht den Krieg in der Ukraine eindämmen helfen. [18] 

Eine weitere Maßnahme der Vereinten Nationen – neben verschiedenen humanitären Maßnahmen in der Ukraine und benachbarten Staaten – ist die Untersuchung einer UN-Menschenrechtskommission, die vereinzelte Verbrechen ukrainischer Soldaten und deutlich massivere Verstöße russischer Soldaten, u.a. Vergewaltigungen, Anwendung von Folter und Erschießungen sowie systematischer Bombardierungen ziviler Objekte mit zahlreichen Toten, ermittelte. [19] Diese Untersuchung ist ein weiterer Hinweis auf das moralisch illegitime Vorgehen insbesondere der Russischen Föderation, das durch keine der von ihr vorgebrachten Legitimationen der „militärischen Spezialoperation“ gedeckt ist. 

Der Krieg in der Ukraine tobt – trotz der UNO-Vermittlungsbemühungen – weiter, Menschen werden getötet, Infrastruktur zerstört und die Umwelt massiv belastet. Eine weitere Eskalation ist möglich. Ein nuklear ausgetragener Krieg ist nicht ausgeschlossen. Der Welt fehlt immer noch ein handlungsfähiges friedenspolitisches Organ, das diese Destruktion beenden könnte. 

Die UN ist bisher nur erfolgreich im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten 

Die UNO ist noch immer ein Ort, an dem über Verletzungen des Völkerrechts, wie dem russischen Überfall auf die Ukraine, öffentlich diskutiert werden kann. Hierdurch wird durch die Behandlung der militärischen Aggression im UN-Sicherheitsrat und in der UN-Vollversammlung eine kritische Weltöffentlichkeit hergestellt. Möglicherweise ist diese symbolische Handlung im Kontext einer Weltöffentlichkeit derzeit noch die wichtigste Funktion der Vereinten Nationen zumindest aus der Sicht des Westens in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Allerdings machte die UN-Generaldebatte auch deutlich, dass den afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten der Krieg in der Ukraine nicht prioritär ist und für sie andere Probleme, wie z.B. die mangelnde Unterstützung durch westliche Staaten sowie die Klimakrise, eher von Interesse sind. [20] 

Das UN-Generalsekretariat hat im Zuge seiner Hintertür-Diplomatie und offizieller Vermittlungsangebote hinsichtlich verschiedener durch den russischen Krieg in der Ukraine ausgelösten Gefahren zumindest Teilerfolge erzielt. Daher kann man nicht von einem Totalversagen der UN im Krieg in der Ukraine sprechen. Der UN gelingt das weitgehend, was mit großem Einsatz im Rahmen ihrer bisherigen Strukturen möglich ist. 

Guterres erste singuläre Erfolge als Brückenbauer für die UNO und erste Vermittlungserfolge im Krieg in der Ukraine – so wichtig sie sind – täuschen daher nicht darüber hinweg, dass die UNO nicht mächtig und handlungsfähig genug ist, einen derartigen Konflikt präventiv zu verhindern oder im Falle des Kriegsausbruchs einzudämmen und zu beenden. 

Diese strukturelle Unzulänglichkeit der UN zeigt sich – hierauf soll deutlich hingewiesen werden – nicht zum ersten Mal. Auch UN-Vermittlungsversuche gegen die militärischen Aggressionen und Angriffskriege der USA, wie z.B. in Vietnam oder im zweiten Irak-Krieg, scheiterten. Die UNO konnte keine Resolution gegen den US-amerikanischen Krieg in Vietnam durchsetzen, obwohl die völkerrechtliche Schuldfrage eindeutig zulasten der USA zu beantworten war. [21] Der zweite Irak-Krieg (2003) wurde federführend durch die USA ohne eine dies eindeutig legitimierende Resolution der Vereinten Nationen begonnen. Im Gegenteil: Der Angriff gegen den Irak in 2003 wurde vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan als illegal und somit völkerrechtswidrig eingestuft. [22] In beiden historischen Beispielen waren die UN letztlich handlungsunfähig, der US-Aggression vorzubeugen bzw. diese einzudämmen oder sogar zu verhindern. 

Ohne einschneidende strukturelle Reformen werden daher die Vereinten Nationen ihre weltpolitische Rolle hinsichtlich ihrer 17 Nachhaltigkeitsziele nicht einnehmen können. Es gilt die UN zu demokratisieren und sie gleichzeitig zu stärken. Der erste Schritt wäre die Abschaffung des Veto-Rechts für angreifende ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Doch hierbei dürfen die Reformmaßnahmen nicht stehenbleiben. Erste Signale für eine Reform der Vereinten Nationen waren auf der 77. Vollversammlung der UN wahrzunehmen. Diese Impulse gilt es aufzugreifen. Die UNO wird andernfalls ein erheblich blockierter internationaler Akteur bleiben, und wird die notwendigen Maßnahmen nicht ergreifen können, die global zur Beseitigung schwerwiegender Krisen notwendig sind. Dies bezieht sich u.a. auf die Bekämpfung der Klimakrise, auf die Beseitigung des Welthungers sowie auf die Beendigung von Kriegen – alles für die Menschheit existenzielle Anlässe, über eine neue Rolle der UNO und über radikale Reformen der UN-Charta ernsthaft nachzudenken und zu verhandeln. 

UN-Initiativen im letzten Moment? 

Und dennoch: Die berechtigte Forderung nach strukturellen Reformen der UN, um welche die globale Gemeinschaft nicht herum kommen wird, darf nicht davon ablenken, dass jetzt (!) Lösungen gefragt sind. In dieser Entwicklungsphase des Kriegs in der Ukraine, die in kurzer Zeit zu einem nuklear ausgetragenen Krieg eskalieren kann, ist der unmittelbare Einsatz der UN gefragt, um den eskalierenden Krieg in einem ersten Schritt zunächst einzufrieren. [23] 

Der Vorschlag des mexikanischen Außenministers,  Marcelo Ebrard Casaubon, vorgebracht auf der 77. UN-Vollversammlung, enthält eine Chance, diesen Krieg zu beenden. Casaubon schlug vor, dass UN-Generalsekretär António Guterres aufgrund der Lähmung des UN-Sicherheitsrats zusammen mit hochrangigen internationalen Persönlichkeiten, wie z.B. dem indischen Premierminister Narendra Modi und Papst Franziskus, eine Kommission bildet, die mit den Regierungsspitzen der Ukraine und der Russischen Föderation verhandelt. Mexiko sei bereit, einen diplomatischen Kanal zu den Konfliktparteien zu öffnen, um diese Verhandlungen zu ermöglichen. [24] 

Dem mexikanischen Vorschlag wäre aus meiner Sicht hinzuzufügen, dass in diese Verhandlungskommission dringend auch ein hochrangiger Vertreter der VR China hineingehört. Dies müsste der chinesische Staatspräsident Xi Jinping oder der chinesische Außenminister sein, um zu gewährleisten, dass die russische Führung die Folgen einer weiteren Eskalation auch für das Verhältnis zu China mit bedenkt. Das Verhandlungsgewicht der VR China dürfte für einen Erfolg der Kommission entscheidend sein. 
Des Weiteren ist m.E. die Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Helga Maria Schmid (Österreich) in die Verhandlungskommission aufzunehmen, die 57 Mitgliedsstaaten und 11 Partnerstaaten repräsentiert und eine hohe Legitimation für eine Interessenabwägung zwischen den Kriegsparteien hat. 

Inzwischen ist der Krieg in der Ukraine in eine weitere Eskalationsstufe eingetreten. Russland hat vier eingenommene ostukrainische Gebiete in die russische Föderation eingegliedert, also völkerrechtswidrig annektiert. Gleichzeitig erklärte Putin, dass diese annektierten Gebiete bei zukünftigen ukrainischen Angriffen nun unter dem atomaren Schutzschirm Russlands stünden (Putin: „Dies ist kein Bluff!“). [25] Das Damokles-Schwert eines Nuklearkriegs schwebt über Europa: Was wird passieren, wenn das ukrainische Militär die russischen Streitkräfte auf den vier annektierten ostukrainischen Provinzen angreift? Auch Angriffe auf die kritische Infrastruktur nehmen zu. Die Sprengung der beiden Nordstream-Pipelines ist ein Ausdruck hiervon. Der mehrfache Beschuss des größten europäischen Kernkraftwerks gehört ebenfalls hierzu. Ein Super-GAU im AKW Saporischschja würde Tschernobyl in seiner destruktiven Wirkung deutlich übertreffen. Umso wichtiger wäre ein solcher Vorstoß im Sinne des mexikanischen Vorschlags unter Führung des UN-Generalsekretärs, den Krieg in der Ukraine zunächst zu deeskalieren und anschließend im anfangs beschriebenen Sinne zu beenden. 

 

 (Der Beitrag ist in einer früheren Version in der Zeitschrift ‚Telepolis‘ erschienen und stellt eine weiterentwickelte und aktualisierte Fassung dar. Quelle:  https://www.heise.de/tp/features/UNO-und-Ukraine-Totalversagen-oder-Erfolg-der-kleinen-Schritte-7273618.html, 25.9.2022, entnommen am 30.9.2022.)

 

Anmerkungen:                                                                       


[1] Dies entspricht zusammen gefasst den Schritten des italienischen Friedensplans vom Frühjahr. Vgl. ausführlicher zu den verschiedenen Stufen des italienischen Friedensplans bei Moegling, Klaus (2022): Russlands Krieg gegen die Ukraine: Vier Schritte nur zum Frieden? In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine-Vier-Schritte-nur-zum-Frieden-7132665.html?seite=2, 6.6.2022, 6.6.2022.
[2]  https://www.sueddeutsche.de/politik/international-krieg-gegen-die-ukraine-so-ist-die-lage-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220922-99-853202, 22.9.2022, 2.10.2022.
[3] https://unric.org/de/generalversammlung-verurteilt-russlands-ueberfall-mit-grosser-mehrheit-nur-fuenf-gegenstimmen/, 2.3.2022, 14.9.2022.
[4] Dies gilt auch für eine Dringlichkeitssitzung der UNO-Generalversammlung im Sinne des ‚Uniting for Peace‘, deren Beschlüsse einen durchaus symbolischen Wert, aber letztlich auch nur einen Empfehlungscharakter haben.
[5] Vgl. zur weitergehenden Vorstellung und Diskussion von UN-Reformmaßnahmen z.B. John Trent/Laura Schnurr (2021): Renaissance der Vereinten Nationen. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich; vgl. insbesondere zur Forderung nach einem demokratisch gewählten UN-Parlament mit umfassenderen Vollmachten sowie der Reform des UN-Sicherheitsrats Leinen, Jo/ Bummel, Andreas (2017): Das demokratische Weltparlament. Bonn: Dietz-Verlag. Zumach, Andreas (2021): Reform oder Blockade. Welche Zukunft hat die UNO? Zürich: Rotpunktverlag und Moegling, Klaus (2020): Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. Auf Englisch die internationale Ausgabe (2022, frei lesbar): https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
[6] Vgl. zur Konzeption einer UN-Weltpolizei bei ‚Sicherheit neu denken‘: Turning the Perspective. Overcoming Helplessness. Rethinking Security Report 2022. https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/269297/rethinking-security-report-2022-turning-the-perspective.pdf, 18.2.2022, 14.9.2022.
[7] Vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/internationale-organisationen/uno/05-reform-sicherheitsrat/205630, 14.1.2022, 14.9.2022.
[8] Vgl. https://unric.org/de/070222-guterres/, 7.2.2022, 14.9.2022.
[9] Vgl. die internationale Kampagne für ein demokratische UN-Parlament: https://www.unpacampaign.org/de/, o.D., 14.9.2022.
[10] https://www.sueddeutsche.de/politik/selenskyj-un-sicherheitsrat-ukraine-1.5561576, 5.4.2022, 21.9.2022.
[11] https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-09/antonio-guterres-uno-ukraine-russland/komplettansicht, 19.9.2022, 21.9.2022.
[12] Vgl. https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-07/ukraine-russland-und-un-vereinbaren-ausfuhr-ukrainischen-getreides, 22.7.2022, 14.9.2022.
[13] https://www.n-tv.de/politik/UN-Generalsekretaer-Guterres-Getreide-Export-nur-Teil-der-Loesung-russischer-Duenger-entscheidend-article23537746.html, 22.8.2022, 14.9.2022.
[14] Vgl. https://unric.org/de/ukraine22072022/
[15] Vgl. https://www.stern.de/news/russland-und-die-ukraine-machen-sich-erneut-gegenseitig-fuer-akw-beschuss-verantwortlich-32659302.html, 24.8.2022, 14.9.2022.
[16] https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-atomkraftwerk-saporischschja-iaea-bericht-1.5652334, 6.9.2022, 14.9.2022.
[17] Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Fredy Gsteiger (2022), der zu einer ähnlichen Situationsbeschreibung und Einschätzung kommt: https://www.srf.ch/news/international/vermittlung-im-krieg-versagt-die-uno-in-der-ukraine, 25.7.2022, 14.9.2022.
[18] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/un-vollversammlung-161.html, 20.9.2022, 20.9.2022.
[19] Vgl. Kliver, Christian (2022): Russlands Krieg in der Ukraine. UN sehen Kriegsverbrechen bestätigt – auch ohne Gerichtsurteil. In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-in-der-Ukraine-UN-sehen-Kriegsverbrechen-bestaetigt-auch-ohne-Gerichtsurteil-7275551.html, 26.9.2022, 26.9.2022.[20] Vgl. hierzu den Artikel von Andreas Zumach in: https://www.infosperber.ch/politik/welt/uno-cassis-und-scholz-hinterlassen-wenig-glaubhaften-eindruck/, 22.9.2022, 22.9.2022.
[21] Vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg): Vereinte Nationen, Heft 5/1966, 159ff., in: https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_1966/Heft_5_1966/05_Beitrag_5-1966.pdf, 1.10.1966, 28.9.2022.
[22] Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/vereinte-nationen-kofi-annan-nennt-irak-krieg-illegal-1176615.html, 16.9.2004, 28.9.2022.
[23] Die Forderung nach einem ‚Einfrieren‘ des Kriegs in der Ukraine vertritt insbesondere der Politikwissenschaftler Johannes Varwick (Universität Halle-Wittenberg), der hierbei auch der Auffassung ist, obwohl völkerrechtlich die Lage eindeutig sei, müsse man zunächst einige Tatsachen des Status Quo akzeptieren, um eine nukleare Eskalation zu verhindern. Zumal man nicht mit Maximalforderungen an Russland, wie z.B. die Rückgabe der Krim, einen Verhandlungserfolg erzielen kann.  Anderes wäre dann nachzuverhandeln. Vgl. u.a. Varwick, Johannes (im Interview mit Alexander Graf Lambsdorff) (2022): Sollte Deutschland auch die Rückeroberung der Krim unterstützen?, Interviewer: Jochen Bitter und Martin Macowecz, in: Die Zeit, 29.9.2022, 12.

[24] Vgl. zum mexikanischen Vermittlungsvorschlag: https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/mexiko-schl%C3%A4gt-die-einrichtung-einer-hochrangigen-diplomatischen-delegation-vor-die-zwischen-russland-und-der-ukraine-vermitteln-soll/ar-AA1294kT , 25.9.2022, 26.9.2022.
[25] Vgl. zur Drohung Putins, Atomwaffen einzusetzen: https://www.fr.de/politik/drohung-usa-ukraine-krieg-putin-russland-atomwaffen-atombombe-nuklear-zr-91817393.html, 30.9.2022, 30.9.2022.





actual blog 18

(See the German translation of this essay below the English version. Die deutschsprachige Version dieses Blogs findet sich nach der englischen Fassung.)

 

The EU should decide: Military superpower or international peace mediator?

by Klaus Moegling


9/8/2022


The EU is at a security policy crossroads. The war in Ukraine seems to be forcing it into a long-term rearmament phase. But how inevitable is this rearmament dynamic really and what security policy alternatives would there be?
                                 
It was from Europe that both the Enlightenment and colonization began. Europe is the place where nations fought each other most fiercely in dozens of bloody wars - a historical fact whose terrible experiences, however, were also the precondition for the attempt to cooperate peacefully with each other in large parts of Europe and to form transnational structures in the form of the European Union.
Wouldn't Europe as a continent and as a European Union therefore be particularly suited to advancing the cause of peace? The historical role played by many European states in the then CSCE negotiations initially gives grounds for optimism that Europe would in principle be able to contribute to global détente. [1]

It has not yet been decided whether the Nobel Peace Prize for the EU was justified.

In 2012, the EU received the Nobel Peace Prize for its peacekeeping role and multilateral mediation activities. However, the question has not yet been decided whether this Nobel Peace Prize was rightly awarded. The decisive factor in clarifying this question is likely to be the extent to which the part of Europe represented in the EU will militarize itself in the future and attempt to use primarily military force to assert and secure its global political and economic interests.
Political scientist Werner Ruf makes the connection between neoliberalization and militarization of the EU. He analyzes the relationship between the neoliberally justified opening of markets in North African states, such as Tunisia or Morocco, and the creeping expropriation of the inhabitants caused by the elimination of protective tariffs and European market invasion. This expropriation was accompanied by the reduction of the state's ability to control the economy in these countries, the migration movements significantly caused by the extreme lowering of living standards, and the associated construction of Fortress Europe. He summarizes his analysis as follows:
"The opening of markets provides the building blocks for the transformation of Europe into a fortress; the conjured common values turn into an increasingly transparent whitewash, which is less and less able to conceal the double standards of the human rights discourse and the increasing militarization of the former peace project."
(Ruf 2018, 101) [2]
In view of this problematic development, it would be necessary to actually give validity to Europe's original idea of peace, which was ultimately the ethical foundation in the normative self-claim of the founding phase of European unification; it would also be necessary to follow up the awarding of the Nobel Peace Prize with a reality of peace-building measures.
This means that the OSCE negotiations, which have been deadlocked since 2010 at the latest, would have to be revived and would have to give themselves a binding agenda. This would be the appropriate institutional framework in which the EU, among others, would have to become involved in peacemaking. Here, a peacemaking negotiation tradition can be taken up, which could become an essential component of a positive European identity in global civic consciousness.
But the Russian aggression against the Ukrainian state [3] makes this a distant possibility. Certainly, the EU cannot stand by and watch the destruction of a state in its immediate neighborhood, the systematic shelling of civilian objects, the destruction of infrastructure and the killing of thousands of people. It is necessary under international law and morally justified for the EU states to support Ukraine, including militarily. But the support of Ukraine in the resistance against an armed Russian aggressor would have to be accompanied at the same time by a united negotiating power of the EU and corresponding offers of negotiations to the actors involved in the war. A ceasefire and the joint development of a peace plan or a European security order is only possible by a combination of comprehensive support for the resisting Ukraine in the sense of the UN Charter and constantly offered negotiation options by the EU to both sides. [4]

Security architecture from Lisbon to Vladivostok?

Starting points for future OSCE negotiations could initially be the abandonment of arms exports to areas of tension. The larger project then certainly lies in the disarmament of the States Parties through the (re)installation of appropriate disarmament treaties - also in negotiation with states outside the OSCE. Of course, this also includes ratification of the UN Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons as part of an international ratification movement.
This would also be urgently necessary: The U.S. is planning the largest arms budget in its existence. Russia is announcing a new program for uranium-fueled nuclear missiles that can reach anywhere on Earth and bypass national defenses. China is investing a large portion of its national budget needed for environmental and social measures in armaments. Saudi Arabia is investing its oil billions in weapons technology in its dispute with Iran and its proxy war in Yemen. The USA and Russia have cancelled part of their disarmament treaties. France and GB are working on modernizing their nuclear weapons.Germany plans to acquire fighter jets capable of carrying nuclear weapons.
The preconditions and developments in the war in Ukraine in particular demonstrate the problem of the nuclear threat in a conventionally driven war. The Russian government is openly threatening to use nuclear weapons by demonstratively increasing the readiness of its nuclear weapons in the context of the war in Ukraine. At the beginning of the war, Putin threatens that anyone - including then Europe - who interferes and threatens Russia will experience something they have never experienced historically. [5] The nuclear danger, however, appears in the Ukraine war in a double perspective: as a threat from nuclear weapons and as a threat to nuclear power plants, which become a weapon in war. [6]
Austrian peace researcher Thomas Roithner notes that Europe, invested by the Treaty of Lisbon (2007), is trying to join the ranks of political powers that are arming up, and develops a proposal for a civilian core Europe in opposition to this (Roithner 2020, 213f.). The German political scientist Werner Ruf also assumes that the EU is on its way to becoming a military 'global player' (Ruf 2020) [7] and calls for a return to security policy in the sense of diplomatic peacekeeping and supportive development policy.
He goes even further, calling for a security architecture from Lisbon to Vladivostok. This vision is also used by the former Russian president and current vice head of the Russian Security Council, Dmitry Medvedev, in reference to a national-chauvinist view from the Russian perspective. He compares Ukraine to the Third Reich. The collapse of this Nazi system could be the liberation for an "open Eurasia from Lisbon to Vladivostok." [8]  At the same time, Putin speaks of the concept of the Russian world, the "Russki Mir," which must be protected internationally. [9]  Here it becomes clear that the demand for a Eurasian peace area can only be attempted if this is actually thought of transnationally and developed independently of national-chauvinistic and folkish deformation.

What is the EU going to do now? 

Will the EU also continue to arm itself or be a peacemaking power that uses its political and economic power diplomatically to keep the peace? How will a state, such as the economically strong Federal Republic of Germany, contribute here - as a representative of diplomacy and multilateralism or as a representative of a militarization of the EU? [10]  Will the EU, in confrontation with the global superpowers (USA, Russia, China), advocate that nuclear warheads and launchers be reduced to the point of a complete ban on nuclear weapons, that anti-personnel mines be banned, that chemical and biological weapons continue to be destroyed, and that the conventional arms industry be converted into a peace industry? Will the EU ban the export of weapons to areas of tension or continue to pursue it as before? Will the EU insist that states, groups, and companies that contributed to environmental destruction through the use of weapons technology be required to fund damage repair? Or will the EU classify the arms industry as sustainable as part of its taxonomy and once again pervert the concept of sustainability?
Will the EU abandon its CFSP and PESCO goal [11] of increasing national defense to 2% of gross domestic product in favor of a higher budget for international development tasks? Will dismantling independent national military structures in favor of European defense efforts lead to the aggressive militarization of the EU or to a substantial peace dividend, the proceeds of which can be used to address global problems? Or will the EU use the Russian invasion of Ukraine for a long-term rearmament at the expense of development support?
Can the financing of the "Future Combat Air System" (FCAS) with a combination of stealth bombers capable of carrying nuclear weapons, accompanying swarms of drones, and digitally networked combat equipment such as new-generation warships and tanks still be prevented, which will bring billions in profits to the arms industry and tie Europe's future resources to military destructiveness with this gigantic destruction program?
The positive answer to these questions will determine whether the award of the Nobel Peace Prize to the European Union was premature or actually justified.
In any case, the European Union still offers a great opportunity to overcome nation-state borders step by step - despite all setbacks - in favor of a transnational regionalization, and thus, on the one hand, to continue to defuse the nation-state or national-chauvinist war ideologies within Europe and, on the other hand, to find a transnational and supraregional perspective for action with regard to a global security policy.
A further rearmament and militarization of the EU - even in the context of the Ukraine war - should not be seen as imperative. No other transnational association of states in the global context has such a history of common understanding, of turning away from interstate aggression while at the same time developing common democratic institutions and procedures as the EU. The historical memory of the EU states certainly plays a central role here, as they have experienced many times in the past centuries how destructive military aggression has been to the coexistence of European states.
Certainly, who will dominate will also play a role: The economic forces that profit from further armament, or the EU's economy, which is dependent on international trade and so on peaceful conditions.

European development perspectives and security concepts 

The EU will only be able to play its peace policy role effectively in the future if its structures develop further and could thus also serve as a model for the necessary changes within the UN system.
Furthermore, the developing institution of the European Parliament could be a model for a democratic world parliament, especially with regard to its electoral procedure and the distribution of seats - as the Campaign for a Democratic Parliament at the UN (UNPA Campaign) already envisages. [12]
If the principle of unanimity in the Council of the European Union were then also abandoned, a model for a global governance concept could also be developed here within the framework of the UN. There, it is particularly important to overcome the veto power of the permanent members of the UN Security Council, which is responsible, among other things, for the fact that an aggressor like the Russian Federation can veto a condemnation of this aggression and peace-making measures in Ukraine.
The peace policy alliance 'Rethinking Security' is developing a concept consisting of five pillars of security policy as an alternative to the EU's military build-up until 2040: equitable foreign relations, strengthening sustainable development, expanding the international security architecture, resilient democracy and arms conversion. [13]
With a focus on Europe, the following central conceptual building blocks can be identified from the five pillars of security policy of the peace initiative 'Rethinking Security':
- The UN Security Council consists of representatives of continental regional security councils, such as a European Security Council.
- The OSCE is developing into the key security policy body in the European area.
- There is a priority of civilian measures of war prevention and security policy over world police or even military measures.
- NATO accepts expenditures for civil measures of conflict regulation and development cooperation. There is a gradual transformation of NATO into an organ of civil security policy.
- A development plan for the Middle East and Africa is drawn up under the auspices of the UN. The peace and security architecture in these regions will also be strengthened.
- Global peacekeeping operations will be carried out with world police resources only when civil conflict mediation is no longer helpful.
- Training programs for populations in resilient security policies will be carried out. This involves building the capacity for civil resistance in the event of autocratic self-empowerment or an attack.
- A civil conflict culture is built up in states and regions. For example, national and international mediation centers are being established;
- There is an establishment and expansion of civil peacekeeping and unarmed civil peacekeeping.
- The arms industry is largely being transformed into a peace industry, and national militaries are being transformed into technical assistance organizations. [14] 
These are conceptual elements of a prioritized civilian European security policy, which are very close to the views represented here and which should be supported in the long term.
However, it would be an expression of political naiveté to believe that a transnational organization such as the EU should currently unilaterally disarm in the face of Russian aggression as well as other militarily highly armed states and focus only on civilian peacekeeping. Nevertheless, further armament in the EU must be avoided, as financial resources must be used for other priority goals, such as fighting the climate crisis and against the impoverishment of part of the EU population.  Thus, in the course of a desirable reduction of European military expenditures, this means an increase in the efforts of European coordination and central control of European military policy. Overcoming the largely isolated practice of national armaments and military policy would bring significant synergy effects and substantial savings without having to rearm further.
In this context, it is important to focus on the need to become more independent of the U.S., which in the past has also been proven to have committed considerable violations of human rights internationally (e.g., the use of Napalm and Agent Orange in Vietnam or the second Iraq war). Also, the national-chauvinistic 'America first' of the USA is certainly contrary to the peace policy intentions of 'Rethinking Security'. It is also not certain whether the largely formal democratic structures in the USA, at least at present, can be maintained in the future. The re-election of Trump or a similarly minded Republican would be a disaster for the U.S. political system, which is in need of reform even without this. But the EU can no longer depend on a great power that is increasingly becoming an insecure and weak democracy.
Accordingly, the EU would also need to be more independent in terms of security policy vis-à-vis the U.S.-dominated NATO in the future - unless, after a democratic renewal of Russia, NATO once again draws closer to Russia.

Conclusion 

European security policy can lead to a peace policy that is globally networked and to a democratically controlled global security architecture if it gets rid of too close ties to the USA and NATO, frees itself from their neoliberal regime, gets out of the grip of the military-economic complex, also refers to the elimination of social disparities within the EU and more strongly to development cooperation with the EU's neighboring states.
The European Union can therefore become an important step towards a peace policy that is also globally networked and a democratically controlled global security architecture if it frees itself from its neo-liberal regime, frees itself from the grip of the military-economic complex, and also relates to the elimination of social disparities within the EU and likewise to the development of the EU's neighboring states. There, it could contribute to the stabilization of social conditions in the interest of the majority of the population there in the sense of a policy oriented toward social balance, economic progress, peaceful coexistence, distributive justice and sustainability.
EU security policy should not be understood as a rearmament program and war policy, but as a peace policy based on multilateral understanding, diplomacy and negotiation skills.
It is not justifiable to keep peace (still) within the EU, but to export weapons to the outside world and support questionable war operations, to pretend to be a social union and ultimately end up with a military union. [15]
I would have liked to continue formulating here: In this context, Russia should not be seen as an enemy in the context of an intensifying international confrontation, but, as long as the possibility still exists, as a negotiating partner of the EU with whom it is necessary to cooperate diplomatically for the further development of both regions in terms of security policy, economy, culture and ecology.
However, this possibility is currently restricted due to Russian aggression in Ukraine. Nevertheless, the cooperative perspective in the sense of a security policy based on diplomacy and treaties as well as political and economic cooperation should guide EU policy at least in the medium term. A continuous increase in arms spending would be extremely counterproductive in this sense.


Notes:

[1] This blog represents a revised version of my contribution to the online journal Telepolis: https://www.heise.de/tp/features/Zukunft-der-EU-Militaerische-Grossmacht-oder-globale-Friedenskraft-7253544.html, 5.9.2022, 7.9.2022. Some thoughts are taken from chapter 5.4 of my book ‚Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.‘  (Editor Barbara Budrich, 3rd expanded edition 2020). English version in 2022: 'Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible' (4th edition) in open access at https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
[2] Ruf, Werner (2018): Die vielen Gesichter der EU: Vom Friedenprojekt zur Festung Europa. In: Eis, Andreas/Moulin-Doos, Claire (Hrsg.) (2018): Kritische politische Europabildung – Die Vielfachkrise Europas als kollektive Lerngelegenheit. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich, 91-105.
[3] Certainly, the Russian invasion of Ukraine has a history. But the decision of the Eastern European states to apply for NATO membership is a security policy decision of autonomous states and cannot serve as a justification for Russia's attack. No state should be regarded merely as a 'front yard' of its own geostrategic interests. This applies both to Russia and, of course, also to the United States.
[4] Cf. on the necessary peace policy measures, among others, my contribution in Telepolis: Russlands Krieg gegen die Ukraine: Vier Schritte nur zum Frieden? In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine-Vier-Schritte-nur-zum-Frieden-7132665.html?seite=2, 6.6.2022, 6.6.2022.
[5] See, e.g., https://www.tagesspiegel.de/politik/putins-rede-kurz-vor-dem-angriff-wer-sich-einmischt-muss-mit-vergeltung-rechnen/28099766.html, 2/24/2022, 9/1/2022.
[6] Cf. the essay by Bernhard Trautvetter in: https://www.heise.de/tp/features/Wie-weit-ist-es-von-der-Zeitenwende-zum-Zeitenende-7250400.html, 9/1/2022, 9/1/2022, and the article by John Mearsheimer in: https://www.heise.de/tp/features/Brinkmanship-in-der-Ukraine-7246879.html?seite=all, 8/30/2022, 9/1/2022.
[7] Ruf, Werner (2020): Vom Underdog zum Global Player. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne. Köln: PapyRossa Verlag.     
[8] Cf. reference to Medvedev statement in https://www.welt.de/politik/ausland/article238010209/Medwedew-will-offenes-Eurasien-von-Lissabon-bis-Wladiwostok.html, 5/4/2022, 9/1/2022.
[9] Cf. https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/neue-doktrin-erlassen-was-russkij-mir-fuer-putins-aussenpolitik-bedeutet_id_141788633.html, 6.9.2022, 6.9.2022.
[10] Werner Ruf already raises clear concerns about Germany's peacemaking role, as armament and the expansion of economic and political dominance within the EU framework and arms exports to international areas of tension can be observed (Ruf 2020).
[11] CFSP = Common Foreign and Security Policy (of the EU), PESCO = Permanent Structured Cooperation (primarily refers to joint EU military projects).
[12] Cf. Leinen, Jo/Bummel, Andreas (2017): Das demokratische Weltparlament. J.H.W. Dietz-Verlag: Bonn.
[13] Cf. Becker, Ralf/ Maaß, Stefan/Schneider-Harpprecht, Christoph (Hrsg) (2019): Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik – Ein Szenario bis zum Jahr 2040. In: https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/183983 , o.D., 30.4.2021, 33 ff.
[14] Ibid.
[15] For more detail, see: Roithner (2020).




aktueller Blog 18

Die EU sollte sich entscheiden: Militärische Großmacht oder internationale Friedensvermittlerin. 

 

von Klaus Moegling


8.9.2022

(Radio: Zu diesem Blog gibt es ein etwa 11 Minuten langes Interview mit Klaus Moegling im Audio-Portal Freier Radios in Deutschland, geführt von Andrasch Neunert (Radio Loracmuc, München) , frei zugänglich unter https://www.freie-radios.net/117413)

 
Die EU befindet sich am sicherheitspolitischen Scheideweg. Der Krieg in der Ukraine scheint sie in eine langfristige Aufrüstungsphase zu zwingen. Aber wie zwangsläufig ist diese Aufrüstungsdynamik wirklich und welche sicherheitspolitischen Alternativen gäbe es?
 
Von Europa ausgehend nahm sowohl die Aufklärung als auch die Kolonialisierung ihren Anfang. Europa ist der Ort, an dem sich Nationen in Dutzenden blutiger Kriege auf das Heftigste bekämpft haben – eine historische Tatsache, deren schreckliche Erfahrungen aber auch die Voraussetzung für den Versuch waren, miteinander in weiten Teilen Europas friedlich zusammenzuarbeiten und transnationale Strukturen in Form der Europäischen Union zu bilden.
Wäre daher Europa als Kontinent und als Europäische Union nicht besonders geeignet, die Friedenssache voranzubringen? Die historische Rolle vieler europäischer Staaten im Rahmen der damaligen KSZE-Verhandlungen stimmt zunächst optimistisch, dass Europa grundsätzlich dazu in der Lage wäre, zur weltweiten Entspannung beizutragen. [1]
 

Es ist noch nicht entschieden, ob der Friedensnobelpreis für die EU berechtigt war. 

