Auf dieser Seite befinden sich die Vorträge unserer Friedenspolitischen Tagung vom 4.3.2023 zum
'Appell für den Frieden'.
(Die Artikel wurden in der Reihenfolge der Einreichung veröffentlicht. Die Beiträge bilden die persönliche Einschätzung der Autoren_innen ab und stehen hinsichtlich Genauigkeit und inhaltlicher Ausrichtung selbstverständlich in der eigenständigen Verantwortung der Verfasser_innen. Zwar haben alle hier veröffentlichten Beiträge einen gemeinsamen friedenspolitischen Kern, dennoch zeigen sich ebenfalls hier einige Unterschiede, die auch sonst in der Friedensbewegung zu beobachten sind. Dies ist ein Ausdruck von demokratischer Meinungsvielfalt und sollte kein Stein des Anstoßes sein.
Zuschriften zu den Artikeln bitte unter klaus(at)moegling.de (at durch @ ersetzen). Ich leite dies dann an die Verfasser_innen weiter.
Beste Grüße K.M.)
P.S.: Inzwischen sind die Unterzeichnungsaktionen für den 'Appell für den Frieden' auf change.org und action.network zum 28.8.23 beendet worden.
Zum 'Appell für den Frieden' siehe auch
https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
und die deutsch-österreichischen-schweizerischen Unterzeichnungsmöglichkeiten auf
Change.org
https://chng.it/N2ggCS5Q
sowie die internationale Unterzeichnung auf Action.Network
https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/
(Bitte beide Unterzeichnungsmöglichkeiten wahrnehmen; sie werden getrennt hinsichtlich der Unterzeichner_innenzahl berechnet und veröffentlicht, also nicht addiert.)
Appell für den Frieden
Deutsch-Österreichische Tagung
Termin: Samstag, den 4.3.2023, 14.00-19.00
Eingeladene Teilnehmer_innen: Die Unterzeichner_innen des deutsch-österreichischen Friedensappells auf Change.org und die namentlichen Unterzeichner_innen auf dieser Webseite
Das Tagungsprogramm:
14.00
Begrüßung (Klaus Moegling/ Karl-Heinz Hinrichs)
14.10
Laura Dexheimer, Viola Marien und Robert Geiger: Eine Kultur des Friedens – auch angesichts des Kriegs in der Ukraine?
14.50
Prof. Dr. Hajo Funke: Der eskalierende Krieg in der Ukraine und die Chancen seiner Unterbrechung - ein Jahr danach. Friedenspolitische Überlegungen.
15.30
Renate Wanie: Wie können wir in einer Gesellschaft eine Hegemonie für den Frieden
erreichen?
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16.30
Karl-Heinz Hinrichs, Dipl.-Ing.: Die Relevanz eines friedenspolitischen und evaluativen Informationssystems
17.10
Karl-W. Koch: Welche Gefährdungslage ist durch bedrohte AKWs in der Ukraine vorhanden?
17.50
Bernhard Trautvetter: Wie groß ist das Risiko eines Nuklearkriegs im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine?
18.30
Prof. Dr. Klaus Moegling: Die drei Forderungen des Appells für den Frieden und Perspektiven der friedenspolitischen Weiterarbeit
Verabschiedung (Karl-Heinz Hinrichs/ Klaus Moegling)
(Es nahmen ca. 100 Teilnehmer_innen teil.)
Die drei Forderungen des
Appells für den Frieden/ Appeal for Peace und mein persönlicher Zugang hierzu.
von Klaus Moegling
6.3.2023
Das ‚Manifest für Frieden‘ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sorgt für Schlagzeilen und Diskussionen in den Talkshows. Doch seit Ende letzten Jahres ist bereits ein weiterer Friedensappell auf nationaler und internationaler Ebene auf den Weg gebracht worden. Im Unterschied zum Manifest basiert er auf einem friedensökologischen Ansatz, das den Zusammenhang zwischen Militär, Krieg und ökologischer Zerstörung thematisiert. Darüber hinaus entwickelt der ‚Appell für den Frieden‘ friedenspolitische Forderungen an nationale Regierungen, wie z.B. an die deutsche, die schweizerische und die österreichische Bundesregierung, sowie an transnationale Institutionen, wie z.B. an die EU und das UN-Generalsekretariat. Nationale Regierungen und transnationale Institutionen sollten sich vor allem für drei Forderungen stark machen:
1. Im Krieg in der Ukraine müssten spätestens ab jetzt diplomatische Initiativen Vorrang haben. Eine durch den UN-Generalsekretär geleitete internationale hochrangige und hochlegitimierte Verhandlungskommission sollte den Weg für Waffenstillstandsverhandlungen in der Ukraine freimachen (siehe ausführlicher weiter unten).
2. Bei künftigen Klimaschutzverhandlungen sollten Regeln und Vorgaben für die verbindlichere Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen erarbeitet werden, die die einzelnen Staaten zu mehr Transparenz verpflichten. Hierbei sollten wirksamere Kontrollen und Sanktionen bei fehlender Berücksichtigung militärisch bedingter CO2-Emissionen im In- und Ausland im Rahmen der nationalen CO2-Bilanzen vorgesehen werden.
3. Der Krieg in der Ukraine wird derzeit für die internationale Aufrüstungsspirale instrumentalisiert. Zusätzlich sind fast alle wichtigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge gekündigt oder ausgesetzt worden. Im Gegensatz hierzu sind über die UN kontrollierte und koordinierte Abrüstungsverhandlungen zu fordern. Insbesondere sollte der Atomwaffenverbotsvertrag, der von ICAN erfolgreich in die Vereinten Nationen eingebracht wurde, von den anzusprechenden Staaten unterzeichnet und ratifiziert werden. [1]
Wo kann der ‚Appell für den Frieden‘ unterzeichnet werden?
Der ‚Appell für den Frieden wurde von Bernhard Trautvetter, Karl-Wilhelm Koch und mir redaktionell verfasst und von einer Erstunterzeichner_innen-Liste unterstützt, die aus Vertretern_innen von Friedensbewegungen und prominenten Kriegsgegnern besteht. Der Friedensappell kann auf Change.org [2] unterzeichnet werden. Der ‚Appell für den Frieden‘ besitzt eine deutsche und eine österreichische Erstunterzeichner_innen-Liste und ist bereits an die deutsche und die österreichische Bundesregierung versendet worden. Hierbei wurde die diplomatische UN-Initiative zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine in den Mittelpunkt des Anschreibens an die Regierungen gestellt.
Parallel hierzu wurde der weitgehend textgleiche und etwas für die internationalen Verhältnisse modifizierte internationale ‚Peace Appeal‘ in englischer Übersetzung mit einer internationalen Erstunterzeichner_innen-Liste mit Friedensaktivist_innen aus bisher 12 Staaten aufgebaut. Der von ‚World Beyond War‘ unterstützte internationale ‚Appell für den Frieden‘ kann auf Action.Network [3] unterzeichnet werden. Da das ‚Manifest für Frieden‘ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht auf die nationale Ebene abzielt, ist der derzeit weltweit verteilte ‚Peace Appeal‘ eine gute Ergänzung zum Manifest. Der Peace Appeal wird von internationalen NGOs wie dem International Peace Bureau (IPB), International Physicians for the Prevention of Nuclear War - Physicians in Social Responsibility (IPPNW), Women for Peace sowie World Beyond War unterstützt. Auch Alice Schwarzer ist übrigens unter den Erstunterzeichner_innen des internationalen Friedensappells.
Es kann sowohl auf Change.org als auch auf Action.Network unterzeichnet werden, da beide Unterzeichnungszahlen getrennt behandelt werden. Es werden also die Zahlen nicht addiert, da die Unterzeichnung in beiden Internetplattformen vorgesehen ist.
Inzwischen befinden sich weitere nationale Friedensappelle ähnlichen Inhalts im Aufbau, die an die eigenen Regierungen gerichtet sind. Der internationale Peace Appeal wird derzeit weltweit beworben.
Je mehr Personen beide Appelle unterzeichnen, desto wirksamer bauen sie Druck auf die entsprechenden nationalen und internationalen Institutionen auf, sich für Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen einzusetzen. Bei entsprechend gewachsener Unterzeichnerzahl werden die nationalen Regierungen sowie die EU und das UN-Generalsekretariat ein weiteres Mal mit dem Friedensappell konfrontiert. [4]
Meine persönlicher Zugang zum ‚Appell für den Frieden‘
Selbst wir drei Redakteure des Friedensappells haben unterschiedliche inhaltliche Zugänge zu dem ‚Appell für den Frieden‘. Doch sein gemeinsam verfasster Text [5] stellt unseren gemeinsamen Schnittpunkt dar.