Die EU erhielt 2012 den Friedensnobelpreis für ihre friedenssichernde Funktion und ihre multilateralen Vermittlungsaktivitäten. Die Frage ist allerdings noch nicht entschieden, ob dieser Friedensnobelpreis zu Recht vergeben wurde. Entscheidend bei der Klärung dieser Frage dürfte sein, inwieweit sich der Teil Europas, der in der EU repräsentiert ist, in Zukunft militarisieren und versuchen wird, ihre globalen politischen und ökonomischen Interessen primär mit militärischer Gewalt durchzusetzen und zu sichern.
Der Politikwissenschaftler Werner Ruf stellt die Verbindung zwischen Neoliberalisierung und Militarisierung der EU her. Er analysiert die Beziehung zwischen der auch von der EU betriebenen neoliberalen Öffnung der Märkte in den nordafrikanischen Staaten, wie z.B. Tunesien oder Marokko, und der durch den Wegfall von Schutzzöllen und europäischer Marktinvasion bedingten schleichenden Enteignung der Bewohner. Diese Enteignung ging einher mit der Verringerung der staatlichen Steuerungsfähigkeit in diesen Ländern, den durch die extreme Absenkung des Lebensstandards maßgeblich bedingten Migrations- und Fluchtbewegungen und dem damit verbundenen Aufbau der Festung Europa. Er fasst seine Analyse wie folgt zusammen:
„Die Öffnung der Märkte liefert die Bausteine für die Transformation Europas zur Festung, die beschworenen gemeinsamen Werte geraten zu einer immer durchsichtigeren Tünche, die die Doppelstandards des Menschenrechtsdiskurses und die zunehmende Militarisierung des einstigen Friedensprojekts immer schlechter kaschieren kann.“
(Ruf 2018, 101) [2]
Angesichts dieser problematischen Entwicklung gelte es, der ursprünglichen Friedensidee Europas, die letztlich die ethische Fundierung im normativen Selbstanspruch der Gründungsphase der europäischen Vereinigung war, tatsächlich Geltung zu verschaffen und auch der Verleihung des Friedensnobelpreis eine Realität friedensschaffender Maßnahmen folgen zu lassen.
Dies hätte m.E. zunächst bedeutet, dass die seit spätestens 2010 festgefahrenen OSZE-Verhandlungen wieder belebt werden und sich eine verbindliche Agenda geben müssten. Dies wär der geeignete institutionelle Rahmen, in den sich u.a. die EU friedenssichernd einzubringen hätte. Hier hätte an eine friedensstiftende Verhandlungstradition angeknüpft werden können, die dann auch zu einem wesentlichen Bestandteil einer positiven europäischen Identität im weltbürgerlichen Bewusstsein werden könnte. Doch die russische Aggression gegen den ukrainischen Staat [3] lässt dies wohl in weite Ferne rücken. Sicherlich kann die EU nicht tatenlos zusehen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Staat zerstört, ein systematischer Beschuss ziviler Objekte, eine Zerstörung der Infrastruktur erfolgt sowie Tausende Menschen getötet werden. Es ist völkerrechtlich notwendig und moralisch gerechtfertigt, dass die EU-Staaten die Ukraine u.a. auch militärisch unterstützen. Doch die Unterstützung der Ukraine im Widerstand gegen einen bewaffneten russischen Aggressor müsste gleichzeitig von einer geschlossenen Verhandlungsmacht der EU und entsprechenden Verhandlungsangeboten an die am Krieg beteiligten Akteure begleitet sein. Nur über die Verbindung von einer umfassenden Unterstützung der sich wehrenden Ukraine im Sinne der UN-Charta und beständig angebotenen Verhandlungsoptionen durch die EU an beide Seiten ist ein Waffenstillstand und die gemeinsame Entwicklung eines Friedensplans bzw. einer europäischen Sicherheitsordnung möglich. [4]
 

Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok? 

Erst nach der Beendigung des Ukraine-Kriegs könnten Ansatzpunkte für kommende OSZE-Verhandlungen zunächst im Verbot von Waffenexporten in Spannungsgebiete liegen – abgesehen von der Unterstützung angegriffener Staaten. Das größere Projekt aber liegt dann sicherlich in der Abrüstung der Vertragsstaaten über die (Re)Installierung entsprechender Abrüstungsverträge – auch in Verhandlung mit Staaten außerhalb der OSZE. Natürlich gehört hierzu auch die Ratifizierung des von ICAN voran getriebenen UN-Verbotsvertrags für Nuklearwaffen im Rahmen einer internationalen Ratifizierungsbewegung.
Dies wäre auch dringend notwendig: Die USA planen den größten Rüstungsetat seit ihrem Bestehen. Russland kündigt ein neues Programm für urangetriebene Atomraketen an, die jeden Ort auf der Erde erreichen und nationale Verteidigungsmaßnahmen umgehen können. China investiert einen großen Teil seines für ökologische und soziale Maßnahmen erforderlichen Staatshaushalts in die Rüstung. Saudi-Arabien investiert seine Ölmilliarden in der Auseinandersetzung mit dem Iran und dem Stellvertreterkrieg im Jemen in Waffentechnik. Die USA und Russland haben einen Teil ihrer nuklearen Abrüstungsverträge aufgekündigt. Frankreich und GB arbeiten an der Modernisierung ihrer Nuklearwaffen. Deutschland plant Atomwaffen taugliche Kampfjets anzuschaffen.
Gerade die Voraussetzungen und die Entwicklung im Krieg in der Ukraine zeigen die Problematik der nuklearen Bedrohung bei einem konventionell geführten Krieg. Unverhohlen droht die russische Regierung mit dem Einsatz von Atomwaffen, indem sie die Einsatzbereitschaft ihrer Nuklearwaffen im Zuge des Kriegs in der Ukraine demonstrativ erhöht hat. Putin droht zu Beginn des Krieges offen damit, dass jeder – so auch dann Europa – der sich einmische und Russland bedrohe, etwas erleben werde, dass er historisch noch nie erlebt habe. [5] Die nukleare Gefahr zeigt sich allerdings im Ukraine-Krieg in doppelter Perspektive: Als Bedrohung durch Atomwaffen und als Gefährdung der Kernkraftwerke, die zur Waffe im Krieg werden. [6]
Der österreichische Friedensforscher Thomas Roithner stellt fest, dass sich Europa, angelegt durch den Vertrag von Lissabon (2007) in die Reihe der politischen Mächte einzuordnen versucht, die hochrüsten, und entwickelt hier gegen gewandt einen Vorschlag für ein ziviles Kerneuropa (Roithner 2020, 213f.). Auch der deutsche Politikwissenschaftler Werner Ruf geht davon aus, dass die EU sich auf dem Weg zu einem militärischen ‚Global Player‘ begeben möchte (Ruf 2020) [7] und fordert eine sicherheitspolitische Rückkehr im Sinne von diplomatischer Friedenssicherung und unterstützender Entwicklungspolitik ein. Er fordert noch weitergehender sogar eine Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok. Diese Vision wendet der ehemalige russische Präsident und aktuelle stellvertretende Chef des russischen Sicherheitsrat Dmitri Medwedew ebenfalls an und bezieht sich hierbei auf eine nationalchauvinistische Sichtweise aus russischer Perspektive. Er vergleicht die Ukraine mit dem Dritten Reich. Der Zusammenbruch dieses nazistischen Systems könne die Befreiung für ein „offenes Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“ sein. [8] Gleichzeitig spricht Putin vom Konzept der russischen Welt, der „Russki Mir“, die es international zu schützen gelte. [9] Hier wird deutlich, dass die Forderung nach einem eurasischen Friedensraum nur anzustreben ist, wenn dies tatsächlich transnational gedacht und unabhängig von nationalchauvinistischer und völkischer Verformung entwickelt wird.
 

Wie wird sich die EU nun verhalten? 

Wird Europa ebenfalls weiter hochrüsten oder eine friedensstiftende Macht sein, die ihre politische und ökonomische Macht auf diplomatischem Wege friedensbewahrend einsetzt? Wie wird sich ein Staat, wie z.B. die ökonomisch starke Bundesrepublik Deutschland, hier einbringen – als Vertreter von Diplomatie und Multilateralität oder als Vertreter einer Militarisierung der EU? [10] Wird die EU in Auseinandersetzung mit den globalen Großmächten (USA, Russland, China) sich dafür einsetzen, dass Atomsprengköpfe und Trägerraketen verringert werden bis hin zum völligen Verbot nuklearer Waffen, Tellerminen verboten, chemische und biologische Waffen weiterhin vernichtet werden, die konventionelle Rüstungsindustrie sich in eine Friedensindustrie konvertiert? Wird die EU den Export von Waffen in Spannungsgebiete verbieten oder ihn weiter wie bisher betreiben? Wird die EU darauf bestehen, dass Staaten, Gruppierungen und Unternehmen, die zur Umweltzerstörung durch den Einsatz von Waffentechnik beitrugen, zur Finanzierung der Schadensbeseitigung herangezogen werden? Oder wird die EU die Rüstungsindustrie im Rahmen ihrer Taxonomie als nachhaltig einstufen und den Nachhaltigkeitsbegriff erneut pervertieren?
Wird die EU ihre im Rahmen von GASP und PESCO [11] angestrebte Erhöhung der nationalen Wehretats auf einen Anteil von 2% am Bruttoinlandsprodukt zugunsten eines höheren Etats für internationale Entwicklungsaufgaben aufgeben? Wird ein Abbau eigenständiger nationaler militärischer Strukturen zugunsten europäischer Verteidigungsbemühungen zur aggressiven Militarisierung der EU oder zu einer erheblichen Friedensdividende führen, mit deren Erlös die globalen Probleme angegangen werden können? Oder wird die EU den russischen Überfall auf die Ukraine zu einer langfristig angelegten Aufrüstung nutzen zulasten der Entwicklungsförderung? 
Lässt sich die Finanzierung des „Future Combat Air System“ (FCAS) mit einer Kombination aus Atomwaffen tauglichen Tarnkappenbombern, begleitenden Drohnenschwärmen sowie digital vernetzten Kampfmitteln wie Kriegsschiffen und Panzern neuerer Generation noch verhindern, welches der Rüstungsindustrie Milliardengewinne beschert und die Zukunftsressourcen Europas mit diesem gigantischen Zerstörungsprogramm an militärische Destruktivität bindet? 
Von der Beantwortung dieser Fragen wird die Beurteilung abhängen, ob die Verleihung des Friedensnobelpreises für die Europäische Union vorschnell oder tatsächlich berechtigt gewesen war. 
Auf jeden Fall liegt in der Europäischen Union immer noch eine große Chance begründet, nationalstaatliche Grenzen – trotz aller Rückschläge – Schritt für Schritt zugunsten einer transnationalen Regionalisierung zu überwinden, damit einerseits die nationalstaatlichen bzw. nationalchauvinistisch begründeten Kriegsideologien innerhalb Europas weiterhin zu entschärfen und andererseits zu einer transnationalen und überregionalen Handlungsperspektive hinsichtlich einer globalen Sicherheitspolitik zu finden. Eine weitere Aufrüstung und Militarisierung der EU ist – auch im Zuge des Ukraine-Kriegs – nicht als zwingend anzusehen. Kein anderer transnationaler Staatenverbund im globalen Kontext weist eine derartige Historie gemeinsamer Verständigung, einer Abkehr von zwischenstaatlicher Aggression bei gleichzeitiger Entwicklung gemeinsamer demokratischer Institutionen und Verfahren wie die EU auf. Hierbei spielt sicherlich das historische Gedächtnis der EU-Staaten eine zentrale Rolle, die in den letzten Jahrhunderten vielfach erlebt haben, wie vernichtend sich militärische Aggression auf das Zusammenleben der europäischen Staaten auswirkte. 
Sicherlich wird auch eine Rolle spielen, wer sich durchsetzen wird: Die Wirtschaftskräfte, die von einer weiteren Aufrüstung profitieren, oder die auf den internationalen Handel und damit auf friedliche Verhältnisse angewiesene Ökonomie der EU.
 

Europäische Entwicklungsperspektiven und Sicherheitskonzepte 

Die EU wird ihre friedenspolitische Rolle zukünftig nur wirkungsvoll einnehmen können, wenn sich ihre Strukturen weiterentwickeln und damit auch Vorbild für die notwendigen Veränderungen im Rahmen der UN sein könnten.
Die sich weiter entwickelnde Institution des Europäischen Parlaments könnte zum Beispiel hinsichtlich ihres Wahlverfahrens und der Sitzverteilung ein Vorbild für ein demokratisches Weltparlament sein – so wie dies die Kampagne für ein demokratisches Parlament bei der UNO (UNPA-Kampagne) bereits vorsieht. [12] Wenn dann auch noch das Einstimmigkeitsprinzip im Rat der Europäischen Union aufgegeben würde, könnte auch hier ein Vorbild für ein globales Regierungskonzept im Rahmen der UN entwickelt werden. Dort gilt es insbesondere das Veto-Recht der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zu überwinden, das u.a. dafür verantwortlich ist, dass ein Aggressor wie die Russische Föderation sein Veto gegen eine Verurteilung dieser Aggression und gegen friedensschaffende Maßnahmen in der Ukraine einlegen kann.
Das friedenspolitische Bündnis ‚Sicherheit neu denken‘ entwickelt im Rahmen eines Positivszenarios bis zum Jahr 2040 alternativ zur militärischen Hochrüstung der EU ein Konzept, das aus fünf Säulen der Sicherheitspolitik besteht: Gerechte Außenbeziehungen, Stärkung der nachhaltigen Entwicklung, Ausbau der internationalen Sicherheitsarchitektur, resiliente Demokratie und Rüstungskonversion. [13] 
Es lassen sich mit dem Fokus auf Europa folgende zentrale Konzeptbausteine aus den fünf Säulen der Sicherheitspolitik der Friedensinitiative ‚Sicherheit neu denken‘ identifizieren: 

  • Der UN-Sicherheitsrat besteht aus Vertretern kontinentaler regionaler Sicherheitsräte, wie z.B. einem europäischen Sicherheitsrat.
  • Die OSZE entwickelt sich zum sicherheitspolitisches Schlüsselorgan im europäischen Raum.
  • Es besteht ein Vorrang ziviler Maßnahmen der Kriegsprävention und Sicherheitspolitik vor weltpolizeilichen oder gar militärischen Maßnahmen.
  • Die NATO akzeptiert Aufwendungen für zivile Maßnahmen der Konfliktregulierung und der Entwicklungszusammenarbeit. Es findet ein schrittweiser Umbau der NATO zu einem Organ ziviler Sicherheitspolitik statt.
  • Es wird ein Entwicklungsplan für den Nahen Osten und Afrika unter der Federführung der UN aufgestellt. Hierbei wird auch die Friedens- und Sicherheitsarchitektur in diesen Regionen gestärkt.
  • Es werden weltweite Friedenseinsätze mit weltpolizeilichen Mitteln nur dann durchgeführt, wenn zivile Konfliktvermittlung nicht mehr hilft.
  • Es werden Ausbildungsprogramme für die Bevölkerungen in resilienter Sicherheitspolitik durchgeführt. Hierdurch wird ein Aufbau der Fähigkeiten zu zivilem Widerstand im Falle autokratischer Selbstermächtigung oder eines Überfalls vorgenommen.
  • Es erfolgt ein Aufbau einer zivilen Konfliktkultur in Staaten und Regionen. Es werden z.B. nationale und internationale Mediationszentren aufgebaut;
  • Es wird ein Auf- und Ausbau des zivilen Friedensdienstes und unbewaffneter ziviler Friedenssicherung vorgenommen.
  • Die Rüstungsindustrie wird weitgehend in eine Friedenindustrie umgewandelt und es erfolgt eine Transformation nationalen Militärs in Technische Hilfswerke. [14]

Dies sind konzeptionelle Elemente einer prioritär zivilen europäischen Sicherheitspolitik, die den hier vertretenden Sichtweisen sehr nahe kommen und die es langfristig zu unterstützen gilt. 
Es wäre allerdings Ausdruck politischer Naivität zu glauben, dass eine transnationale Organisation wie die EU derzeit angesichts der russischen Aggression sowie weiterer militärisch hochgerüsteter Staaten einseitig abrüsten und nur auf zivile Friedenssicherung setzen sollte. Dennoch muss die weitere Aufrüstung in der EU vermieden werden, da die finanziellen Ressourcen für andere prioritäre Ziele, wie z.B. die Bekämpfung der Klimakrise und gegen die Verarmung eines Teils der EU-Bevölkerung, einzusetzen sind.  Dies bedeutet somit im Zuge einer anzustrebenden Verringerung europäischer Militärausgaben eine Erhöhung der Anstrengungen europäischer Koordination und zentraler Steuerung der europäischen Militärpolitik. Die Überwindung des weitgehend isolierten Betreibens nationaler Rüstungs- und Militärpolitik würde erhebliche Synergie- und erhebliche Einspareffekte mit sich bringen, ohne weiter aufrüsten zu müssen. 
Hierbei ist die Notwendigkeit zu betonen, unabhängiger von den USA zu werden, der in der Vergangenheit ebenfalls erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte international nachgewiesen werden können (z.B. Napalm- und Agent Orange-Einsatz in Vietnam oder der 2. Irakkrieg). Auch steht das nationalchauvinistische ‚America first‘ der USA sicherlich den friedenspolitischen Intentionen von ‚Sicherheit neu denken‘ entgegen. Auch ist nicht gesichert, ob sich die zumindest derzeit noch weitgehend formaldemokratischen Strukturen in den USA zukünftig erhalten lassen. Hier wäre die Wiederwahl Trumps oder eines ähnlich eingestellten Republikaners eine Katastrophe für das politische System der USA, das auch ohne dies reformbedürftig ist. Doch von einer zunehmend zu einer unsicheren und schwachen Demokratie werdenden Großmacht kann sich die EU zukünftig nicht mehr abhängig machen. 
 Auch eine verstärkte sicherheitspolitische Eigenständigkeit der EU gegenüber der US-dominierten NATO wäre dementsprechend zukünftig erforderlich – es sei denn die NATO nähert sich – nach einer demokratischen Erneuerung Russlands – Russland erneut an.
 

Fazit: 

Die Europäische Sicherheitspolitik kann zu einer auch global vernetzten Friedenspolitik und einer demokratisch kontrollierten globalen Sicherheitsarchitektur führen, wenn sie sich von einer zu engen Bindung an die USA und die NATO löst, sich von ihrem neoliberalen Regime befreit, sich aus der Umklammerung des militärisch-ökonomischen Komplexes begibt, sich auch auf die Beseitigung des sozialen Gefälles innerhalb der EU und stärker auf die Entwicklungszusammenarbeit mit den EU-Nachbarstaaten bezieht. Dort könnte sie zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der dortigen Bevölkerungsmehrheit im Sinne einer an sozialem Ausgleich, wirtschaftlichem Fortschritt, friedlichem Zusammenleben, an Verteilungsgerechtigkeit und an Nachhaltigkeit orientierten Politik beitragen. 

EU-Sicherheitspolitik sollte daher nicht prioritär als Aufrüstungsprogramm und Kriegspolitik, sondern primär als Friedenspolitik verstanden werden, die auf synergetischer Sicherheitspolitik, multilateraler Verständigung und auf Diplomatie und Verhandlungsgeschick beruht.
Es ist nicht vertretbar, zwar (noch) innerhalb der EU Frieden zu halten, aber nach außen Waffen zu exportieren und fragwürdige Kriegseinsätze, wie z.B. die Aggression der Türkei gegen die Kurden in Syrien oder das völkerrechtswidrige Verhalten Saudi-Arabiens im Jemen, zu unterstützen, sich als Sozialunion auszugeben und letztlich bei einer Militärunion zu enden.[15]
Gern hätte ich hier weiterhin abschließend formuliert: Hierbei sollte Russland nicht als Gegner im Rahmen einer sich verschärfenden internationalen Konfrontation angesehen werden, sondern, solange die Möglichkeit noch besteht, als ein Verhandlungspartner der EU, mit dem es auf diplomatischem Wege für die Weiterentwicklung beider Regionen sicherheitspolitisch, ökonomisch, kulturell und ökologisch zu kooperieren gilt. Diese Möglichkeit ist derzeit aber aufgrund der russischen Aggression in der Ukraine nur noch eingeschränkt vorhanden. Dennoch sollte die kooperative Perspektive im Sinne einer auf Diplomatie und Verträgen basierenden Sicherheitspolitik sowie politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit zumindest mittelfristig handlungsleitend für die EU-Politik sein. Eine kontinuierliche Steigerung der Rüstungsausgaben wäre hierbei äußerst kontraproduktiv.


Anmerkungen:

[1] Der vorliegende Blog stellt eine überarbeitete Fassung meines Beitrags in der Online-Zeitschrift Telepolis dar: https://www.heise.de/tp/features/Zukunft-der-EU-Militaerische-Grossmacht-oder-globale-Friedenskraft-7253544.html, 5.9.2022, 7.9.2022. Einige Gedanken sind dem Kapitel 5.4 meines Buches ‚Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.‘ entnommen (Verlag Barbara Budrich, 3. erweiterte Auflage 2020). Englische Version im open access unter https://www.klaus-moegling.de
[2] Ruf, Werner (2018): Die vielen Gesichter der EU: Vom Friedenprojekt zur Festung Europa. In: Eis, Andreas/Moulin-Doos, Claire (Hrsg.) (2018): Kritische politische Europabildung – Die Vielfachkrise Europas als kollektive Lerngelegenheit. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich, 91-105.
[3] Sicherlich hat der russische Überfall auf die Ukraine eine Vorgeschichte. Doch die Entscheidung der osteuropäischen Staaten, eine NATO-Aufnahme zu beantragen, ist eine sicherheitspolitische Entscheidung autonomer Staaten und kann nicht als Rechtfertigung für Russlands Angriff dienen. Kein Staat darf nur als ‚Vorhof‘ der eigenen geostrategischen Interessen betrachtet werden. Dies gilt sowohl für Russland als auch natürlich für die Vereinigten Staaten.
[4] Vgl. zu den notwendigen friedenspolitischen Maßnahmen u.a. meinen Beitrag in Telepolis: Russlands Krieg gegen die Ukraine: Vier Schritte nur zum Frieden? In: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine-Vier-Schritte-nur-zum-Frieden-7132665.html?seite=2, 6.6.2022, 6.6.2022.
[5] Vgl. u.a. https://www.tagesspiegel.de/politik/putins-rede-kurz-vor-dem-angriff-wer-sich-einmischt-muss-mit-vergeltung-rechnen/28099766.html, 24.2.2022, 1.9.2022.
[6] Vgl. hierzu den Essay von Bernhard Trautvetter in: https://www.heise.de/tp/features/Wie-weit-ist-es-von-der-Zeitenwende-zum-Zeitenende-7250400.html, 1.9.2022, 1.9.2022, sowie den Beitrag von John Mearsheimer in: https://www.heise.de/tp/features/Brinkmanship-in-der-Ukraine-7246879.html?seite=all, 30.8.2022, 1.9.2022.
[7] Ruf, Werner (2020): Vom Underdog zum Global Player. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne. Köln: PapyRossa Verlag.
[8] Vgl. den Bezug zu der Medwedew-Aussage in https://www.welt.de/politik/ausland/article238010209/Medwedew-will-offenes-Eurasien-von-Lissabon-bis-Wladiwostok.html, 5.4.2022, 1.9.2022.
[9] Vgl. https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/neue-doktrin-erlassen-was-russkij-mir-fuer-putins-aussenpolitik-bedeutet_id_141788633.html, 6.9.2022, 6.9.2022.
[10] Werner Ruf meldet hier bereits deutliche Bedenken über die friedensstiftende Rolle Deutschlands an, da Aufrüstung und Ausbau wirtschaftlicher und politischer Dominanz im EU-Rahmen und Waffenexporte in internationale Spannungsgebiete zu beobachten seien (Ruf 2020).
[11] GASP = Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (der EU), PESCO = Permanent Structured Cooperation (bezieht sich primär auf gemeinsame militärische Projekte der EU).[12] Vgl. Leinen, Jo/Bummel, Andreas (2017): Das demokratische Weltparlament. J.H.W. Dietz-Verlag: Bonn.
[13] Vgl. Becker, Ralf/ Maaß, Stefan/Schneider-Harpprecht, Christoph (Hrsg) (2019): Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik – Ein Szenario bis zum Jahr 2040. In: https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/183983 , o.D., 30.4.2021, 33 ff.
[14] Ebenda
[15] Ausführlicher hierzu: Roithner, Thomas (2020): Verglühtes Europa? Alternativen zur Militär- und Rüstungsunion. Vorschläge aktiver Friedenspolitik. Wien: myMorawa. 



aktueller Blog 19

Unterkomplexes Denken in der Politik ist gefährlich. 

 

Von Klaus Moegling 

 

1.8.2022

 
Komplexe politische Prozesse verlangen nach komplexem Denken und Handeln. Unterkomplexe Äußerungen und Handlungsweisen führender Politiker_innen sind äußerst problematisch und verhindern einen ganzheitlichen Blick auf das aktuelle politische Geschehen und die dahinter stehenden Interessen. 
 

Zwei Beispiele

Ein erstes Beispiel: Christian Lindner und Friedrich Merz verlangen die Verlängerung der Laufzeiten der noch drei aktiven Atomkraftwerke, um der strategischen Verknappung der Gaslieferungen von russischer Seite begegnen zu können. [1] Gern wird dies von den einschlägigen Medien aufgegriffen und die dringende Notwendigkeit der Laufzeitverlängerung der drei übrig gebliebenen deutschen AKWs gefordert. Wenn Lindner und Merz dies fordern, so zeigen sie ein hohes Maß an unterkomplexem und nicht-ganzheitlichem politischen Denken, so wird hier argumentiert und begründet werden. Sind sie zu einem komplexeren Denken nicht in der Lage oder hat die Weigerung zu einer ganzheitlicheren Betrachtung der Thematik andere Gründe? 
Ein zweites Beispiel: Der deutsche Kolonialismus war ein rassistisch legitimierter Raubzug und ein Unterdrückungssystem im Interesse der damals in Deutschland herrschenden Klasse. Im Zuge kolonialer Ausbeutung wurden zahlreiche Kunstwerke aus den afrikanischen Kolonien Deutschlands gestohlen. Über die Rückgabe dieser geraubten Kunstwerke an die afrikanischen Ursprungsländer besteht derzeit ein politischer Dissens. Während sich beispielsweise Politiker_innen der Grünen, der Partei 'Die Linke' oder der SPD für eine Rückgabe von afrikanischen Kunstwerken aus deutschen Museen aussprechen, nimmt die AfD hierzu einen gegenläufigen Standpunkt ein – so z.B. 2018 der bildungspolitische Sprecher der baden-württembergischen AfD-Fraktion im Landtag, Rainer Balzer, in einer Presseerklärung:
„Anstatt Landeseigentum zu verschenken, ist es Aufgabe der Landesregierung, das Eigentum des Landes zu schützen und gegebenenfalls zu vermehren“ und „Dass alleine die bisherige Namibia-Initiative 1,25 Millionen Euro gekostet hat, zeigt, dass die Regierung den Bezug zum Geld verloren hat - zumal die Landesregierung die ganze Aktion nur als einen ersten Schritt ansieht. Das Steuervolk darf sich also bereits jetzt auf wesentlich höhere Kosten freuen (…)“ [2] 
Verweisen diese Aussagen des AfD-Politikers nun auf unterkomplexes und nicht-nachhaltiges Denken? Denkt Balzer nicht komplex genug oder will er dies aus bestimmten Gründen nicht? 
Beide Beispiele sollen im letzten Drittel des Beitrags noch einmal ausführlicher aufgegriffen und eingeordnet werden. 

Der ganzheitliche Ansatz 

Der hier folgenden Argumentation liegt ein holistisches bzw. ganzheitliches Verständnis zugrunde. [3] Dieser Ansatz ist vor allem durch acht systemtheoretische Annahmen begründet, deren Anforderungen an komplexes Denken nicht ausgeblendet werden dürfen:
1. Alles steht in einer Verbindung zueinander: Die Teile untereinander und die Teile wiederum zum Ganzen. Weit entfernte Ereignisse können daher in der Nähe eine große Wirkung zeigen.
2. Politische Aktivität kann in dieser Ordnung eine Wirkung entfalten, die zu einer Veränderung der Teilbeziehungen untereinander und damit zu einem Einfluss auf das gesellschaftliche Ganze führt.
3. Systemstrukturen geben dem Ganzen Festigkeit gegenüber der Eigendynamik der Teile. Allerdings wirken in bestehenden Strukturen Personen und Gruppen, die wiederum strukturbildende Regeln verändern können.
4. Es gibt verschiedene Systemebenen. Die Organisationsmuster auf den verschiedenen Systemebenen sind weniger hierarchisch, sondern in der Regel weisen Systeme multivariate Organisationsmuster auf. Informationen und Einflüsse verlaufen in alle Richtungen, abwärts, aufwärts auf der horizontalen Ebene.
5. Im Unterschied zu einer einfachen Maschine funktionieren Ganzheiten im Sinne lebendiger Systeme nicht in einem linear-kausalen Sinne, sondern Veränderungen ergeben sich durch zyklische Informationsmuster mit vielfältigen Rückkoppelungsschleifen.
6. Lebende Systeme sind durch die Prinzipien der Selbstorganisation und der Selbsterneuerung (Autopoiesis) gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass ein funktionsfähiges System in der Lage ist, relativ selbstständig seine Ordnung zu definieren, zu verändern und lernend neu zu organisieren.
7. Eine Neuordnung des Ganzen entsteht, wenn die verschiedenen teilhaften Aktivitäten vieler Einzelner und einzelner Gruppen intensiv genug und systemisch passend zur beginnenden strukturellen Veränderung zusammenarbeiten.
8. Wenn Teilbereiche systemisch stimmig zusammenwirken, entwickeln sie eine systemverändernde Dynamik. Dann kann es – auch in einem disruptiven Sinne – zu qualitativen Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit, also zu gesellschaftlichen Kipppunkten hin zu einer globalen Neuordnung, kommen.
Oftmals voneinander getrennte Bereiche, wie Körper, Geist, Psyche und Gesellschaft, wie Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit oder Identität, Religion und Krieg werden im Rahmen eines ganzheitlichen bzw. holistischen Denkens als miteinander zusammenhängende und sich wechselweise beeinflussende Bereiche verstanden.
Wenn Teile des Ganzen verschwiegen werden, wird auch ihr Einfluss im systemischen Ganzen ausgeblendet. Wenn der Einfluss eines systemischen Ganzen, wie z.B. eine Gesellschaftsordnung mit ihren Strukturen, auf politische Entscheidungen und Handlungsweisen ausgeblendet wird, kann keine ganzheitliche Analyse und Beurteilung vornehmen. Eine derartige nicht-ganzheitliche Sichtweise soll als unterkomplex angesehen werden. Das Ganze ist auch hier mehr als die Summe seiner Teile und hat darüber hinaus gehende, komplexe Eigenschaften und Funktionsweisen. Eine systemische Ganzheit und ihre Funktionsweisen können nur verstanden werden, wenn ein Denken in Zusammenhängen erfolgt, also wie die Teile miteinander zusammenhängen und die Qualität des Ganzen in ihrer systemischen Interaktion entstehen lassen. Genauso ist das Ganze in den Gestalteigenschaften seiner Teile wiederzuentdecken.
Mit diesen skizzenhaften Vorbemerkungen dürfte auch zumindest in Ansätzen deutlich sein, wie der Terminus ‚Ganzheitlichkeit‘ hier verwendet wird. Ganzheitlichkeit wird zu einer Kategorie, die ein Erkennen und kritisches Hinterfragen von Strukturen ermöglicht, das durch unterkomplexes Denken und Handeln behindert werden würde. [4] 

Unterkomplexes Denken in der Politik ist gefährlich. 

Teilbereiche wirken systemisch zusammen, sind nicht getrennt voneinander zu betrachten und können eine dynamische und weltumspannende Wirkung zeigen. So zeigt uns die Verbreitung des Coronavirus sowie der gesellschaftliche Umgang hiermit, wie ein Virus zu Ansteckungsängsten in den Menschen, zu einem veränderten zwischenmenschlichen Verhalten, zur Einschränkung der Grundrechte, zu wirtschaftlichen Krisen, wie dem Umsatzeinbruch von Unternehmen und Massenentlassungen, zu Betrugs- und Bereicherungsversuchen sowie politischen Krisen im Parteienstreit über den richtigen Umgang mit der Krise führen kann. Genauso kann die Corona-Krise zeigen, dass ein neoliberales Wirtschaftsregime, im Zuge dessen die Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens vorgenommen wird, nicht geeignet ist, eine Pandemie erfolgreich zu bekämpfen. Der schreckliche Preis ist eine hohe Zahl an Schwererkrankten und Toten. Nicht zu verstehen, wie alles zusammenhängt, kann höchst gefährlich sein.
Auch die Wirkungen alltäglichen Verhaltens, also auf der Mikroebene, zu unterschätzen, kann äußerst gefährlich sein. Zu unterschätzen, was das alltägliche mediale Betrachten von Morden und zwischenmenschlicher Quälerei und das virtuelle Mitwirken in diesem Geschehen ('virtual reality') im jungen Menschen anrichten kann, bedeutet die psychische Anfälligkeit mancher Menschen zu übersehen. Amokläufe Jugendlicher in Schulen, aber auch die durch den Medienkonsum verstärkte Bereitschaft, im Krieg zu töten, sind Ausdruck dieser Ignoranz – als wenn das Handeln in einem Teilbereich nicht einen Einfluss auf das Handeln in anderen Teilbereichen haben würde.
Der Zusammenhang wird ebenfalls deutlich, wenn wir uns die Verbrennung von Braun- oder Steinkohle zur Beheizung aber auch zur industriellen Energieproduktion in ihrer Verbindung zur Freisetzung weiterer Klimagase betrachten. Die u.a. durch die CO2-Emissionen entstehende Klimaerwärmung führt zu vielfältigen systemischen und sich wechselseitig verstärkenden Auswirkungen von der Veränderung der Meeresströmungen, über die Entstehung von Wüsten, dem vermehrten Auftreten heftiger Stürme, der Veränderung der Luftströme, wie z.B. des Jetstreams, dem Abschmelzen der Gletscher, dem Anstieg des Meeresspiegels, Wälder vernichtende Feuerwalzen, bis hin zum Auftauen des Permafrostbodens und der entsprechenden Freisetzung wiederum Klima relevanten Methans. Das System der ökologischen Ganzheit wird hierdurch angegriffen und dekonstruiert. Die klimatischen und ökologischen Verschiebungen und Verwerfungen wiederum führen zu Hungerkatastrophen, zu Massenfluchten und Völkerwanderungen, die  nicht bereitwillig von den Einheimischen hingenommen werden und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen sowie zur Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in einer Region führen. Eine ganzheitliche Sichtweise ist daher in der Lage, den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Fremdenfeindlichkeit zu erklären. Die Leugnung des Klimawandels wiederum blendet die meisten Bezüge zu teilhaften Vorgängen und deren systemischer Vernetzung sowie die Gestalteigenschaften des Ganzen, des ökologischen Systems, aus.