Meine eigene Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine unterscheidet sich daher sicherlich in der einen oder anderen Perspektive von der Sichtweise meiner Mitinitiatoren auch hinsichtlich der Erstunterzeichner_innen und der weiteren Unterzeichner_innen des Friedensappells auf den Internet-Plattformen. Das ist auch gut so, denn es geht ja nicht um die Verordnung einer standardisierten Sichtweise der politischen Welt. Wenn ich also im Folgenden meinen Zugang zum Friedensappell rekonstruiere, spreche ich nicht für andere, sondern stelle meine persönliche Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine und mögliche Lösungsperspektiven dar:
Der Krieg in der Ukraine hat eine Vorgeschichte seiner Entstehung. Diese gilt es zukünftig genauer zu analysieren. Dennoch: Der militärische Angriff auf die Ukraine stellt ein Verbrechen dar, das durch nichts völker- und menschenrechtlich legitimierbar ist. Selbst wenn Russland sich in seinen Sicherheitsinteressen durch die NATO-Staaten bedroht fühlte, ist dies keine Rechtfertigung für einen derart brutalen Angriff auf einen Nachbarstaat. Wenn dies dann auch noch von der russischen Regierung mit völkisch-rassistischen und neoimperialistischen Aussagen unterlegt wird, dann wird die russische Klage von der Verletzung ihrer Sicherheitsinteressen ad absurdum geführt. Auch die zahlreichen Kriegsverbrechen, wie Folterungen und Vergewaltigungen, lassen sich nicht mit einer wahrgenommenen Bedrohungslage Russlands rechtfertigen.
Ebenfalls kann die Argumentation, dass die USA im Vietnam-Krieg oder im 2. Irak-Krieg ebenso massiv das Völkerrecht verletzt haben, nicht als Legitimation für den russischen Angriff dienen.
Diplomatie zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine muss Vorrang haben. Doch: Wenn ein Staat von einem anderen - mächtigeren - Staat angegriffen wird, dann muss der angegriffene Staat von den anderen UN-Staaten in vielerlei Hinsicht unterstützt werden. Dies betrifft (leider) auch Waffenlieferungen, um die Selbstverteidigung des angegriffenen Staates zu ermöglichen. Dies ist die einzige Rechtfertigung für Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, die ansonsten zu tabuisieren sind.
Dennoch gibt es auch hier eine rote Linie bei den Waffenlieferungen in die Ukraine. Waffensysteme, die das russische Inland erreichen können, wie Raketen mit längerer Reichweite und Kampfjets, liegen jenseits dieser roten Linie. Dies gilt auch für die geächtete Streumunition, für Uranmunition sowie für Brandbomben.
Der Krieg in der Ukraine ist festgefahren. Putin und die hinter ihm stehenden Kräfte befinden sich in einer Sackgasse. Umso mehr müssen jetzt wirkungsvolle diplomatische Initiativen ergriffen werden, um das Sterben, die weitere Zerstörung von Infrastruktur und der natürlichen Mitwelt zu verhindern. Selbst wenn es der Ukraine gelingen würde, das Militär der Russischen Föderation an den Rand einer Niederlage zu bringen, weiß niemand, ob nicht jedes rationale Kalkül der russischen Regierung verloren ginge und ein nukleares Inferno drohen würde. Dies zu übersehen ist ein verantwortungsloses Verdrängen des nuklearen Risikos.
Die vorgeschlagene diplomatische Initiative
Der 'Appell für den Frieden' schlägt eine diplomatische Verhandlungsinitiative über das UN-Generalsekretariat vor. Der UN-Generalsekretär ist aufgefordert, endlich die Initiative zu ergreifen und eine hochlegitimierte und hochrangige Verhandlungskommission zu bilden.
Hochrangig meint, dass hier zumindest auf der Außenministerebene Persönlichkeiten in der Kommission enthalten sein sollten. Besonders wichtig wäre es, dass auch Vertreter_innen Chinas, Indiens und Brasiliens, die insbesondere für die Russische Föderation wirtschaftlich und politisch relevant sind, in dieser Kommission unter Leitung des UN-Generalsekretärs mitarbeiten. Hochlegitimiert meint, dass eine große Mehrheit der UN-Vollversammlung diese Kommission mit Verhandlungsmacht ausstattet. Die Kommission sollte unter Leitung des UN-Generalsekretärs die ukrainische Regierung und die russische Regierung an den Verhandlungstisch bringen, um einen Waffenstillstand als Voraussetzung von Friedensverhandlungen und -lösungen zu erreichen. Nationale und transnationale Regierungen sind dringend aufgefordert, sich für eine derartige Verhandlungsinitiative einzusetzen. Spätestens jetzt ist die Zeit der Diplomatie gekommen. Es besteht die Gefahr, so wie es Jürgen Habermas [6] ebenfalls anspricht, einen 'point of no return' zu erreichen, dessen Eskalationsdynamik von keiner Seite mehr gestoppt werden kann.
Die Vorgeschichte des Kriegs aufarbeiten
Des Weiteren sind parallel hierzu u.a. die Politik- und Geschichtswissenschaften, die verantwortlichen Politiker_innen und die mediale Öffentlichkeit aufgefordert, sich unvoreingenommen und mehrperspektivisch mit der Vorgeschichte dieses Krieges zu befassen und zu analysieren, inwieweit auch diplomatische Fehler, aber ebenfalls Interessen westlicher Staaten, Konzerne und Institutionen für das Ausbrechen Russlands aus der internationalen Sicherheitsarchitektur mitverantwortlich waren. Wer sind die ökonomischen und geopolitischen Gewinner dieses Krieges? Welche Akteure welcher verschiedenen Machtkonstellationen auf der russischen, der ukrainischen, aber auch auf der westlichen Seite hatten ein Interesse daran, den Krieg zu beginnen bzw. zu provozieren? Diese Fragestellungen und Untersuchungsaufträge dürfen keine Relativierung der russischen Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverletzungen intendieren, sondern die Aufmerksamkeit und die Handlungsfähigkeit für künftige internationale Krisensituationen verbessern helfen.
Fazit
Oft stehen die Menschen dem Krieg in der Ukraine hilflos gegenüber. Doch es beginnen zunehmend gesellschaftliche Kräfte sich gegen den bellizistischen Ton in Politik und Medien zur Wehr zu setzen und – gerade auch zur Unterstützung der Bevölkerung in der Ukraine – wirksame friedenspolitische und diplomatische Initiativen zu fordern. Kundgebungen und Demonstrationen, ein entsprechendes Wählerverhalten und ein friedenspolitisches Engagement in den Parteien sowie die Unterstützung von Friedensappellen an die nationale und internationale Politik sind Möglichkeiten, dem Treiben der Kriegsherren und -frauen nicht untätig gegenüberzustehen. [7] [8]
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Prof. Dr. Klaus Moegling (i.R.) ist Politikwissenschaftler und Soziologe, arbeitet in verschiedenen ökologischen und friedenspolitischen NGOs, Mitinitiator des 'Appells für den Frieden' und Autor des frei zugänglichen Buches ‚Realignment. A peaceful and sustainably world is (still) possible.“: https://www.klaus-moegling.de/international-edition/ und (deutsche Ausgabe): https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
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Anmerkungen:
[1] Österreich hat dies im Unterschied zur BRD bereits getan.
[2] Folgender Link führt zur Unterzeichnungsmöglichkeit für den deutsch-österreichischen Appell für den Frieden: https://chng.it/N2ggCS5Q
[3] Der folgende Link führt zur Unterzeichnungsmöglichkeit für den internationalen ‚Peace Appeal‘ auf Action.Network: https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/
[4] Erste Reaktionen und Stellungnahmen nationaler und internationaler Politik finden sich auf der eigens für den Friedensappell eingerichteten Webseite: https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
[5] Der komplette Text des Friedensappells in deutscher und englischer Sprache sowie die verschiedenen Erstunterzeichner_innenlisten finden sich auf https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
[6] Siehe sein Interview in der Süddeutschen Zeitung, wo er sich für die Parallelität der politischen, humanitären und militärischen Unterstützung der Ukraine und für die Forcierung von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Sinne einer Doppelstrategie einsetzt: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-ukraine-sz-verhandlungen-e159105/?reduced=true, 14.2.2023, Zugriff: 6.3.2023, (hinter einer Bezahlschranke).
[7] Eine etwas modifizierte Fassung des vorliegenden Beitrags wurde im Heft 3/2023 der Zeitschrift 'FriedensForum. Zeitschrift für die Friedensbewegung' veröffentlicht.
[8] Anmerkung (30.8.23): Die Unterzeichnungsaktion für den 'Appell für den Frieden' wurde am 28.8.23 beim Stand von 16.400 Unterzeichnungen beendet. Dies wurde mit Briefen an verantwortliche Politiker_innen begleitet, mehr diplomatische Verantwortung im Krieg in der Ukraine zu übernehmen (siehe die Briefe u.a. an Scholz und Guterres auf https://www.klaus-moegling.de/peace-appeal/
Video 'Appell für den Frieden':
https://www.youtube.com/watch?v=au-RZ4VJxAA
(ca. 12 min.)
von Klaus Moegling
Aufgabe unserer Zeit: Gegen die nukleare Bedrohung gemeinsam vorgehen!
von Bernhard Trautvetter
10.3.2023
Der Ukraine-Krieg steigert die Atomkriegsgefahr in mehrfacher Hinsicht:
Diese Gefahr ergibt sich aus der nuklearen Infrastruktur sowie aus dem Grund, dass mit Russland ein Staat direkt ins Kriegsgeschehen einbezogen ist, der eine Atommacht ist.