Zurück zu Lindner, Merz und Balzer

Zum eingangs erwähnten Beispiel hinsichtlich der von Lindner und Merz geforderten Laufzeitverlängerung der drei AKWs ist zu sagen: Selbst manche Energieversorger und zahlreiche Forschungsinstitutionen, wie z.B. 'Energy Brainpool', raten von einer Verlängerung bzw. einer Wiederaktivierung der Kernkraft als Energielieferant ab. Das technische Personal sei nicht mehr vorhanden, Brennelemente für den Weiterbetrieb würden fehlen, auch widerspräche dies der aktuellen gesetzlichen Lage. Die Verlängerung der Laufzeiten der drei noch aktiven AKWs umfasse nur 6% der deutschen Stromversorgung und sei daher zur Lösung des kommenden Energieproblems relativ irrelevant. Die Laufzeitverlängerung sei mit hohen Kosten verbunden und ersetze in Wirklichkeit nur 1% des notwendigen Bedarfs an Gas. [5]
Auch die restlichen drei Atomkraftwerke stellen noch eine gefährliche Energieversorgung dar. Die nuklearen Katastrophen in Tschernobyl, bei Harrisburg und in Fukushima dokumentieren dies. Gerade in unfriedlichen Zeiten sind AKWs gefährdet, zum Ziel terroristischer Anschläge von Kriegsparteien oder extremistischer Terrorgruppen zu werden. Bis heute existiert für die nukleare Energieversorgung kein realistisches Konzept der Entsorgung des radioaktiven Abfalls. Dieser wird Hunderten von Generationen zur kostenintensiven und gefährlichen Bewachung hinterlassen. Auch beziehen westliche Staaten das radioaktive Material zum Teil aus Russland, was wiederum kontraproduktiv zu den europäischen Sanktionen gegenüber Russland sein dürfte.
Dies bedeutet, dass hier im öffentlichen Diskurs eine bewusste Ausschaltung komplexen Denkens vorgenommen wird, um eine populistische Strategie zu verfolgen, denn Lindner und Merz sind sicherlich die verschwiegenen Teilaspekte und ihre Beziehung zueinander weitgehend hinsichtlich der Frage des Weiterbetriebs der AKWs bekannt.
Die Berücksichtigung einer ganzheitlichen Sichtweise würden die verschiedenen hier vorgetragenen Teilaspekte zu einem Gesamturteil führen, das eigentlich nur in der Verantwortung für das Ganze zu einer Ablehnung der Renaissance der Kernkraft als Energielieferant führen könnte. Doch da Merz und Lindner sowie ähnlich motivierte weitere Politiker hier ein populistisch verwertbares und symbolträchtiges Thema entdeckt haben, mit dem es sich auf parteipolitischen Abgrenzungskurs und Stimmenfang gehen lässt, blenden sie wichtige Aspekte des Themas schlichtweg aus.
Auch dem AfD-Politiker Balzer dürfte bewusst sein, dass der Kolonialismus ein imperialistisches Unrechtssystem war, dessen Ausdruck die Ermordung, Inhaftierung und Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen war. Auch dürfte er wissen, dass die meisten der in deutschen Museen stehenden afrikanischen Kunstwerke aus Afrika im Zuge kolonialer Beutezüge aus Afrika geraubt wurden. Anstelle beispielsweise der Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama, die Zahlung umfassender finanzieller Entschädigung der natürlich hiermit nicht wieder zu heilenden Kolonialverbrechen und im Zuge dessen auch der Rückgabe der aus Namibia geraubten Beutekunst zu unterstützen, wird von der AfD hinsichtlich der deutschen Raubkunst vom deutschen kolonialen Erbe gesprochen, das es zu beschützen gelte. Auch wird gleichzeitig den betroffenen Staaten die Fähigkeit abgesprochen, derartige Kunstschätze angemessen und sicher zu bewahren. Die ehemaligen deutschen Kolonien sollten sich eher bei den Deutschen bedanken, welche die afrikanische Kunst so fachgerecht aufbewahrt und zur Schau gestellt hätten. [6] 
Man kann die verbrecherische und völkerrechtswidrige Struktur des Kolonialismus anhand vieler Quellen, z.B. dokumentiert im Internet frei einsehbar, nachlesen, wenn man einen komplexen Zugang zur Frage des Kolonialismus und der Raubkunst wählen wollte. Die AfD-Position aber offenbart einen unterkomplexen und einseitigen Zugang zu dieser Thematik. Die menschenrechts- und völkerrechtswidrige Problematik wird schlichtweg ausgeblendet. Der Grund hierfür dürfte im nationalchauvinistischen Interesse dieser Partei verbunden mit rassistisch motivierten Sichtweisen liegen, die einen komplexeren bzw. ganzheitlicheren Zugang zu postkolonialen Strukturen verhindern. Der Rechtspopulismus der AfD basiert auf Vereinfachung, Einseitigkeit und Unterkomplexität. Daher können aus Afrika stammende, von Indigenen gefertigte Kunstschätze, die in deutschen Museen gesammelt werden, auch nicht in eine Verbindung mit postkolonialen Strukturen gebracht werden, sondern werden als Ausdruck kolonialen deutschen Erbes betrachtet, das es für deutsche Museen zu erhalten gelte.

Ganzheitlichkeit und Interessendurchsetzung 

Der Hinweis auf den Populismus von Politikern_innen, verweist auf den Aspekt des Erkenntnis leitenden Interesses. So weiß beispielsweise Putin sicherlich, dass die ukrainische Regierung nicht aus drogenabhängigen Neonazis [7] besteht. Dennoch behauptete er dies, die Wirklichkeit verzerrend, um ukrainische Politiker_innen abzuwerten, ein Feindbild zu konstruieren, sie aus dem Kreis akzeptierter Humanität auszuschließen, um sie anschließend anzugreifen und militärisch vernichten zu können. Ebenfalls dürfte Bolsonaro wissen, dass der Amazonas eine wichtige planetare ökologische Funktion hat. Er bestreitet dies aber und lässt die Zerstörung des Regenwaldes aus politischen und ökonomischen Interessen heraus zu. [8]
Auch weiß die EU-Kommission sicherlich, dass Gas und Kernenergie keine nachhaltigen Energiequellen sind, obwohl sie mit ihrer dem EU-Parlament zur Abstimmung vorgelegten Taxonomie dies einfordert. [9] Ganzheitliches Denken, das zu einer Ablehnung dieser Energiequellen im Sinne von Nachhaltigkeit führen würde, wird hier zugunsten der Interessendurchsetzung einzelner EU-Staaten abgeschaltet. Ganzheitliches Denken würde einen Gegensatz zwischen fossiler und nuklearer Energieerzeugung und der Bekämpfung der Klimakrise im Sinne von Nachhaltigkeit erkennen. Nachhaltigkeit ist an dem Erhalt des funktionierenden ökologischen Ganzen als Existenzbedingung seiner Teile, Tiere, Menschen, Organismen und Pflanzen, interessiert.
Derartige Beispiele unterkomplexen Denkens und Handelns in der Politik aufgrund ökonomischer und politischer Interessen ließen sich vielfach fortsetzen.
Es ist daher gerade angesichts dieser zu beobachtenden Versuche, ganzheitliches Denken und Handeln durch unterkomplexe Vorgehensweisen zu ersetzen, besonders wichtig, über Bildungsprozesse insbesondere im politisch-historischen Bereich, in politikwissenschaftlicher Analyse und Beurteilung und im alltäglichen politischen Denken und Handeln einen ethisch vertretbaren politischen Einfluss in einem systemischen Ganzen auszuüben. Hierzu ist es in Diskussionen zukünftig wichtig, unterkomplexes Denken als solches kenntlich zu machen und die systemischen Zusammenhänge zu konkretisieren. Hierbei ist das ‚Interesse‘ eine zentrale Kategorie, das hinter den Argumenten eines Akteurs in ökonomischer, politischer oder ökologischer Hinsicht hervor scheint bzw. sich durch eine kritische Analyse erkennen lässt.

Ansätze Komplexen Denkens hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine

Besonders in der jetzigen Situation, bei der ein ursprünglich regionaler militärischer Konflikt dabei ist, sich in einen Weltkrieg mit ungeheuren Auswirkungen zu verwandeln, ist es wichtig, unterkomplexes Denken zu vermeiden. Die verantwortlichen Politiker_innen sollten sich in einem ganzheitlichen Sinne folgende Fragen stellen und für sich beantworten: Was sind die historischen Ursachen des Kriegs in der Ukraine und welche Rolle spielen u.a. hierbei neoimperialistische Interessen Russlands, Aktivitäten national-chauvinistischer Milizen der Ukraine sowie NATO-Strategien im Umgang mit der Ukraine? Wie haben sich aus der historischen Perspektive heraus die verschiedenen Teilaspekte wechselseitig beeinflusst? Welche systemischen Wirkungen in politischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht und welche existenzielle Wirkung für den Einzelnen wird die Eskalation des Kriegs in der Ukraine auf die Ukraine, aber auch für den Rest der Welt haben? Welchen Einfluss hat dementsprechend der Krieg z.B. in der Ukraine auf die Welternährungslage und auf die internationale Energiepolitik? Welche Maßnahmen, wie z.B. die weitere Lieferung schwerer Waffensysteme oder die etwaige Sperrung des ukrainischen Luftraums, werden welche Wirkungen für die Eskalation des Konfliktes haben? Mit welchen Mitteln können die russische Föderation und die ukrainische Regierung dazu bewegt werden, sich für ernsthafte Friedensverhandlungen zu öffnen, d.h. auch Kompromisse einzugehen und die Interessen der Gegenseite angemessen zu berücksichtigen? Wie werden sich verschiedene andere Akteure, wie z.B. China oder die Vereinten Nationen, zu einer weiteren Eskalation des Krieges verhalten? Welches ist der zentrale friedenspolitische Beitrag eines Staates, wie z.B. der Bundesrepublik Deutschland, eine zukünftige Deeskalation des Kriegs zu bewirken und eine weitere Zerstörung des internationalen Systems zu verhindern? Welches sind die Hindernisse und was sind die förderlichen Bedingungen für eine neue Friedensordnung, die den systemischen Gleichgewichtszustand homöostatisch wiederherstellen könnten? Wie kann eine sinnvolle Friedensordnung mit Hilfe welcher Schritte erreicht und hinterher wirkungsvoll kontrolliert werden? Was kann der planetaren Zivilisation passieren, wenn keine Deeskalation des Konflikts gelingt? Droht die weitgehende Zerstörung des Systems menschlichen Zusammenlebens mit destruktiven Wechselwirkungen zur Ökologie, Ökonomie, Politik und Kultur?
Dies alles sind aus aktuellem Anlass Fragestellungen, die das Verhältnis des Teils zum Ganzen, die Beziehungen der Teile untereinander in ihrem Einfluss auf das Ganze und die Frage nach der Gestaltung des Ganzen betreffen. Sich diese Fragen nicht gründlich und unterkomplex zu stellen und zu beantworten, ist für den einzelnen Menschen, für Gesellschaften, transnationale Institutionen sowie für das gesellschaftliche Ganze im planetaren Kontext äußerst gefährlich. Politiker_innen, die unterkomplexes Denken an die Menschheit populistisch und interessensgeleitet adressieren, tragen zur Zerstörung einer ganzheitlichen Sichtweise auf die Welt, dem systemischen Ganzen, bei und behindern damit die Entwicklung einer vernetzten und nachhaltig gestalteten Welt in Übereinstimmung mit systemischen Prinzipien und Gestaltqualitäten. [10] 


 
Anmerkungen:

[1]  Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/debatte-akw-laufzeitverlaengerung-101.html, 21.6.2021
[2]  AfD-Fraktion BW: "Es ist Aufgabe der Landesregierung, das Eigentum des Landes zu schützen und zu vermehren, nicht zu verschenken". In: https://www.presseportal.de/pm/127902/4114770, 13.11.2028, 30.7.2022.
[3] Vgl. ausführlicher zum hier vertretenen Ansatz der Ganzheitlichkeit: Moegling, Klaus (2020): Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, S. 328ff. oder englischsprachig (chapter 8) im open access: Moegling, Klaus (2022): https://www.klaus-moegling.de/international-edition/, letze Aktualisierung 3/2022. Teile des vorliegenden Blogs sind dem Manuskript an den in dieser Fußnote gekennzeichneten Textstellen entnommen. Hilfreich hierfür zum erweiterten Verständnis der Ganzheitlichkeit sind des Weiteren z.B. der Bezug zu systemischen Überlegungen von Fritjof Capra („Wendezeit“) oder Vester („Leitmotiv vernetztes Denken“), konstruktivistische Überlegungen (Berger/Luckmann, „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“) sowie gestalttheoretische Sichtweisen der ‚Berliner Schule‘, z.B. von Wertheimer und Metzger; auf Luhmanns systemtheoretische Überlegungen wird allerdings weniger Bezug genommen, da dort die Perspektive des Menschen als eigenes, subjektives und nicht-technisches System, das in einer kommunizierenden Verbindung zu anderen Systemen steht, m.E. zu kurz kommt. Vgl. hierzu Moegling, Klaus (2017): Kultureller Transfer und Bildungsinnovation. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich, S.80ff.
[4] Sicherlich kann der Begriff der Ganzheitlichkeit im vereinnahmenden Zugriff auf den Menschen auch missbraucht werden. Daher ist es wichtig, jeweils zuvor sauber zu klären, was unter Ganzheitlichkeit jeweils gemeint ist, damit dies nicht zu einer ideologischen Kategorie verkommt. Vgl. umfassender zu einer kritischen Verwendung des Verständnis von Ganzheitlichkeit bei Moegling (2017, 103ff.).
[5] Vgl.  Verlängerung von Atomkraftwerken würde nur ein Prozent des Erdgasbedarfs ersetzen. In: https://www.focus.de/finanzen/news/neue-berechnungen-zeigen-verlaengerung-von-atomkraftwerken-ersetzt-nur-ein-prozent-des-erdgasbedarfs_id_111595477.html, 7.7.2022, 30.7.2022.
[6] Koloniales Kulturerbe. Ruf nach Aufarbeitung. In: 22.2.2019. https://www.deutschlandfunk.de/koloniales-kulturerbe-ruf-nach-aufarbeitung-100.html, 30.7.2022
[7] Vgl. https://www.puls24.at/video/puls-24/putin-bezeichnet-ukrainische-regierung-als-bande-von-drogenabhaengigen-und-neonazis/v-ci4kmwj2xfdl, 25.2.2022, 8.7.2022.
[8] Vgl. https://www.geo.de/natur/oekologie/bolsonaros--alternative-wahrheit--ueber-den-regenwald-31722026.html, 22.3.2022.
[9] Vgl. ausführlicher hierzu u.a. Moegling, Klaus (2022): 'Grüne' Atomkraft: Wie frech ist denn das? In: https://www.freitag.de/autoren/profdrklausmoegling1952/greenwashing-gruene-atomkraft-wie-frech-ist-denn-das, 7.2.2022, 7.2.2022.

[10] Dieser Blog stellt eine an vielen Stellen überarbeitete und erweiterte Fassung meines Beitrags in der Online-Zeitschrift ‚Telepolis‘ dar: Über die aktuelle Gefährlichkeit unterkomplexen Denkens. In: 
https://www.heise.de/tp/features/Ueber-die-aktuelle-Gefaehrlichkeit-unterkomplexen-Denkens-7163044.html, 10.7.2022, 10.7.2022. Ich bedanke mich für eine Reihe weiterführender Stellungnahmen im Rahmen des Kommentierungsteils im Anschluss an den Beitrag, die ich hier nun z.T. versucht habe angemessen zu berücksichtigen. 






actual blog 20

(see the German translation of this essay below the English version. Die deutschsprachige Version dieses Blogs findet sich nach der englischen Fassung.)

by Klaus Moegling

June 7 2022

Italy's peace plan for the war in Ukraine.

- UN should support this plan.


A far-sighted peace plan presented by Italy's foreign minister: Ceasefire, neutrality under an international umbrella, compromise on territorial issues, and an European security order.

Direct negotiations between the Russian and Ukrainian governments are currently at a standstill. The solution to the war in Ukraine is currently weapons at the cost of murdered people, destroyed cities and villages, and significant environmental destruction. Furthermore, the consequences of the war in Ukraine are not only local, but have a global impact, e.g. price collapse and food crisis with dramatic consequences also for the rest of the world.

In this messy and constantly escalating situation, the Italian government is now presenting a 4-step plan to the G7 and the United Nations, which it is currently disseminating internationally and for which it wants to find supporters. It should certainly also be presented and explained in an appropriate consultative manner to the Russian and Ukrainian governments.

In May 2022, Italian Foreign Minister Luigi di Maio, also head of the populist 5-Star Movement, presented UN Secretary General António Guterres with a four-step peace plan [1] worthy of support, which envisages the involvement of the UN, the EU and the OSCE in the negotiations between the Ukrainian and Russian governments.

What does the Italian peace plan envisage?

1st step: negotiations for ceasefire with simultaneous demilitarization of the combat zones and the establishment of international control mechanisms;

2nd step: a peace conference on the establishment of Ukraine's neutral status, to be secured by international treaties in the sense of a guarantee of protection.

3. a bilateral agreement between Russia and Ukraine on the status of the disputed Ukrainian territories: Broad autonomy of Crimea and territories of Donbass within the national borders of Ukraine. Clarification of the issues of free access, free trade and payments, and cultural and linguistic rights.

4. negotiations for a multilateral agreement under the auspices of the OSCE on a European security pact, which would also regulate relations between the EU and Russia. The content of this treaty would be international disarmament and arms control, security guarantees, conflict prevention, and the withdrawal of Russian troops from the occupied Ukrainian territories. Within the framework of these measures, the sanctions against Russia could be withdrawn step by step.

Di Maio stresses that this 4-step plan is a proposal to be coordinated between the UN, the EU and the OSCE, which would go beyond individual diplomatic initiatives. If the Ukraine war can be seen as an expression of the failure of international diplomacy, the latter must again take the initiative and, in a coordinated and forceful manner, explain this peace plan to the Ukrainian and Russian governments in talks at the highest level. [2]

 

What is the value of this peace plan?

First of all, the Italian government's peace plan, which was presented internationally, attempts to balance the interests of Kiev and Moscow. Ending the fighting, which is causing losses for both sides, and thus preventing further military escalation are likely to be in the interests of both sides. The far-reaching autonomy of the regions fought over in the Donbass as well as Crimea prevents the cementing of actions contrary to international law and military appropriation of a foreign state territory, but could also meet demands of the population living there for more political autonomy. The status of South Tyrol in Italy could serve as a model. The desired status of neutrality for Ukraine under an international security umbrella could represent a compromise that takes into account the security interests of both states. Negotiating a European security pact also takes into account the interests, not only of Ukraine and Russia, but also of European states. Likewise, such arrangements and treaties leading to an end to the Ukrainian war would be in the global political interest and especially in the interest of the global South, which is facing massive famine due to the food blockade and the associated supply shortages.
Because of its multilateralism and the peace policy norms of its constitutional order (UN Charter), the UN could be the appropriate body to provide a legitimizing basis here and to assume a world policing order function.
In this regard, the UN General Assembly in conjunction with the UN General Secretariat and the UN Secretary General is certainly more suitable for an international mediation attempt than the UN Security Council, which is blocked by the veto power of the permanent members.
Furthermore, the advantage of this 4-step plan lies in the involvement of transnational institutions. In particular, the attempt to get the United Nations to take the lead for this peace initiative, which is to be coordinated among the transnational organizations, could open up opportunities for implementing the plan.

But even this international initiative is dependent on the insight and peace policy rationality of the key actors involved. If people on both sides continue to think they can create geostrategic facts primarily by force of arms, the slaughter, war crimes, and deaths are likely to continue.
Another problem relates to the omission of unpleasant requirements. For example, the plan should actually include items 5 and 6: Extensive reparation payments by Russia to Ukraine and investigation of war crimes at the International Court of Justice. However, if these additional demands are included in the peace plan from the very beginning, the start of serious negotiations becomes all the more difficult.
Nevertheless, there is a constructive core in the Italian government's present plan that needs to be further disseminated and discussed. [3]  Only intelligent and internationally coordinated diplomacy offers a chance of ending this catastrophe as soon as possible. No one - except perhaps the arms industries and their shareholders - needs a proxy war between the U.S. and the Russian Federation in which Ukrainian and Russian young people are mutually declared mortal enemies and militarily agitated against each other.  The world really has other things to worry about than containing nation-state imperialism and redeeming the profit interests of the military-economic complexes in Europe, Russia, and the United States. The fight against the climate crisis and the looming famine in the poorer regions of the world should take precedence over everything else. The current conflict and the associated rearmament efforts are depriving the urgently needed measures of the world community of a large part of the resources that are required to effectively combat these global crises. Currently affected populations and future generations cannot accept this.


Notes:


[1] See Ciriaco, Tommaso (2022): La pace in 4 tappe. Sul tavolo dell'Onu arriva il piano del governo italiano. In: https://www.repubblica.it/politica/2022/05/19/news/piano_pace_governo_italiano_4_tappe-350167027/, 19.5.2022, 4.6.2022.Derrer, Michael (2022): Italien legt UNO einen Plan für den Frieden in der Ukraine vor. In:https://www.infosperber.ch/politik/italien-legt-uno-einen-plan-fuer-den-frieden-in-der-ukraine-vor/?fbclid=IwAR2C7-3Sghsucv_OnrGp1MjMP5WhGc6lRBdmnQeFmEUgPaZ53k1HrUI0STc, 4.6.2022, 4.6.2022.Sven Lemkemeyer (2022): Italien legt Friedensplan für Ukraine vor. In: https://www.tagesspiegel.de/politik/italien-legt-friedensplan-fuer-ukraine-vor-selenskyj-betont-bedeutung-von-verhandlungen-bewegung-in-der-diplomatie/28364496.html, https://www.tagesspiegel.de/politik/italien-legt-friedensplan-fuer-ukraine-vor-selenskyj-betont-bedeutung-von-verhandlungen-bewegung-in-der-diplomatie/28364496.html , 21.5.2022, 4.6.2022.
[2] Derrer, Michael (2022): Italien legt UNO einen Plan für den Frieden in der Ukraine vor. In: https://www.infosperber.ch/politik/italien-legt-uno-einen-plan-fuer-den-frieden-in-der-ukraine-vor/?fbclid=IwAR2C7-3Sghsucv_OnrGp1MjMP5WhGc6lRBdmnQeFmEUgPaZ53k1HrUI0STc, 4.6.2022, 4.6.2022.
[3] This plan corresponds to many considerations published by the author of the present article at the beginning of the Ukraine war already on 25.2.2022, cf. Moegling, Klaus (2022): How to end the war in Ukraine?  Blog 2, in: https://www.klaus-moegling.de/actual-blogs/, 25.2.2022, 4.6.2022.



aktueller Blog 20

von Klaus Moegling

7.6.2022

 

Italiens Friedensplan für den Krieg in der Ukraine 

-Die UNO sollte diesen Plan unterstützen. 

Von Italiens Außenminister wurde ein weitsichtiger Friedensplan vorgelegt: Waffenstillstand, Neutralität unter einem internationalen Schutzschirm, Kompromisse in territorialen Fragen und europäische Sicherheitsordnung. [1] 


Die direkten Verhandlungen zwischen der russischen und der ukrainischen Regierung sind derzeit zum Erliegen gekommen. Die Lösung des Kriegs in der Ukraine wird aktuell den Waffen überlassen unter Inkaufnahme ermordeter Menschen, zerstörter Städte und Dörfer sowie einer erheblichen Umweltzerstörung. Die Folgen des Ukraine-Kriegs sind des Weiteren nicht nur lokal begrenzt, sondern haben globale Auswirkungen, z.B. Inflation und Nahrungsmittelkrise mit dramatischen Folgen auch für den Rest der Welt. 

In dieser verfahrenen und beständig eskalierenden Situation legt die italienische Regierung der G 7 und den Vereinten Nationen nun einen 4-Stufen-Plan [2] vor, den sie derzeit international verbreitet und für den sie Unterstützer finden will. Er ist sicherlich auch der russischen und der ukrainischen Regierung in Konsultationen in geeigneter Form vorzulegen und zu erläutern. 

Der italienische Außenminister Luigi di Maio, auch ehemaliger Chef der populistischen  5-Sterne-Bewegung, legte im Mai 2022 UN-Generalsekretär António Guterres einen unterstützenswerten Friedensplan in vier Schritten vor, der in den Verhandlungen zwischen der ukrainischen und russischen Regierung die Einbindung der UN, der EU und der OSZE vorsieht.
 

Was sieht der italienische Friedensplan vor? 

1.       Schritt: Verhandlung eines Waffenstillstands bei gleichzeitiger Entmilitarisierung der Kampfzonen und der Einrichtung internationaler Kontrollmechanismen; 

2.       Schritt: Friedenskonferenz über die Einrichtung des neutralen Status der Ukraine, der mit internationalen Verträgen im Sinne einer Schutzgarantie abzusichern ist. 

3.       Bilaterales Abkommen zwischen Russland und der Ukraine über den Status der umkämpften ukrainischen Gebiete: Weitgehende Autonomie der Krim und Gebiete des Donbass in den nationalen Grenzen der Ukraine. Klärung der Fragen des freien Zugangs, des freien Handels und des Zahlungsverkehrs sowie kultureller und sprachlicher Rechte. 

4.       Verhandlung eines multilateralen Abkommens unter der Regie der OSZE über einen europäischen Sicherheitspakt, der auch die Beziehungen zwischen EU und Russland regelt. Inhalte dieses Vertrages wären internationale Abrüstung und Rüstungskontrolle, Sicherheitsgarantien, Konfliktprävention sowie der Abzug der russischen Truppen aus den besetzten ukrainischen Gebieten. Im Rahmen dieser Maßnahmen könnten die Sanktionen gegen Russland Schritt für Schritt zurückgenommen werden. 

Di Maio betont, dass es sich bei diesem 4-Stufenplan um einen zwischen UNO, EU und OSZE abzustimmenden Vorschlag handelt, der über diplomatische Einzelinitiativen hinausginge. Wenn der Ukraine-Krieg als Ausdruck des Scheiterns der internationalen Diplomatie angesehen werden könne, müsse diese wieder die Initiative ergreifen und abgestimmt und koordiniert diesen Friedensplan der ukrainischen und der russischen Regierung in Gesprächen auf höchster Ebene mit Nachdruck erläutern.[3] 

Was taugt dieser Friedensplan? 

Zunächst versucht der international vorgelegte Friedensplan der italienischen Regierung einen Interessensausgleich zwischen Kiew und Moskau herzustellen. Die Beendigung der für beide Seiten verlustreichen Kampfhandlungen und damit auch die Verhinderung einer weiteren militärischen Eskalation dürften im beiderseitigen Interesse sein. Die weitgehende Autonomie der umkämpften Regionen im Donbass sowie für die Krim verhindert eine Zementierung völkerrechtswidriger Handlungen und militärischer Aneignung eines fremden Staatsgebietes, könnte aber auch Forderungen der dort lebenden Bevölkerung nach mehr politischer Eigenständigkeit entgegen kommen. Der Status Südtirols in Italien könnte hier ein Vorbild sein. Der anzustrebende Neutralitätsstatus für die Ukraine unter einem internationalen sicherheitspolitischen Schutzschirm könnte einen Kompromiss darstellen, der die Sicherheitsinteressen beider Staaten berücksichtigt. Auch die Verhandlung eines europäischen Sicherheitspaktes berücksichtigt nicht nur die Interessen der Ukraine und Russlands sondern auch der europäischen Staaten. Ebenso wären derartige Regelungen und Verträge, die zu einer Beendigung des Ukraine-Kriegs führen, im weltpolitischen Interesse und insbesondere im Interesse des globalen Südens, dem durch die Nahrungsmittelblockade und den damit verbundenen Lieferengpässen eine massive Hungersnot droht. 

Der Vorteil dieses 4-Stufenplans liegt des Weiteren in der Einbindung der transnationalen Institutionen. Insbesondere der Versuch, die Vereinten Nationen zur Federführung über diese zwischen den transnationalen Organisationen abzustimmenden Friedensinitiative zu bewegen, könnte Chancen auf eine Umsetzung des Plans eröffnen. Die UNO könnte aufgrund ihrer Multilateralität und der friedenspolitischen Normen ihrer verfassungsmäßigen Ordnung (UN-Charta) das geeignete Organ sein, hier eine legitimatorische Grundlage zu bieten und eine weltpolizeiliche Ordnungsfunktion einzunehmen. 

Hierbei ist sicherlich die UN-Generalversammlung in Verbindung mit dem UN-Generalsekretariat und dem UN-Generalsekretär für einen internationalen Vermittlungsversuch geeigneter als der UN-Sicherheitsrat, der durch das Veto-Recht der ständigen Mitglieder blockiert ist. 

Aber auch diese internationale Initiative ist auf das Einsehen und die friedenspolitische Rationalität der maßgeblich beteiligten Akteure angewiesen. Wenn man weiterhin auf beiden Seiten meint, vorwiegend mit Waffengewalt geostrategische Tatsachen schaffen zu können, wird das Gemetzel, die Kriegsverbrechen und das Sterben wohl fortgesetzt werden. 

Eine weitere Problematik liegt im Auslassen unangenehmer Forderungen. So müsste der von Italien vorgelegte Plan eigentlich einen Punkt 5 und 6 beinhalten: Umfangreiche Reparationszahlungen Russlands an die Ukraine sowie Untersuchung der Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof. Nimmt man aber bereits von Anfang an diese weiteren Anforderungen in den Friedensplan auf, wird der Beginn ernsthafter Verhandlungen wohl umso unwahrscheinlicher. 

Dennoch liegt im vorliegenden Plan der italienischen Regierung ein konstruktiver Kern, den es weiter zu verbreiten und zu diskutieren gilt. [4] Nur in der intelligenten und international abgestimmten Diplomatie liegt die Chance einer möglichst schnellen Beendigung dieser Katastrophe. Niemand – außer vielleicht die Rüstungsindustrien und deren Shareholder - braucht einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Russischen Föderation, in denen ukrainische und russische junge Menschen wechselseitig zu Todfeinden erklärt und militärisch aufeinander gehetzt werden.  Die Welt muss sich wahrlich um andere Dinge kümmern als um die Eindämmung des nationalstaatlichen Imperialismus sowie die Einlösung der Profitinteressen der militärischen-ökonomischen Komplexe in Europa, Russland und in den USA. Über allem müsste die Bekämpfung der Klimakrise und der sich anbahnenden Hungerkatastrophe in den ärmeren Weltregionen stehen. Durch die derzeitige Konfliktaufladung und die damit verbundenen Aufrüstungsbestrebungen wird den dringend notwendigen Maßnahmen der Weltgemeinschaft ein großer Teil der Ressourcen entzogen, die zur effektiven Bekämpfung dieser globalen Krisen erforderlich wären. Derzeit betroffene Bevölkerungen und zukünftige Generationen werden hierfür kein Verständnis haben. 



Anmerkungen:

[1] Der vorliegende Blog ist eine überarbeitete Version meines Beitrags in der Online-Zeitschrift Telepolis:  

Russlands Krieg gegen die Ukraine: Vier Schritte nur zum Frieden? In: Telepolis, 

https://www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine-Vier-Schritte-nur-zum-Frieden-7132665.html?seite=2, 6.6.2022, 6.6.2022 

[2] Vgl. hierzu u.a. Ciriaco, Tommaso (2022): La pace in 4 tappe. Sul tavolo dell'Onu arriva il piano del governo italiano. In: https://www.repubblica.it/politica/2022/05/19/news/piano_pace_governo_italiano_4_tappe-350167027/, 19.5.2022, 4.6.2022.Derrer, Michael (2022): Italien legt UNO einen Plan für den Frieden in der Ukraine vor. In: https://www.infosperber.ch/politik/italien-legt-uno-einen-plan-fuer-den-frieden-in-der-ukraine-vor/?fbclid=IwAR2C7-3Sghsucv_OnrGp1MjMP5WhGc6lRBdmnQeFmEUgPaZ53k1HrUI0STc, 4.6.2022, 4.6.2022.Sven Lemkemeyer (2022): Italien legt Friedensplan für Ukraine vor. In: https://www.tagesspiegel.de/politik/italien-legt-friedensplan-fuer-ukraine-vor-selenskyj-betont-bedeutung-von-verhandlungen-bewegung-in-der-diplomatie/28364496.html, https://www.tagesspiegel.de/politik/italien-legt-friedensplan-fuer-ukraine-vor-selenskyj-betont-bedeutung-von-verhandlungen-bewegung-in-der-diplomatie/28364496.html , 21.5.2022, 4.6.2022.   
[3] Derrer, Michael (2022): Italien legt UNO einen Plan für den Frieden in der Ukraine vor. In: https://www.infosperber.ch/politik/italien-legt-uno-einen-plan-fuer-den-frieden-in-der-ukraine-vor/?fbclid=IwAR2C7-3Sghsucv_OnrGp1MjMP5WhGc6lRBdmnQeFmEUgPaZ53k1HrUI0STc, 4.6.2022, 4.6.2022.
[4] Dieser Plan entspricht vielen Überlegungen, die vom Autor des vorliegenden Beitrags zu Beginn des Ukraine-Kriegs bereits am 25.2.2022 publiziert wurden, vgl. Moegling, Klaus (2022): How to end the war in Ukraine?  Blog 3, in: https://www.klaus-moegling.de/actual-blogs/, 25.2.2022, 4.6.2022.







actual blog 21
 

How to end the war in Ukraine? 

by Klaus Moegling

2/25/2022 (updated version 3/3/2022) 

(translation in German language see below)


The Russian Federation's invasion of Ukraine is a disaster and cannot be justified by anything - not even by the prior decision of the sovereign Eastern European states to join NATO and not by the mutual violations of the Minsk Treaties in the Donbass. 

The attack and the associated invasion of Russian troops represents a blatant violation of international law and an aggressive destruction of the European security order as well as a breach with the UN Charter. 

This paper will develop the prospects of finding a way out of this situation without indulging in illusions. 

Were offers to negotiate a mistake? 

One frequently hears the accusation that the offers to negotiate with Russia were naive. A more extensive military buildup in the West - and also in Ukraine - should have been pursued in good time. Also the Western peace movement and a widespread peace policy habitus must be blamed for the fact that the political-military-industrial complex led by Putin dared this attack. Could more consistent measures of military deterrence have had greater success instead of diplomacy? 

In regard to this one has to ask: What would have been the alternative? Should we have allowed the presentiment of the  Russian aggression to force us into an even more extreme armaments spiral that would prevent the necessary future-oriented investments in order to combat the climate crisis, world famine and prevent pandemics? 

Should‘nt negotiations have been carried out within the framework of the existing institutions? If the institutions and discussion formats created between nations within the framework of the international security architecture are not taken seriously and perceived, then ultimately there is no hope for peaceful global development. Then only the power of arms will rule. Of course, attempts had to be made to persuade the Russian government to back-down and make acceptable compromises via the OSCE, the Normandy format, the NATO-Russia Council or via bilateral talks. This was not done without backing it up with the threat of massive sanctions. It was necessary to risk relying on the rationality of Putin and the politicians and industries associated with him. A more massive arming combined with an even more extensive deployment of NATO troops to its eastern flank and Ukraine’s admission to NATO would directly have led to a military confrontation. 

How is the United Nations reacting? 

So far, the UN has been remarkably restrained. Although there have been special meetings of the UN Security Council and a condemnation of the Russian aggression by the UN Secretary General, the structural problems of the United Nations are also evident in this dangerous world political situation. A state invades a neighboring state - with obviously pretextual reasons - and thereby violates international law, among other things, all essential norms of the UN Charter. This would be a classic case for measures in cases of "threat to the peace, breach of the peace or acts of aggression," which have been laid down in Chapter VII of the UN Charter. In the case of a war of aggression violating the sovereignty of a state, the UN Security Council can decide, if all diplomatic measures and sanctions have been unsuccessful, to use world police and even military force. [1] 

But one cannot seriously believe that the Russian Federation would not make use of its veto power if a corresponding request were to be discussed in the Security Council. 

On February 25th, 2022, Russia also vetoed a UN Security Council resolution condemning the Russian attack and calling for the withdrawal of Russian troops. [2] Precisely for this kind of situations a reform of the UN Security Council is urgently needed. A state that militarily attacks another state must lose the right to vote in the UN Security Council - especially if this is a permanent member with veto rights. 

Of course, the UN General Assembly can also initiate a decision that would require intervention on behalf of the UN in accordance with the UN Charter. But even the decisions of the UN General Assembly have only a recommendatory character for such a case. This also applies to an emergency resolution in the sense of "Uniting for Peace.", which is important but also cannot overrule the veto powers in the UN Security Council. [3] 

Here, once again, and pointing at conflicts that have claimed countless human lives, the urgent need for a structural reform of the United Nations becomes apparent in a serious way. The abolition or modification of the veto right of the permanent members of the UN Security Council, which has already been demanded internationally several times [4], as well as its changed composition and the upgrading of parliamentary assemblies within the framework of the United Nations, must no longer be held up on flimsy grounds. 

Restoring and maintaining world peace requires different international political structures and must not be left to individual nation states or military blocs. Russia's current invasion of Ukraine is a vivid illustration of this. 

World police action carried out as robust UN blue helmet missions 

From this point on -  and of course too late but nevertheless urgently needed - what would have to be initiated internationally? 

·        Inevitably, NATO countries must also make sure militarily as well as take appropriate safeguards whether they can successfully counter a further escalation of the war beyond the borders of Ukraine. If Article 5 of the NATO treaty is activated [5], the appropriate defensive measures in the event of an attack on a NATO state must also militarily and later, on behalf of the UN world police, successfully implemented. 

·        It is extremely difficult to decide whether Western states should continue to supply weapons to Ukraine. Against it speaks the then to be expected military escalation drama, which will lead to a further destruction of human lives, environment and infrastructure. In favor speaks the fact that it would be a matter of support for freedom and resistance fighters who are defending themselves against the invasion of a despotic foreign power. 

·        In any case, economic sanctions, which will profoundly affect the economy of the Russian Federation, must now be introduced with patience and with the awareness that restrictions and economic losses will not only hit the Russian side. The economic sanctions already planned and introduced and, in particular, measures to freeze the accounts of the financial oligarchs ruling Russia are important. The blocking of accessible cash reserves of the Russian state will hit Russia hard. The temporary exclusion of Russia from the SWIFT, international payment system, must also be carried out, at least for the largest banks - possibly even for the entire Russian banking system. 

·         In the event of economic difficulties in Russia and the resulting increasing pressure on the Russian government - including from Putin's circles of supporters - this could lead to the Russian government having to give in and to return to the negotiating table. This must be the declared aim of all measures. The OSCE, the UN, the Normandy format or the NATO-Russia Council are institutional contexts that provide a suitable framework for this. 

·        The aim of the negotiations would then have to be the withdrawal of all Russian troops from Ukraine, combined with reparation payments to Ukraine. 

·        The United Nations International Court of Justice and the International Criminal Court must also investigate the case and hold those responsible, including the Russian government, accountable. 

·        The two Russian-oriented parts of the eastern provinces in Donbass, Donetsk and Luhansk, would have to be granted a relative autonomy status within Ukraine, as is the case, for example, for South Tyrol in Italy. This process would have to be safeguarded by world police measures controlled by the UN. A neutral status for Ukraine, under the protection of the UN, is also conceivable in the future.
Nobody should be under the illusion that all this can be achieved with the approval of a 'Putin system'. The focus must be on democratic change in the Russian Federation,  which must be carried out from within, i.e. primarily by Russian civil society. This will be a dangerous path for those currently engaged in Russia against the Ukrainian war, since the Russian government relies on repression and has already arrested thousands of people. [6] 

A Russian government that behaves differently under international law and returns to democratic principles and respect for the UN Charter, will be more likely to agree to a robust world police operation on the Ukrainian-Russian border. Such consent by the states directly involved is a prerequisite for a combination of civil society mediation attempts and world police operations under the protection of the United Nations in order to regain and secure Ukraine's sovereignty over the upcoming negotiation. 


A peaceful and sustainably developed world is (still) possible. 

The development of the  world and the international community has currently been pushed back by Russia's attack on Ukraine and the associated threat to also use nuclear weapons in the event of a military intervention by the West. This is a clear step backwards on the path towards a more peaceful and sustainable global development - especially since even the People's Republic of China is reluctant to condemn Russia's actions. It is not only world peace that is at risk, but also the fight against the climate crisis, which can only be fought together and using the necessary resources in a time of peace. 

Nevertheless, the development perspective must remain oriented towards a long-term time frame, and international politics, institutions and NGOs, as well as international civil society, must not give up too quickly, but must - especially in view of the suffering of the Ukrainian population - in addition to the measures mentioned,also take the necessary steps to expand the international security architecture even more urgently. 

In this context, the first priority should – also for states with nuclear weapons -  be the ratification of the nuclear weapons ban treaty initiated by ICAN and put into force by the UN. This would be the right alternative to the nuclear rearmament projects now starting everywhere. 

Corresponding perspectives of a new security order in Europe have been published very recently by the NGO 'Rethinking Security' [7]

It is apparent that the main problem is that powerful members of the UN Security Council, due to the military power of these members and the inadequate structure of the UN, and without the United Nations being able to take action against them, do not abide by the rules of international law. This has been shown by violations of international law by the USA (e.g. Iraq war), by China (Tibet) or now by the Russian Federation in Ukraine. The United Nations must be democratized and at the same time strengthened, so that in the future, in the event of military aggression by a state, it will be able to act more effectively in terms of peace policy than before. 

 

Reference: Klaus Moegling (2022): How to end the war in Ukraine? In: 

https://www.klaus-moegling.de/actual-blogs/, 2/25/2022 (updated version 3/3/2022). 


(I would like to thank Ulla Klötzer (Finland) for assistance with the English translation.)

 

Notes:

[1] Cf. in particular Article 43 of the UN Charter.[
[2] "Russia blocks Security Council action on Ukraine," in: https://news.un.org/en/story/2022/02/1112802, 2/25/2022.[
[3] Although the UN General Assembly condemned the Russian invasion of Ukraine by a large majority of 141 votes (with 45 abstentions and 5 votes against), the adoption of the resolution has 'only' a symbolic significance and reflects the global state of mind regarding the war in Ukraine. Cf. https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-03/un-vollversammlung-verurteilt-russischen-einmarsch-mit-grosser-mehrheit, 3/2/2022.
[4] Cf. on the demand for a democratically elected UN Parliament with more comprehensive powers as well as the reform of the UN Security Council Leinen, Jo/ Bummel, Andreas (2017): Das demokratische Weltparlament. Bonn: Dietz-Verlag. Zumach, Andreas (2021): Reform or Blockade. What future for the UN? Zurich: Rotpunktverlag and Moegling, Klaus (2020): Reordering. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich Publishers. In English, the international edition (free to read): https://www.klaus-moegling.de/international-edition/
[5] NATO Treaty, Article 5: „The Parties agree that an armed attack against one or more of them in Europe or North America shall be considered an attack against them all and consequently they agree that, if such an armed attack occurs, each of them, in exercise of the right of individual or collective self-defence recognised by Article 51 of the Charter of the United Nations, will assist the Party or Parties so attacked by taking forthwith, individually and in concert with the other Parties, such action as it deems necessary, including the use of armed force, to restore and maintain the security of the North Atlantic area.“https://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_17120.htm, 4/4/1949.
[6] EU foreign affairs envoy Josep Borrell spoke of demonstrations in 58 Russian cities at his press conference on 26.2.2022. The 'Frankfurter Rundschau' also lists the protests in Russia against the Ukraine war from the civilian population, from Russian aid organizations, journalists, artists and scientists and refers to the demonstration ban of the Russian state, to the brutal procedure of the Russian police apparatus as well as to the number of arrests made: Cf. https://www.fr.de/politik/news-ukraine-konflikt-russland-widerstand-proteste-krieg-wladimir-putin-erschrocken-prominente-opposition-zr-91374943.html, 2/27/2022.
[7] Cf. Rething Security (2022):Turning the Perspective Overcoming Helplessness. Rethinking Security Report 2022. In: https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/269297/rethinking-security-report-2022-turning-the-perspective.pdf, 2/18/2022.


 

aktueller Blog  21

Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine beenden? 

von Klaus Moegling 

25.2.2022 (zuletzt aktualisiert: 3.3.2022)

Der Überfall der russischen Föderation auf die Ukraine ist eine Katastrophe und durch nichts zu rechtfertigen - auch nicht durch die vorherige Entscheidung souveräner osteuropäischer Staaten, der NATO beizutreten, und nicht durch die wechselseitigen Verletzungen der Minsker Abkommen im Donbass. Der Angriff und die damit verbundene Invasion russischer Truppen stellen eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar und bedeuten eine aggressive Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung und einen Bruch mit der UN-Charta. 

Es werden im Rahmen dieses Beitrags die Perspektiven entwickelt, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, ohne sich Illusionen hinzugeben. 

Waren Verhandlungsangebote ein Fehler? 

Häufig hört man nun den Vorwurf, dass die Verhandlungsangebote an Russland naiv gewesen wären. Man hätte rechtzeitig die umfangreichere militärische Aufrüstung des Westens – und auch der Ukraine – betreiben müssen. Letztlich seien auch die westliche Friedensbewegung und ein verbreiteter friedenspolitischer Habitus daran schuld, dass der politisch-militärisch-industrielle Komplex mit Putin an der Spitze diesen Angriff gewagt habe. Hätten an der Stelle von Diplomatie konsequentere Maßnahmen militärischer Abschreckung einen größeren Erfolg haben können? 

Hiergegen ist zu fragen: Was wäre denn die Alternative gewesen? Hätte man sich von der Vorahnung einer russischen Aggression in eine noch extremere Rüstungsspirale zwingen lassen sollen, welche die notwendigen Zukunftsinvestitionen zur Bekämpfung der Klimakrise, des Welthungers und zur Prävention vor Pandemien verhindern würden? 

Hätte man nicht dennoch auf Verhandlungen im Rahmen der vorhandenen Institutionen setzen sollen? Wenn man die zwischen den Völkern geschaffenen Institutionen und Gesprächsformate im Rahmen der internationalen Sicherheitsarchitektur selbst nicht ernst- und wahrnimmt, dann gibt es letztlich keine Hoffnung auf eine globale friedliche Entwicklung. Dann regiert nur die Macht der Waffen. Natürlich musste man versuchen über die OSZE, das Normandie-Format, den NATO-Russland-Rat oder bilaterale Gespräche die russische Regierung zum Einlenken und zu vertretbaren Kompromissen zu bewegen. Dies wurde nicht ohne Rückendeckung durch die Androhung von massiven Sanktionen vorgenommen. Man musste es riskieren, auf die Rationalität Putins und der mit ihm verbundenen Politiker und Industriezweige zu setzen. Eine massivere Aufrüstung verbunden mit einer noch umfangreicheren Truppenverlegung der NATO an ihre Ostflanke sowie einer Aufnahme der Ukraine in die NATO hätten unmittelbar zu einer militärischen Auseinandersetzung geführt. 

Wie reagieren die Vereinten Nationen? 

Die UN hält sich bisher auffällig zurück. Zwar gab es u.a. Sondersitzungen des UN-Sicherheitsrats und eine Verurteilung der russischen Aggression durch den UN-Generalsekretär, dennoch zeigt sich auch in dieser gefährlichen weltpolitischen Situation die strukturellen Probleme der Vereinten Nationen. Ein Staat überfällt – mit offensichtlich vorgeschobenen Gründen – einen Nachbarstaat und verletzt hiermit völkerrechtswidrig u.a. alle wesentlichen Normen der UN-Charta. Dies wäre ein klassischer Fall für „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“, die im Kapitel VII der UN-Charta festgelegt worden sind. Im Falle eines die Souveränität eines Staates verletzenden Angriffskrieges kann der UN-Sicherheitsrat nach der Erfolglosigkeit aller diplomatischen Maßnahmen und von Sanktionen, weltpolizeiliche und auch militärische Einsätze beschließen.[1] Doch man glaubt doch nicht im Ernst, dass die Russische Föderation bzw. Russland nicht von seinem Veto-Recht Gebrauch machen würde, wenn ein entsprechender Antrag im Sicherheitsrat beraten würde. So hat Russland auch am 25.2.2022 eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die eine Verurteilung des russischen Angriffs und die Forderung nach dem  Rückzug der russischen Truppen mit seinem Veto blockiert. [2] Genau für diese Situation aber ist eine Reform des UN-Sicherheitsrats dringend erforderlich. Ein Staat, der einen anderen Staat militärisch angreift, muss das Recht verlieren, im UN-Sicherheitsrat zu votieren - insbesondere wenn es sich hier um ein ständiges Mitglied mit Veto-Recht handelt.

Natürlich kann auch die UN-Generalversammlung einen Beschluss auf den Weg bringen, der ein Eingreifen im Auftrag der UN im Sinne der UN-Charta verlangen würde. Aber auch die Beschlüsse der UN-Generalversammlung haben für einen solchen Fall nur Empfehlungscharakter. Dies gilt auch für eine Notstandsresolution im Sinne des „Uniting for Peace“, die zwar wichtig ist, aber auch nicht die Abstimmungssituation im UN-Sicherheitsrat nivellieren kann. [3] 

Hier zeigt sich erneut auf gravierende und zahllose Menschenleben fordernde Weise die dringende Notwendigkeit, die Vereinten Nationen strukturell zu reformieren. Die bereits mehrfach international geforderte Abschaffung bzw. Modifizierung des des Veto-Rechts der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sowie dessen veränderte Zusammensetzung und die Aufwertung parlamentarischer Versammlungen im Rahmen der Vereinten Nationen darf nicht mehr mit fadenscheinigen Begründungen aufgehalten werden. [4] Die Wiederherstellung und die Einhaltung des Weltfriedens bedarf anderer internationaler Politikstrukturen und darf nicht einzelnen Nationalstaaten oder Militärblöcken überlassen bleiben. Der aktuelle Überfall Russlands auf die Ukraine zeigt dies eindringlich. 

Weltpolizeiliche Massnahmen in Form von robusten UN-Blauhelmeinsätzen 

Was müsste ab diesen Zeitpunkt – und natürlich zu spät aber dennoch dringend erforderlich – international eingeleitet werden? 

* Unausweichlich müssen auch die NATO-Staaten sich militärisch vergewissern und entsprechende Sicherungsmaßnahmen treffen, ob sie einer weiteren Eskalation des Krieges über die Grenzen der Ukraine hinaus erfolgreich begegnen können. Wenn der Artikel 5 des NATO-Vertrags [5] aktiviert wird, müssen die entsprechenden Verteidigungsmaßnahmen im Angriffsfall auf einen NATO-Staat auch militärisch und später im Auftrag der UN weltpolizeilich erfolgreich durchführbar sein.
* Ob westliche Staaten, weitere Waffen in die Ukraine liefern sollten, ist äußerst schwierig zu entscheiden. Dagegen spricht die dann zu erwartende militärische Eskalationsdramatik, die zu einer weiteren Vernichtung von Menschenleben, Umwelt und Infrastruktur führen wird. Dafür spricht, dass es um die militärische Unterstützung von Freiheits- und Widerstandskämpfern ginge, die sich gegen den Überfall einer despotischen fremden Macht zur Wehr setzen. 

* Auf jeden Fall müssen Wirtschaftssanktionen, welche die Wirtschaft der russischen Föderation tiefgreifend treffen, nun mit langem Atem und im Bewusstsein, dass es hier nicht nur Einschränkungen und ökonomische Verluste auf der russischen Seite geben wird, eingeleitet werden. Hierbei sollten die Sanktionen zielgerichtet auf die herrschende russische Oligarchie gerichtet sein, damit nicht die Bevölkerung hierunter leiden muss. Insbesondere  Maßnahmen zur Einfrierung von Konten der in Russland herrschenden Finanzoligarchen sowie der russischen Regierungsspitze sind hier wichtig. Die Sperrung erreichbarer Geldreserven des russischen Staates wird die russische Regierung empfindlich treffen. Auch der vorübergehende Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ist zumindest für die größten Banken  - eventuell sogar für das gesamte russische Bankensystem -  vorzunehmen. Hierdurch kann es bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Russland und dem dadurch anwachsenden Druck auf die russische Regierung – auch z.T. aus Unterstützerkreisen von Putin – dazu kommen, dass die russische Regierung einlenken und an den Verhandlungstisch zurückkehren muss.
* Verhandlungen müssen das erklärte Ziel aller Maßnahmen sein. Die OSZE, die UN, das Normandie-Format oder der NATO-Russland-Rat sind institutionelle Kontexte, die hierfür einen geeigneten Rahmen abgeben. 

Das Verhandlungsziel müsste dann im Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine verbunden mit Reparationszahlungen an die Ukraine bestehen.
* Auch müssen der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen sowie der Internationale Strafgerichtshof den Fall untersuchen und die Verantwortlichen bzw. die russische Regierung zur Rechenschaft ziehen.
* Die beiden russisch orientierten Teile der östlichen Provinzen im Donbass, Donezk und Luhansk, müssten einen relativen Autonomie-Status innerhalb der Ukraine, wie dies z.B. für Südtirol in Italien der Fall ist, zugesprochen bekommen. Dieser Prozess müsste durch von durch die UN gesteuerten weltpolizeilichen Maßnahmen abgesichert werden. Auch ist zukünftig ein neutraler Status der Ukraine unter dem Schutzschirm der UN denkbar. Dies ist mit weltpolizeilichen Kräften der Vereinten Nationen abzusichern.

Hierbei soll sich niemand der Illusion hingeben, dass dies alles mit der Zustimmung eines ‚System Putin‘ zu leisten ist. Hier muss auf den von innen heraus sich vollziehenden, also prioritär von der russischen Zivilgesellschaft vorzunehmenden, demokratischen Wandel in der Russischen Föderation gesetzt werden. Dies wird für die sich derzeit in Russland gegen den Ukraine-Krieg engagierenden Menschen ein gefährlicher Weg sein, da die russische Regierung auf Repression setzt und bereits Tausende Menschen verhaftet hat. [6] 

Eine  russische Regierung, die sich völkerrechtlich anders verhält und zu demokratischen Prinzipien und der Beachtung der UN-Charta zurückkehrt, wird mit einer größeren Wahrscheinlichkeit einem robusten weltpolizeilichen Einsatz an der ukrainisch-russischen Grenze zustimmen. Eine solche Zustimmung der unmittelbar beteiligten Staaten ist die Voraussetzung für eine Verbindung aus zivilgesellschaftlichen Vermittlungsversuchen und weltpolizeilichen Einsätzen unter dem Schirm der Vereinten Nationen, um die Souveränität der Ukraine über die dann anstehenden Verhandlungen wiederzuerlangen und zu sichern. 


Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (immer noch) möglich. 

Die Welt und die internationale Gemeinschaft sind aktuell durch den Angriff Russlands auf die Ukraine sowie der damit verbundenen Drohung bei einem militärischen Eingreifen des Westens, auch Atomwaffen einzusetzen, in ihrer Entwicklung weit zurück geworfen worden. Dies ist ein deutlicher Rückschritt hin zu einer friedlicheren und nachhaltigeren globalen Entwicklung – zumal auch die VR China sich zurückhält, das Vorgehen Russlands zu verurteilen. Es ist nicht nur der Weltfrieden sondern auch der Kampf gegen die Klimakrise gefährdet, der nur vereint und unter Einsatz der notwendigen Ressourcen in Friedenszeiten zu leisten ist. 

Dennoch muss die Entwicklungsperspektive an einem längerfristigen Zeitrahmen orientiert bleiben und die internationale Politik, Institutionen und NGOs, sowie die internationale Zivilgesellschaft dürfen nicht vorschnell resignieren, sondern müssen – gerade angesichts des Leids der ukrainischen Bevölkerung -  neben den angesprochenen Maßnahmen auch die notwendigen Schritte im Ausbau der internationalen Sicherheitsarchitektur noch dringender vollziehen. Entsprechende Perspektiven einer neuen Sicherheitsordnung in Europa hat die NGO ‚Sicherheit neu denken‘ sehr aktuell veröffentlicht [7]

Insbesondere sind Anstrengungen zu neuen Abrüstungsvereinbarungen zu unternehmen. Hierbei wäre zunächst die Ratifizierung des durch ICAN initiierten und durch die UN in Kraft gesetzten Atomwaffenverbotsvertrag auch von Seiten der Staaten mit Nuklearwaffen prioritär. Dies wäre die richtige Alternative zu den jetzt überall einsetzenden Aufrüstungsvorhaben. 

Es zeigt sich, dass die Hauptproblematik darin besteht, dass sich mächtige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats nicht an die Regeln des Völkerrechts halten, ohne dass die Vereinten Nationen in der Lage sind, hiergegen aufgrund der Militärmacht dieser Mitglieder und der unzulänglichen Struktur der UN vorzugehen. Dies hat sich bei Völkerrechtsverletzungen der USA (z.B. Irak-Krieg), von China (Tibet) oder nun der Russischen Föderation in der Ukraine gezeigt. Es gilt die Vereinten Nationen zu demokratisieren und gleichzeitig zu stärken, so dass sie in Zukunft im Falle militärischer Aggression eines Staates friedenspolitisch handlungsfähiger als bisher werden können. 

(Der vorliegende Beitrag ist in modifizierter Form ebenfalls veröffentlicht in: Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Wie-laesst-sich-der-Krieg-in-der-Ukraine-beenden-6526640.html,  25.2.2022, 25.2.2022.



Anmerkungen:

[1] Vgl. insbesondere den Artikel 43 der UN-Charta.
[2]  "Russia blocks Security Council action on Ukraine", in: https://news.un.org/en/story/2022/02/1112802, 25..2.2022.

[3]  Obwohl die UN-Generalversammlung mit einen großen Mehrheit von 141 Stimmen (bei 45 Enthaltungen und 5 Gegenstimmen) die russische Invasion in die Ukraine verurteilt hat, hat die Annahme der Resolution 'nur' eine symbolische Bedeutung und gibt die globale Stimmungslage hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine wieder. 

Vgl. https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-03/un-vollversammlung-verurteilt-russischen-einmarsch-mit-grosser-mehrheit, 2.3.2022. 

 [4] Vgl. zur Forderung nach einem demokratisch gewählten UN-Parlament mit umfassenderen Vollmachten sowie der Reform des UN-Sicherheitsrats Leinen, Jo/ Bummel, Andreas (2017): Das demokratische Weltparlament. Bonn: Dietz-Verlag. Zumach, Andreas (2021): Reform oder Blockade. Welche Zukunft hat die UNO? Zürich: Rotpunktverlag und Moegling, Klaus (2020): Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. Auf Englisch die internationale Ausgabe (frei lesbar): https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ 

[5] Artikel 5 des NATO-Vertrags besagt: „Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.“ https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_17120.htm?selectedLocale=de
[6] Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach am 26.2.2022 auf seiner Pressekonferenz von Demonstrationen in 58 russischen Städten. Die 'Frankfurter Rundschau' listet ebenfalls die Proteste in Russland gegen den Ukraine Krieg aus der Zivilbevölkerung, von russischen Hilfsorganisationen, Journalisten, Künstlern und Wissenschaftlern auf und verweist auf das Demonstrationsverbot des russischen Staats, auf die brutale Vorgehensweise des russischen Polizeiapparats sowie auf die Anzahl der vorgenommenen Verhaftungen: Vgl.  https://www.fr.de/politik/news-ukraine-konflikt-russland-widerstand-proteste-krieg-wladimir-putin-erschrocken-prominente-opposition-zr-91374943.html, 27.2.2022.
[7] Vgl. Rethinking Security (Hrsg.) (2022): 

Turning the Perspective. Overcoming Helplessness. Rethinking Security Report 2022. In: 

https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/269297/rethinking-security-report-2022-turning-the-perspective.pdf, 18.2.2022, 1.3.20221

actual blog 22
(translation in German language see below)
 

EU sustainability label 

-"Nuclear power? - No thanks!" violates EU sustainability criteria? 

by Klaus Moegling

2/3/2021  


The EU Commission's initiative to classify energy from nuclear and gas-fired power plants as sustainably produced energy is at the center of attention. The intention is to direct international financial flows, especially to the nuclear industry. This attempt to change the existing EU sustainability taxonomy is critically analyzed and evaluated on the basis of the EU's own taxonomy criteria. The study is designed, among other things, as an advisory service for policy-makers in the European institutions who are interested in sustainable development.
 

Sustainability - as a matter of fact a clear term 

A policy or a corporate strategy is sustainable if it contributes to maintaining or creating a livable quality of life for current and especially future generations, a quality that meets their needs, such as an intact natural environment, a stable peace order or a fair distribution of wealth.
The World Commission on Environment and Development (Brundtland Commission) formulated already in 1987 in its "Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future":
"Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts:
- the concept of 'needs', in particular the essential needs of the world's poor, to which overriding priority should be given; and
- the idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment's ability to meet present and future needs." [1]
This means that the satisfying of the needs of the present generations must be strictly examined to see whether it limits the existential possibilities of future generations. Here, the direction towards a taxonomy oriented at sustainable development is already taken since the Brundtland Report formulates:
"In essence, sustainable development is a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development and institutional change are all in harmony and enhance both current and future potential to meet human needs and aspirations." [2]
These formulations actually represent clear guidelines: The adherence to, or the development of environmentally and humanly harmful technologies and industrial strategies are prohibited by this. Global development oriented towards sustainability, and corresponding political measures, have to be taken into account in particular in regard to the compensation of worldwide injustice and the improvement of the position of the underprivileged regions of the world.
This understanding of sustainability has been adopted by the United Nations - broken down into different areas of sustainability - and set out in the 17 Sustainable Development Goals (SDGs) as part of the 2030 Agenda. [3] 
A distinction must therefore be made between a narrower understanding of sustainability that focuses primarily on the ecological aspect, and a broader understanding that places the ecological perspective alongside the economic, political, social and cultural dimensions of sustainability. The EU sustainability taxonomy focuses in particular on the ecological dimension of sustainability, but also includes sustainability perspectives in a broader sense.
 

The EU sustainability taxonomy - originally a viable approach 

The EU sustainability taxonomy, which has only recently come under increased public criticism, was developed in an earlier version as early as 2020 with the the aim to "fully exploit the potential of the internal market to achieve those goals“ on the path to greater sustainability. In this context, it is crucial to remove obstacles for the efficient channelling of capital towards sustainable investment in the internal market and to avoid the emergence of new obstacles." [4]
The defensible intention of a sustainability label for financial products was to systematically and effectively steer private and public investments in the EU area in a sustainable direction based on the 17 UN Sustainable Development Goals (SDGs). To this end, uniform criteria were developed for the various EU states in the form of a taxonomy, i.e. a graduated rating system, in what the Commission considers a "holistic sense."
"The criteria for determining whether an economic activity qualifies as environmentally sustainable should be harmonised at Union level in order to remove barriers to the functioning of the internal market with regard to raising funds for sustainability projects, and to prevent the future emergence of barriers to such projects. With such harmonisation, economic operators would find it easier to raise funding across borders for their environmentally sustainable activities, as their economic activities could be compared against uniform criteria in order to be selected as underlying assets for environmentally sustainable investments. Such harmonisation would therefore facilitate cross-border sustainable investment in the Union.“ [5]
The issue is therefore whether an economic activity, e.g. the production of an industrial product, as well as the product itself, qualifies as sustainable and thus, based on the EU taxonomy, can be recommended as a 'green' product for funds and institutional as well as private investors. Furthermore, this also applies to public subsidies and government measures to stimulate the economy. Accordingly, companies have to disclose in detail and crieteria oriented the degree of sustainability of their products - as a percentage in relation to the specifications. [6]
The taxonomy must first of all be based on the UN's 17 sustainability goals of 2015 (Agenda 2020), which encompass the ecological, economic and social dimensions of sustainability. Furthermore, the concretization of the taxonomy (Art. 9) is based on the six environmental objectives of the EU:
1. climate change mitigation;
2. climate change adaption;
3. sustainable use and protection of water and marine resources;
4. transition to a circular economy;
5. pollution prevention and control;
6. the protection and restoration of biodiversity and ecosystems. [7]
The taxonomy is based on principles aligned with these six environmental objectives (Section II):
- To what extent does an economic activity provide a "significant contribution to climate protection"? (Art. 10) In other words, to what extent is an economic activity likely to achieve the 1.5-degree climate target of the UN Paris Climate Change Conference, for instance through the use of renewable energy generation and increased energy efficiency?
- Does the specific economic activity result in a "significant contribution to climate change adaptation"? (Art. 11) Is an economic activity likely to reduce the effects of climate change that is already occurring, or will occur in the future,- but "without increasing the risk of adverse impacts on people, nature or assets"?
- Does an economic activity "make a significant contribution to the sustainable use and protection of water and marine resources"? (Art. 12) For example, does an economic activity result in the discharge of wastewater and pollution into rivers?
- Does an economic activity result in a "significant contribution to the transition to a circular economy, including waste prevention, reuse and recycling"? (Art. 13) This refers to, among other things, reducing or eliminating the use of "substances of very high concern in materials and products throughout their life cycle" and inter alia, “by replacing these substances with safer alternatives and ensuring traceability."
- Does an economic activity qualify as " contributing substantialy to pollution prevention and control"? (Art. 14) For example, to what extent is a reduction in emissions relevant to greenhouse gases or other pollutants achieved by this economic activity? How can a negative impact on human health be avoided?
- Does an economic activity qualify as "contributing substantially to the protection and restoration of biodiversity and ecosystems"? (Art. 15) For example, to what extent does an economic activity contribute to the protection of ecosystems, the restoration of polluted soils, or biodiversity?
The proof of sustainability of economic activity has to be done in four steps:
- Determining the coverage of the economic activity by the taxonomy;
- Determining the "significant contribution" of the economic activity in question;
- Determining the compliance with the necessary minimum protection;
- Determining the compliance with the technical evaluation criteria. [8]
The proof of fulfillment of technical evaluation criteria should, among other things - and this is particularly relevant to the present issue of the sustainability of nuclear energy – „take into account the life cycle, including evidence from existing life cycle assessments, by considering both the environmental impact of the economic activity itself and the environmental impact of the products and services provided by that economic activity, in particular by considering the production, use and end-of-life of those products and services." (Art. 19)
Interestingly, the 2020 EU Directive warns against greenwashing, that is, when false labels are given to supposedly green products. The EU taxonomy, it says, should prevent greenwashing:
"Requirements for marketing financial products or corporate bonds as environmentally sustainable investments, including requirements set by Member States and the Union to allow financial market participants and issuers to use national labels, aim to enhance investor confidence and awareness of the environmental impact of those financial products or corporate bonds, to create visibility and to address concerns about ‘greenwashing’. In the context of this Regulation, greenwashing refers to the practice of gaining an unfair competitive advantage by marketing a financial product as environmentally friendly, when in fact basic environmental standards have not been met." [9]
Against this background, it is quite astonishing that the EU Commission now submits a proposal for consultation to the relevant bodies on Jan. 1, 2022, which advocates the sustainability of nuclear power plants i.e. nuclear energy (until 2045) and energy production based on gas (until 2030). [10] This proposal is an addition to the previous taxonomy, and has now been submitted to the Member States' Expert Group on Sustainable Finance and the Platform for Sustainable Finance for their opinion. This so-called 'delegated act' of the EU Commission will then be discussed by the EU Parliament and the Council of the European Commission over a period of four months in the first half of 2022. Both bodies have a veto right in the event of corresponding majorities. [11]
If the EU Commission's proposal would be adopted, shares in energy utilities that obtain their energy production primarily from nuclear energy i.e. nuclear power plants could be recommended as sustainable. Nuclear power plants could then also be credited to a country's CO-2 balance.
The Green Group in the EU Parliament is therefore considering whether to file a lawsuit against the proposal of the EU Commission. In doing so, they would have to convince the French Greens, whose Green presidential candidate, Yannick Jadot, considers the phase-out of nuclear power to be realistic only in 20 to 25 years. [12] Also the Finnish greens consider nuclear power necessary for fighting climate change. [13] 
It will now in the following be systematically addressed to what extent the designation of nuclear energy - in particular at the instigation of France, Finland and some Eastern European EU states - actually fulfills the EU's own criteria, as provided for in the EU's own taxonomy regulation. 

How sustainable is nuclear energy really in terms of the EU taxonomy? 

France - together with Finland and some Eastern European states, including Poland - is the main initiator of the currently ongoing attempt to channel international financial flows via a modified EU sustainability taxonomy into the financing of nuclear power plants and thus also to the entire nuclear industry, including nuclear weapons. French President Emmanuel Macron, in particular, insisted on the addition to the Jan. 1, 2022 proposal for the EU taxonomy [14], which already had been adopted and published in 2021. He argued that nuclear energy production is sustainable and qualifies as 'green' energy production. France currently has 56 nuclear power plants in operation, but some of them are decaying and in need of significant repair investment. France gets about 71% of its electricity from nuclear power. France's number of nuclear power plants ranks it second in terms of nuclear energy production worldwide, behind the U.S. and ahead of China. [15] Macron, who faces elections in April 2022, justifies the construction of new nuclear power plants as follows:
"This is why, to guarantee France's energy independence, to guarantee our country's electricity supply and achieve our objectives, in particular carbon neutrality in 2050, we are going, for the first time in decades, to relaunch the construction of nuclear reactors in our country and continue to develop renewable energies.“ [16]
As the construction of third generation nuclear power plants, 'European Pressurized Reactors' (EPR), has been causing difficulties for years due to exorbitant construction costs, failures and constant delays, Macron is now announcing the development of mini-reactors to solve the supply problems in the future. These are 'Small Modular Reactors' (SMRs) that produce up to 300 megawatts. He announced in October 2021 an innovation plan 'France 2030', by which he wants to stop the deindustrialization of France with the help of 30 billion euros, among other things for the construction of SMRs, which would then produce green hydrogen and represent an essential step on the way towards French decarbonization. [17]
Here, the view will now be taken that the attempt to designate the nuclear industry as sustainable, initiated largely by  the nuclear industry of France and promoted by Macron, who cooperates closely with this industry, is an extreme case of false labeling or greenwashing.
The Brundtland Commission's internationally recognized definition of sustainability, as well as the adopted UN SDGs, are based on the premise that the needs of current generations should not impede or destroy the ability of future generations to meet their existential possibilities. Yet the nuclear industry is burdening thousands of future generations with the as yet unresolved issue of nuclear waste disposal. This is a clear violation of the core of sustainability and also, accordingly, of the criteria of the EU taxonomy, which in Chapter II, Article 13 states that
“An economic activity shall qualify as contributing substantially to the transition to a circular economy, including waste prevention, re-use and recycling, where that activity: substantially reduces the content of hazardous substances and substitutes substances of very high concern in materials and products throughout their life cycle, in line with the objectives set out in Union law, including by replacing such substances with safer alternatives and ensuring traceability;”
Since transmutation of radioactive waste from a nuclear power plant into material that is harmless to humans and nature has not yet been achieved, even from the point of view of proponents of such an experiment, carcinogenic substances such as plutonium, neptunium, americium and curium, remain after nuclear fission, which provides heat and electricity. These highly radioactive isotopes radiate for an extremely long time and have half-lives of between tens of thousands and hundreds of thousands of years. [18] Thus, this fact also contradicts in particular the requirement formulated in Chapter II of the Taxonomy, Article 19. It states that technical life cycle analyses of products and facilities are to be carried out and they have to make clear that harmful effects of an economic activity are minimized already during the life cycle of the product.
In addition to a lack of a disposal concept that can be described as sustainable, the dangers of a core meltdown in the nuclear reactor must also be mentioned. In the past, a distinction was made between a serious nuclear accident, a still controllable major accident, and a most serious disaster, which is no longer controllable and in which the nuclear power plant is out of control. In the meantime, a scale from 0 to 7 is used internationally for the classification of incidents or accidents. The nuclear disasters at Chernobyl (Ukraine, 1986) and Fukushima (Japan, 2011) were accidents out of 7 on the classification scale, or most serious disasters. [19]
Nuclear power plants are not purely technical in nature, but are based on human inputs as well as technology and both are prone to failure. Material can fatigue, e.g. cracks can occur in the steel shell of the reactor core. Humans can miss warning signals, e.g., due to overfatigue. The various accidents and disasters, which led to the release of life-destroying radioactivity, show that nuclear power plants are by no means - as required by the EU taxonomy in Chap.II, Art. 14 - an economic activity that makes a "significant contribution to pollution prevention and control" - on the contrary: nuclear power plants pose an extreme danger to human health, since they are - at least so far - not safe to operate and safe operation in the future is also not recognizable. This argument is further strengthened if one goes beyond the 'normal case' of an operational malfunction and includes the possibility of external intervention through cyber-attacks in the event of war or through terrorist attacks. [20]
In Art. 11 (Ch.II) of the taxonomy, the criterion for sustainability states that an economic activity shall provide a " substantial contribution to climate change adaption." Is an economic activity likely to reduce the effects of climate change that is already occurring or will occur in the future - but "without increasing the risk of an adverse impact on people, nature or assets"?
In this context, it must be considered that the mining of uranium, the construction of nuclear power plants, the operation of nuclear power plants as well as the dismantling of the plants and the disposal of spent radioactive material are by no means CO2-neutral and thus per se climate-friendly. Uranium is also a finite raw material that is likely to be depleted worldwide in a few decades. If one also looks at the costs of nuclear power, it becomes clear that this is by far the most expensive power generation alternative, falling far behind the costs of renewable energy.[21] Nuclear power plants are dependent on government subsidies to an even greater extent than electricity generation based on the combustion of fossil fuels. The profits of the nuclear industry are ultimately paid for by taxpayers.
Even the new generation EPR, which is being subsidized by the French government, exceeds several times the estimated cost. For example, the construction costs of the third-generation nuclear power plant in Flamanville, originally estimated at about three billion euros, will probably never be recovered - according to Ralf Streck (2021):
"The costs, as the French Court of Auditors has calculated, had already in 2015 grown to 12.4 billion euros. In addition, however, a further 6.7 billion euros would have to be added by the time the plant is now scheduled to go into operation. This would mean that the costs of the project, which was initially estimated at 3.3 billion euros, would have practically increased sixfold." [22] 
Furthermore, no one can seriously calculate the immense costs of a serious accident, let alone a major core meltdown disaster. Furthermore, how can one calculate the costs of thousands of years of safe and guarded storage of nuclear waste? And: Human suffering, destroyed health, thousands of cancer deaths and the destruction of the biosphere by a massive nuclear accident defy any cost-benefit calculation. 
Given the risk of failures and frequent shutdowns of French nuclear reactors, 
the French argument of security of supply is not credible. 
In addition, nuclear power plants are not suitable for use in the course of the energy transition because of their slow reactivity, i.e., they cannot be ramped up on a short term to compensate for supply gaps. Here, modernized gas-fired power plants are much more reactive and flexible - but of course not an energy production that can be called sustainable.
All of this means, without any doubt, that the energy efficiency required in Chap.II, Art. 10, of the EU taxonomy is in no way given with respect to nuclear power plants. 
Now, because of the problems with the third generation of nuclear power plants, Macron is trying to make nuclear power presentable again with the help of mini-reactors, i.e., the fourth generation of nuclear power plants. But the SMRs, due to the need for a higher number of still dangerous reactors, would mean an expotentiation of the risk. Also, so far no land-based SMRs have yet been completed and it is still questionable whether any satisfactory development will be achieved at all. If, however, production were to succeed immediately, the installation and commissioning of the plants in about 10 years at the earliest, would in any case be too late for the necessary fast energy transition. 
The essential contribution to "adaptation to climate change" demanded by the EU taxonomy would thus be virtually prevented by the directing financial flows to nuclear power, since the necessary investment capital will not be available for the actual energy transition. 