Die nuklearen Arsenale der Russischen Föderation sind eine Gefahrenquelle, die von der Art, die John F. Kennedy kurz nach dem Ende der Kuba-Krise zu dieser Warnung veranlasste: „Vor allem müssen (...) die Atommächte jene Konfrontationen vermeiden, die einen Gegner vor die Wahl stellen, entweder einen demütigenden Rückzug hinzunehmen oder einen Atomkrieg. Ein solches Vorgehen wäre im Atomzeitalter nur ein Beweis für den Bankrott unserer Politik - oder für einen kollektiven Todeswunsch für die Welt.“ [1]
Die weitere unmittelbare Gefahrenquelle ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die fünfzehn Atomreaktoren an vier Standorten in der Ukraine durch Kriegsfolgen Gefahr laufen, zu einer Atombombe zu werden. Nato-Staaten, allen voran die USA haben trotz ihrer umfassenden Kenntnis des Bedrohungspotentials, das von Atomanlagen im Kriegsgebiet [2] ausgeht, die Ukraine mit zig Milliarden Militärhilfe aufgerüstet. [3] Wenn im Verlauf einer Havarie eine Kernschmelze eintritt, werden riesige Gebiete Europas, auch des europäischen Teils Russland, auf Dauer unbewohnbar machen kann,
Die Eskalationsdynamik verdeutlicht auch die Tatsache, dass die US-Armee in Polen und Rumänien Raketenabwehr - also offiziell als Defensivsysteme - stationiert hat, die allerdings mit wenigen Modifikationen in nukleare Offensivsysteme [4] umgerüstet werden können, die für Atomschläge leicht nutzbar sind.
Nach Nato-Generalsekretär Stoltenberg begann der Ukraine-Krieg nicht am 24.2.2022 [5] mit der russischen Invasion in die Ukraine, sondern bereits acht Jahre zuvor. Seitdem hat die Nato das Land militärisch für die Eskalation gestärkt. Und ein Ende der Eskalationsdynamik zeichnet sich derzeit nicht ab, im Gegenteil.
Neue Atomtechnologien
Und die weiter gesteigerte Gefahr ergibt sich aus der Tatsache, dass neue US-Arsenale, die seit Ende 2021 – also vor der Invasion Russlands in die Ukraine – unter anderem in Deutschland in Stellung gebracht wurden. Es handelt sich hier um nukleare Sprengkörper mit Zielfindungstechnik und variabler ‚Dosierbarkeit‘. Sie benötigen eine so wenige Minuten umfassende Flugzeit Richtung Russland , dass die Alarmsysteme der russischen Armee keine reale Zeit mehr haben, um zu überprüfen, ob es sich im Moment eines Alarms um einen technischen Fehler handelt oder nicht. Die neuartigen US-Nuklearsprengköpfe ‚B 61-12‘ sind – wie weiter unten dargelegt ist – durch ihre technische Konstruktion, Systeme, die für eine Eröffnung des Atomkriegs geeignet und zwar mit einem als Präventivschlag kommunizierten Enthauptungsschlag. Noch relevanter wird dieser Zeitfaktor, der zur unverantwortlich gesteigerten Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen führt, wenn in Kürze die US-Hyperschall-Trägersysteme ‚Dark Eagle‘ in Deutschland in Stellung kommen, die noch weit schneller fliegen, als dies das bei Atombombern der Fall ist.
Die Nuklearrüstungs-Konzeption der US-Armee folgt sehr genau den konzeptionellen Eckpfeilern der Im Jahr 1983 vom US-Militärstrategen Colin S. Gray veröffentlichten Victory is possible-Strategie [6] für die Aussicht, einen Atomkrieg trotz Millionen von meistenteils schwer Verletzten sowie Toten als Staat überleben zu können und dabei den Vorteil zu erzielen, eine zum Feind erklärte Macht ausschalten zu können. Colin S. Gray plädierte im Einzelnen für „eine intelligente amerikanische Offensivstrategie, in Verbindung mit Heimatverteidigung, die Verluste auf etwa 20 Millionen Menschen (zu) reduzieren … Eine Kombination von Entwaffnungsschlag, Zivilschutz und einem Abwehrsystem … müsste die US-Verluste so niedrig halten, dass ein nationales Überleben und Wiederaufbau möglich sind“.
Zu diesen drei Säulen zählt das schon erwähnte Raketenabwehrsystem, das die NATO seit Jahren in Osteuropa [7] schrittweise auf- und ausbaut.
Die für einen möglichen Enthauptungsschlag einsetzbaren Arsenale wie die seit Ende 2022 [8] in Büchel bei Koblenz stationierten Nuklearsysteme B 61-12 gelten aufgrund ihrer ‚differenzierten‘ Dosierbarkeit der Wirkung und aufgrund ihrer Zielfindungstechnik [9] (sie sind keine reinen Fallbomben, sondern sie finden ihr Ziel in der Schlussphase ihres Angriffsfluges selbstständig) laut US-General Cartwright als besonders ‚gebrauchsfreudig‘: Ihre technischen Fähigkeiten bedeuten, dass sie Kommandozentralen und Nuklearbunker möglicher Gegner in einem minutenschnellen Angriff ausschalten können – das ist der Enthauptungsschlag. Die kurze Flugzeit ihrer Trägersysteme bedeutet, dass der angegriffene Staat keine Zeit mehr hat, um über eine effektive Gegenreaktion zu beraten und um zu überprüfen, ob kein Fehlalarm vorliegt: Die Trägersystem für die B 61-12 sind zum einen der Tarnkappenbomber F 35, der das Radarecho eines unbedeutenden Flugobjektes an die Atom-Alarm-Systeme Russlands oder Chinas absendet – diese Atombomber, die für die Aufnahme, den Transport und für den Einsatz der B 61-12 ausgelegt sind, hat Bundeskanzler Scholz als Element des 100 Mrd.-‚Sonderprogramms‘ und damit als Reaktion auf den Ukrainekrieg kommuniziert.
Die Bedeutung der geografischen Nähe
Zur Legitimierung der Stationierung von Hyperschall-Raketen mit dem Namen „Dark-Eagle“ verweist die Nato darauf, dass auch Russland derartige Systeme hat; das ist so zutreffend wie manipulativ: Dieses Argument wäre dann valide, wenn Russland derartige Systeme vergleichbar nahe an der US-Südgrenze und –Küste aufstellen würde.
Die militärische Bedeutung einer Waffe ergibt sich nicht nur aus ihren technologischen Zerstörungs-‚Fähigkeiten‘, sondern – wie es einst die Kuba-Krise zeigte, auch aus der Geografie: von wo aus eine feindliche Waffe das eigene Staatsgebiet bedroht. Ein russischer Angriff auf die USA über einen der großen Ozeane hätte längst nicht die Überfall-artig kurze Flugzeit wie ein vergleichbares US-Arsenal innerhalb des europäischen Kontinents.
Im Verlauf der Kuba-Krise drohte Kennedy mit einem Atomschlag, die USA würden solche Arsenale vor ihrer Haustür nicht hinnehmen. Aktuell riskiert die NATO mit ihrer Expansionspolitik unter Einbezug der Nuklearstrategie eine umgekehrte Kuba-Krise, in deren Verlauf sie Russland zum Alleinverantwortlichen für die Steigerung der Gefahr deklariert. Als die UdSSR Nuklearraketen auf Kuba stationierte, drohte US-Präsident John F. Kennedy mit dem Atomschlag, sollten diese Arsenale nicht aus der Nähe des US-Territoriums verschwinden.
Passend zur Kombination aus „Dark Eagle“ und B 61-12, also zur Erstschlags-Konzeption der US-Armee als Führungsmacht der NATO drängen NATO-Partner aktuell darauf, die Strategie eines ‚vorsorglichen‘ (preemptiven) Atomangriffs beizubehalten. [10]
Alles in allem generiert die Nato/USA hier ein Risiko, das niemand das Recht hat einzugehen.
Umgekehrt ist vor verantwortungslosen Reaktionen Russlands zu warnen: Wie aktuell diese Gefahr ist, offenbarte eine Äußerung Wladimir Putins im Herbst 2022 [11], in der er von einer ‚nuklearen Erpressung‘ des Westens sprach und ankündigte, „natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Russland zu schützen. Das ist kein Bluff.“
Die Nuklearsysteme der russischen Armee bei Kaliningrad stellen ein Bedrohungspotential für den Weltfrieden dar, das keine Friedenskraft jemals hinnehmen kann und wird.
Umgekehrt gilt: Die Diskussion über die Verlagerung nuklearer Angriffssysteme unmittelbar in die Nähe Russlands verläuft in der Nato [12] schon länger. Eine Bemerkung der amerikanischen Botschafterin in Warschau, man könne diese B61- auch nach Polen [13] holen, sorgt nun für Wirbel.
Nachdem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 19. November 2021 erklärt hatte, dass nukleare US-Bestände in osteuropäische NATO-Länder verlegt werden könnten [14], steigerte die Ukraine-Krise, der dort seit 2014 tobende Krieg und die Eskalation ab dem 24.02.2022 die Gefahr, was dazu führte, dass die kritischen Nuklearwissenschaftler ihre Weltuntergangsuhr zur Warnung vor dem Atomkrieg auf die kürzeste Zeit vor der ‚Stunde Null‘, nämlich 90 Sekunden vor dem Inferno vorgestellt haben. Erster Anwärter für eine solche Umgruppierung von Nuklearwaffen war stets Polen, das eine solche Verlagerung seit Längerem nicht nur für möglich, sondern auch wünschenswert hält.
Cyber-Angriffe als NATO-Bündnisfall?
Hinzu kommt die destabilisierende Wirkung der Möglichkeiten, über das Internet Angriffe schnell und unentdeckt lancieren zu können, die bis zum Atomkrieg führen können:
Der Brüsseler NATO-Gipfel im Juni 2021 erklärte [15]:
“Die in der Allianz zusammengeschlossenen Staaten stellen fest, dass die Auswirkungen erheblicher böswilliger und kumulativer Cyber-Aktivitäten unter bestimmten Umständen einem bewaffneten Angriff gleichkommen können.”