The connection between civil and military use of nuclear power 

Uranium mining, for example in Mali, serves both civil and military uses of uranium. Likewise, the nuclear armament of France, as well as of Great Britain, for example, is necessarily linked to the civil use of nuclear energy. The used fuel rods from the nuclear power plants are reprocessed and the recovered fissile material is used for the production of nuclear weapons.
Thus, Jean-Michel Bezat reports in the magazine 'Le Monde' about a visit of Macron to the nuclear plant of Le Creusot and his statements in this context:
"Il n'y a 'pas de sens', selon lui, à dissocier cette double dimension: l'industrie de l'atome, qui se remet péniblement d'une décennie horribilis, illustre la cohérence entre autonomie stratégique et indépendance énergétique. 'Notre avenir énergétique et écologique passe par le nucléaire', aussi bien que 'notre avenir industriel et stratégique (...)', tranche M. Macron. 'Sans nucléaire civil, pas de nucléaire militaire, sans nucléaire militaire, pas de nucléaire civil', qu'il s'agisse de la recherche ou de la production. L'usine du Creusot et le Commissariat à l'énergie atomique sont les 'preuves vivantes' de cette complémentarité remontant à 1945." [23] [24]
Macron is talking here about the "coherence between strategic autonomy and energy independence." He makes it clear that "without civil nuclear power" there can be no nuclear weapons, "without military nuclear power, no civil nuclear power", "whether in research or production."
If one considers the French initiative to change the EU taxonomy against this background, one can observe the attempt to turn the civil use of nuclear power into 'green' energy by fraudulent labeling, i.e. to allow financial resources from private and public budgets, including EU subsidies, to flow into the military use of nuclear power as well. Ralf Streck (2021) takes a similar view when he formulates:
"Ultimately, therefore, the duality between military and civilian use of nuclear power is also maintained in order to hide billions that finally flow into military projects." [25] 

Conclusions and political demands 

It is absurd to use sustainability arguments to promote the renaissance of nuclear power pursued by interested parties. The criteria laid down in the 2020 adopted and published EU taxonomy clearly point to the lack of sustainability of nuclear power. Nuclear power plants are neither safe, nor has the disposal situation been clarified. They are also not CO2-free, do not provide security of supply, and are extremely expensive. They are an example of internalization of profits and externalization of costs. Moreover, financing green-washed nuclear power would also covertly help financing the military use of nuclear energy.
Having nuclear power labeled as sustainable by changing the current EU taxonomy is a nasty form of greenwashing and ultimately an attempt to seriously defraud EU citizens.
The German government, and also other national governments of the EU, are called upon in the Council of the European Union to refuse the request of the EU Commission to steer the financial flows in a direction that could lead to a return of, at least in Germany,  the socially depreciated nuclear power, which is in no way sustainable and devours billions of euros. Also, the representatives in the EU Parliament should vote against the addition of the EU Commission to the sustainability taxonomy. Finally, the German government, as well as other governments, should join the countries planning to file a lawsuit with the European Court of Justice, if nuclear energy would indeed be labeled as 'green' energy.
So 'Nuclear power? No thanks!' still aplies also on the European level, in order to enable the future energy supply infrastructure required for climate neutrality and based on renewable energy generation. Especially for poorer regions in the European context, but also in the global South, the reliance on nuclear power leads to an energy policy dead end and prevents a renewable energy production oriented towards sustainable development. Especially in the countries of the global south, the required energy could easily be generated by the sun with the help of photovoltaics or by wind energy, among others. Here, the green production of hydrogen would even open up profitable export opportunities, which could contribute to a reduction of the global wealth gap in the sense of sustainable development.
By avoiding greenwashing, as envisaged in the original EU taxonomy, European financial flows should be channeled into the expansion of renewable energy production as well as into the development of disposal technologies and grid expansion. However, in order to ensure security of supply, modernized gas-fired power plants with lower CO2 emissions could still have an important bridging function during the implementation of the energy transition and decarbonization on the way to climate neutrality. Coal-fired power plants and nuclear power plants however, must be shut down quickly, decommissioned and disposed of. The number of gas-fired power plants and the extent to which they generate electricity and heat must be reduced step by step in line with the growing importance of renewable energy production.The problematic recognition in the extension draft submitted by the EU Commission, which labels energy from gas-fired power plants as 'green energy,' is not necessary for this purpose. The German government therefore has no need for a rotten compromise with the French government and should continue to stand by the United Nations' original understanding of sustainability.
 
(I would like to thank Ulla Klötzer (Finland) for assistance with the English translation and for several suggestions regarding the content).


Notes

[1] World Commission on Environment and Development (1987): Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future. In: http://www.un-documents.net/ocf-02.htm#I, Chapter IV Conclusion, dated 20.3.1987, accessed 31.1.2022.
[2] World Commission on Environment and Development (1987): op. cit.
[3] UN (2015): Transforming our World: the 2030 Agenda for Sustainable Development. In: https://sdgs.un.org/2030agenda, 25.9.2015, 31.1.2022.
[4] Council of the European Union (2020): REGULATION (EU) OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL establishing a framework to facilitate sustainable investment and amending Regulation (EU) 2019/2088. In: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CONSIL:ST_5639_2020_INIT&from=DE, 1.4.2020, 31.1.2022, p.5.
[5] Rat der Europäischen Union (2020): a.a.O., S.7.
[6] Cf. the calculation examples in Jürgen, Ingmar/ Ryfisch, David (2021): Kurzdarstellung: Die EU Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. In: https://www.fs-unep-centre.org/wp-content/uploads/2021/01/Kurzpapier-EU-Taxonomie-fur-nachhaltige-Aktivitaten.pdf, January 2021, 31.1.2022.
[7] Council of the European Union (2020): op. cit., ch. II, art. 9., p.51.
[8] See also Jürgen, Ingmar/ Ryfisch, David (2021): op. cit. for a summary of the approach in four steps.
[9] Council of the European Union (2020): op.cit., p.6.
[10] The EU Commission's proposal also advocates classifying energy generation by gas-fired power plants as sustainable under certain conditions. This was in particular in line with an initiative of the German government, which wanted to use or still wants to use modernized gas-fired power plants as a bridging technology for the energy transition. However, this topic is not the focus here. However, in my opinion, security of supply would still have to be ensured for some time via modernized and highly effective gas-fired power plants, but without identifying this as sustainable.
[11] "As with the first delegated act, the Parliament and the Council, which have delegated the power to adopt this delegated act to the Commission, have four months to examine the act and, if they deem it necessary, to raise objections. According to the Taxonomy Regulation, both institutions may request an extension of the deadline for another two months. The Council has the right to reject it by an enhanced qualified majority (i.e., at least 72% of Member States (at least 20 Member States) representing at least 65% of the EU population must object to the delegated act), and the European Parliament can reject it by a majority (at least 353 MdePs) in plenary." In: EU Commission Press Release (2022), https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22 , Jan. 2, 2022, Jan. 31, 2022.[12] Cf. Streck, Ralf (2021): nuclear power expansion in France: "Without civil nuclear power, no military nuclear power," In: https://www.heise.de/tp/features/Atomkraft-Ausbau-in-Frankreich-Ohne-zivile-Kernenergie-keine-militaerische-Nuklearmacht-6219628.html?seite=all, 15.10.2021, 31.1.2022, and Franceinfo (2021): Nucléaire: "Un réacteur, ça peut nous péter à la figure", insiste Yannick Jadot, In: https://www.francetvinfo.fr/societe/nucleaire/video-nucleaire-un-reacteur-ca-peut-nous-peter-a-la-figure-insiste-yannick-jadot_4803187.html, 11.10.2021, 31.1.2022.
[13] Cf. Kaufmann, Bruno (2021): Die Grünen in Finnland setzen auf Atomstrom. In: https://www.srf.ch/news/international/klimapolitik-die-gruenen-in-finnland-setzen-auf-atomstrom, 15.2.2021, 7.2.2022.
[14] The text for the proposal was officially published by the EU Commission on 2.2.2022. In: https://ec.europa.eu/info/publications/220202-sustainable-finance-taxonomy-complementary-climate-delegated-act_en, 2.2.2022, 7.2.2022.
[15] Cf. the dates applicable to 2020 in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/29294/umfrage/anteil-der-atomenergie-an-der-stromerzeugung-in-frankreich/ as well as https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152153/umfrage/anzahl-der-sich-in-betrieb-befindenden-atomkraftwerke-weltweit/ , both sources compiled by A. Breitkopf: 19.1.2022, 1.2.2022.  https://www.tagesschau.de/ausland/europa/macron-atomkraftwerke-frankreich-101.html, 10.11.2021, 1.2.2022.
[16] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/macron-atomkraftwerke-frankreich-101.html, 10.11.2021, 1.2.2022.
[17] Pistorius, Magdalena (2021): Macron presents France's 2030 targets - financed with 30 billion euros. In: https://www.euractiv.de/section/europakompakt/news/macron-praesentiert-frankreichs-2030-ziele-finanziert-mit-30-milliarden-euro/, 13.10.2021, 1.2.2022.
[18] Cf. Knebel, Joachim (2014): Are there approaches to shorten the half-life of nuclear waste? In: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wieso/artikel/beitrag/gibt-es-ansaetze-die-halbwertszeit-von-atommuell-zu-verkuerzen-laesst-sich-atommuell-zur-energiegewinnu-1/, 15.1.2014, 1.2.2022.
[19] Cf. Rehren, Silke (2018): Fundamentals of nuclear power. GAU and super-GAU. In: https://www.planet-wissen.de/technik/atomkraft/grundlagen_der_atomkraft/pwiegauundsupergau100.html, 7.5.2018, 1.2.2022.
[20] Cf. in more detail the article by Trautvetter, Bernhard (2022) in Telepolis and the subsequent critical discussion of the article in: https://www.heise.de/tp/features/Wie-Atomkraftwerke-zu-Atombomben-werden-6331922.html?seite=all, 19.1.2022, 31.1.2022.
[21] Cf. the comparative figures at: https://energiewinde.orsted.de/energiepolitik/kostenvergleich-atomenergie-erneuerbare-strompreis ,6.1.2021, 1.2.2022.
[22] Streck, Ralf (2021): Nuclear power expansion in France: "Without civil nuclear power, no military nuclear power", In: https://www.heise.de/tp/features/Atomkraft-Ausbau-in-Frankreich-Ohne-zivile-Kernenergie-keine-militaerische-Nuklearmacht-6219628.html?seite=all, 15.10.2021, 31.1.2022.
[23] Bezat, Jean-Michel (2020): Nucléaire : "Pour Emmanuel Macron, c'est la filière militaire qui prime". In: https://www.lemonde.fr/idees/article/2020/12/21/nucleaire-pour-emmanuel-macron-c-est-la-filiere-militaire-qui-prime_6064052_3232.html, 21.12.2020.
[24] "There is 'no sense', according to him, in separating this double dimension: the nuclear industry, which is recovering painfully from a horrible decade, illustrates the coherence between strategic autonomy and energy independence.' Our energy and ecological future is realized through nuclear power', as well as 'our industrial and strategic future (...)', concludes Mr. Macron. 'Without civilian nuclear power, no military nuclear power, without military nuclear power, no civilian nuclear power', whether in research or production. The Creusot plant and the Atomic Energy Commission are the 'living proof' of this complementarity dating back to 1945."
[25] Streck, Ralf (2021): op. cit. 


aktueller Blog 22

EU-Nachhaltigkeitssiegel

Verstößt "Atomkraft? - Nein danke!“ 

gegen EU-Nachhaltigkeitskriterien? 

von  Klaus Moegling 


3.2.2022


Im Mittelpunkt steht der Vorstoß der EU-Kommission, Energie aus Atomkraft-und Gaskraftwerken als nachhaltig produzierte Energie bewerten zu lassen. Hiermit sollen die internationalen Finanzströme insbesondere in die Nuklearindustrie gelenkt werden. Dieser Versuch, die bisherige EU-Nachhaltigkeitstaxonomie in diesem Sinne zu verändern, wird kritisch anhand der eigenen EU-Taxonomiekriterien analysiert und bewertet. Die Untersuchung ist u.a. als Beratung für an nachhaltiger Entwicklung interessierte Politiker_innen in den europäischen Institutionen konzipiert. 

Nachhaltigkeit – eigentlich ein klarer Begriff 

Nachhaltig ist eine Politik oder eine Unternehmensstrategie, wenn sie dazu beiträgt, dass den aktuellen und insbesondere den zukünftigen Generationen eine lebenswerte und bedürfnisgerechte Qualität ihrer existenziellen Bedingungen erhalten bzw. geschaffen wird, wie z.B. eine intakte Natur, eine stabile Friedensordnung oder eine gerechte Vermögensverteilung.
Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) formulierte bereits 1987 in ihrem „Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future“:
„Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts:
- the concept of 'needs', in particular the essential needs of the world's poor, to which overriding priority should be given; and
- the idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment's ability to meet present and future needs.“ [1]
Dies bedeutet, dass die Befriedigung der Bedürfnisse der jetzigen Generationen streng daraufhin zu prüfen ist, ob sie die existenziellen Möglichkeiten der zukünftigen Generationen einschränken. Hierbei wird bereits die Richtung zu einer an nachhaltiger Entwicklung orientierten Taxonomie beschritten, wenn im Brundtland-Bericht formuliert wird:
„In essence, sustainable development is a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development and institutional change are all in harmony and enhance both current and future potential to meet human needs and aspirations.“ [2]
Dies stellen eigentlich klare Vorgaben dar: Das Festhalten an oder die Entwicklung von umwelt- und menschenfeindlichen Technologien und industriellen Strategien verbieten sich hierdurch. Die an Nachhaltigkeit orientierte globale Entwicklung und entsprechende politische Maßnahmen haben hierbei insbesondere den Ausgleich von weltweiter Ungerechtigkeit bzw. die Besserstellung der unterprivilegierten Regionen der Welt zu berücksichtigen.
Dieses Nachhaltigkeitsverständnis ist von den Vereinten Nationen - aufgefächert nach verschiedenen Nachhaltigkeitsbereichen - verabschiedet und in den 17 Sustainable Development Goals (SDG) im Rahmen der Agenda 2030 fixiert worden.[3] 
Es ist somit zwischen einem engeren und prioritär auf den ökologischen Aspekt bezogenem Verständnis von Nachhaltigkeit und einem erweiterten Verständnis zu unterscheiden, bei dem die ökologische Perspektive neben ökonomischen, politisch, sozialen und kulturellen Dimensionen der Nachhaltigkeit steht. Die EU-Nachhaltigkeits-Taxonomie fokussiert insbesondere die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit, bezieht aber auch Nachhaltigkeitsperspektiven im erweiterten Sinne ein. 

Die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie – ursprünglich ein brauchbarer Ansatz 

Die erst aktuell verstärkt in die öffentliche Kritik geratene EU-Nachhaltigkeits-Taxonomie ist in einer früheren Version bereits 2020 entwickelt worden und hat die Funktion, auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit „das Potenzial des Binnenmarkts für die Verwirklichung dieser Ziele voll auszuschöpfen. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, Hindernisse zu beseitigen für die effiziente Lenkung von Kapital hin zu nachhaltigen Investitionen im Binnenmarkt und die Entstehung neuer Hindernisse zu vermeiden.“ [4]
Die durchaus vertretbare Intention eines Nachhaltigkeits-Labels für Finanzprodukte war es, die privaten und öffentlichen Investitionen im EU-Raum auf der Grundlage der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) systematisch und wirksam in eine nachhaltige Richtung zu lenken. Hierfür wurden für die verschiedenen EU-Staaten einheitliche Kriterien in Form einer Taxonomie, also eines abgestuften Bewertungssystems, in einem aus der Sicht der Kommission „holistischen Sinne“ entwickelt:
„Die Kriterien, anhand deren bestimmt wird, ob eine Wirtschaftstätigkeit ökologisch als nachhaltig einzustufen ist, sollten auf Unionsebene harmonisiert werden, um Hindernisse für das Funktionieren des Binnenmarkts im Hinblick auf die Mobilisierung von Finanzmitteln für nachhaltige Projekte zu beseitigen und das künftige Auftreten von Hindernissen für solche Projekte zu verhindern. Eine derartige Harmonisierung würde es den Wirtschaftsteilnehmern erleichtern, grenzüberschreitend Finanzmittel für ihre ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten zu mobilisieren, da ihre Wirtschaftstätigkeiten dann anhand einheitlicher Kriterien bewertet werden könnten, um als zugrunde liegende Werte für ökologisch nachhaltige Investitionen ausgewählt zu werden. Eine derartige Harmonisierung würde somit grenzüberschreitende nachhaltige Investitionen innerhalb der Union erleichtern.“ [5]
Es geht also darum, ob eine wirtschaftliche Aktivität, also z.B. die Herstellung eines industriellen Produkts sowie das Produkt selbst, als nachhaltig zu qualifizieren sind und damit für Fonds und institutionelle sowie private Anleger aufgrund der EU-Taxonomie als ‚grünes‘ Produkt empfohlen werden können. Des Weiteren betrifft dies auch die öffentliche Förderung und staatliche Maßnahmen zur Konjunkturlenkung. Unternehmen haben dementsprechend den Grad der Nachhaltigkeit ihrer Produkte Kriterien orientiert - als Prozentsatz in Bezug auf die Vorgaben – detailliert offenzulegen. [6]
Die Taxonomie hat sich zunächst an den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN von 2015 (Agenda 2020) zu orientieren, welche die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen. Des Weiteren richtet sich die Konkretisierung der Taxonomie (Art. 9) nach den sechs Umweltzielen der EU:
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1.      Klimaschutz;
2.      Anpassung an den Klimawandel;
3.      die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen;
4.      der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft;
5.      Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung;
6.      der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. [7]
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Die Taxonomie basiert auf Prinzipien, die auf diese sechs Umweltziele ausgerichtet sind (Kap. II):
-        Inwieweit bietet eine Wirtschaftstätigkeit einen „wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz“? (Art. 10) Inwieweit ist also eine ökonomische Aktivität geeignet, das 1,5-Grad-Klimaziel der Pariser UN-Klimaschutzkonferenz zu verwirklichen, u.a. durch den Einsatz regenerativer Energieerzeugung und erhöhter Energieeffizienz?
-        Führt die konkrete Wirtschaftsaktivität zu einem „wesentlichen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel“? (Art. 11) Ist eine ökonomische Aktivität geeignet, die Wirkungen des bereits eintretenden oder zukünftigen Klimawandels zu vermindern – allerdings „ohne das Risiko nachteiliger Auswirkungen auf Menschen, Natur oder Vermögenswerte zu erhöhen“?
-        Leistet eine Wirtschaftsaktivität „einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“? (Art. 12) Führt z.B. eine ökonomische Aktivität zur Einleitung von Abwasser und zur Verschmutzung von Flüssen?
-        Führt eine Wirtschaftsaktivität zu einem „wesentlichen Beitrag zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft einschließlich Abfallvermeidung, Wiederverwendung und Recycling“? (Art. 13) Hierbei ist u.a. die Verringerung bzw. Beseitigung des Einsatzes „besonders besorgniserregender Stoffe in Materialien und Produkten während ihres gesamten Lebenszyklus“ und „unter anderem durch Ersetzung dieser Stoffe durch sicherere Alternativen und durch Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit“ gemeint.
-        Leistet eine Wirtschaftsaktivität einen „wesentlicher Beitrag zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“? (Art. 14) Inwieweit wird z.B. eine Verringerung von Treibhausgas relevanten Emissionen oder anderer Schadstoffe durch diese Wirtschaftstätigkeit erzielt? Wie kann eine negative Auswirkung auf die menschliche Gesundheit vermieden werden?
-        Leistet eine ökonomische Aktivität einen „einen wesentlichen Beitrag zum Schutz und zur Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme“? (Art. 15) Inwieweit trägt beispielsweise eine Wirtschaftsaktivität zum Schutz von Ökosystemen, zur Sanierung belasteter Böden oder zur Artenvielfalt bei?
Der Nachweis der Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Aktivität hat hierbei in vier Schritten zu erfolgen:
-        Feststellung der Abdeckung der ökonomischen Aktivität durch die Taxonomie;
-        Feststellung des „wesentlichen Beitrags“ der jeweiligen Wirtschaftsaktivität;
-        Feststellung der Einhaltung des notwendigen Mindestschutzes;
-        Feststellung der Erfüllung der technischen Bewertungskriterien.[8]
Der Nachweis der Erfüllung technischer Bewertungskriterien soll u.a. – und dies ist für die vorliegende Fragestellung nach der Nachhaltigkeit der Kernenergie besonders relevant – „dem Lebenszyklus sowie den Erkenntnissen aus vorhandenen Lebenszyklusanalysen Rechnung tragen, indem sowohl die Umweltauswirkung der Wirtschaftstätigkeit selbst als auch die Umwelteinwirkungen der durch sie bereitgestellten Produkte und Dienstleistungen berücksichtigt werden, insbesondere durch Beachtung der Herstellung, der Verwendung und des Endes der Lebensdauer dieser Produkte und Dienstleistungen“. (Art. 19)
Interessanterweise wird in der EU-Richtlinie von 2020 vor dem Greenwashing gewarnt, wenn also falsche Label für vorgeblich ökologische Produkte vergeben werden. Die EU-Taxonomie solle das Greenwashing verhindern:
„Anforderungen an die Vermarktung von Finanzprodukten oder Unternehmensanleihen als ökologisch nachhaltige Investitionen, einschließlich der von den Mitgliedstaaten und der Union festgelegten Anforderungen, die die Finanzmarktteilnehmer oder Emittenten erfüllen müssen, um nationale Kennzeichnungen verwenden zu dürfen, sollen das Anlegervertrauen und das Bewusstsein für die Umweltauswirkungen dieser Finanzprodukte oder Unternehmensanleihen stärken, die Sichtbarkeit erhöhen und Bedenken in Bezug auf ‚Greenwashing‘ ausräumen. Im Sinne dieser Verordnung wird ‚Greenwashing‘ als die Praxis bezeichnet, durch die die Bewerbung eines Finanzprodukts als umweltfreundlich einen unfairen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, obwohl den grundlegenden Umweltstandards nicht entsprochen wird.“ [9]
Vor diesem Hintergrund ist es dann doch erstaunlich, wenn die EU-Kommission nun am 1.1.2022 einen Vorschlag zur Beratung in die zuständigen Gremien gibt, der sich für die Nachhaltigkeit von Atomkraftwerken bzw. der Kernenergie (bis 2045) und der Energiegewinnung auf der Basis von Gas (bis 2030) ausspricht. [10] Bei diesem Vorschlag handelt es sich um eine Ergänzung zur bisherigen Taxonomie, die nun der Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen und der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen zur Stellungnahme vorgelegt wurde. Dieser sogenannte ‚delegierte Rechtsakt‘ der EU-Kommission wird anschließend im ersten Halbjahr 2022 in einem Zeitraum von vier Monaten im EU-Parlament und im Rat der Europäischen Kommission beraten. Beide Gremien haben hierbei bei entsprechenden Mehrheiten ein Veto-Recht. [11]
Wenn der Vorschlag der EU-Kommission angenommen würde, könnten Aktien von Energieversorgungsunternehmen, die ihre Energieproduktion vorwiegend aus Kernenergie bzw. Atomkraftwerken beziehen, als nachhaltig empfohlen werden. Atomkraftwerke könnten dann des Weiteren der CO-2-Bilanz eines Staates gutgeschrieben werden.
Die Fraktion der Grünen im EU-Parlament überlegt daher, ob sie Klage gegen den Vorschlag der EU-Kommission einlegt. Hierbei müssten sie wohl noch die französischen Grünen überzeugen, deren grüner Präsidentschaftskandidat, Yannick Jadot, den Ausstieg aus der Kernkraft erst in 20 bis 25 Jahren als realistisch ansieht. [12]  Auch die finnischen Grünen halten die Kernkraft für die Bekämpfung des Klimawandels für notwendig. [13] 
Es soll sich im Folgenden nun systematisch damit befasst werden, inwieweit die Ausweisung der Kernenergie – insbesondere auf Betreiben Frankreichs und einiger osteuropäischer EU-Staaten – tatsächlich den eigenen EU-Kriterien genügt, so wie sie die eigene Taxonomie-Verordnung der EU vorsieht.
 

Wie nachhaltig ist Atomenergie im Sinne der EU-Taxonomie wirklich? 

Frankreich ist – zusammen mit Finnland und einigen osteuropäischen Staaten, u.a. Polen – Hauptinitiator des derzeit laufenden Versuchs, die internationalen Finanzströme über eine veränderte Nachhaltigkeits-Taxonomie der EU in die Finanzierung von Atomkraftwerke und damit auch der gesamten Nuklearindustrie, einschließlich der Atomwaffen, zu lenken. Insbesondere der französische Präsident Emmanuel Macron bestand auf den zum 1.1.2022 vorgeschlagenen und zum 2.2.2022 an die EU-Gremien weitergereichten Zusatz [14] zur bereits 2021 verabschiedeten und veröffentlichten EU-Taxonomie mit dem Argument, und Energiegewinnung über Kernkraft sei nachhaltig und als ‚grüne‘ Energieproduktion zu bezeichnen. In Frankreich sind derzeit 56 AKWs in Betrieb, die allerdings z.T. marode sind und nach erheblichen Reparaturinvestitionen verlangen. Frankreich bezieht ca. 71% seines Stroms aus Kernkraft. Frankreich liegt mit der Anzahl seiner AKWs an zweiter Stelle der nuklearen Energieproduktion im weltweiten Vergleich, hinter den USA und noch vor China. [15] Macron, für den im April 2022 Wahlen anstehen, begründet den Bau neuer AKWs wie folgt:
"Um Frankreichs Energieunabhängigkeit zu gewährleisten, die Stromversorgung unseres Landes zu sichern und unser Ziel der Kohlenstoffneutralität im Jahr 2050 zu erreichen, werden wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Errichtung von Kernreaktoren in unserem Land wieder aufnehmen." [16]
Da der Bau von AKWs der dritten Generation, ‚European Pressurized Reactors‘ (EPR), aufgrund der überbordenden Baukosten, Pannen und ständigen Verzögerungen Schwierigkeiten bereits seit Jahren bereitet, kündigt Macron nun die Entwicklung von Minireaktoren an, um die Versorgungsprobleme künftig zu lösen. Es handelt sich hierbei um ‚Small Modular Reactors‘ (SMR), die bis zu 300 Megawatt produzieren. Er kündigte im Oktober 2021 einen Innovationsplan ‚France 2030‘ an, im Rahmen dessen er mit Hilfe von 30 Milliarden Euro die Deindustrialisierung Frankreichs stoppen wolle, u.a. über den Bau von SMRs, die dann grünen Wasserstoff produzieren und einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zur französischen Dekarbonisierung bedeuten würden. [17]
Hier soll nun die Auffassung vertreten werden, dass es sich bei dem maßgeblich von Frankreichs Nuklearindustrie initiierten und vom mit diesem Industriezweig eng kooperierenden Macron vorgenommenen Vorstoß, die Nuklearindustrie als nachhaltig auszuweisen, um einen extremen Fall von Etikettenschwindel bzw. von Greenwashing handelt.
Die international anerkannte Nachhaltigkeitsdefinition der Brundtland-Kommission und auch die verabschiedeten UN-SDGs basieren darauf, dass die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen nicht die Einlösung der existenziellen Möglichkeiten zukünftiger Generationen behindern bzw. vernichten dürften. Doch bürdet die Atomindustrie Tausenden von zukünftigen Generationen die bisher nicht geklärte Entsorgungsfrage des Atommülls auf. Dies ist ein deutlicher Verstoß gegen den Kern der Nachhaltigkeit und auch dementsprechend gegen die Kriterien der EU-Taxonomie, die im Kap. II, Artikel 13, eine Verringerung bzw. Beseitigung des Einsatzes „besonders besorgniserregender Stoffe in Materialien und Produkten während ihres gesamten Lebenszyklus“ und „unter anderem durch Ersetzung dieser Stoffe durch sicherere Alternativen und durch Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit“ fordert. Da eine Transmutation der radioaktiven Abfälle eines AKWs in für den Menschen und die Natur ungefährliches Material bisher, auch aus der Sicht von Befürwortern eines solchen Versuchs, noch nicht gelungen ist, bleiben nach der Wärme und Strom liefernden Kernspaltung Krebs erregende Stoffe wie Plutonium, Neptunium, Americium und Curium, erhalten. Diese hochradioaktiven Isotope strahlen extrem lang und haben Halbwertzeiten zwischen zehntausenden bis hunderttausenden Jahren. [18] Somit widerspricht diese Tatsache auch insbesondere dem im Kap. II der Taxonomie, Artikel 19, formulierten Anspruch, dass technische Lebenszyklusanalysen von Produkten und Einrichtungen vorzunehmen sind, die deutlich machen, dass zu minimierende schädliche Auswirkungen einer wirtschaftlichen Tätigkeit während des Produktlebenszyklus bereits zu beenden sind.
Neben einem fehlenden und als nachhaltig zu bezeichnenden Entsorgungskonzept sind die Gefahren durch eine Kernschmelze im Atomreaktor zu nennen. Früher wurde hier zwischen einem GAU, einem noch beherrschbaren größten anzunehmenden Unfall, und einem Super-Gau unterschieden, der nicht mehr beherrschbar und bei dem das AKW außer Kontrolle geraten ist. Inzwischen wird eine Skala von 0 bis 7 für die Klassifizierung von Störfällen bzw. Unfällen international verwendet. Die nuklearen Katastrophen in Tschernobyl (Ukraine, 1986) und Fukushima (Japan, 2011) waren Unfälle von 7 auf der Klassifizierungsskala bzw. als Super-GAU zu bezeichnen. [19]
Atomkraftwerke sind nicht rein technischer Natur, sondern bestehen aus einem Mensch-Technik-System und beides ist Fehler anfällig. Material kann ermüden, es kann z.B. zu Rissen im Stahlmantel des Reaktorkerns kommen. Menschen können Warnsignale, z.B. aufgrund von Übermüdung übersehen. Die verschiedenen GAUs und Super-GAUs, die zur Freisetzung von lebenszerstörender Radioaktivität führten, zeigen, dass AKWs keineswegs – so wie in der EU-Taxonomie im Kap.II, Art. 14 gefordert, eine Wirtschaftsaktivität darstellen, die einen „wesentlicher Beitrag zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ leistet – im Gegenteil: AKWs stellen eine extreme Gefahr für die Gesundheit der Menschen dar, da sie – zumindest bislang nicht sicher zu betreiben sind und auch ein sicherer Betrieb zukünftig nicht erkennbar ist. Dieses Argument verstärkt sich noch einmal, wenn man über den ‚Normalfall‘ einer betriebstechnischen Störung hinausgeht und die Möglichkeit externer Eingriffe durch Cyber-Angriffe im Kriegsfall oder durch terroristische Anschläge einbezieht. [20]
Im Art. 11 (Kap.II) der Taxonomie wurde als Kriterium für Nachhaltigkeit angeführt, ob eine konkrete Wirtschaftsaktivität zu einem „wesentlichen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel“ führt. Ist eine ökonomische Aktivität geeignet, die Wirkungen des bereits eintretenden oder zukünftigen Klimawandels zu vermindern – allerdings „ohne das Risiko nachteiliger Auswirkungen auf Menschen, Natur oder Vermögenswerte zu erhöhen“?
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Abbau von Uran, der Bau von AKWs, der Betrieb von AKWs sowie die Entsorgung der Anlagen sowie des verbrauchten radioaktiven Materials keineswegs CO2-neutral und damit per se Klima schonend sind. Auch ist Uran ein endlicher Rohstoff, der in wenigen Jahrzehnten weltweit ausgebeutet sein dürfte. Betrachtet man des Weiteren die Kosten des Atomstroms, so wird deutlich, dass es sich hier mit Abstand um die teuerste Variante der Stromerzeugung handelt, die weit hinter den Kosten regenerativen Stroms zurückfällt. [21] AKWs sind sogar in einem noch größeren Maße als die auf Verbrennung fossiler Energieträger basierende Stromerzeugung von staatlichen Subventionen abhängig. Die Gewinne der Atomindustrie werden letztendlich vom Steuerzahler bezahlt.
Selbst die neue Generation der EPR, die vom französischen Staat gefördert wird, verschlingt ein Mehrfaches der veranschlagten Kosten. So werden die Baukosten des ursprünglich für ca. drei Milliarden Euro veranschlagten Atomkraftwerks der dritten Genration in Flamanville wohl niemals wieder eingenommen werden können – so Ralf Streck (2021):
„Die Kosten waren, wie der französische Rechnungshof vorgerechnet hat, schon 2015 auf 12,4 Milliarden Euro angewachsen. Dazu kämen bis zur nun angepeilten Inbetriebnahme aber weitere 6,7 Milliarden Euro. Damit hätten sich Kosten des mit zunächst veranschlagten 3,3 Milliarden ‚billigen‘ Projekts praktisch versechsfacht.“ [22]
Niemand kann des Weiteren die immensen Kosten eines GAU oder gar Super-GAUs seriös berechnen. Wie will man des Weiteren die Kosten Jahrtausende umfassender sicherer und zu bewachender Einlagerung von Atommüll berechnen? Und: Menschliches Leid, zerstörte Gesundheit, Tausende Krebstote und die Zerstörung der Biosphäre durch einen massiven AKW-Unfall entziehen sich jeglichem Kosten-Nutzen-Kalkül. 
Auch das französische Argument der Versorgungssicherheit lässt sich angesichts der Störanfälligkeit und der häufigen Außerbetriebnahme der französischen Atomreaktoren nicht halten. 
Zudem sind AKWs aufgrund ihrer langsamen Reaktivität, d.h. dass sie nicht kurzfristig für die Kompensation von Versorgungslücken hochgefahren werden können, nicht geeignet, im Zuge der Energiewende eingesetzt zu werden. Hier sind modernisierte Gaskraftwerke wesentlich reaktiver und flexibler - aber natürlich keine als nachhaltig zu bezeichnende Energieproduktion.
Dies alles bedeutet zweifelsfrei, dass die im Kap.II, Art. 10, der EU-Taxonomie geforderte Energieeffizienz in keiner Weise in Bezug auf Kernkraftwerke gegeben ist. 
Nun versucht Macron aufgrund der Probleme mit der dritten AKW-Generation mit Hilfe der Mini-Reaktoren, also der vierten Generation der AKWs, die Kernkraft wieder hoffähig zu machen. Doch die SMRs würden aufgrund ihrer vergrößerten Anzahl der immer noch gefährlichen Reaktoren eine Potenzierung des Risikos bedeuten. Auch ist bisher diese Entwicklungslinie für landgestützte SMRs noch nicht fertiggestellt und ob überhaupt eine zufriedenstellende Entwicklung für einen Betrieb gelingt, ist noch fragwürdig. Falls eine Produktion dennoch unmittelbar gelingen sollte, kämen ihre Installation und ihre Inbetriebnahme in frühestens ca. 10 Jahren für die notwendige zeitnahe Energiewende ohnehin zu spät. 
Der von der EU-Taxonomie geforderte wesentliche Beitrag für die „Anpassung an den Klimawandel“ würde somit durch die Lenkung der Finanzströme in die Kernkraft geradezu verhindert, denn das notwendige Investitionskapital wird in diesem Falle für die eigentliche Energiewende nicht zur Verfügung stehen. 