Das bedeutet, wenn die NATO-Militärs ein Ereignis im Netz als Angriff wahrnehmen, dann sehen sie sich dazu legitimiert, in einen Krieg im Netz, zu Land, im Wasser und zur Luft einzusteigen. So sieht Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Cyber-Raum als immer präsenter für die militärischen Konflikte [16] an, und dabei erkennt er China als besonders gefährlichen Akteur - „Die meisten Krisen heute haben auch eine Cyber-Dimension“. [17]
Bei einem von den Warnsystemen gemeldeten Angriff im Netz können die Alliierten … den Bündnisfall ausrufen:
“Die Ausrichtung des Bündnisses müsse sich verändern, weil die Wirklichkeit sich verändere, so sieht es Generalsekretär Stoltenberg. Die Sicherheitslage sei herausfordernder geworden, die Welt unberechenbarer, und die Machtkämpfe nähmen zu. Auch im Netz und im Weltall" [18].
Wie hier die Gefahr greifbar wird, dass ein (Atom-)Krieg aus Versehen entflammt, das macht der Physiker Wolfgang Stieler [19] klar:
"Wenn solche Viren oder Trojaner auftauchen, kann man kaum feststellen, wer die eigentlich in wessen Auftrag losgeschickt hat. Im Vergleich zu dem dann vorstellbaren Chaos könnte der Kalte Krieg als eine richtig geregelte Angelegenheit erscheinen. Man kann sich ein Szenario vorstellen, nach dem irgendwelche Trojaner oder Viren auf Rechnern im Pentagon auftauchen. Die USA sagen zum Beispiel: 'Die Chinesen haben uns angegriffen'. Über die NATO könnte dann für Deutschland der Verteidigungsfall gegeben sein. … In den USA gibt es in den Reihen von Computer-Sicherheitsfirmen bereits Stimmen, die sagen, wir befänden uns längst im ‘Cyberwar’. Selbst wenn das nicht stimmt, ist es trotzdem plausibel zu sagen, dass relativ viele Staaten sich im Moment aktiv auf eine solche Auseinandersetzung vorbereiten. Auf einer Zeitskala von fünf bis zehn Jahren halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass da größere Auseinandersetzungen passieren.”
Fazit
Wenn die Menschheit überleben soll, und dafür steht die Friedensbewegung ein, ist die atomare Abrüstung zwingend. Alle Atommächte stellen sich gegen den UN- Atomwaffenverbotsvertrag und riskieren alleine schon dadurch mit noch so hehren Propagandaworten die Zukunft der Gattung Mensch auf der Erde. Sie stellen eine der großen Zukunftsgefährdungen dar und verkaufen ihre brandgefährliche Strategie als Sicherheitspolitik. [20]
Um eine glaubwürdige Sicherheitsagenda durchzusetzen, geht die Friedensbewegung gegen die nukleare Bedrohung gemeinsam vor.
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Bernhard Trautvetter, Sprecher des Essener Friedensforums, Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag, Co-Redaktion des Appells für den Frieden, Erstunterzeichner.
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Anmerkungen:
[1] https://www.quotescosmos.com/quotes/John-F.-Kennedy-quote-111.html, ohne Datum, 10.3.2013.
[2] https://gruene-linke.de/2022/09/04/der-kleine-atomkrieg/, 4.9.2022, 10.3.2023.
[3] https://www.nzz.ch/international/ukraine-krise-was-der-westen-kiew-an-waffen-geliefert-hat-ld.1666637?reduced=true, 9.2.2022, 10.3.2022.
[4] https://www.imi-online.de/2016/06/20/atomare-muskelspiele-die-nukleare-offensive-der-nato/, 20.6.2016, 10.3.2023.
[5] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/es-begann-2014-wie-die-nato-den-krieg-russlands-in-der-ukraine-sieht-li.317773, 14.2.2023, 10.3.2023.
[6] https://archive.org/details/victory_is_possible/page/27/mode/2up, o.D., 10.3.2023.[
7] https://www.dw.com/de/nato-treibt-raketenabwehr-in-osteuropa-voran/a-19255769, 13.5.2016, 10.3.2023.
[8] https://www.pi-news.net/2022/10/neue-atombomben-zum-erstschlag-fuer-buechel/, 31.10.2023.
[9] https://www.airforce-technology.com/projects/b61-12-nuclear-bomb/, 6.11.2020, 10.3.2023.
[10] https://www.nachdenkseiten.de/?p=93490, 7.2.2023, 10.3.2023.
[11] https://www1.wdr.de/nachrichten/putin-atomkrieg-atombombe-ukraine-russland-100.html, 22.9.2022, 10.3.2023.
[12] https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020S11/, 28.5.2022, 10.3.2023.
[13] https://www.diepresse.com/5816361/andeutung-verlegung-von-us-atomwaffen-nach-polen, 20.5.2020, 10.3.2023.
[14] https://www.freitag.de/autoren/nikita-gerasimov/nato-aufruestung-polen-als-stationierungsland-fuer-kernwaffen, 16/2022, 10.3.2023.
[15] https://www.nachdenkseiten.de/?p=76963#foot_4, 13.10.2021, 10.3.2023.
[16] https://www.rnd.de/politik/nato-generalsekretar-jens-stoltenberg-im-interview-ich-bin-fur-eine-globalere-nato-JQ4PZWC6XZFQ7KCTSFK5HZHESE.html, 13.7.2020, 10.3.2023.
[17] https://www.deutschlandfunk.de/nato-verteidigungsministertreffen-nato-erklaert-cyberspace-100.html, 16.6.2016, 10.3.2023.
[18] https://www.nachdenkseiten.de/?p=76963#foot_10, 13.10.2021, 10.3.2023.
[19] https://www.nachdenkseiten.de/?p=76963#foot_10, 13.10.2021, 10.3.2023.
[20] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/stoltenberg-nato-generalsekretaer-ukraine-krieg-russland-100.html, 29.4.2022, 10.3.2023.
Die Gefahr einer oder mehrerer Kernschmelzen in der Ukraine nimmt zu.
von Karl-W. Koch
12.3.2023
Die Lage in der Ukraine eskaliert seit dem 24. Februar 2022 laufend weiter – statt Friedensaussichten drohen die nächsten Eskalationsstufen des Krieges einzutreten – mit unabsehbaren Folgen für Menschen, Natur und Lebensgrundlagen in der gesamten Ukraine und darüber hinaus in den angrenzenden Nachbarländern. Lieferungen immer schwerer Waffen, mittlerweile auch gehäuft Offensivwaffen fördern die Eskalation, natürlich auch auf russischer Seite, die meint immer heftiger zurückschlagen zu müssen. Ein mittlerweile sehr deutlich erkennbares Kriegsziel ist dabei die Vernichtung der technischen Infrastruktur der Ukraine, maßgeblich der elektrischen Infrastruktur. Die ist am einfachsten zu zerstören, wenn die Knotenpunkte der Hochspannungsfernleitungen zerstört werden und die Einspeisungsstellen in die Netze mittlerer Spannungen. Ein Hauptproblem dabei: Die nötigen Transformatoren liegen weder in der Ukraine noch in Rest-Europa in Mengen als Reserve herum. Sie müssen im Gegenteil aufwendig, auf die jeweilige Stelle genau zugeschnitten neu gebaut werden, und das dauerte jeweils mehrere Monate.
An diesen Knotenpunkten und Transformatoren hängen aber AUCH die Atomkraftwerke der Ukraine. Werden sie vom Stromnetz getrennt, dann muss das AKW zur Kühlung auf Notstromaggregate (Diesel) umgestellt werden. Diese haben eine Laufzeit von maximal 3 bis 10 Tage, für den Dauerbetrieb sind sie nicht ausgelegt. Versagen auch sie, fällt die Kühlung der Reaktoren aus. Und diese MÜSSEN AUCH gekühlt werden, wenn die Reaktoren herunter gefahren wurden. Und die Lagerbecken der ausgetauschten Brennstäbe bei den AKWs (und in Tschernobyl, das große Zwischenlager der Ukraine) müssen dauerhaft gekühlt werden. Sonst droht jeweils eine Kernschmelze mit der Freisetzung riesiger Mengen an Radioaktivität.
Putins Plan ist erkennbar auf jeden Fall, die elektrische Infrastruktur der Ukraine zu zerstören. Inwieweit er dabei Kernschmelzen und Radioaktivität-Freisetzungen in Kauf nimmt, kann man nur spekulieren ...
Ein Kapitel für sich stellt das AKW Saporischschja mit sechs Blöcken da, das von russischen Truppen widerrechtlich (Verstoß gegen UN-Konventionen) besetzt ist und wo es schon mehrfach zu Beschuss, auch mit schweren Geschützen kam. Von welcher Seite ist unklar, der Verdacht fällt dabei eher auf ukrainische Truppen.