Zum Zusammenhang von ziviler und militärischer Nutzung der Kernkraft 

Der Uranabbau, z.B. in Mali, dient sowohl der zivilen als auch der militärischen Nutzung des Urans. Genauso ist die Nuklearbewaffnung Frankreichs, sowie z.B. auch Englands, zwingend mit der zivilen Nutzung der Atomenergie verbunden. Die benutzten Brennstäbe aus den AKWs werden wieder aufbereitet und für die Produktion von Nuklearwaffen verwendet.
So berichtet Jean-Michel Bezat in der Zeitschrift ‚Le Monde‘ über einen Besuch Macrons im Nuklearwerk von Le Creusot und dessen Äußerungen in diesem Zusammenhang:
„Il n’y a ‚pas de sens‘, selon lui, à dissocier cette double dimension: l’industrie de l’atome, qui se remet péniblement d’une décennie horribilis, illustre la cohérence entre autonomie stratégique et indépendance énergétique. ‚Notre avenir énergétique et écologique passe par le nucléaire‘, aussi bien que ‚notre avenir industriel et stratégique (…)‘, tranche M. Macron. ‚Sans nucléaire civil, pas de nucléaire militaire, sans nucléaire militaire, pas de nucléaire civil‘, qu’il s’agisse de la recherche ou de la production. L’usine du Creusot et le Commissariat à l’énergie atomique sont les ‚preuves vivantes‘ de cette complémentarité remontant à 1945.“ [23]  [24]
Macron spricht hier also von der „Kohärenz zwischen strategischer Autonomie und energiepolitischer Unabhängigkeit“. Er macht deutlich, dass es „ohne zivile Kernkraft“ keine Nuklearwaffen, „ohne militärisch genutzte Kernkraft keine zivile Kernkraft" geben könne, und „zwar sowohl in der Forschung als auch in der Produktion.“
Betrachtet man den französischen Vorstoß zur Änderung der EU-Taxonomie vor diesem Hintergrund, so lässt sich hier der Versuch beobachten, über einen Etikettenschwindel aus der zivilen Nutzung von Atomkraft eine ‚grüne‘ Energie zu machen, d.h. Finanzmittel aus privaten und öffentlichen Haushalten, u.a. EU-Subventionen, auch in die militärische Nutzung der Kernkraft fließen zu lassen. Ähnlich sieht dies Ralf Streck (2021), wenn er formuliert:
Letztlich wird deshalb auch an der Dualität zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie festgehalten, um Milliarden zu verstecken, die letztlich in die Militärprojekte fließen.“ [25] 

Fazit und politische Forderungen 

Die von interessierten Kreisen angestrebte Renaissance der Atomkraft mit Nachhaltigkeitsargumenten zu belegen, ist absurd. Die in der 202o verabschiedeten und veröffentlichten EU-Taxonomie festgelegten Kriterien verweisen eindeutig auf die fehlende Nachhaltigkeit der Kernkraft. Atomkraftwerke sind weder sicher, noch ist die Entsorgungslage geklärt. Auch sind sie nicht CO2-frei, bieten keine Versorgungssicherheit und sind extrem teuer. Sie sind ein Beispiel für die Internalisierung von Gewinnen und die Externalisierung von Kosten. Die Finanzierung einer grün gewaschenen Kernkraft würde zudem auch verdeckt zur Finanzierung der militärischen Nutzung der Kernenergie beitragen.
Kernkraft über eine Veränderung der bisherigen EU-Taxonomie als nachhaltig ausweisen zu lassen, ist eine üble Form von Greenwashing und letztendlich der Versuch eines schweren Betrugs an den EU-Bürgern_innen.
Die deutsche Bundesregierung, aber auch andere nationale Regierungen der EU sind aufgefordert, sich im Rat der Europäischen Union dem Ansinnen der EU-Kommission zu verweigern, die Finanzströme in eine Richtung zu lenken, welche zu einer Wiederkehr der eigentlich zumindest in Deutschland gesellschaftlich abgeschriebenen, in keiner Weise nachhaltigen und Milliarden Euro verschlingenden Atomkraft führen könnte. Auch sollten die Vertreter_innen im EU-Parlament gegen den Zusatz der EU-Kommission zur Nachhaltigkeits-Taxonomie stimmen. Letztlich sollten sich die deutsche Regierung sowie andere Regierungen den vor dem Europäischen Gerichtshof klagenden Staaten anschließen, falls Energie aus Atomkraftwerken tatsächlich als ‚grüne‘ Energie ausgewiesen werden würde.
Also es gilt weiterhin, das ‚Atomkraft? Nein danke!‘ auch auf der europäischen Ebene durchzusetzen, um die zukünftige für die Klimaneutralität erforderliche und auf regenerativer Energieerzeugung basierende Energieversorgungsinfrastruktur zu ermöglichen. Gerade für ärmere Regionen im europäischen Kontext, aber auch globalen Süden mündet das Setzen auf Kernenergie in eine energiepolitische Sackgasse und verhindert eine an nachhaltiger Entwicklung orientierte regenerative Energieproduktion. Besonders in den Ländern des globalen Südens ließe sich die benötigte Energie u.a. leicht durch die Sonne mit Hilfe von Photovoltaik oder durch Windenergie gewinnen lassen. Hier würden sich über die grüne Produktion von Wasserstoff sogar noch ertragreiche Exportmöglichkeiten eröffnen, die zu einem Abbau des globalen Reichtumsgefälles im Sinne von nachhaltiger Entwicklung beitragen könnten.
Die europäischen Finanzströme sind über die Vermeidung von Greenwashing, so wie es die ursprüngliche EU-Taxonomie vorsah, in den Ausbau der regenerativen Energieförderung sowie in die Entwicklung von Speichertechniken und in den Netzausbau zu lenken. Modernisierte Gaskraftwerke mit geringeren CO2-Emissionen könnten allerdings noch eine Zeit lang eine wichtige Brückenfunktion während der Durchführung der Energiewende und Dekarbonisierung auf dem Weg zur Klimaneutralität haben, um in dieser Zeit Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Kohlekraftwerke und AKWs sind zügig abzuschalten und rückzubauen bzw. zu entsorgen. Die Anzahl von Gaskraftwerken und das Ausmaß ihrer Strom- und Wärmeerzeugung sind allerdings Schritt für Schritt mit der wachsenden Bedeutung regenerativer Energieproduktion zu reduzieren. Eine problematische Anerkennung im vorgelegten Erweiterungsentwurf der EU-Kommission, der die Energie aus Gaskraftwerken als ‚grüne Energie‘ ausweist, ist hierzu nicht notwendig. Die Bundesregierung hat daher keinen faulen Kompromiss mit der französischen Regierung nötig und sollte weiterhin zu dem ursprünglichen Nachhaltigkeitsverständnis der Vereinten Nationen stehen.

(Dieser Beitrag wurde ebenfalls in 'Telepolis' veröffentlicht: 
Ist der Slogan "Atomkraft? – Nein danke!" jetzt zukunftsfeindlich?
In: https://www.heise.de/tp/features/Ist-der-Slogan-Atomkraft-Nein-danke-jetzt-zukunftsfeindlich-6346228.html, 3.2.2022, 5.2.2022 .)


Anmerkungen:

[1] World Commission on Environment and Development (1987): Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future. In: http://www.un-documents.net/ocf-02.htm#I, Chapter IV Conclusion, vom 20.3.1987, Zugriff: 31.1.2022.
[2] World Commission on Environment and Development (1987): a.a.O.
[3] UN (2015): Transforming our World: the 2030 Agenda for Sustainable Development.
In: https://sdgs.un.org/2030agenda, 25.9.2015, 31.1.2022.
[4] Rat der Europäischen Union (2020): VERORDNUNG (EU) DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088. In: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CONSIL:ST_5639_2020_INIT&from=DE, 1.4.2020, 31.1.2022, S.5.
[5] Rat der Europäischen Union (2020): a.a.O., S.7.
[6] Vgl. die Berechnungsbeispiele bei Jürgen, Ingmar/ Ryfisch, David (2021): Kurzdarstellung: Die EU Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. In: https://www.fs-unep-centre.org/wp-content/uploads/2021/01/Kurzpapier-EU-Taxonomie-fur-nachhaltige-Aktivitaten.pdf, Januar 2021, 31.1.2022.
[7] Rat der Europäischen Union (2020): a.a.O., Kap. II, Art. 9., S.51.
[8] Vgl. zur Zusammenfassung der Vorgehensweise in vier Schritten auch Jürgen, Ingmar/ Ryfisch, David (2021): a.a.O.
[9] Rat der Europäischen Union (2020): a.a.O., S.6.
[10] Es wird sich im Vorschlag der EU-Kommission unter bestimmten Bedingungen auch für die Einstufung der Energiegewinnung durch Gaskraftwerke als nachhaltig ausgesprochen. Dies entsprach insbesondere einem Vorstoß der deutschen Regierung, die modernisierte Gaskraftwerke noch als Brückentechnologie für die Energiewende nutzen wollte bzw. noch nutzen möchte. Diese Thematik soll allerdings hier nicht im Fokus stehen. Allerdings müsste m.E. die Versorgungssicherheit für einige Zeit über modernisierte und hocheffektive Gaskraftwerke noch gewährleistet sein, ohne dies allerdings als nachhaltig auszuweisen.
[11] „Wie bei dem ersten delegierten Rechtsakt auch haben Parlament und Rat, die der Kommission die Befugnis zum Erlass dieses delegierten Rechtsakts übertragen haben, vier Monate Zeit, den Rechtsakt zu prüfen und, falls sie es für notwendig erachten, Einwände zu erheben. Gemäß der Taxonomieverordnung können beide Organe eine Verlängerung der Frist um weitere zwei Monate beantragen. Der Rat hat das Recht, ihn mit verstärkter qualifizierter Mehrheit abzulehnen (d.h., mindestens 72% der Mitgliedstaaten (mindestens 20 Mitgliedstaaten), die mindestens 65% der Bevölkerung der EU vertreten, müssen Einwände gegen den delegierten Rechtsakt erheben), und das Europäische Parlament kann ihn mit einer Mehrheit (mindestens 353 MdEP) im Plenum ablehnen.“ In: Pressemitteilung der EU-Kommission (2022), https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22 , 2.1.2022, 31.1.2022.
[12] Vgl. Streck, Ralf (2021): Atomkraft-Ausbau in Frankreich: "Ohne zivile Kernenergie, keine militärische Nuklearmacht", In:
https://www.heise.de/tp/features/Atomkraft-Ausbau-in-Frankreich-Ohne-zivile-Kernenergie-keine-militaerische-Nuklearmacht-6219628.html?seite=all, 15.10.2021, 31.1.2022, sowie Franceinfo (2021): Nucléaire: "Un réacteur, ça peut nous péter à la figure", insiste Yannick Jadot, In: https://www.francetvinfo.fr/societe/nucleaire/video-nucleaire-un-reacteur-ca-peut-nous-peter-a-la-figure-insiste-yannick-jadot_4803187.html, 11.10.2021, 31.1.2022.
[13] Vgl. Kaufmann, Bruno (2021): Die Grünen in Finnland setzen auf Atomstrom. In: https://www.srf.ch/news/international/klimapolitik-die-gruenen-in-finnland-setzen-auf-atomstrom, 15.2.2021, 7.2.2022.
[14] Der Text für den Vorschlag der EU-Kommission wurde offiziell am 2.2.2022 veröffentlicht.  In: https://ec.europa.eu/info/publications/220202-sustainable-finance-taxonomy-complementary-climate-delegated-act_en, 2.2.2022, 7.2.2022.
[15] Vgl. die für 2020 geltenden Daten in: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/29294/umfrage/anteil-der-atomenergie-an-der-stromerzeugung-in-frankreich/  sowie https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152153/umfrage/anzahl-der-sich-in-betrieb-befindenden-atomkraftwerke-weltweit/ , beide Quellenzusammengestellt von A. Breitkopf: 19.1.2022, 1.2.2022.
[16] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/macron-atomkraftwerke-frankreich-101.html, 10.11.2021, 1.2.2022.
[17] Pistorius, Magdalena (2021): Macron präsentiert Frankreichs 2030-Ziele – finanziert mit 30 Milliarden Euro. In: https://www.euractiv.de/section/europakompakt/news/macron-praesentiert-frankreichs-2030-ziele-finanziert-mit-30-milliarden-euro/, 13.10.2021, 1.2.2022.
[18] Vgl. Knebel, Joachim (2014): Gibt es Ansätze die Halbwertzeit von Atommüll zu verkürzen? In: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wieso/artikel/beitrag/gibt-es-ansaetze-die-halbwertszeit-von-atommuell-zu-verkuerzen-laesst-sich-atommuell-zur-energiegewinnu-1/, 15.1.2014, 1.2.2022.
[19] Vgl. Rehren, Silke (2018): Grundlagen der Atomkraft. GAU und Super-GAU. In: https://www.planet-wissen.de/technik/atomkraft/grundlagen_der_atomkraft/pwiegauundsupergau100.html, 7.5.2018, 1.2.2022.
[20] Vgl. ausführlicher hierzu den Beitrag von Trautvetter, Bernhard (2022) in Telepolis sowie die sich anschließende kritische Diskussion des Beitrags in: https://www.heise.de/tp/features/Wie-Atomkraftwerke-zu-Atombomben-werden-6331922.html?seite=all, 19.1.2022, 31.1.2022.
[21] Vgl. die Vergleichszahlen unter: https://energiewinde.orsted.de/energiepolitik/kostenvergleich-atomenergie-erneuerbare-strompreis ,6.1.2021, 1.2.2022.
[22] Streck, Ralf (2021): Atomkraft-Ausbau in Frankreich: "Ohne zivile Kernenergie, keine militärische Nuklearmacht", In: https://www.heise.de/tp/features/Atomkraft-Ausbau-in-Frankreich-Ohne-zivile-Kernenergie-keine-militaerische-Nuklearmacht-6219628.html?seite=all, 15.10.2021, 31.1.2022.
[23] Bezat, Jean-Michel (2020): Nucléaire : „Pour Emmanuel Macron, c’est la filière militaire qui prime“. In:
https://www.lemonde.fr/idees/article/2020/12/21/nucleaire-pour-emmanuel-macron-c-est-la-filiere-militaire-qui-prime_6064052_3232.html, 21.12.2020
[24]  Es sei "sinnlos", diese doppelte Dimension zu trennen: "Die Atomindustrie, die sich von einem schrecklichen Jahrzehnt schmerzhaft erholt, veranschaulicht die Kohärenz zwischen strategischer Autonomie und Energieunabhängigkeit. Unsere energetische und ökologische Zukunft wird durch die Kernenergie verwirklicht", ebenso wie "unsere industrielle und strategische Zukunft (...)", so Macron abschließend. Ohne zivile Kernenergie keine militärische Kernenergie, ohne militärische Kernenergie keine zivile Kernenergie", weder in der Forschung noch in der Produktion. Die Anlage von Creusot und die Atomenergiekommission sind der 'lebende Beweis' für diese Komplementarität, die auf das Jahr 1945 zurückgeht."
[25] Streck, Ralf (2021): a.a.O.


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Towards a New Security Architecture: How to Reduce Tensions between Russia and NATO

by Klaus Moegling

12/18/2021


(This article was written about five weeks before the beginning of the Russian invasion. Its function was - in view of the expected Russian aggression - to call for intensified diplomatic efforts - unfortunately without success, but in my opinion still relevant for the future).



The recent talks between Joe Biden and Vladimir Putin should be expanded to include talks with EU and Xi Jinping. These talks could be the beginning of a new development towards reconciliation and security. What is needed is a new security architecture characterized by multilateral partnership and the dismantling of media-generated enemy images. The current escalating situation on the western border of Russia points to the urgent need for serious talks and negotiations.

The Construction of Enemy Images

The development of mutual enemy images constitutes the socio-psychological prerequisite for waging war. The Russian side promotes, the enemy image of an imperialist NATO, which primarily enforces the interests of U.S. corporations internationally. On the Western side, the enemy image of a militaristic and aggressive Russian autocrat is being built up. Russia is demonized as a state. Something similar is occuring between the USA and China.

The mutual construction of enemy images, which is often intensified by corresponding reporting in the media, has various functions. It distracts from domestic political difficulties, maintains military structures, supports the existence of the military-economic complex, increases the willingness among  the population to fight and creates preconditions for military interventions with a geostrategic or power-political background.

How then, could the preconditions for the mutual construction of enemy images be removed?

 

The role of political visions

Short-term realpolitik in international relations is often not sufficiently oriented toward longer-term political objectives. But political visions, i.e. long-term drafts for a meaningful future political realignment [1], should in a positive sense determine the norms of current political action in international politics. Immanuel Kant, in his reflections 'On Perpetual Peace' [2], could not have developed the ideal foundations of the United Nations without a positive vision of social development.

A vision of social reorganization based on the criticism of real conditions and on ethical ideals of a common, democratic, just, peaceful and ecologically justifiable development is the prerequisite for ensuring that the current political steps do not turn out to be disoriented and left in the hands of power elites pursuing their own interests or the ruling powers.

In this context, one cannot accuse a political vision for being visionary and not immediately realizable. The visionary thinking is, after all, the core of a vision. It represents - in a positive sense - a reasonable political intention to be developed in the future. However, the first steps oriented toward such a vision must be realistically based on the current state. Here, a more optimistic attitude should be the determining factor, without which no motivation for concrete steps in a meaningful peace policy direction can arise. A pessimistically oriented realpolitik habitus, however, constitutes an obstacle to peaceful development, since it does not trust that the peoples have a common chance for development.

The peace policy initiative 'Rethinking Security' therefore develops a positive scenario of a peace policy development based on the following premises:

"A sustainable civil security policy is based on a peace ethic in which thoughts and actions not only relate to one's own national interests, but at the same time reflect on what consequences these have for people in other countries. In this perspective, security exists (only) as the common security of all those involved. This applies both to the individual in his or her private everyday life and to the actors in business, politics, culture, education and science. In this scenario, society as a whole develops an orientation of common security as a way and a goal to confront the culture of violence and to develop a culture of peace." [ 3]

NATO and Russia

NATO is moving ever closer to the western border of Russia or the Russian Federation. This is undeniable. Former Warsaw Pact countries became NATO countries. NATO military structures have been established in these countries. Extensive military maneuvers of a much superior NATO in terms of conventional weapons, have taken place on the Russian western border. It is therefore understandable that Russia feels threatened after having been involved twice in the past century in world wars with a countless victims and deaths. In the same way, on the other hand, Eastern European states feel threatened by Russian troop concentrations and military exercises and also due to Russia's interventions in Crimea and eastern Ukraine.

Disarmament treaties, such as the Intermediate Range Nuclear Forces Treaty (INF Treaty), have been abolished. Both sides are recklessly rearming again –also in the area of nuclear weapons. Measures for military policy transparency were abolished. Thus, in 2020 and 2021, respectively, the U.S. and Russia withdrew from the 1992 'Treaty on Open Skies', which was supposed to facilitate mutual control of arms measures and troop movements.

On the one hand, NATO has in Eastern Europe expanded to the borders of the Russian Federation, contrary to the intentions initially expressed in 1990 but never regulated by a treaty. This is perceived by the Russian side as a breach of promise and as a threat to their security. On the other hand, the right of peoples to self-determination enshrined in the UN Charter also applies. A state cannot therefore, on the basis of current international law, be told which alliance it must join. 

The arms deliveries to Ukraine and its aspirations to join NATO, and the threat felt by Russia as a result, have now led to the current concentration of troops on the western border of Russia. The NATO countries and the EU, on the other hand, are threatening with massive sanctions if Russia intervenes militarily in Ukraine.

How can we now reduce this mutual threat potential and reach joint negotiations and a common security architecture again?

 

NATO should make an offer to the Russian Federation

The 1990 "Charter of Paris" [4] outlined a new security architecture for Europe, including Russia:

 „In accordance with our obligations under the Charter of the United Nations and commitments under the Helsinki Final Act, we renew our pledge to refrain from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or from acting in any other manner inconsistent with the principles or purposes of those documents. We recall that non-compliance with obligations under the Charter of the United Nations constitutes a violation of international law.

We reaffirm our commitment to settle disputes by peaceful means. We decide to develop mechanisms for the prevention and resolution of conflicts among the participating States.“

Thus, in this spirit, even at the beginning of the 21st century, the Russian side did not oppose negotiating a common security architecture and rapprochement with NATO. The Speech of Vladimir Putin to the German Bundestag on September 21, 2001, contained peace policy proposals aimed in this direction:

„No one calls in question the great value of Europe's relations with the United States. I am just of the opinion that Europe will reinforce its reputation of a strong and truly independent centre of world politics soundly and for a long time if it succeeds in bringing together its own potential and that of Russia, including its human, territorial and natural resources and its economic, cultural and defence potential.“ [5]

However, the hand that the Russian side stretched out was not accepted but ignored due to various Western interests. The West's rejection of Putin, the expansion of NATO on the one hand, and the developments in Russia, which are to be criticized from a human rights and democratic perspective, on the other, must therefore be seen in a context. How would Russia have developed if there had been a joint security alliance and increased political and economic cooperation?

Yet, now is the time to return to the course that was laid out at that time, before it is too late.

It concerns the political vision of an international cooperation in Europe including Russia and about the re-establishment and expansion of  the networking of NATO with Russia or the Russian Federation. [6]

As a first step, NATO should make the Russian Federation an offer of rapprochement with NATO with the medium-term goal of a common, sustainable security architecture. This can be done within the framework of the peace policy norms laid down in the 1990 'Charter of Paris' with the mediation of the EU and the OSCE according to the 'Charter of Paris':

 „Security is indivisible and the security of every participating State is inseparably linked to that of all the others. We therefore pledge to co-operate in strengthening confidence and security among us and in promoting arms control and disarmament.“ [7]

In this regard, it is possible to fall back on previously existing structures, such as those undertaken under the umbrella of the former CSCE (now OSCE). The status of Russia with NATO would also have to be restored within the framework of the NATO-Russia Council, which was established by the joint signing of the "Rome Declaration" (2002). This would first require reversing the expulsion of Russian representatives to NATO. Likewise, the withdrawal of all Russian representatives from NATO and the withdrawal of diplomatic accreditation of NATO representatives in Moscow must be revised. 

The next step is to renegotiate the abolished disarmament treaties with OSCE mediation and to initiate further disarmament steps. In addition, it would make sense to agree on joint security strategies and technological cooperation within the framework of the arrangements in the NATO-Russia Council, which is to be reactivated. In particular, it is important to increase transparency about joint cooperation, e.g. to reactivate the Treaty on Open Skies, and to establish regular meetings and talks in an institutionalized manner.

The current Russian demands that NATO should withdraw its troops to the positions of 1997 - i.e. before the eastward expansion of NATO which includes states such as Poland, Hungary or Bulgaria - and that NATO should exclude new memberships in the future, seem not to be acceptable for NATO. [8] Nevertheless, there is at least one possible approach for negotiations.

It would, for example, be possible by activating the Normandy format, with top priority to enforce the 400 km long military buffer zone defined in the Minsk II 2015 Treaty and to  ensure the necessary  relaxation of the currently escalating situation. Troops and heavy military equipment must be withdrawn on both sides from the vicinity of the eastern Ukrainian crisis area. In addition, a military-free security corridor between the Eastern European NATO states and the neighboring Russian Federation as a whole would have to be agreed upon in the medium term in order to meet common security interests.

In a third step, other important actors, such as the UN and the Chinese government, must be included in the talks about an international security architecture that is to be expanded, among other things with the aim of making a significant and contractually secured contribution to disarmament in the conventional and nuclear areas of the existing weapons arsenals.

This security architecture is to be legitimized and institutionalized by the UN General Assembly and the UN Security Council.

In view of the military threat scenarios currently occurring on the Eastern European border, such security policy steps probably seem absurd to skeptics who are exclusively oriented toward realpolitik. However, given the current threat of war, a change of direction is urgently needed. In a war between NATO and the Russian Federation there will only be losers. In the case of a military conflict fought by conventional means as well as by nuclear means, millions of human lives will again be sacrificed, possibly causing a military escalation which can no longer be stopped and which will destroy the foundations of human civilization. In this context, the massive superiority of NATO in the conventional arms sector[9] may lead to Russia using nuclear weapons in case of military inferiority.

In view of this highly realistic future scenario, is it not worth thinking about a consistent realignment of international structures?

Advantages of a new security structure

The reorganization of international relations in terms of security policy would have to be accompanied and legitimized by the UN Security Council and the UN General Assembly, i.e. the United Nations [10], which also needs to be reformed. The process of rapprochement that is then to be completed and the cooperation between the Russian Federation and NATO that has to be restarted would have to be linked with a restructuring of NATO into a genuine defense alliance renouncing offensive weapons and, among other things, proposing to the People's Republic of China (PRC) a comprehensive security partnership between NATO, the EU, the Russian Federation and the PRC so that the latter would not feel militarily threatened by a new security alliance between NATO and the Russian Federation.

Such a security architecture from New York and Brussels to Moscow and Beijing would eliminate the need to threaten one other with the manipulative construction of mutual enemy images. The enemy would disappear and become a partner in a common security partnership. The short-term goal would be a security partnership. But the medium-term goal would be a good neighbourhood among friendly states in the context of a UN to be reformed.

Another advantage would be the redirection of the resources of the society in a constructive direction. First of all, the new security alliance would freeze arms investments through joint negotiations in order to stop the arms spiral. The next step would be to, within the framework of UN-controlled global policing [11],reduce investments in weapons systems to the minimum necessary, thus releasing vast financial resources for global engagement against the climate crisis, against world hunger, and for necessary investments in social protection. This amounts to a gigantic sum of about 20 trillion US dollars to be redirected over the next 10 years.

Ultimately, all stakeholders - with the exception of the armaments industries - will be winners in the redemption of if this political vision is realized. But the defense industries could also become the economic financial winners of this security policy reorientation if they were serious about their arms conversion and the associated strengthening of their civilian production branches. [12]

Conclusion

This outlines a comprehensive proposal for the design of a future security architecture that should not be ignored. Cooperation at all important levels builds trust and thus security. The task now is to discuss the proposal presented here in the relevant institutions and bodies, to address it in party politics as well, to further differentiate it and then to implement it step by step.

In this regard, the EU, as well as the Russian Federation and NATO must be reminded of  the words of Vladimir Putin in his  speech 2001 in the German Bundestag:

 „Today we must say once and for all: the Cold War is done with! We have entered a new stage of development. We understand that without a modern, sound and sustainable security architecture we will never be able to create an atmosphere of trust on the continent, and without that atmosphere of trust there can be no united Greater Europe! Today we must say that we renounce our stereotypes and ambitions and from now on will jointly work for the security of the people of Europe and the world as a whole.“ [13]

The current threat scenario and the mutual threatening gestures in connection with the Russian troop concentration on the border with Eastern Ukraine and the corresponding military measures of NATO and the Ukrainian government, however, are extremely counterproductive. Here, NATO and the EU should be reminded of the Charter of Paris (1990) and the Russian Federation of the speech of Vladimir Putin to the German Bundestag (2001). It contains the norms and values as well as the security strategies and behaviors that are necessary to de-escalate the current threat situation. Stop threatening each other, finally start talking to each other like adult, mature people! 

The world can no longer afford to waste further social resources. Joint forces must be united globally to combat current threats, such as the climate crisis, military conflicts, pandemics or growing social disparities. NATO, the Russian Federation, the People's Republic of China, the EU, the OSCE and, above all, the UN must carry the responsibility for the crucial tasks in cooperation with all states and transnational regions in order to avoid a third world war and to ensure a planet worth living on for the next generations.


About the author:

Prof. Dr. Klaus Moegling, University of Kassel, retired, political scientist and sociologist, author of 'Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible.', among others published in open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/

(I am grateful for numerous suggestions in regard to this article, especially from circles of the German peace movement. I would also like to thank Ulla Klötzer (Finland) for the linguistic revision of the English version of the essay).

Notes

[1] Cf. Moegling, Klaus (2021): Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible., among others published in open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/, 14.12.2021.

[2] Cf. Kant, Immanuel (1796): Zum ewigen Frieden. A philosophical draft. Königsberg.

[3] Becker, Ralf/Maaß, Stefan/Schneider-Harpprecht, Christof (eds.) (2021): Rethinking Security. Karlsruhe. https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/248631/d---kurzfassung_2021_web.pdf, 15.12.2021. See also corresponding approaches in the English-language edition 'Rethinking Security': https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/186330/rethinking_security_abridged_version2019.pdf , 15.12.2021.

[4] Text of the 'Charter of Paris': 

https://www.osce.org/files/f/documents/0/6/39516.pdf, 14.12.2021

[5] Quote from the speech Vladimir Putin to the German Bundestag on 25.9.2001, source: 

http://en.kremlin.ru/events/president/transcripts/21340, 14.12.2021.

[6] Russia refers to itself as the Russian Federation with, among others, 22 semi-autonomous republics.

[7] Charter of Paris (1990): op. cit.

[8] Cf. https://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-konflikt-russland-ende-nato-osterweiterung-101.html, 17.12.2021, 18.12.2021 und https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_91342572/ukraine-konflikt-nato-bietet-russland-vertrauensbildenden-dialog-an.html, 17.12.2021, 18.12.2021; links to the both russian offers:
https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790818/?lang=en and

https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/?lang=en&clear_cache=Y , 17.12.2021, 23.12.2021.

[9] NATO member the United States alone invested a total of US$778 billion in armaments in 2020, whereas Russia, at US$61.7 billion, spent less than a tenth of that on defense equipment and services (see SIPRI (2021):  

Trends in world military spending, 2020. In: https://www.sipri.org/sites/default/files/2021-04/fs_2104_milex_0.pdf, 4/2021, 4/30/21).

[10] On UN reform, see, among others, Leinen, Jo/Bummel, Andreas (2018): A World Parliament: Governance and Democracy in the 21st Century. Bonn: J.H.W. Dietz-Verlag. Moegling (2021): op. cit., Zumach, Andreas (2021): Reform or Blockade. What is the future of the UN? Zurich: Rotpunktverlag.

[11] Cf. the interplay between civil conflict prevention measures and world police measures in: https://www.sicherheitneudenken.de/sicherheit-neu-denken-unsere-vision/downloads/, 14.12.2021.

[12] On arms conversion, cf. among others Rieger, Anne (2021): Rüstungskonversion: das Gebot der Stunde. In: Henken, Lühr (ed.) (2021): Weltkriegsgefahren entgegentreten. Initiating change for peace. Kassel: Verlag Winfried Jenior, pp. 40-58. Cf. also https://ruestungskonversion.de/, 14.12.2021.

[13] Quote from Vladimir Putin (2001): op. cit.

aktueller Blog 23


Auf dem Weg zu einer neuen Sicherheitsarchitektur: Wie ein Spannungsabbau zwischen Russland und der NATO gelingen kann.

Von Klaus Moegling 


(zuletzt aktualisiert: 18.12.2021)


(Dieser Beitrag wurde ca. fünf Wochen vor dem Beginn der russischen Invasion geschrieben. Er hatte die Funktion - angesichts der zu erwartenden russischen Aggression zu verstärkten diplomatischen Bemühungen aufzurufen - leider vergebens, aber m.E. für die Zukunft immer noch relevant.)


Die kürzlich stattgefundenen Gespräche zwischen Joe Biden und Wladimir Putin sollten um Gespräche mit der EU und Xi Jinping erweitert werden. Diese Gespräche könnten der Beginn einer neuen Entwicklung hin zu Entspannung und Sicherheit sein. Erforderlich ist eine neue Sicherheitsarchitektur, die durch multilaterale Partnerschaft und durch den Abbau medial erzeugter Feindbilder gekennzeichnet ist. Die gegenwärtig eskalierende Situation an der russischen Westgrenze verweist auf die dringende Notwendigkeit, dass ernsthaft miteinander gesprochen und verhandelt wird.