Bei einer Kernschmelze wäre die Folgen noch beherrschbar. Da die Reaktoren nicht mehr dem Tschernobyltyp (mit Graphitkern) entsprechen, sondern "Wasser-moderiert" sind, würde die Verstrahlung in der Hauptwindrichtung sich "nur" über mehrere Hundert Kilometer ausbreiten, dort zu Evakuierungen führen und alle landwirtschaftlichen Produkte mindestens für etliche Monate nicht verwertbar machen. Bei Tschernobyl wurde bei tragischerweise 4 x drehenden Winden über den Jetstream über mehrere Tausend Kilometer Radioaktivität verbreitet. Kommt es aber zu mehreren, zu 6, 8, 10 Kernschmelzen (15 Blöcke sind in Betrieb) und/oder wird ein großes Zwischenlager wie in Tschernobyl durch massiven Beschuss oder Explosionen zerstört, müssten die Ukraine und die Nachbarländer vermutlich weitflächig evakuiert werden, die Landwirtschaft in der Großregion (der "Kornkammer Europas") wäre mindestens ein Jahr völlig zerstört und auch danach nur eingeschränkt nutzbar.
Fazit: Putin muss für einen radioaktive Zerstörung der Ukraine keine einzige Atombombe einsetzen! Die Folgen für die Ukraine, für Europa und für alle Länder, die auf Getreidelieferungen aus der Region angewiesen sind, wären verheerend, eine weltweite Wirtschaftskrise (durch die explodierenden Nahrungspreise) wäre die unausweichliche Folge. Wer oder was soll Russland hindern, das durchzuziehen, wenn der Krieg aus russischer Sicht "eskaliert" oder wenn eine militärische schwere Niederlage droht? Und gibt es eine Gegenstrategie?
Wer sich weiter in das Thema einlesen will, der sei auf die folgenden Beiträge hingewiesen:
https://gruene-linke.de/2023/01/13/der-brandgefaehrliche-russische-energiekrieg-gegen-die-ukraine/
https://gruene-linke.de/2022/09/04/der-kleine-atomkrieg/
https://gruene-linke.de/2022/08/09/kamikaze-am-atomkraftwerk-saporischschja/
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Karl-Wilhelm Koch, Journalist und Buchautor, Mitorganisator der Unabhängigen Grünen Linken, Co-Redaktion des 'Appells für den Frieden' und Erstunterzeichner
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Eine Kultur des Friedens
– auch angesichts des Kriegs in der Ukraine?
Von: Laura Dexheimer, Viola Marien und Robert Geiger
(Der Vortrag wurde von Viola Marien gehalten und von den drei Autoren_innen gemeinsam entwickelt.)
Einleitung
Auch ich möchte Sie alle noch einmal herzlichst willkommen heißen. Mein Name ist Viola Marien, ich bin 25 Jahre alt, studiere aktuell Soziale Arbeit im Bachelor an der Hochschule in Esslingen und engagiere mich seit nun 10 Monaten ehrenamtlich bei HWPL. Ich freue mich, dass ich heute mit meinem Kollegen Robert Geiger, der die Moderation der Tagung übernimmt, hier stehen und im Namen von HWPL eine Rede über die Kultur des Friedens halten darf. Der Friede ist der Wunsch aller Menschen, und so ist es uns ein persönliches Anliegen, über Frieden zu sprechen.
Ich bin sicher, ganz bestimmt hat sich der eine oder die andere hier in diesem Raum auch schon einmal die Fragen gestellt: „Frieden – wie kann das sein? Wie werden wir das erreichen? Wie wird es aussehen, wenn es so weit ist? Und was müsste dafür getan werden?
Vielleicht scheint es auch paradox, dass ich hier, im Angesicht der bestehenden Kriege, über eine Kultur des Friedens spreche. Haben wir Menschen uns nicht erfolgreich eine Kultur des Krieges über die Jahre angeeignet? Bewiesen, dass wir fähig sind, Kriege zu führen. Wir haben Kriegsführungstechniken analysiert, weiterentwickelt, spezialisiert. Wir sind geschult und fähig, Krieg zu führen. Aber sind wir auch fähig, Frieden zu halten? Frieden zu errichten? Frieden zu verstehen? Frieden zu bewahren? Ich möchte auf einen Satz zurückgreifen, der im Appell des Friedens vorkommt.
Frieden entsteht nicht durch mehr Krieg!
Liebe Autoren des Appell des Friedens, da haben Sie recht. Friede kann nicht durch Krieg erreicht werden. Ich möchte gerne einen weiteren Satz aus dem Schreiben des Appells des Friedens aufgreifen:
Eine Zukunft der Menschheit wird es nur geben, wenn dies eine friedliche wird.
Eine Zukunft der Menschheit wird es geben. Ob sie friedvoll oder ob sie kriegs- und gewaltvoll wird, das liegt in unsere Hand. Und somit möchte ich gerne in meine Rede einsteigen „Eine Kultur des Friedens – auch im Anbetracht des Krieges in der Ukraine?“ Die Antwort warum eine Kultur des Friedens, auch im Anbetracht der Krieges in der Ukraine notwendig ist, konnte in der Einleitung beantwortet werden. Nichtsdestotrotz wollen wir uns das noch einmal anschauen.
Was ist die Kultur des Friedens?
Kultur bezeichnet im weitesten Sinne etwas, das von Menschen selbst hervorgebracht, bearbeitet und gepflegt wurde. Es ist also etwas, dass über Jahre menschlicher Zivilisation entwickelt wurde. Worin wir Geschichte entdecken können. Es ist die Gesamtheit dessen, was der Mensch mit seinen Händen, seinem Verstand und seiner Kreativität selbst erschaffen hat (Weidenthaler, 2022). Das findet sich auch in der Herkunft des Wortes Kultur wieder, welches vom lateinischen "colere" (pflegen, urbar machen), beziehungsweise "cultura" und "cultus" (Landbau, Anbau, Bebauung, Pflege und Veredlung von Ackerboden) abgeleitet ist. Nun ist das Verständnis des Kulturbegriffes nicht in der Landwirtschaft stehen geblieben, sondern hat sich ausgeweitet von landwirtschaftlichen Tätigkeiten auf die pädagogischen, wissenschaftlichen, künstlerischen, geistigen, materiellen und sozialen Güter. Kultur steht im Gegensatz zu dem, was nicht vom Menschen geschaffen wurde, der Natur (vgl. Nünning, 2009).
Vergleicht man die Kultur des Menschen und die Gegebenheiten der Natur, so können eindrückliche und aufschlussreiche Unterschiede festgestellt werden.
Schaut man in die Natur, dann findet man dort keinen Krieg. Lassen Sie sich auf diese Reise ein: Die Natur ist ein unfassbares Schauspiel an Artenvielfalt, an Farbvielfalt, an Formen. Es wird angenommen, dass es etwa 1,38 Millionen Tierarten auf der Erde gibt, wobei der größte Anteil Insekten sind, was ich mir gerne anders wünschen würde, aber auch das hat seine Ordnung und seinen Sinn. Zudem gibt es über 330.000 Pflanzenarten. Zählt man weiterhin alle Pilze mit dazu, kommt man auf eine Artenzahl von über 1.800.000, ausgenommen der Bakterien.[1] Und alle Lebewesen haben in diesem großen Vielfaltsspektrum ihre eigenen Rollen, ihre spezifische Funktionen und bilden gemeinsam einen Teil des globalen Ökosystems, um auf diese Weise Leben zu ermöglichen. Ein wahrhaftiges Wunder.
Auf der Erde leben etwa 8,03 Mrd. Menschen, bei einem Bevölkerungswachstum von jährlich rund 80 Millionen Menschen. Weltweit existieren 6000 bis 7000 Sprachen.[2] Alle 8,03 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben, unter welchen auch Sie mit dazu gehören, haben eine andere Gestalt. Sie können sich gerne in Zoom umschauen. Es kann sein, dass man eine ähnliche Nase hat, vielleicht sogar den gleichen Namen, ein ähnliches Alter, vielleicht ist man Brillenträger oder hat eine ähnliche Augenform oder Frisur. Jedoch ist niemand genauso wie der oder die andere. Ich selbst allein bin einzigartig. Und allein deshalb, weil ich existiere, bin ich würdig respektiert und wertgeschätzt zu werden.
Was sollten wir also durch diese vielfältige Natur lernen?
Hier können wir uns selbst die Frage stellen: Was lehren wir unseren Kindern, den Jugendlichen, den Studentinnen, den Auszubildenden? Wenn ich Sie nun fragen würde „was denken Sie, weshalb Sie wertvoll sind?“ Könnten Sie, ihren Wert wertschätzend und kennend antworten? Ich halte somit fest, bevor wir den Wert und das Leben der Anderen wertschätzen und schützen wollen, sollten wir zuvor erst unseres Werts bewusst sein. Die Natur hat das schon verstanden. Sie lebt in ihrer Vielfalt, sie schätzt das Leben wert. Antoine de Saint-Exupéry, ein französischer Schriftsteller, viele kennen ihn bestimmt von dem kleinen Prinzen, schrieb einmal in besagtem Buch „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Und damit hatte er Recht. Die Existenz von Menschen und Leben in sich tragenden Wesen ist ein Wunder an sich und sie haben einen Wert, der durch nichts ersetzt werden kann.
Warum brauchen wir eine Kultur des Friedens?
Ein kurzer „Appell an den Frieden“
In dem Appell des Friedens werden weitere treffende Aussagen getroffen.
Das gegenseitige Töten und auch die massive Umweltzerstörung durch den Krieg sind nicht länger von der internationalen Gemeinschaft der Völker hinnehmbar!
Wir alle hier Anwesenden wissen und sehen täglich, dass derzeit in einem unserer Nachbarländer Krieg herrscht. Unabhängig dessen, wer Krieg begonnen hat und welche Hintergründe dahinter liegen stellt, ich zitiere [3]:
Der Angriff auf die Ukraine stellt ein Verbrechen dar, das durch nichts völker- und menschenrechtlich legitimierbar ist.
Der derzeitige Konflikt sorgt weltweit für Unruhen, Spannungen und bedroht eine friedliche Zukunft, die wir für zukünftige Generationen aufbauen müssen. Der Grundgedanke der Vereinten Nationen, den Frieden zu sichern und Kriege zu verhindern, wurde von einem der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates gebrochen. Wie kann das sein? Eine militärische Aggression gegen einen souveränen Staat kann nie, war nie, und wird nie eine Lösung sein, für egal welches Problem. Die Folgen von Krieg treffen die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger der Länder, am härtesten. Männer, die kämpfen und in den Krieg ziehen. Kinder und Jugendliche, deren Kindheit und Bildung unter den Folgen des gewaltsamen Konflikts langfristig leiden. Frauen, die den Verlust von Familie und Familienmitglieder am nächsten spüren und verarbeiten müssen sowie die Aufgabe tragen, das Land anschließend wieder aufzubauen. Nichts kann das Verlieren von Menschenleben entschädigen. Von heute auf morgen zu Flüchtlingen gemacht zu werden, kann mit nichts anderem getröstet werden als der Unterlassung der Feindseligkeiten und dem Aufbau des Friedens.
Der Vorsitzende von HWPL, Herr Lee Man Hee, ist mittlerweile 92 Jahre alt. Er wurde mit jungen 19 Jahren, in den Krieg eingezogen. In einem jüngeren Alter als ich es gerade bin. Wenn er Worte spricht, dann spricht er Worte, die die Menschen berühren. Er hat Erfahrungen im Krieg an vorderster Fron machen müssen. Und wenn er davon erzählt, dann spürt man den Schmerz eines jungen Menschen, der in den Krieg gezogen wurde und zuschauen musste, wie seine Freunde links und rechts von ihm erschossen werden. Jede Persönlichkeit, die einmal Krieg erlebt hat, bringt durch ihre Worte den Krieg sehr nah an die Menschen heran. Und man merkt bei Ihnen, dass sie eines verstanden haben: Dass Friede erst dann passieren kann und wird, wenn er von allen Seiten mitgetragen wird.
Wie kann eine Kultur des Friedens hergestellt werden?
Bei der Herstellung des Friedens müssen und sollen alle Bereiche des Lebens gleichsam beteiligt und tragend wirksam gemacht werden. Dazu möchte ich ein paar Beispiele ausführen: Wie können wir auf juristischer Ebene so handeln, dass Frieden in Zukunft rechtlich gesichert und verpflichtend wird? Zeitgleich muss Frieden gelehrt werden. Durch Friedenserziehung- und Bildung bei Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen, StudentInnen, Auszubildenden, in Schulen und bildenden sowie kulturellen Einrichtungen. Überall auf der Welt. Sie sehen also, liebe Familie des Friedens, wir sind bei der Umsetzung einer Kultur des Friedens angelangt.
Viele Kriege haben dazu ihren Ursprung in den Religionen. Unabhängig dessen, wie man selbst zu Religionen steht, gibt es mindestens 22 Religionen, an die jeweils mindestens 500.000 Personen glauben. Die genaue Anzahl an Religionen ist unbekannt. [4] Das heißt, auch die Religionsleiter müssen zusammen gebracht und dazu motiviert werden, sich auf der Grundlage ihrer Schriften für den Frieden einzusetzen, diesen zu vertreten und aktiv in interreligiösen Dialogen mitzuwirken. Dies alles wird unterstützt und aktiv eingefordert von der Jugend. Denn die Jugend sind schlussendlich diejenigen, die die Folgen und Konsequenzen des Krieges am nächsten und längsten spüren. Wenn aber junge Menschen vereint fordern, dass sie auf Grundlage der Entscheidungen von Regierungen oder einzelnen Personen nicht mehr ihr Leben opfern wollen, welche treibende Kraft für Kriegsführung bleibt dann? Und nicht zuletzt müssen Frauen die Kultur des Friedens verstehen, einfordern, weitergeben und aktiv mitwirken. Zur Rolle der Frauen bei der Schaffung einer Kultur des Friedens hat die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 schon Akzente gesetzt [5]. Wenn sich also ebenso die Frauen der Welt zusammentun, vereinen und sagen: „Wir wollen unsere Kinder und Familien nicht mehr in den Krieg schicken.“ Was gibt es dann noch? Wer zieht dann noch in den Krieg? Wer unterstützt dann einzelne Entscheidungen, die Krieg hervorbringen würden?
Und wie das erreicht werden kann? Indem in allen Ländern, Ebenen, Schichten, Milieus der Wert des Friedens, des Lebens und der eigenen Existenz sowie der Existenz des Anderen entdeckt, erkannt und mit einer lebhaften Kultur aufgebaut wird. Dazu gehört noch weit mehr, aber damit würde ich nun in die Friedensbelehrung mit Ihnen einsteigen, und das möchte ich hier heute nicht. Dies soll eine Rede zur „Kultur des Friedens, auch im Angesicht des Krieges in der Ukraine“ und für die Tagung des Appells für den Friedens sein.
Wer muss alles eine Kultur des Friedens aufbauen?
Friede kann nur entstehen, wenn alle gemeinsam daran arbeiten. Dann wird es geschehen. Dafür brauchen wir jedoch auch eine langwirkend rechtliche Änderung derzeit bestehenden Völkerrechts – und Länderrechts, um den Anspruch und die Förderung der Friedensaktivitäten zu erhöhen sowie rechtsverbindlich einfordern zu können.
Welche Rolle spielt das Recht bei dem Aufbau einer Kultur des Friedens?
Die Gesetze und Resolutionen, die seit Ende des 2. Weltkrieg basierend auf der UN-Charta sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurden, um Frieden zu sichern und Kriege zu verhindern, greifen nicht mehr wirksam genug, um die Komplexität der im 21. Jahrhundert bestehenden Kriege und Konflikte wirkungsvoll und dauerhaft zu lösen oder im Idealfall zu verhindern. Anstelle von Stellvertreterkriegen, die wir vor allem aus Zeiten des Kalten Krieges kennen, wirken heutzutage ebenso nichtstaatliche Organisationen und individuelle Gruppen, deren Gewalthandlungen und Kriegsverbrechen juristisch nicht unterbunden werden können. Friede muss somit nicht nur in alle Gesellschaftsebenen gebracht werden, sondern zudem ein notwendiges Niveau an Verpflichtung auf der rechtlichen Ebene erfahren. Man könnte es so ausdrücken: Der Deckel, der für den im 20. Jahrhundert brodelnden Kriegstopf geschmiedet wurde, passt nicht mehr auf den brodelnden Kriegstopf des 21. Jahrhunderts. Es braucht einen Deckel, der an die Kriegs- und Gewaltkonflikte des 21. Jahrhunderts sowie deren Ursachen angepasst ist. Und das ist es, was wir eine Kultur des Friedens nennen, die durch das internationale Recht gesichert wird.
We are One – die Rolle der Botschafter des Friedens
Als ich in das Programmheft geschaut habe, war ich voller Freude. Da standen Namen wie z.B. Prof. Dr. Funke von der FU Berlin, Renate Wanie, Vorstandsmitglied im Bund für Soziale Verteidigung, der Journalist und Buchautor Karl Wilhelm Koch, Karl-Heinz Hinrichs, Gründer von EVAL sowie der Friedensaktivist Bernhard Trautvetter. Und wenn ich hier in die Runde in Zoom schaue, dann sehe ich noch weitere namhafte Personen, die sich seit Jahren für den Frieden engagieren und bisher Großartiges bewirkt und geleistet haben. Alle haben sich um 14 Uhr mittags hier zusammengesetzt – um was zu tun? Sicher nicht, um ihre Zeit vor dem Laptop zu verbringen. Darum geht es nicht.
Unser lieben Freunde und Kollegen Klaus Moegling und Karl-Heinz Hinrichs haben nicht diese Tagung aufgesetzt, um sich selbst zu promoten oder den Appell des Friedens erfolgsorientierter in Szene zu setzen. Sondern um eine Plattform für den Frieden zu ermöglichen, in dessen Zustandekommen der Ruf lauter wird, dass das „Töten in der Ukraine gestoppt werden muss“.
Um diesen Vortrag abzurunden: Wir haben uns nun angeschaut, was Grundpfeiler einer Kultur des Friedens sind, wie diese hergestellt werden kann und dass dafür jede*r Erdenbürger*in zu einem Friedensboten/zu einer Friedensbotin werden muss. Anhand der Natur konnten wir sehen, dass jedes Lebewesen im globalen Ökosystem genau seinen Platz, seine Aufgabe und seine Rolle zugeteilt bekommt, um diese auch beharrlich und beständig auszuführen. Wenn wir als Friedensgemeinschaft ebenso dies wissen, wo unser Platz, unsere Rolle und Aufgaben sind, so können wir gemeinsam als System für den Frieden und für die Ermöglichung von Leben arbeiten. Dann gelingt es uns, eine Kultur des Friedens aufzubauen.