Die Konstruktion von Feindbildern

Die Entwicklung gegenseitiger Feindbilder stellt die sozialpsychologische Voraussetzung für die Durchführung von Kriegen dar. Auf russischer Seite wird das Feindbild einer imperialistischen NATO bemüht, die primär das Interesse von US-Konzernen international durchzusetzen habe. Auf westlicher Seite wird das Feindbild eines militaristischen und aggressiven russischen Autokraten entwickelt. Russland wird als Staat dämonisiert. Ähnliches entwickelt sich zwischen den USA und China.
Die gegenseitige Feindbildkonstruktion, die häufig durch dementsprechende Berichterstattung in den Medien intensiviert wird, hat verschiedene Funktionen. Sie lenkt von innenpolitischen Schwierigkeiten ab, erhält militärische Strukturen, unterstützt die Existenz des militärisch-ökonomischen Komplexes, erhöht die Kampfbereitschaft in der Bevölkerung und schafft die Voraussetzung für militärische Interventionen mit einem geostrategischen bzw. machtpolitischen Hintergrund.
Wie könnte man also der gegenseitigen Feindbildkonstruktion die Voraussetzungen entziehen?

Zur Rolle von politischen Visionen

Kurzfristige Realpolitik in den internationalen Beziehungen ist häufig nicht genügend an längerfristigen politischen Zielsetzungen orientiert. Doch politische Visionen, also langfristige Entwürfe einer sinnvollen zukünftigen politischen Neuordnung [1], sollten in einem positiven Sinne die Normen gegenwärtigen politischen Handelns in der internationalen Politik bestimmen. Immanuel Kant hätte in seinen Überlegungen ‘Zum ewigen Frieden‘ [ 2] ohne eine positive Vision gesellschaftlicher Entwicklung nicht die ideellen Grundlagen der Vereinten Nationen entwickeln können.
Eine auf der Kritik realer Verhältnisse und auf ethischen Idealen einer gemeinsamen, demokratischen, gerechten, friedlichen und ökologisch vertretbaren Entwicklung basierende Vision gesellschaftlicher Neuordnung stellt die Voraussetzung dafür dar, dass die gegenwärtigen politischen Schritte nicht orientierungslos ausfallen, den interessierten Machteliten bzw. den herrschenden Mächten überlassen bleiben.
Hierbei kann man einer politischen Vision nicht vorwerfen, sie sei visionär und nicht sofort umsetzbar. Das Visionäre ist ja der Kern einer Vision. Sie stellt – im positiven Sinne -  eine in die Zukunft gedachte vernünftige politische Entwicklungsabsicht dar. Die an einer derartigen Vision ausgerichteten ersten Schritte müssen allerdings realistisch am Ist-Zustand ausgerichtet sein. Hierbei sollte eine eher optimistische Grundhaltung das bestimmende Moment sein, ohne die keine Motivation für konkrete Schritte in eine sinnvolle friedenspolitische Richtung entstehen kann. Ein pessimistisch ausgerichteter realpolitischer Habitus stellt hingegen ein Hemmnis für eine friedliche Entwicklung dar, da er den Völkern keine gemeinsame Entwicklungschance zutraut.
Die friedenspolitische Initiative ‚Sicherheit neu denken‘ bzw. ‚Rethinking Security‘ entwickelt daher ein Positivszenario friedenspolitischer Entwicklung, das von folgenden Prämissen ausgeht:
„Nachhaltige zivile Sicherheitspolitik beruht auf einer Friedensethik, in der sich die Gedanken und Handlungen nicht nur auf die eigenen nationalen Interessen beziehen, sondern zugleich reflektieren, welche Folgen diese für die Menschen in anderen Ländern haben. Sicherheit besteht in dieser Perspektive (nur) als gemeinsame Sicherheit aller Beteiligten. Das gilt sowohl für den Einzelnen in seinem privaten Alltag als auch für die Akteure in Wirtschaft, Politik, Kultur, Erziehung und Wissenschaft. In diesem Szenario entwickelt die Gesellschaft als Ganze eine Orientierung gemeinsamer Sicherheit als Weg und Ziel, um der Kultur der Gewalt entgegentreten und eine Kultur des Friedens entwickeln zu können.“ [ 3]

Die NATO und Russland

Die NATO rückt immer näher an die Westgrenze Russlands bzw. der Russischen Föderation heran. Dies ist unbestreitbar. Ehemalige Staaten des Warschauer Pakts wurden zu NATO-Staaten. Militärische NATO-Strukturen wurden in diesen Staaten aufgebaut. Umfassende Militärmanöver einer hinsichtlich konventioneller Waffen vielfach überlegenen NATO fanden an der russischen Westgrenze statt. Es ist daher nachvollziehbar, dass Russland sich bedroht fühlt, nachdem es im vergangenen Jahrhundert zwei Mal in Weltkriege mit schrecklichem Blutzoll verwickelt wurde. Genauso fühlen sich hingegen die osteuropäischen Staaten durch russische Truppenkonzentrationen und Militärübungen bedroht, da sie die russischen Interventionen in der Krim und der Ostukraine vor Augen haben.
Abrüstungsverträge, wie z.B. der „Intermediate Range Nuclear Forces Treaty“ (INF-Vertrag), wurden aufgekündigt. Beide Seiten rüsten wieder rücksichtslos auf – auch im Bereich der Nuklearwaffen. Maßnahmen zur militärpolitischen Transparenz wurden abgeschafft. So erfolgte 2020 bzw. 2021 der Austritt der USA und Russlands aus dem 1992 beschlossenen ‚Treaty on Open Skies‘, der die gegenseitige Kontrolle von Rüstungsmaßnahmen und Truppenbewegungen erleichtern sollte.
Einerseits hat sich die NATO entgegen der 1990 zunächst geäußerten, aber nie vertraglich geregelten Absichten, in Richtung Osteuropa bis an die Grenzen der Russischen Föderation ausgebreitet. Dies wird von russischer Seite als Wortbruch und als Gefährdung ihrer Sicherheit empfunden. Andererseits gilt auch das in der UN-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Einem Staat kann daher auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts nicht vorgeschrieben werden, welchem Bündnis er beizutreten hat.
Die Waffenlieferungen in die Ukraine und deren Bestrebungen, in die NATO einzutreten, und die dadurch von Russland empfundene Bedrohung führten nun zur aktuellen Truppenkonzentration an der russischen Westgrenze. Die NATO-Staaten und die EU drohen hingegen mit massiven Sanktionen, falls Russland militärisch in der Ukraine intervenieren wird.
Wie kann man nun dieses gegenseitige Bedrohungspotenzial reduzieren und zu gemeinsamen Verhandlungen sowie wieder zu einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur gelangen?

Die NATO sollte der Russischen Föderation ein Angebot unterbreiten

In der „Charta von Paris“ von 1990 [4] wurde eine neue Sicherheitsarchitektur Europas unter Einschluss Russlands entworfen:
„In Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen gemäß der Charta der Vereinten Nationen und der Schlussakte von Helsinki erneuern wir unser feierliches Versprechen, uns jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt oder jeder sonstigen mit den Grundsätzen oder Zielen dieser Dokumente unvereinbaren Handlung zu enthalten. Wir erinnern daran, dass die Nichterfüllung der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt.
Wir bekräftigen unser Bekenntnis zur friedlichen Beilegung von Streitfällen. Wir beschließen, Mechanismen zur Verhütung und Lösung von Konflikten zwischen den Teilnehmerstaaten zu entwickeln.“
So war die russische Seite in diesem Sinne noch Anfang des 21. Jahrhunderts nicht abgeneigt, über eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und eine Annäherung an die NATO zu verhandeln. Wladimir Putins Rede am 21.9.2001 vor dem Deutschen Bundestag enthielt friedenspolitische Angebote, die in diese Richtung zielten:
„Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.“ [5]
Doch die von russischer Seite ausgestreckte Hand wurde aufgrund verschiedener westlicher Interessenslagen nicht angenommen und ignoriert. Die westliche Ablehnung Putins, der Ausbau der NATO einerseits und die unter menschenrechtlichen und demokratischen Perspektiven zu kritisierende Entwicklung in Russland andererseits sind daher in einem Zusammenhang zu sehen. Wie hätte sich wohl Russland entwickelt, wäre es zu einem gemeinsamen Sicherheitsbündnis und einer verstärkten politischen und ökonomischen Kooperation gekommen?
Diese damals angelegte Entwicklung gilt es nun aber wieder aufzugreifen, ehe es zu spät ist.
Hierbei geht es um die politische Vision einer internationalen Zusammenarbeit in Europa unter Einbezug Russlands und um die wieder herzustellende und zu erweiternde Vernetzung der NATO mit Russland bzw. der Russischen Föderation. [6]
Der Russischen Föderation ist in einem ersten Schritt von Seiten der NATO ein Angebot einer Annäherung an die NATO mit dem mittelfristigen Ziel einer gemeinsamen tragfähigen Sicherheitsarchitektur zu unterbreiten. Dies kann im Rahmen der 1990 in der ‚Charta von Paris‘ festgelegten friedenspolitischen Normen unter der zu leistenden Vermittlung der EU und der OSZE erfolgen - so in der ‚Charta von Paris':
„Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden. Wir verpflichten uns daher, bei der Festigung von Vertrauen und Sicherheit untereinander sowie bei der Förderung der Rüstungskontrolle und Abrüstung zusammenzuarbeiten.“ [7]
Hierbei kann auf bereits früher existierende Strukturen zurückgegriffen werden, wie sie unter dem Dach der ehemaligen KSZE (heute OSZE) vorgenommen wurden. Wieder herzustellen wäre auch Russlands Status bei der NATO im Rahmen des NATO-Russland-Rats, der durch die gemeinsame Unterzeichnung der „Erklärung von Rom“ (2002) festgelegt wurde. Hierfür müsste zunächst die Ausweisung russischer Vertreter bei der NATO rückgängig gemacht werden. Genauso sind das Zurückziehen aller russischen Vertreter aus der NATO sowie der Entzug der diplomatischen Akkreditierung der NATO-Vertreter in Moskau zu revidieren.
In einem nächsten Schritt sind die Neuverhandlung der aufgekündigten Abrüstungsverträge unter Vermittlung der OSZE vorzunehmen und weitere Abrüstungsschritte einzuleiten. Hierüber hinaus sind die Verabredung gemeinsamer Sicherheitsstrategien sowie technologischer Zusammenarbeit im Rahmen der Absprachen im wieder zu aktivierenden NATO-Russland-Rat sinnvoll. Insbesondere gilt es die Transparenz über die gemeinsame Kooperation zu erhöhen, z.B. den „Treaty on Open Skies“ wieder zu aktivieren, und regelmäßige Treffen und Gespräche institutionalisiert aufzunehmen.
Die aktuellen russischen Forderungen, dass die NATO ihre Truppen auf die Positionen hinter 1997 – also vor der Osterweiterung der NATO um Staaten wie z.B. Polen, Ungarn oder Bulgarien – zurückziehen solle und dass die NATO eine Mitgliedschaft für die Zukunft ausschließen solle, scheinen für die NATO nicht akzeptabel zu sein. [8] Dennoch liegt hierin zumindest ein Verhandlungsansatz begründet, über den miteinander gesprochen werden könnte.
Es wäre z.B. möglich, z.B. über die Aktivierung des Normandie-Formats, mit oberster Priorität kurzfristig die 400 km lange und im Vertrag von Minsk II 2015 festgelegte militärische Pufferzone durchzusetzen und dort für die notwendige Entspannung einer aktuell eskalierenden Situation zu sorgen. Truppen und schweres militärisches Gerät müssen auf beiden Seiten aus der Nähe des ostukrainischen Krisengebiets zurückgezogen werden. Zudem müsste mittelfristig zwischen allen beteiligten staatlichen und transnationalen Akteuren ein militärfreier Sicherheitskorridor zwischen den osteuropäischen NATO-Staaten und der angrenzenden Russischen Föderation insgesamt verabredet werden, um den gemeinsamen Sicherheitsinteressen zu entsprechen.
In einem dritten Schritt sind weitere wichtige Akteure, wie die UNO sowie die chinesische Regierung in die Gespräche über eine zu erweiternde internationale Sicherheitsarchitektur einzubeziehen, u.a. mit dem Ziel eines bedeutenden und vertraglich abgesicherten Beitrags für die Abrüstung im konventionellen und nuklearen Bereich der existierenden Waffenarsenale.
Hierbei ist diese Sicherheitsarchitektur über die UN-Generalversammlung und den UN-Sicherheitsrat zu legitimieren und zu institutionalisieren.
Angesichts der derzeit eintretenden militärischen Bedrohungsszenarien an der osteuropäischen Grenze erscheinen derartige sicherheitspolitische Schritte ausschließlich realpolitisch ausgerichteten Skeptikern wahrscheinlich abwegig. Doch gerade angesichts der aktuellen Kriegsgefahr ist ein Umlenken dringend erforderlich. Ein Krieg zwischen der NATO und der Russischen Föderation wird nur Verlierer kennen. Sowohl im Falle eines mit konventionellen Mitteln als auch nuklear ausgetragenen militärischen Konflikts werden wieder Millionen Menschenleben als Opfer zu beklagen sein, wird möglicherweise eine militärische Eskalation verursacht, die nicht mehr zu stoppen ist und welche die Grundlagen menschlicher Zivilisation zerstören wird. Hierbei kann die massive Überlegenheit der NATO im konventionellen Waffenbereich [9] dazu führen, dass Russland im Falle militärischer Unterlegenheit Nuklearwaffen einsetzt.
Ist es angesichts dieses durchaus realistischen Zukunftsszenarios nicht wert, über eine konsequente Neuordnung der internationalen Strukturen nachzudenken?

Vorteile einer neuen Sicherheitsstruktur

Die sicherheitspolitische Neuordnung der internationalen Beziehungen müsste von den ebenfalls zu reformierenden Vereinten Nationen [10] im UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung begleitet und legitimiert werden. Der dann zu vollendende Prozess einer Annäherung und die wieder zu beginnende Kooperation der Russischen Föderation mit der NATO müsste mit einer Umstrukturierung der NATO zu einem echten Verteidigungsbündnis unter Verzicht von Angriffswaffen und u.a. mit einem Angebot an die VR China für eine umfassende Sicherheitspartnerschaft zwischen NATO, EU, Russischer Föderation und der VR China verbunden sein, damit sich diese nicht durch ein neues Sicherheitsbündnis der NATO und der russischen Föderation militärisch bedroht fühlt.
Durch eine derartige Sicherheitsarchitektur von New York, über Brüssel, Moskau bis nach Peking würde die Notwendigkeit, sich mit der manipulativen Konstruktion gegenseitiger Feindbilder gegenseitig zu bedrohen, wegfallen. Der Feind würde abhandenkommen und zu einem Partner im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheitspartnerschaft werden. Das kurzfristige Ziel wäre eine sicherheitspolitische Partnerschaft. Doch das mittelfristige Ziel wäre eine gute Nachbarschaft befreundeter Staaten im Kontext einer zu reformierenden UN.
Ein weiterer Vorteil würde in der Umlenkung gesellschaftlicher Ressourcen in eine konstruktive Richtung liegen. Zunächst würde das neue Sicherheitsbündnis über gemeinsame Verhandlungen die Rüstungsinvestitionen einfrieren, um die Rüstungsspirale zu stoppen. In einem nächsten Schritt gilt es dann, die Investitionen in Waffensysteme bis auf das notwendige Minimum im Rahmen der durch die UN kontrollierten weltpolizeilichen Maßnahmen [11] zu reduzieren, so dass gewaltige Finanzmittel für das globale Engagement gegen die Klimakrise, gegen den Welthunger und für die notwendigen Investitionen in soziale Absicherung frei werden. Es geht hierbei um einen umzulenkenden gigantischen Betrag von ca. 20 Billionen US Dollar in den nächsten 10 Jahren.
Letztlich werden alle Beteiligten – bis auf die Rüstungsindustrien – Gewinner der Einlösung dieser politischen Vision sein. Doch auch die Rüstungsindustrien könnten zum ökonomischen Gewinner dieser sicherheitspolitischen Umorientierung werden, wenn sie ihre Rüstungskonversion und die damit verbundene Stärkung ihrer zivilen Produktionszweige ernsthaft vornehmen würden. [12]

Fazit

Hiermit ist ein umfassender Vorschlag für die Gestaltung einer zukünftigen Sicherheitsarchitektur skizziert, der nicht ignoriert werden sollte. Über die Kooperation auf allen wichtigen Ebenen werden Vertrauen und damit Sicherheit aufgebaut. Es gilt nun, den hier vorgelegten Vorschlag in den entsprechenden Institutionen und Gremien zu diskutieren, auch parteipolitisch aufzugreifen, weiter auszudifferenzieren und dann Schritt für Schritt umzusetzen.
Hierbei seien sowohl die EU, die Russische Föderation und die NATO an Putins Worte im Rahmen seiner 2001 im Deutschen Bundestag vorgetragene Rede erinnert:
„Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.“ [13]
Das gegenwärtige Bedrohungsszenario und die gegenseitigen Drohgebärden im Zusammenhang mit der russischen Truppenkonzentration an der Grenze zur Ostukraine und den entsprechenden militärischen Maßnahmen der NATO und der ukrainischen Regierung sind hingegen äußerst kontraproduktiv. Hier sollten die NATO und die EU an die Charta von Paris (1990) und die Russische Föderation an Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag (2001) erinnert werden. Darin sind die Normen und Werte sowie die sicherheitspolitischen Strategien und Verhaltensweisen enthalten, die für eine Deeskalation der gegenwärtigen Bedrohungslage notwendig sind. Hören Sie auf, sich zu bedrohen, reden Sie endlich wie erwachsene, reife Menschen miteinander!
Die Welt kann sich keine weitere Vergeudung gesellschaftlicher Ressourcen leisten. Die gemeinsamen Kräfte müssen global gebündelt werden, um die gegenwärtigen Bedrohungen, wie die Klimakrise, militärische Konflikte, Pandemien oder wachsende soziale Unterschiede, zu bekämpfen. Der NATO, der Russischen Föderation, der VR China, der EU und der OSZE sowie vor allem der UNO kommen hier die entscheidenden Aufgabenstellungen in Zusammenarbeit aller Staaten und transnationalen Regionen zu, um einen dritten Weltkrieg zu vermeiden und auch den nächsten Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.
 
Zum Autor:
Prof. Dr. Klaus Moegling, Universität Kassel, i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Autor von ‚Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible.‘, u.a. publiziert im open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/

(Der Autor bedankt sich für alle hilfreichen Kommentierungen, insbesondere aus der Friedensbewegung, die zu einer Weiterentwicklung des Beitrags geführt haben.)

[1] Vgl. Moegling, Klaus (2021): Realignment. A peaceful and sustainably developed world is (still) possible., u.a. publiziert im open access: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/, 14.12.2021.
[2] Vgl. Kant, Immanuel (1796): Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Königsberg.[3] Becker, Ralf/Maaß, Stefan/Schneider-Harpprecht, Christof (Hrsg.) (2021): Sicherheit neu denken. Karlsruhe. https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/248631/d---kurzfassung_2021_web.pdf, 15.12.2021. Siehe auch entsprechende Ansätze in der englischsprachigen Ausgabe ‚Rethinking Security‘: https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/186330/rethinking_security_abridged_version2019.pdf , 15.12.2021.
[4] Text der ‚Charta von Paris‘: https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/charta-von-paris-fuer-ein-neues-europa-vom-21.-11.-1990, 14.12.2021.
[5] Zitat aus der Rede Wladimir Putins vor dem Deutschen Bundestag am 25.9.2001, Quelle: https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966, 14.12.2021.
[6] Russland bezeichnet sich selbst als Russische Föderation mit u.a. 22 teilautonomen Republiken.
[7] Charta von Paris (1990): a.a.O.

[8] Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-konflikt-russland-ende-nato-osterweiterung-101.html, 17.12.2021, 18.12.2021 und https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_91342572/ukraine-konflikt-nato-bietet-russland-vertrauensbildenden-dialog-an.html, 17.12.2021, 18.12.2021; die Links zu den beiden russischen Offerten finden sich unter:
https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790818/?lang=en

https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/?lang=en&clear_cache=Y, 17.12.2021, 23.12.2021.

[9] Allein das NATO-Mitglied USA hat 2020 insgesamt 778 Milliarden US-Dollar in Rüstung investiert, wogegen Russland mit 61,7 Milliarden US Dollar nicht einmal ein Zehntel dessen für Rüstungsgüter und -dienstleistungen aufgebracht hat (vgl. SIPRI (2021):  

Trends in world military ependiture, 2020. In: https://www.sipri.org/sites/default/files/2021-04/fs_2104_milex_0.pdf, 4/2021, 30.4.21).

[10] Vgl. zur Reform der UN u.a. Leinen, Jo/Bummel, Andreas (2018): A World Parliament: Governance and Democracy in the 21st Century. Bonn: J.H.W. Dietz-Verlag. Moegling (2021): a.a.O.,  Zumach, Andreas (2021): Reform oder Blockade. Welche Zukunft hat die UNO? Zürich: Rotpunktverlag.

 [11] Vgl. Vgl. das Zusammenspiel zwischen zivilen Konfliktpräventionsmaßnahmen und weltpolizeilichen Maßnahmen in: https://www.sicherheitneudenken.de/sicherheit-neu-denken-unsere-vision/downloads/, 14.12.2021.

[12] Zur Rüstungskonversion vgl. u.a. Rieger, Anne (2021): Rüstungskonversion: das Gebot der Stunde. In: Henken, Lühr (Hrsg.) (2021): Weltkriegsgefahren entgegentreten. Wandel zum Frieden einleiten. Kassel: Verlag Winfried Jenior, S. 40-58. Vgl. auch https://ruestungskonversion.de/, 14.12.2021.
[13] Zitat aus Putin (2001): a.a.O.



Der gleiche Artikel wurde in 'Telepolis' mit ca. 280 Kommentierungen veröffentlicht:

Klaus Moegling:
Welcher Weg führt zu einer neuen Sicherheitsarchitektur?
Vorschläge für einen Spannungsabbau zwischen Russland und der Nato.


https://www.heise.de/tp/features/Welcher-Weg-fuehrt-zu-einer-neuen-Sicherheitsarchitektur-6304349.html

(22.12.2021)

Und:
Ein Radio-Interview von Andrasch Neunert (Radio Lora München) mit Klaus Moegling zu den Spannungen zwischen der NATO, der Ukraine und Russland ist auf der Homepage der Freien Radios eingestellt worden:  

https://www.freie-radios.net/112911

 

actual blog 24

Strengthening and simultaneous democratization of the United Nations

by Klaus Moegling


11/15/2021


The future of globalization cannot lie in unilateral approaches or selective bilateral or multilateral strategies of individual states, but, in view of the magnitude of the problems to be tackled globally and the threat of planetary collapse, can only be seen in the reformation of the United Nations - according to Gareis/Varwick (2014, 358):
"Viable answers to the central problems of humanity in the 21st century can at best be given multilaterally, and in the web of multilateral regimes and organizations, the United Nations plays a prominent role despite everything. The often-maligned United Nations is also indispensable in the field of peacekeeping: anyone who does not want the return of the law of the fist in international politics, anyone who does not want worldwide instability because other states will also take the right to act unilaterally, anyone who does not want to risk a worldwide arms race, must campaign for a mechanism in which individual states or groups of states do not fundamentally decide alone on the permissibility of the use of force."
The United Nations will only be able to fulfill its peacemaking function and its task of shaping the world politically, economically and ecologically if it undergoes effective structural reform due to its de facto lack of transparency, unequal distribution of power and lack of democratization. (1)  The following reform goals would have to be enforced for this to happen:
 

Visionary Building Block 1: 

Reform of the UN General Assembly


So far, the UN General Assembly cannot be called a world parliament because its members are not elected delegates. They have so far been seconded to the Assembly by their sending nation-states - including autocracies and dictatorships - as diplomatic officials bound by instructions. This represents a clear democratic deficit of the UN. Decisions of the UN General Assembly have so far not been binding on the UN Security Council, only having the character of recommendations.
In the proposal presented here, the UN General Assembly of all nations becomes the elected supreme decision-making body of the UN. This means that the decisions of the UN General Assembly will no longer have the character of recommendations, but will be binding for all UN bodies, all world regions and the world population. Elections to the UN Parliament take place every six years so that parliamentarians have enough time to deal with global problems within a legislative period. In the UN General Assembly, the democratically elected representatives of the individual nations decide, as long as there are still nations, and later regions, according to a share of the vote, which is made up of a voting base per nation, which is the same for all, and the respective population size. Comparable conversion procedures apply to world regions that are to be understood as transnational, i.e. which have overcome nation-statehood and have their own delegations. This could apply, for example, to an evolving European Union.
Resolutions of the UN General Assembly are passed with different majorities according to the scope of the resolutions. A 'qualified majority' could suffice for the legislative process and an 'enhanced qualified majority' would be needed to amend the UN Charter. (2)
European politician Jo Leinen and international networker Andreas Bummel ('Democracy Without Borders') also call for a democratically elected world parliament and integrate this into a multilateral structure and reform of the UN:
"The World Parliament would be anchored as the main organ of a third-generation world organization. As the central pillar of a world peace order, it should, for example, have a say in coercive measures and peace operations, and participate in a global inspection system in the wake of complete nuclear disarmament. New supranational institutions, which are already under discussion and will sooner or later be on the agenda, such as a world central bank, a world tax authority, a global anti-trust authority, a criminal police and an intervention force, as well as the introduction of global taxes or a global basic income, require democratic legitimacy and parliamentary control by a world parliament." 
 (Leinen/Bummel (2017, 374)
The proposal of a 'United Nations Parliamentary Assembly' (UNPA) developed by Leinen/Bummel and the international NGO "Democracy Without Borders" envisages that the democratic world parliament is decided by a resolution of the UN General Assembly and initially established as a UN subsidiary body in the sense of Art. 22 of the UN Charter. This means that a resolution of the UN General Assembly would be sufficient and no vote in the UN Security Council would be required. This parliament would initially be composed of members of the national and transnational parliaments and could then be elected directly in the global context as the rights of control and co-decision are expanded step by step. (3) This could involve a mixed electoral system in which both direct candidates and parties could be elected. In my opinion, the number of available parliamentary seats for a country or a transnational region could be determined by a key of population size, spatial size and qualitative factors, such as the contribution to the fulfillment of the CO2 climate convention and a democracy index.
The corresponding "Campaign for a Parliamentary Assembly at the United Nations" (UNPA Campaign) exists since 2007. The demand for a democratic world parliament is currently supported by about 1600 delegates from about 130 countries and about 250 NGOs and numerous citizens worldwide. The Socialist International, the Liberal International and the Green World Congress also support the campaign. (4) (5)
Two paths are conceivable in terms of institutionalization: The first way would lead to a gradual replacement of the existing UN General Assembly by the democratic World Parliament. The second way would be the coexistence of the UN General Assembly and the World Parliament in the sense of a bicameral system. Both ways have advantages and disadvantages. While on the one hand, the bicameral system would allow for intensive checks and balances, this could also lead to institutional wrangling over competencies, unnecessary delays in decision-making processes, and blocking of necessary decisions. The gradual replacement of the UN General Assembly by a democratically elected world parliament would be more in line with the idea of democracy, since it would not be delegated officials from nation states (including undemocratic states) who would have a say, but the collective decision-making power would lie with delegates democratically determined in worldwide elections and deciding independently. Also, the decision-making processes would presumably proceed more quickly than in the case of multiple mutual communication and mutual control of two assemblies, each with thousands of members. On the other hand, of course, an additional control body would be omitted.
Therefore, the concrete shaping of the path to a democratic world parliament, if it is actually taken, must inevitably be left to the concrete political processes in the conflicts of interest and the compromise solutions to be found within the framework of existing and expandable margins of international politics (and of course try to bring one's own position into networking contexts).
The EU-Parliament, the Latin American Parliament and the Pan-African Parliament as well as NGO's like ATTAC or BUND also demand a democratically elected UN-Parliament, first of all as a UN subsidiary body according to UN-Charter, Art 22. This is important to note because the accusation of political world disengagement is easily brought forward, especially by those who cannot imagine radical innovations of the international political system. The establishment of a democratic world parliament within the framework of the UN is a current issue for many democratic institutions and groupings in the global context, and not the vision of a few scholars and networkers imagining the future.
"The European Parliament has (...) called in a resolution for the establishment of a United Nations Parliamentary Assembly. The Assembly, it said, should be embedded in the UN system and 'strengthen the democratic profile and internal democratic process' of the UN.
 In the resolution, the European Parliament argues that 'this Parliamentary Assembly should have the full right to information, participation and control, and should be able to adopt recommendations for the United Nations General Assembly.' " (6)
 

Visionary Building Block 2: 

Reform of the UN Security Council.


The UN Security Council's function in the post-World War II era was to open up a privileged position for the victorious powers with regard to future peacekeeping and war prevention. With the permanent membership and veto power of Russia, China, the USA, France and England, these powers also had the opportunity to assert their geostrategic and economic interests in terms of security policy. In recent decades, however, the priority of the permanent members of the UN Security Council has increasingly shifted away from a responsible global orientation towards a national-chauvinistic representation of interests. In this context, the permanent UN Security Council members also blocked each other when it came to necessary security policy decisions so that the UN Security Council was incapable of acting and could not fulfill its global political function.
There was also criticism that large states, such as India or Brazil, were not permanent members of the Security Council. Furthermore, the question arose whether transnational associations, such as the EU, should not also have a seat on the UN Security Council.
 A fundamental criticism can also be made of the fact that the activities and decisions of the UN Security Council are not controlled by any democratic institution, such as a UN parliament. The UN Security Council is therefore a rather undemocratic institution that is historically outdated and in need of fundamental reform. This is the only way to solve present and future security problems in the interest of the world community.
Within the framework of the concept of a radically renewed and democratized UN advocated here, a modified structure and function of the UN Security Council must now be designed. The UN Security Council must continue to fulfill its task with a focus on global conflict hotspots and the timely development of conflict solutions. However, the subdivision into a permanent and expanded Security Council is abandoned. All member countries or regions of the future Security Council will be elected by the UN General Assembly, e.g. every five years. The Security Council's decisions have the character of recommendations for the UN General Assembly. Individual states no longer have a veto right. Resolutions of the Security Council, which then consists of 15 members with equal rights, must be passed by a qualified majority and are bound by the political and legal framework decided by the democratically elected world parliament.
The UN General Secretariat or the UN President, who will be elected at a later date, has the right to participate in the meetings of the Security Council in an advisory capacity and is an additional control body that reports to the UN Parliament in a timely manner on the decisions and recommendations of the Security Council.
This reform will now make it possible for every state or region to have a chance to participate in the UN Security Council with an equal voice. The blocking of the UN Security Council by the right of veto will no longer apply. This also institutionalizes democratic control of the Security Council. There is a shift of power to the UN Parliament, without losing the ability to process a security-relevant decision quickly and in line with the situation.
 

Visionary building block 3: 

Reform of the UN General Secretariat


The current institution of the UN Secretary-General is proposed by the UN Security Council and elected by the UN General Assembly for a five-year term. The UN Secretary-General has no authority to issue directives for the UN. He has the right to participate in the meetings of the UN main bodies (exception: deliberations of the International Criminal Court). He directs the administration of the UN General Secretariat and represents the UN externally.
These quite important functions are now being expanded within the framework of the proposal for a global political reorganization presented here. The UN General Secretariat, as well as the UN Secretary-General, will be replaced by a UN President elected by the UN Parliament for the legislative period, who represents the world government, has the right of nomination for the ministerial members of the world government and has a democratically controlled authority to issue directives. The UN Parliament controls the UN Presidency and can bring about a vote of no confidence and a change of government by a qualified majority.
The individual members of the government with special portfolios, such as environment, security or economy, have to present themselves to the UN General Assembly and are individually confirmed or rejected in their functions by the assembly.
The UN General Assembly forms the actual legislature. A democratically controlled world government has - in close coordination with the UN Security Council - the global monopoly on the use of force and responsibility over the executive. Within the framework of a world domestic policy, the world government works toward cooperation among all nations and regions. It uses mainly diplomatic means as well as procedures of conflict mediation. It can only apply sanctions or even military intervention on the basis of a corresponding resolution by the democratically elected UN Parliament. The UN world government is supported by regional transnational governments, whose representatives are elected regionally and who exercise and also guarantee regional or decentralized administration in the sense of subsidiarity.
The transnational regions are in turn subdivided, initially for a time into nation states, increasingly into subnational and also cross-border regions and their local administrative units in the form of counties and cities. Their representations, too, are of course to be elected democratically.
In this context, the principle of subsidiarity must be effectively anchored in law and made increasingly competent over the years. Only when it becomes clear to citizens that their concerns are being dealt with swiftly and fairly at the right place and institutional level, will skepticism about a world government give way to satisfaction with the newly staggered responsibilities.
The world government is controlled by the UN General Assembly, which can formulate a vote of no confidence by a qualified majority and for which the world government is accountable in regular debates, and by the relevant chambers and instances of the International Court of Justice.
Global, regional and local committees of petitions and ombudspersons or councils also constitute citizen-based control bodies. A special direct-democratic control mechanism is also created when the intentions of a UN World Citizens' Initiative prevail.
 

Visionary building block 4: 

UN World Citizens' Initiative


 There is currently no citizens' initiative or referendum at the global level. Democracy is not understood here in terms of participatory global citizenship. People with a global citizenship consciousness do not have the opportunity to vote or elect globally.
In order to achieve a more direct say in the sense of democratic participation in the global UN system, which has so far been based at best on multilateral representation, this would have to be made possible not only through the election and establishment of a world parliament but also with other forms of direct democracy. 
The NGOs Democracy Without Borders, Civicus and Democracy International are therefore calling for a critique of the UN's undemocratic structures and the possibility for citizens to exert influence through new procedures:
"The coronavirus pandemic, climate change and many other challenges underline the fact that all people on this planet are connected to each other. As world citizens, we are all in the same boat but we have no say at the United Nations (UN) as the most important arena of global politics. The Security Council decides on matters of international peace and security and the General Assembly makes recommendations, launches treaty negotiations or is engaged in international agenda-setting. The UN, however, is an exclusive club of appointed government diplomats. The UN's democratic deficit has been complained about for decades. While the UN has made some effort to include civil society organizations and other major groups in some of its deliberations, there are no means for ordinary citizens to take influence." (7)
Therefore, the current global initiative for a UN World Citizens Initiative (UNWCI) should be supported. This campaign, with the support of numerous international NGOs, such as Democracy Without Borders, Civicus, Democracy International, Global Justice Now, and Asia Democracy Network, seeks direct democratic world citizen participation. Similar to the arrangements for a European Citizens Initiative (ECI) already practiced in the EU, the UNWCI seeks to combine direct-democratic and representative-democratic procedures. If this initiative is successfully taken up by the UN, then the question of the appropriate number of votes (world population quorum) required for such a global citizens' demand must of course be asked. It is also necessary to consider to what extent not only a certain number of votes is required, but also a consideration of all transnational world regions. This is then the precondition that such a campaign is subsequently also carried out worldwide and no world region is ignored. 
"The idea of a UN World Citizens' Initiative (UNWCI) is that if a certain number of global citizens endorse a citizen-launched initiative, UN bodies such as the General Assembly or the Security Council have to put the item on their agenda and give representatives of the initiative the floor to make their case. In terms of the General Assembly, this could be done during the annual general debate while heads of state and government are present.
A UNWCI will allow global citizens to have more impact in a world with growing dilemmas that require the global cooperation of both states and citizens alike. It will help create a citizen-based global political sphere." (8)
For a global plebiscite, a quorum must be met so that this democratic instrument is manageable and the multitude of plebiscites does not overwhelm all institutions involved. The model for this could be the European Citizens' Initiative (ECI), where one million votes from at least a quarter of the EU states is the threshold for carrying out the initiative. 
Such a petition would undoubtedly have to be carried out digitally. The question then arises of how to protect against international hackers attempting to attack such an initiative. Technological solutions would have to be found to prevent this.
Preparations would also have to be made for the institutionalization of such a global consultation initiative. The NGO Democracy Without Borders proposes, among other things, the establishment of a digital Global Voting Platform (GVP), through which international discussions and statements on UN decisions can take place. Voting could also be used to create opinion polls on the main issues affecting the global community. The only prerequisite for participation is the registration of a cosmopolitan status, which a person interested in this can already do independently with the help of a smartphone. (9)
It will certainly be more difficult to win over autocratically or even dictatorially governed regimes to approve and implement the respective cosmopolitan aspirations in their state. This will be particularly difficult if the initiative is concerned with the observance of human rights and the implementation of democratic structures. Nevertheless, these considerations should not be a pretext for abandoning the current efforts towards a UNWCI but should be taken into account conceptually in the further concretization.
 

Visionary Building Block 5: 

World Legislation and International Court of Justice


The existing world legislation, as far as one can speak of it at all, is not able to transcend the borders of nation-state sovereignty and is dependent on the acceptance and implementation of decisions of the UN General Assembly by nation-state governments or even transnational regions.
The existing judiciary at the world level, while already offering valuable starting points for global jurisdiction, has not yet been fully implemented at the UN level. The International Court of Justice (ICJ) consists of 15 judges from 15 different states who are elected by the UN General Assembly. Its jurisdiction covers domestic disputes and legal opinions on questions of international law. However, the USA, for example, only submits to the ICJ to a limited extent.
The International Criminal Court (ICC) has jurisdiction over proceedings for genocide, crimes against humanity, war crimes and crimes of aggression - when nation-state prosecution is not possible or not desired. Again, it should be noted that a number of important countries have not acceded to the ICC's jurisdiction, including the United States, China, Russia, India, and Turkey. Also, the ICC is not a UN institution but only cooperates with the United Nations.
Based on this analysis of the legislative and judicial capabilities of the United Nations, some changes would have to be made within the framework of the vision elaborated here.
Decisions made on the basis of the UN Charter by the world parliament to be elected in its area of competence are binding worldwide. Supra-regional political institutions, such as the European or African Union, and nation states, to the extent that they still predominate in the transition, exclusively pass resolutions in their parliaments and formulate laws where these are not affected by UN resolutions and are within their sphere of competence. Subnational regions and other subdivisions are given partial autonomy with regard to individual areas of regulation where this makes sense in the context of world legislation in the sense of subsidiarity.
The position of the United Nations International Court of Justice is upgraded and the various chambers are brought together under one institutional roof. It includes both the prosecution of institutions and representatives of institutional bodies and the function of a constitutional court. No country, no region is entitled to evade prosecution by the UN-controlled court if, for example, state violations of human rights, sustainable development laws, arms control laws or peace regulations are reported, prosecuted and tried here. Another chamber of the World Court, which is subdivided into different sections, deals with constitutional complaints from individual states or world regions, which can relate to individual regulations of the UN Constitution, but also to legal regulations at the transnational and sub-national regional level.
The International Court of Justice is called upon when global or transregional problems are involved that cannot be successfully dealt with by regional and local jurisdiction. In keeping with the principle of subsidiarity, judicial referral of crimes committed by criminal individuals and groups will be decentralized to local courts based on UN law.

Notes
(1)  Cf. also Moegling (2019c and 2019e).
(2) The model here could be the concept of qualified majority voting in the Council of the EU: 55% of EU member states vote in favor of the proposal - in practice, this means 15 out of 27; the proposal is supported by EU member states that together account for at least 65% of the total population of the EU. Voting by an 'enhanced qualified majority' is regulated there as follows: At least 72% of Council members must vote 'yes' and they must represent at least 65% of the EU population. Cf. https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/voting-system/qualified-majority/, n.d., 22.4.21.
(3) Cf. Leinen/Bummel (2017, 371ff.).
(4) In: https://de.unpacampaign.org/unterstuetzung/, n.d., 1.12..2019.
(5) The UNPA campaign is not to be confused with another older (since 1889) international effort to build another global parliamentary assembly, the 'Interparliamentary Union', which consists of representatives of the various national parliaments, but does not seek direct election. The 'Interparliamentary Union' sees itself as an international advisory body, which was established to strengthen national parliaments as well as for international cooperation, e.g. in the meantime via an association agreement with the UN General Assembly. Among other things, it advocates for human rights, the preservation of natural livelihoods, and peacekeeping, primarily at the parliamentary level (see https://www.ipu.org/, dated March 17, 2019). A cooperation of UNPA Campaign and Interparliamentary Union would be desirable, whereas competitive behavior would be counterproductive here.
(6) In: https://www.epo.de/index.php?option=com_content&view=article&id=587:
 europaparliament-demands-democratization-of-uno&catid=123&Itemid=139, dated June 9, 2005, retrieved March 17, 2019.
(7) https://www.worldcitizensinitiative.org/, n.d., 4/29/2021
(8) In.https://www.worldcitizensinitiative.org/#:~:targetText=The%20idea%20of%20a%
 20UN,floor%20to%20make%20their%20case. o.D., 25.11.2019.
(9) https://www.democracywithoutborders.org/de/gvp/, n.d., 4/29/2021.

(Complete literature see at the bottom of https://www.klaus-moegling.de/international-edition/)
 


aktueller Blog 24


Stärkung und gleichzeitige Demokratisierung der Vereinten Nationen 

von Klaus Moegling


Die Zukunft der Globalisierung kann nicht in unilateralen Vorgehensweisen oder selektiven bi- oder multilateralen Strategien einzelner Staaten liegen, sondern ist angesichts der Größenordnung der global zu bewältigenden Probleme und des drohenden planetaren Kollaps nur in der Neuformierung der Vereinten Nationen zu sehen – so Gareis/Varwick (2014, 358):
„Tragfähige Antworten auf die zentralen Menschheitsprobleme sind im 21. Jahrhundert allenfalls multilateral zu geben, und in dem Geflecht multilateraler Regime und Organisationen spielen die Vereinten Nationen trotz allem eine herausragende Rolle. Auch im Bereich der Friedenssicherung sind die oft gescholtenen Vereinten Nationen unverzichtbar: Wer nicht die Rückkehr des Faustrechts in der internationalen Politik will, wer nicht weltweite Instabilität möchte, weil sich auch andere Staaten das Recht zum unilateralen Handeln nehmen werden, wer nicht einem weltweiten Rüstungswettlauf riskieren möchte, der muss für einen Mechanismus werben, bei dem nicht grundsätzlich einzelne Staaten oder Staatengruppen allein über die Zulässigkeit von Gewaltanwendung entscheiden.“
Hierbei werden die Vereinten Nationen ihre friedensstiftende Funktion und ihre Aufgabe hinsichtlich der politischen, ökonomischen und ökologischen Gestaltung der Welt nur erfüllen können, wenn sie sich aufgrund der faktischen Intransparenz, der ungleichen Machtverteilung und fehlender Demokratisierung einer wirkungsvollen Strukturreform unterziehen. [1] Folgende Reformziele müssten hierfür durchgesetzt werden:
 

Visionärer Baustein 1:
Reform der UN-Vollversammlung
 

Bisher kann die UN-Vollversammlung (auch UN-Generalversammlung genannt) nicht als Weltparlament bezeichnet werden, da ihre Mitglieder keine gewählten Delegierten sind. Sie werden bisher von ihren sie entsendenden Nationalstaaten – auch von Autokratien und Diktaturen – als diplomatische und weisungsgebundene Beamte zur Vollversammlung hin abgeordnet. Dies stellt ein deutliches Demokratiedefizit der UN dar. Beschlüsse der UN-Generalversammlung haben bisher keine Verbindlichkeit für den UN-Sicherheitsrat, nur Empfehlungscharakter.
Im hier vorliegenden Vorschlag wird die UN-Vollversammlung aller Nationen zum gewählten obersten Beschlussorgan der UN. Dies bedeutet, dass die Beschlüsse der UN-Vollversammlung nicht mehr Empfehlungscharakter haben, sondern verbindlich für alle UN-Organe, alle Weltregionen und die Weltbevölkerung sind. Wahlen zum UN-Parlament finden alle sechs Jahre statt, damit den Parlamentariern genügend Zeit für die Bewältigung der globalen Problemstellungen innerhalb einer Legislaturperiode bleibt. In der UN-Vollversammlung entscheiden die demokratisch gewählten Vertreter der einzelnen Nationen, solange noch Nationen vorhanden sind, später dann Regionen, entsprechend eines Stimmenanteils, der sich aus einem jeweils für alle gleichen Stimmensockel pro Nation und der jeweiligen Bevölkerungsgröße zusammensetzt. Vergleichbare Umrechnungsverfahren gelten für Weltregionen, die als transnational zu begreifen sind, welche also die Nationalstaatlichkeit überwunden haben und eigene Delegationen besitzen. Dies könnte z.B. für eine sich weiterentwickelnde Europäische Union gelten.
Beschlüsse der UN-Vollversammlung werden entsprechend der Tragweite der Beschlüsse mit unterschiedlichen Mehrheiten gefasst. Für das Gesetzgebungsverfahren könnte eine ‚qualifizierte Mehrheit‘ reichen und für die Veränderung der UN-Charta wäre eine ‚verstärkte qualifizierte Mehrheit‘ notwendig. [2]
Der Europapolitiker Jo Leinen und der internationale Netzwerker Andreas Bummel (‚democracy without borders‘) fordern ebenfalls ein demokratisch gewähltes Weltparlament und integrieren dies in eine multilaterale Struktur und eine Reform der UN.
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„Das Weltparlament würde als Hauptorgan einer Weltorganisation der dritten Generation verankert werden. Als zentrale Säule einer Weltfriedensordnung sollte es beispielsweise bei Zwangsmaßnahmen und Friedenseinsätzen mitentscheiden und im Zuge vollständiger nuklearer Abrüstung an einem globalen Inspektionssystem mitwirken. Neue supranationale Institutionen, die bereits in der Diskussion sind und früher oder später auf die Tagesordnung kommen werden, wie zum Beispiel eine Weltzentralbank, eine Weltsteuerbehörde, eine globale Antikartellbehörde, eine Kriminalpolizei und eine Eingreiftruppe ebenso sowie die Einführung globaler Steuern oder eines globalen Grundeinkommens bedürfen der demokratischen Legitimation und der parlamentarischen Kontrolle durch ein Weltparlament.“
(Leinen/Bummel (2017, 374)
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Der von Leinen/Bummel und der internationalen NGO „Democracy Without Borders“ entwickelte Vorschlag einer ‚United Nations Parliamentary Assembly‘ (UNPA) sieht vor, dass das demokratische Weltparlament durch einen Beschluss der UN-Generalversammlung beschlossen und zunächst als UN-Nebenorgan im Sinne des Art. 22 der UN-Charta eingerichtet wird. Dies bedeutet, dass hierfür ein Beschluss der UN-Generalversammlung ausreicht und keine Abstimmung im UN-Sicherheitsrat erforderlich ist. Dieses Parlament würde zunächst aus Abgeordneten der nationalen und transnationalen Parlamente zusammengesetzt und könnte dann mit dem Schritt für Schritt erfolgten Ausbau der Kontroll- und Mitentscheidungsrechte direkt im globalen Kontext gewählt werden. [3] Hierbei könnte ein gemischtes Wahlrecht zum Zuge kommen, bei dem sowohl Direktkandidaten als auch Parteien gewählt werden können. Die Anzahl zur Verfügung stehender Parlamentssitze für ein Land bzw. eine transnationale Region könnte m.E. über einen Schlüssel aus Bevölkerungszahl, räumlicher Größe und qualitativen Faktoren, wie z.B. dem Beitrag zur Erfüllung der CO2-Klimakonvention und einen Demokratie-Index ermittelt werden.
Die entsprechende „Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen“ (UNPA-Kampagne) existiert seit 2007. Die Forderung nach einem demokratischen Weltparlament wird derzeit von ca. 1600 Abgeordneten aus ca. 130 Ländern und ca. 250 NGO‘s und zahlreichen Bürgern_innen weltweit unterstützt. Auch die Sozialistische Internationale, die Liberale Internationale und der Grüne Weltkongress unterstützen die Kampagne. [4] [5]
Hierbei sind hinsichtlich der Institutionalisierung zwei Wege denkbar: Der erste Weg würde zu einem schrittweisen Ersetzen der existierenden UN-Vollversammlung durch das demokratische Weltparlament führen. Die zweite Möglichkeit würde in der Koexistenz von UN-Generalversammlung und Weltparlament im Sinne eines Zwei-Kammersystems liegen. Beide Wege haben Vor- und Nachteile. Während das Zwei-Kammer-System einerseits eine intensive gegenseitige Kontrolle ermöglichen würde, könnte dies aber auch zu institutionellem Kompetenzgerangel, unnötiger zeitlicher Verzögerung der Entscheidungsabläufe und zur Blockierung von notwendigen Entscheidungen führen. Das schrittweise Ersetzen der UN-Vollversammlung durch ein demokratisch zu wählendes Weltparlament würde dem Demokratiegedanken schon eher entsprechen, da hier nicht abgeordnete Beamten von Nationalstaaten (auch undemokratischer Staaten) mitbestimmen würden, sondern die kollektive Entscheidungsgewalt bei in weltweiten Wahlen demokratisch ermittelten und selbstständig entscheidenden Delegierten läge. Auch würden die zeitlichen Entscheidungsabläufe voraussichtlich zügiger vorangehen als bei einem mehrfachen gegenseitigen Kommunizieren und gegenseitiger Kontrolle zweier Versammlungen mit jeweils Tausenden von Mitgliedern. Andererseits entfällt natürlich ein zusätzliches Kontrollorgan.
Daher muss man zwangsläufig die konkrete Ausgestaltung des Weges zu einem demokratischen Weltparlament, wenn er denn tatsächlich begangen wird, den konkreten politischen Abläufen in den Interessenskonflikten und zu findenden Kompromisslösungen im Rahmen existierender und erweiterbarer Spielräume internationaler Politik überlassen (und natürlich versuchen die eigene Position in Vernetzungszusammenhänge einzubringen).
Das EU-Parlament, das Lateinamerikanische Parlament und das Pan-Afrikanische Parlament sowie NGO‘s wie ATTAC oder der BUND fordern übrigens ebenfalls ein demokratisch gewähltes UN-Parlament, zunächst als UN-Nebenorgan nach UN-Charta, Art 22. Dies ist wichtig anzumerken, da ja leicht der Vorwurf der politischen Weltentrücktheit vor allem von denjenigen vorgebracht wird, die sich radikale Innovationen des internationalen Politiksystems nicht mehr vorstellen können. Die Einrichtung eines demokratischen Weltparlaments im Rahmen der UN ist ein aktuelles Thema für viele demokratische Institutionen und Gruppierungen im weltweiten Zusammenhang und nicht die Vision einiger weniger in die Zukunft denkender Wissenschaftler und Netzwerker.
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„Das Europaparlament hat (…) in einer Entschließung zur Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung der Vereinten Nationen aufgerufen. Die Versammlung solle im UN-System eingebettet werden und ‚das demokratische Profil und den internen demokratischen Prozess‘ der UNO stärken. In der Resolution spricht sich das Europaparlament dafür aus, dass ‚diese Parlamentarische Versammlung über das uneingeschränkte Recht auf Information, Teilhabe und Kontrolle verfügen und in der Lage sein sollte, Empfehlungen für die Generalversammlung der Vereinten Nationen anzunehmen.‘ “ [6]
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Visionärer Baustein 2: 

Reform des UN-Sicherheitsrats 

Der UN-Sicherheitsrat hatte in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Funktion, den Siegermächten eine privilegierte Position hinsichtlich der zukünftigen Friedenssicherung und Kriegsprävention zu eröffnen. Mit der ständigen Mitgliedschaft und dem Veto-Recht von Russland, China, USA, Frankreich und England hatten diese gleichzeitig die Möglichkeit, ihre geostrategischen und ökonomischen Interessen sicherheitspolitisch durchzusetzen. In den letzten Jahrzehnten aber verschob sich die Priorität der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zunehmend weg von der verantwortungsvollen Orientierung am Ganzen hin zu einer nationalchauvinistischen Interessensvertretung. In diesem Zusammenhang blockierten sich die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder auch bei notwendigen sicherheitspolitischen Entscheidungen, so dass der UN-Sicherheitsrat handlungsunfähig war und seine weltpolitische Funktion nicht wahrnehmen konnte.
Auch wurde kritisiert, dass große Staaten, wie z.B. Indien oder Brasilien, keine ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat waren. Des Weiteren stellte sich die Frage, ob nicht auch transnationale Zusammenschlüsse, wie z.B. die EU, nicht einen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben sollten.
Eine fundamentale Kritik lässt sich hierüber hinaus an der Tatsache üben, dass die Tätigkeit und die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats durch keine demokratische Institution, wie z.B. ein UN-Parlament, kontrolliert werden. Der UN-Sicherheitsrat ist daher eine eher undemokratisch angelegte Institution, die historisch überholt und grundlegend zu reformieren ist. Nur hierdurch werden sich die gegenwärtigen und zukünftigen sicherheitspolitischen Probleme im Interesse der Weltgemeinschaft lösen lassen.
Im Rahmen des hier vertretenen Konzepts einer radikal erneuerten und demokratisierten UNO ist nun eine veränderte Struktur und Funktion des UN-Sicherheitsrats zu entwerfen. Der UN-Sicherheitsrat hat weiterhin seine Aufgabe mit dem Fokus auf den globalen Konfliktherden und die zeitnahe Entwicklung von Konfliktlösungen zu erfüllen. Allerdings wird die Untergliederung nach ständigem und erweitertem Sicherheitsrat aufgegeben. Alle Mitgliedsländer bzw. -regionen des zukünftigen Sicherheitsrats werden von der UN-Vollversammlung, z.B. alle fünf Jahre, per Wahl bestimmt. Die Beschlüsse des Sicherheitsrats haben Empfehlungscharakter für die UN-Vollversammlung. Ein Veto-Recht für einzelne Staaten gibt es nicht mehr. Beschlüsse des dann aus 15 gleichberechtigten Mitgliedern bestehenden Sicherheitsrats müssen mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden und sind an den politischen und rechtlichen Rahmen gebunden, der durch das demokratisch gewählte Weltparlament entschieden wurde. 
Das UN-Generalsekretariat bzw. der_die später einmal zu wählende UN-Präsident_in hat das Recht, mit beratender Stimme an den Sitzungen des Sicherheitsrats teilzunehmen und ist ein zusätzliches Kontrollorgan, das dem UN-Parlament zeitnah über die Beschlüsse und Empfehlungen des Sicherheitsrats berichtet. 
Durch diese Reform wird es nun möglich sein, dass jeder Staat bzw. jede Region die Chance hat, im UN-Sicherheitsrat mit gleichberechtigter Stimme mitzuentscheiden. Die Blockierung des UN-Sicherheitsrats durch das Veto-Recht entfällt. Auch wird hierdurch nun eine demokratische Kontrolle des Sicherheitsrats institutionalisiert. Es findet hierbei eine Machtverschiebung zum UN-Parlament hin statt, ohne dass die schnelle und situationsnahe Aufbereitung einer sicherheitsrelevanten Entscheidung verloren geht.
 

Visionärer Baustein 3:
Reform des UN-GeneralSekretariats
 

Die bisherige Institution des UN-Generalsekretärs wird bislang vom UN-Sicherheitsrat vorgeschlagen und von der UN-Generalversammlung für fünf Jahre gewählt. Der UN-Generalsekretär hat keine Richtlinienkompetenz für die UN. Er hat das Recht, an den Sitzungen der UN-Hauptorgane (Ausnahme: Beratungen des Internationalen Strafgerichtshofs) teilzunehmen. Er leitet die Verwaltung des UN-General-Sekretariats und vertritt die UN nach außen. 
Diese durchaus wichtigen Funktionen werden nun im Rahmen des hier vorliegenden Vorschlags einer weltpolitischen Neuordnung erweitert. Das UN-General-Sekretariat sowie der UN-Generalsekretär werden ersetzt durch eine/n durch das UN-Parlament für die Legislaturperiode gewählten UN-Präsidenten_in, der/die die Weltregierung repräsentiert, das Vorschlagsrecht für die ministeriellen Mitglieder der Weltregierung hat und eine demokratisch kontrollierte Richtlinienkompetenz besitzt. Das UN-Parlament kontrolliert die UN-Präsdidentschaft und kann mit qualifizierter Mehrheit ein Misstrauensvotum und einen Regierungswechsel herbeiführen. 
Die einzelnen Regierungsmitglieder mit speziellen Ressorts, wie z.B. Umwelt, Sicherheit oder Ökonomie, müssen sich der UN-Vollversammlung vorstellen und werden einzeln in ihren Funktionen von der Versammlung bestätigt oder abgelehnt. 
Die UN-Vollversammlung bildet die eigentliche Legislative. Eine demokratisch kontrollierte Weltregierung hat – in enger Abstimmung mit dem UN-Sicherheitsrat – das globale Gewaltmonopol und die Verantwortung über die Exekutive. Die Weltregierung wirkt im Rahmen einer Weltinnenpolitik auf eine Zusammenarbeit aller Nationen und Regionen hin. Sie setzt vorwiegend diplomatische Mittel sowie Verfahren der Konfliktmediation ein. Sie kann Sanktionen oder sogar militärische Intervention nur aufgrund einer entsprechenden Beschlusslage des demokratisch gewählten UN-Parlaments anwenden. Die UN-Weltregierung wird unterstützt durch regionale transnationale Regierungen, deren Repräsentanten regional gewählt werden und die eine regionale bzw. dezentrale Verwaltung im Sinne von Subsidiarität wahrnehmen und auch gewährleisten. 
Die transnationalen Regionen sind wiederum untergliedert, zunächst eine Zeit lang noch in Nationalstaaten, zunehmend in subnationale und auch grenzüberschreitende Regionen und deren lokale Verwaltungseinheiten in Form von Landkreisen und Städten. Auch deren Vertretungen sind selbstverständlich demokratisch zu wählen. 
Es gilt hierbei das Prinzip der Subsidiarität rechtlich wirkungsvoll zu verankern und im Laufe der Jahre zunehmend kompetenter zu gestalten. Erst, wenn den Bürger_innen deutlich wird, dass ihre Belange an der richtigen Stelle und institutionellen Ebene zügig und gerecht bearbeitet werden, wird die Skepsis gegenüber einer Weltregierung einer Zufriedenheit mit der neu gestaffelten Verantwortlichkeit weichen. 
Die Weltregierung wird durch die UN-Vollversammlung, die mit qualifizierter Mehrheit ein Misstrauensvotum formulieren kann und für welche die Weltregierung in regelmäßigen Aussprachen rechenschaftspflichtig ist, sowie durch die entsprechenden Kammern und Instanzen des Internationalen Gerichtshofs kontrolliert. 
Auch stellen globale, regionale und lokale Petitionsausschüsse und Ombudspersonen bzw. -räte bürgernahe Kontrollinstanzen dar. Ein besonderer direktdemokratischer Kontrollmechanismus entsteht des Weiteren dann, wenn sich die Intentionen einer UN-Weltbürgerinitiative durchsetzen.
 

Visionärer Baustein 4:
UN-Weltbürgerinitiative
 

Es gibt derzeit kein Bürgerbegehren oder einen Bürgerentscheid auf der globalen Ebene. Demokratie wird hier nicht im Sinne einer partiziperenden Weltbürgerschaft verstanden. Menschen mit einem weltbürgerlichen Bewusstsein haben global weder die Möglichkeit zu wählen noch abzustimmen.
Um eine direktere Mitsprache im Sinne demokratischer Partizipation im globalen und bisher allenfalls auf multilaterale Repräsentation angelegten UN-System zu erreichen, müsste dies nicht nur über die Wahl und Einrichtung eines Weltparlaments, sondern auch mit weiteren Formen direkter Demokratie ermöglicht werden.
Die NGOs Democracy Without Borders, Civicus und Democracy International fordern daher ausgehend von einer kritik undemokratischer Strukturen der UN die Einflussmöglichkeit der Bürger_innen über neue Verfahren:
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„The coronavirus pandemic, climate change and many other challenges underline the fact that all people on this planet are connected to each other. As world citizens we are all in the same boat but we have no say at the United Nations (UN) as the most important arena of global politics. The Security Council decides on matters of international peace and security and the General Assembly makes recommendations, launches treaty negotiations or is engaged in international agenda-setting. The UN, however, is an exclusive club of appointed government diplomats. The UN’s democratic deficit has been complained about for decades. While the UN has made some effort to include civil society organizations and other major groups in some of ist deliberations, thera are no means for ordinary citizens to take influence.“ [7]
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Daher soll die aktuelle globale Initiative für eine UN-Weltbürgerinitiative (UNWCI) [8] unterstützt werden. Diese Kampagne strebt mit der Unterstützung zahlreicher internationaler NGO’s, wie z.B. Democracy Without Borders, Civicus, Democracy International, Global Justice Now und Asia Democracy Network, eine direktdemokratische weltbürgerliche Beteiligung an. Ähnlich der Regelungen zu einer in der EU bereits praktizierten European Citizens Initiative (ECI) wird mit der UNWCI eine Verbindung direktdemokratischer und repräsentativ-demokratischer Verfahren angestrebt. Wenn diese Initiative erfolgreich von den UN aufgenommen wird, dann ist natürlich die Frage nach der geeigneten Anzahl von Stimmen (Weltbevölkerungsquorum) zu stellen, die für ein derartiges weltbürgerliches Begehren erforderlich sind. Auch ist die Überlegung notwendig, inwieweit nicht nur eine bestimmte Stimmenzahl erforderlich ist, sondern auch eine Berücksichtigung aller transnationaler Weltregionen. Dies ist dann die Voraussetzung, dass eine derartige Kampagne dann auch weltweit durchgeführt und keine Weltregion übergangen wird.
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„The idea of a UN World Citizens’ Initiative (UNWCI) is that if a certain number of global citizens endorses a citizen-launched initiative, UN bodies such as the General Assembly or the Security Council have to put the item on their agenda and give representatives of the initiative the floor to make their case. In terms of the General Assembly, this could be done during the annual general debate while heads of state and government are present. A UNWCI will allow global citizens to have more impact in a world with growing dilemmas that require global cooperation of both states and citizens alike. It will help create a citizen-based global political sphere.“ [8]
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Für ein globales Plebiszit muss also ein Quorum erfüllt sein, damit dieses demokratische Instrument handhabbar ist und nicht die Vielzahl von Plebisziten alle beteiligten Institutionen überfordert. Das Vorbild hierfür könnte die Europäische Bürgerinitiative (EBI) sein, bei der eine Million Stimmen aus zumindest einem Viertel der EU-Staaten die Schwelle für eine Durchführung der Initiative darstellt.
Sicherlich müsste ein solches Begehren digital durchgeführt werden. Hier stellt sich dann die Frage des Schutzes vor internationalen Hackern, die eine derartige Initiative anzugreifen versuchen. Hier müssen technologische Lösungen gefunden werden, die dies verhindern können.
Auch müsste die Institutionalisierung einer derartigen globalen Befragungsinitiative vorbereitet werden. Die NGO Democracy Without Borders schlägt u.a. zur Vorbereitung die Einrichtung einer digitalen Global Voting Platform (GVP) vor, über die internationale Diskussionen und Stellungnahmen zu UN-Entscheidungen laufen können. Auch könnten hier bereits über Votings Meinungsbilder zu den wesentlichen Themen, welche die Weltgemeinschaft berühren, erstellt werden. Voraussetzung zur Teilnahme ist allein die Registrierung eines weltbürgerlichen Status, den eine hieran interessierte Person bereits mit Hilfe eines Smartphones selbstständig vornehmen kann. [9] 
Schwieriger wird es dann später sicherlich werden, autokratisch oder sogar diktatorisch regierte Regime für eine Genehmigung dafür zu gewinnen, dass das jeweilige weltbürgerliche Begehren auch in ihrem Staat durchgeführt wird. Dies wird insbesondere dann schwierig werden, wenn die Initiative die Einhaltung der Menschenrechte und die die Durchsetzung demokratischer Strukturen zum Inhalt hat. Dennoch sollen diese Überlegungen kein Vorwand für einen Abbruch der gegenwärtigen Bestrebungen zu einer UNWCI sein, sondern sollten in der weiteren Konkretisierung konzeptionell berücksichtigt werden. 

Visionärer Baustein 5: Weltgesetzgebung und Internationaler Gerichtshof 

Die bisherige Weltgesetzgebung, soweit man davon überhaupt sprechen kann, ist nicht in der Lage die Grenzen nationalstaatlicher Souveränität zu überschreiten und ist darauf angewiesen, dass Beschlüsse der UN-Generalversammlung von den nationalstaatlichen Regierungen oder auch transnationalen Regionen akzeptiert und umgesetzt werden.
Die bisherige Judikative auf Weltebene wiederum bietet bereits wertvolle Ansatzpunkte einer globalen Rechtsprechung, ist allerdings noch nicht vollends auf UN-Ebene durchgesetzt. Der Internationaler Gerichtshof (IGH) besteht aus 15 Richter_innen aus 15 verschiedenen Staaten, die von der UN-Generalversammlung gewählt werden. Seine Zuständigkeit bezieht sich auf innerstaatliche Streitigkeiten und Rechtsgutachten zu völkerrechtlichen Fragen. Allerdings unterwirft sich beispielsweise die USA sich nur bedingt dem IGH.
Der Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) ist zuständig für Verfahren wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression – wenn nationalstaatliche Verfolgung nicht möglich oder nicht gewollt ist. Auch hierbei ist einschränkend anzumerken, dass eine Reihe wichtiger Länder die Zuständigkeit des IStGH, u.a. USA, China, Russland, Indien, Türkei, dem IStGH nicht beigetreten sind. Auch ist der IStGH keine UN-Institution, sondern kooperiert nur mit den Vereinten Nationen.
Aufgrund dieser Analyse der legislativen und judikativen Möglichkeiten der Vereinten Nationen müssten im Rahmen der hier ausgearbeiteten Vision einige Änderungen erfolgen.
Die auf der Grundlage der UN-Charta gefassten Beschlüsse des zu wählenden Weltparlaments in seinem Zuständigkeitsbereich sind weltweit bindend. Überregionale politische Institutionen, wie z.B. die Europäische oder die Afrikanische Union, und Nationalstaaten, soweit noch im Übergang überwiegend vorhanden, fassen in ihren Parlamenten ausschließlich Beschlüsse und formulieren Gesetze dort, wo diese nicht von den UN-Beschlüssen betroffen sind und in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen. Subnationale Regionen und weitere Untergliederungen erhalten dort eine Teilautonomie in Bezug auf einzelne Regelungsbereiche, wo dies im Rahmen der Weltgesetzgebung im Sinne von Subsidiarität sinnvoll ist.
Die Stellung des Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen wird aufgewertet und die verschiedenen Kammern unter einem institutionellen Dach zusammengefasst. Er umfasst sowohl die Strafverfolgung von Institutionen und Vertretern institutioneller Organe als auch die Funktion eines Verfassungsgerichts. Kein Land, keine Region ist berechtigt, sich den Strafverfolgungen des von den UN kontrollierten Gerichtshofs zu entziehen, wenn hier beispielsweise staatliche Verstöße gegen die Menschenrechte, gegen die auf nachhaltiger Entwicklung bezogenen Gesetze, die Waffenkontrollgesetze oder Friedensregelungen angezeigt, verfolgt und gerichtlich verhandelt werden. Eine weitere in verschiedene Bereiche untergliederte Kammer des Weltgerichtshofs befasst sich mit Verfassungsbeschwerden aus einzelnen Staaten oder Weltregionen, die sich auf einzelne Regelungen der UN-Verfassung, sich aber auch auf gesetzliche Regelungen auf der trans- und subnationalen regionalen Ebene beziehen können.
Der Internationale Gerichtshof wird angerufen, wenn es sich um globale bzw. überregionale Probleme handelt, die durch regionale und lokale Gerichtsbarkeit nicht erfolgreich bearbeitet werden können. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips wird die gerichtliche Befassung mit Straftaten von kriminellen Einzelpersonen und Gruppierungen vor Ort dezentral durch ortsnahe Gerichte auf der Grundlage des UN-Rechts erfolgen.


Notes

[1] Vgl. hierzu auch Moegling (2019c und 2019e).
[2] Vorbild könnte hier das Konzept der qualifizierten Mehrheit im Rat der EU sein: 55% der EU-Mitgliedstaaten stimmen für den Vorschlag – in der Praxis bedeutet das 15 von 27; der Vorschlag wird von EU-Mitgliedstaaten unterstützt, die zusammen mindestens 65% der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Die Abstimmung mit einer ‚verstärkten qualifizierten Mehrheit‘ ist dort wie folgt geregelt: Mindestens 72% der Ratsmitglieder müssen mit ‚Ja‘ stimmen und diese mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten. Vgl. https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/voting-system/qualified-majority/, o.D., 22.4.21.
[3] Vgl. Leinen/Bummel (2017, 371ff.).
[4] In: https://de.unpacampaign.org/unterstuetzung/, o.D., 1.12..2019.
[5] Die UNPA-Kampagne ist nicht zu verwechseln mit einer anderen älteren (seit 1889) internationalen Anstrengung zum Aufbau einer weiteren weltweiten parlamentarischen Versammlung, der ‚Interparlamentarischen Union‘, die aus Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen nationaler Parlamente besteht, allerdings keine Direktwahl anstrebt. Die ‚Interparliamentary Union‘ versteht sich als internationales Beratungsgremium, das zur Stärkung nationaler Parlamente sowie zur internationalen Kooperation, z.B. inzwischen über ein Assoziierungsabkommen mit der UN-Generalvollversammlung, eingerichtet wurde. Sie setzt sich u.a. für Menschenrechte, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage sowie die Friedenssicherung vor allem auf der parlamentarischen Ebene ein (vgl. https://www.ipu.org/, vom 17.3.2019). Eine Kooperation von UNPA-Kampagne und Interparliamentary Union wäre erstrebenswert, wohingegen ein Konkurrenzverhalten hier kontraproduktiv wäre.
[6] In: https://www.epo.de/index.php?option=com_content&view=article&id=587:
europaparlament-fordert-demokratisierung-der-uno&catid=123&Itemid=139, vom 9.6.2005, entnommen am 17.3.2019.
[7] https://www.worldcitizensinitiative.org/, o.D., 29.4.2021
[8] UNWCI = United Nations World Citizens Initiative.
[9] In.https://www.worldcitizensinitiative.org/#:~:targetText=The%20idea%20of%20a%
20UN,floor%20to%20make%20their%20case., o.D., 25.11.2019.[10] https://www.democracywithoutborders.org/de/gvp/, o.D., 29.4.2021