Ich möchte diese erste Runde mit einem kleinen Experiment beenden und hoffe, dass Sie alle daran teilnehmen. Alle von Ihnen, die gerne Frieden haben möchten, dürfen jetzt bitte die Hand heben. Wer keinen Frieden haben möchte – bitte nicht die Hand heben. Wer Frieden haben möchte, bitte die Hand heben. Wir sehen also – wir alle haben einen Wunsch. Dadurch, dass wir den Wunsch nach Frieden haben, in einer Welt, die im Angesicht des Krieges steht, sind wir alle in der Verantwortung auch Akteure und Botschafter dieses Friedens zu werden. Und wir hoffen, dass Sie bei den nachfolgenden Vorträgen unserer Kolleg*innen genau auch mit diesem Ohr zuhören können. Für sich eine Botschaft, ein Gedanke, eine Inspiration mitzunehmen, welche in der kommenden Wochen Sie erinnert und noch mehr gemeinsam zu Boten und Akteur*innen für den Frieden werden lässt.
Quellen
Nünning, Ansgar. (23.07.2023). Vielfalt der Kulturbegriffe. Abgerufen von: https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/59917/vielfalt-der-kulturbegriffe/ Letzter Zugriff: 28.02.2023
Weidenthaler, Jasmin. (08.10.2022). Kultur: Was ist das eigentlich genau? [Blogeintrag] Abgerufen von: https://www.kulturpixel.de/kultur-was-ist-das-eigentlich-genau/ . Letzter Zugriff: 28.02.2023
Anmerkungen
[1] Die Zahlen basieren auf dem Bericht des Bundesamt für Naturschutz, abrufbar unter: https://www.bfn.de/daten-und-fakten/artenzahlen-der-tiere-pflanzen-und-pilze-deutschland-und-weltweit. Letzter Zugriff: 03.02.2023.
[2] Basierend auf der Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Abrufbar unter https://www.cbs.mpg.de/institut/forschung/archiv/sprachenvielfalt (Letzter Zugriff: 03.20.2023)
3] Zitiert nach Moegling, Klaus (2023): Die drei Forderungen des
Appells für den Frieden/ Appeal for Peace und mein persönlicher Zugang hierzu. (Artikel oben auf dieser Webseite).
[4] Die Zahlen wurden der Veröffentlichung der Website Laenderdaten.info entnommen, die sich auf öffentlich zugängliche Datenbanken weltweit stützt. Abzurufen unter https://www.laenderdaten.info/religionen/index.php (Letzter Zugriff: 10.02.2023)
[5] Weitere Informationen zu der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 gibt es unter https://www.un.org/depts/german/conf/beijing/beij_bericht.html zu finden.
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Laura Dexheimer, Robert Geiger, Viola Marien: Ehrenamtlich Tätige bei der HWPL (Heavenly Culture, World Peace, Restoration of Light). HWPL ist eine internationale Friedensorganisation, die bei der Abteilung für globale Kommunikation der Vereinten Nationen (DGC) und dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) als Organisation mit besonderem Beraterstatus registriert ist. Non-profit organisation, Sektion: Internationales Recht.
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Karl-Heinz Hinrichs (Ramsau/AUT) sendete dem Vizekanzler Österreichs, Kogler, kurz vor unserer friedenspolitischen Tagung den 'Appell für den Frieden'. Er bekam kurz nach der Tagung von Peter Steyrer, Bundesministerium für Kunst, Kultur,
öffentlichen Dienst und Sport, Büro des Vizekanzlers und Bundesministers EU und Internationales, folgende ausführliche Antwort:
"Vizekanzler Kogler lässt sich für die Zusendung Ihres Appells für den Frieden recht herzlich bedanken. Er hat mich ersucht Ihr Schreiben wie folgt zu beantworten.
Wir sehen in Sachen Überwindung des Krieges und Herstellung eines gerechten Friedens derzeit leider keine Alternative als einerseits das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine anzuerkennen und zu unterstützen – selbst in Ghandhis Theorie der Gewaltlosigkeit hatte dieses Bestand und die Ukraine hat tatsächlich alle Mitteln der Gewaltlosigkeit in den vergangenen Jahren ausgeschöpft – und andererseits im Gespräch zu bleiben; die Kriegsdienstgegner und -verweigerer in Russland zu unterstützen und humanitär vor Ort und den Flüchtlingen hier zu helfen. Wenn Putin aufhört, dann ist der Krieg beendet. Wenn die Ukraine aufhört, dann ist die Ukraine ausgelöscht!
Neutralität kann nicht teilnahmsloses Zusehen bei einem militärischen Überfall bedeuten. Österreich ist ein neutraler Staat. Das ist gut und richtig. Aber Ziel der Neutralität kann nicht sein, teilnahmslos zuzuschauen und den Bruch des Völkerrechts hinzunehmen, wenn eine militärische Großmacht einen Nachbarn überfällt. Hier geht es um die Zerstörung eines unabhängigen und souveränen Staates durch militärische Gewalt.
Putin verdreht mit seiner "Rhetorik eines Angriffskriegs aus Eigenschutz" die Wahrheit. Dies muss so benannt und zurückgewiesen werden. Österreich wird die weiteren "massiven Maßnahmen" der EU mit entwickeln und mittragen, denn es gilt, alle Mittel der Politik und der Diplomatie zu ergreifen, "um uns diesem Angriff auf die Ukraine entgegenzustellen".
Das neutrale Österreich kann einem derartigen Aggressionskrieg nicht zuschauen. Die Neutralität ist keine "tatenlose Ideologie". Österreich bleibt dem Lebensmodell von Freiheit, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie treu. Die Ukraine ist ein europäisches Nachbarland. Daher hat sich Österreich ohne wenn und aber als guter und solidarischer Nachbar erwiesen. Gleichzeitig hat Österreich die Pflichten eines militärisch Neutralen eingehalten.
In dieser Frage und in der Frage der Waffenlieferungen geht es eben vor allem auch darum, immer wieder klar zu machen, dass es keine direkte Unterstützung durch Soldaten gibt, was den Westen zur Kriegspartei machen würde, aber die Selbstverteidigung des Überfallenen zu unterstützen und volle Solidarität mit der Ukraine zu zeigen. Diesem Prinzip der Unterstützung des Art 51 UN-Charta bei gleichzeitiger Vermeidung jeder Eskalation und der Eindämmung des Krieges folgen auch die USA, die Nato als auch die EU.
Das UN-Generalsekretariat ist dauernd und intensiv engagiert Verhandlungen in Sachen Gefangenenaustausch, Getreidelieferkorridore und Sicherheitszone um das AKW Saporischja herbei zu führen. Mit kleinen Teilerfolgen, die allerdings weit von einem Waffenstillstand oder gar einer Friedenslösung entfernt sind.
Wie schwer es ist, im Gespräch zu bleiben, zeigte die diesjährige OSZE-Wintertagung, an der auch russische Abgeordnete „routinemäßig“ und völkerrechtsgemäß teilgenommen und wo 81 Abgeordnete und Mitglieder der Parlamentarierversammlung dagegen protestiert haben, sowie litauische und ukrainische Abgeordnete die Sitzung boykottiert haben. Aber gerade die OSZE ist als Dialogforum gegründet worden. Die OSZE hat im Krieg seit 2014 in der Ukraine, der auch von Russland entfacht worden ist, eine wichtige Rolle an der Waffenstillstandslinie gespielt. UND: Die OSZE wird die erste Organisation sein, die, sobald irgendeine Bereitschaft zu einem neuerlichen Waffenstillstand von beiden Seiten geäußert wird, ein wichtiges Instrumentarium bietet.
Ein Boykott Russlands hätte dieses internationale Forum in seinen Grundfesten erschüttert und den Sinn der OSZE grundlegend in Frage gestellt. Daher ist Österreich als Gastgeberland für die Durchführung der Konferenz eingetreten.
In diesem Sinne werden wir auch weiterhin für einen gerechten Frieden für die Ukraine eintreten und verbleiben und auch im Einklang mit den internationalen Entwicklungen und Absprachen handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Steyrer"
Ein weiteres Schreiben von der österreichischen Bundesregierung im Auftrag des österreichischen Außenministers Alexander Schallenberg von
Mag. Florian Korczak, Leiter der Abteilung II.2 – Sicherheitspolitische Angelegenheiten,
traf bei Karl-Heinz Hinrichs ein, das ebenfalls zeigt, dass hier deutliche Unterschiede zur Haltung der deutschen Bundesregierung vorhanden sind:
"Als Leiter der Abteilung für Sicherheitspolitische Angelegenheiten im Außenministerium danke ich Ihnen für Ihr Mail vom 20. Februar 2023 an Herrn Bundesminister Schallenberg und darf Ihnen darauf antworten.
Die österreichische Bundesregierung hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine von Beginn an als eklatanten Bruch des Völkerrechts aufs Schärfste verurteilt. Österreich unterstützt daher uneingeschränkt die Maßnahmen der EU in Solidarität mit der Ukraine sowie die Sanktionen gegen Russland. Im Einklang mit unserer Neutralität beteiligen wir uns nicht an der Finanzierung von Waffen- und Munitionslieferungen der EU. Österreich spricht sich gleichzeitig konsequent für Schritte zur Deeskalation aus. Außenminister Schallenberg hat kürzlich in einem Interview betont, dass alle Gesprächskanäle für den Zeitpunkt offengehalten werden müssen, wo die Diplomatie wieder Raum gewinnen kann. Über das Wann und Wie von Friedensgesprächen entscheidet die Ukraine.
Zu der in Ihrer Petition erwähnten Problematik der CO2-Emissionen des Militärs ist anzumerken, dass das österreichische Bundesheer das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 engagiert verfolgt und konkrete Maßnahmen zur Ökologisierung und Nachhaltigkeit der Streitkräfte eingeleitet hat. Auf EU-Ebene setzt sich Österreich u.a. für die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks von Krisenmanagementeinsätzen ein.
Zu Ihrem Anliegen betreffend Abrüstung ist festzuhalten, dass sich Österreich seit vielen Jahren für Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung einsetzt und federführend am Zustandekommen des Nuklearwaffen-Verbotsvertrags (TPNW) beteiligt war. Österreich ist dabei bemüht, den internationalen Diskurs zu Nuklearwaffen stärker auf die globalen humanitären Konsequenzen zu richten. Österreich vertritt diese Argumentation mit Nachdruck in allen internationalen Foren und ebenso bei unseren bilateralen Kontakten. Auch mit Deutschland und den anderen EU-Partnern gibt es dazu einen regelmäßigen Austausch.
In der Hoffnung, dass Ihnen diese Hinweise helfen, verbleibe ich
Mit besten Grüßen
Mag. Florian Korczak
Leiter der Abteilung II.2 – Sicherheitspolitische Angelegenheiten"
Wir brauchen dringend ein basisdemokratisches EVAL-INFO-SYSTEM (EIS)
Vortrag von Dipl.-Ing. Karl-Heinz Hinrichs im Rahmen der Online-Konferenz am 4. März 2023 zum „Appell für den Frieden“
Links des Appells für den Frieden: https://chng.it/N2ggCS5Q (deutsch/österreichisch) und https://actionnetwork.org/petitions/appeal-for-peace/ (international, englischsprachig)
Die Grundlage des Vortrags war eine PDF-Präsentation mit gesprochenen Texten und dokumentierenden Bildern. Die Präsentation kann unter folgendem Link abgerufen werden:
https://www.evalww.com/wp-content/uploads/POLI25-TB40-Politik-kann-langfristige-Probleme-nicht-loesen.pdf
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Karl-Heinz Hinrichs, Dipl.-Ing., Friedens- und Umweltaktivist, Begründer von ‚EVAL‘ (Ehrfurcht vor allem Leben), organisiert den österreichischen 'Appell für den Frieden' und ist dort Erstunterzeichner.
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Friedensbewegung hegemonial denken?
von Renate Wanie
14.3.2023
Mit welchen Mitteln und Aktivitäten gelingt es sozialen Bewegungen – insbesondere der Friedensbewegung (FB) – in der Gesellschaft politische und kulturelle Hegemonie zu erreichen? Wie kann die FB führend und anhaltend Einfluss auf die öffentliche Meinung in der Zivilgesellschaft und die aktuell auf militärische Aufrüstung ausgerichtete Politik nehmen? Welche Rolle spielt politische Macht, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen?
Soziale Bewegungen wollen Veränderung, in der Regel weitgehende strukturelle Veränderungen. Die Klimabewegung kämpft für eine Begrenzung der Erderwärmung und eine Änderung unserer Lebensweise. Die Friedensbewegungen, soweit sie antimilitaristisch sind, wollen Aufrüstung und Militär abschaffen und Kriege beseitigen – Beispiele für Veränderungen, die radikal in den Alltag der Menschen eingreifen, aber auch tief in die wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen von Gesellschaften. Für diese Bestrebungen wird in den letzten Jahren der Begriff der „Transformation“ diskutiert. Was ist der Ansatz der Friedensbewegungen, wie lassen sich solche tiefgreifenden Veränderungen bewerkstelligen?
Ort der kulturellen Hegemonie: die Zivilgesellschaft
Letztlich ging und geht es bei all diesen Bewegungen um die Frage von „Hegemonie“. Welche Vorstellungen, welche Machtkonstellationen bestimmen, was in einer Gesellschaft gedacht und was in einer Gesellschaft gemacht wird. Kulturell, politisch, staatlich, ökonomisch und ganz besonders, was im Bewusstsein der Menschen als normal akzeptiert, aber auch, was als „zu verändern“ gedacht wird. Bei der Frage, welche Bedeutung gesellschaftliche Hegemonie für die sozialen Bewegungen hat, kann es hilfreich sein, sich mit dem Hegemonieverständnis von Antonio Gramsci, italienischer Schriftsteller und marxistischer Philosoph, auseinanderzusetzen – ohne sein Verständnis eins zu eins zu übernehmen.
In dem von Gramsci in den 1920er und 1930er Jahren begründeten Begriffsverständnis sieht er im Staat nicht nur einen starren Repressionsapparat, sondern ein komplexes Herrschaftssystem, das in Wechselwirkung zu den sozialen Verhältnissen in der beherrschten Gesellschaft steht. Die hauptsächliche Quelle der Macht der Herrschenden ist für Gramsci deren Einfluss auf die Kultur und das Denken der Beherrschten und deren Zustimmung. Die Orte der politischen Auseinandersetzung um Hegemonie bezeichnet er als Zivilgesellschaft. Er spricht sich für ein Konzept eines widerständigen und demokratischen Kampfes um ‚kulturelle Hegemonie‘ aus, das von Institutionen, Organisationen oder gesellschaftlichen Gruppierungen bis in Formen der Alltagskultur reiche. (1) In seiner „Philosophie der Praxis“ entwickelte er Vorstellungen, wie der Status Quo überwunden und eine neue Hegemonie angestrebt werden kann. Für alle, die an der Überwindung der „schlechten Verhältnisse“ arbeiten, bietet Gramsci Hinweise auf mögliche praktische Ansätze. Hier soll der Blick auf Aspekte der kulturellen Hegemonie und die Friedensbewegung gerichtet sein.
Wie und mit welchen Mitteln und Aktivitäten nimmt die FB Einfluss auf die öffentliche Meinung? Wie kommt insbesondere die FB zu einer friedenspolitischen Vorrangstellung mit dem Ziel, abzurüsten, Militarisierung zu stoppen und eine zivile und konstruktive, „friedenslogische“ Bearbeitung politischer Konflikte ins Zentrum der Politik zu stellen?
Kommunikatives Machtverständnis
Dazu ist es u.a. notwendig, das Machtverständnis der FB in den Blick zu nehmen. Um gesellschaftliche Veränderung zu erreichen, spielen neben Druckmitteln aus der Praxis des gewaltfreien Widerstands ebenso die Frage der Machtgewinnung eine Rolle. Grundlage kann hierfür das Machtverständnis der politischen Philosophin Hannah Arendt sein. In Abgrenzung zu dem weitverbreiteten Machtverständnis der Ungleichheit von Max Weber (s. Kasten), beschreibt der Philosoph Jürgen Habermas das Machtverständnis von Hannah Arendt: „Das Grundphänomen der Macht ist nicht die Instrumentalisierung eines fremden Willens für eigene Zwecke, sondern die Formierung eines gemeinsamen Willens in einer auf Verständigung ausgerichteten Kommunikation.“ (2) Hier gibt es eine Nähe zu dem Verständnis von Gramsci, wonach Herrschaft „nicht primär durch die Gewalt ihre Macht konsolidiert, sondern vor allem durch die Produktion zustimmungsfähiger Ideen und die Kontrolle der Kultur“, also über die freiwillige Zustimmung der Vielen, die „Formierung eines gemeinsamen Willens“ herzustellen. (3) Das gilt für die Durchsetzung von Herrschaft „von oben“, aber auch für Bewegungen, die soziale Veränderung „von unten“ anstreben.
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Hannah Arendts Grundgedanke von Macht lautet: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“ Konstitutiv für das Machtverständnis von Arendt als gesellschaftliches Vermögen sind zwei Elemente: das einvernehmliche Zusammenschließen einer Gruppe und die Gemeinsamkeit des Handelns. Macht ist die Fähigkeit, sich in zwangloser Kommunikation auf ein gemeinschaftliches Handeln zu einigen, „die Verständigung derer, die sich beraten, um gemeinschaftlich zu handeln, die Meinung, auf die sich viele öffentlich geeinigt haben“, auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen. Macht ist eine Handlungsmöglichkeit, die aus dem Zusammenwirken von Menschen entsteht. Grundlegend: „Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur so lange existent, als die Gruppe zusammenhält.“ (Arendt, Hannah: Macht und Gewalt. Piper 1975:45) Damit bricht H.A. mit den Traditionen politischen Denkens, das Macht vorwiegend mit Herrschaft und Gewalt verknüpft!
Max Weber definiert Macht als die Möglichkeit, den jeweils eigenen Willen dem Verhalten anderer aufzuzwingen: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf die Chance beruht"– eine weitverbreitete Definition von Macht. Ergänzend präzisierte Weber seine Auffassung von Macht mit Herrschaft: "... die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden". Der oder die ausschließlich am Erfolg orientierte und zweckrational Handelnde muss über Mittel verfügen, mit denen er oder sie ein (entscheidungsfähiges) Subjekt zwingen kann, zuzustimmen – entweder durch Überredung, Ideologie, Androhung von Sanktionen oder schlicht mit dem Einsatz von Gewalt – wie beispielsweise aktuell im Ukraine-Krieg: vom Westen, z. B. mit Sanktionen und von Seiten Russlands mit einem Angriffskrieg. Macht ist letztlich immer ein soziales Verhältnis.
(Weber, Max: Soziologische Grundbegriffe. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1975)
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… und das Zusammenwirken in einer Gruppe
Macht ist für Arendt die symbolische Verkörperung der Solidarität einer Gruppe. (4) Ihr Machtverständnis ist dafür eine wesentliche Grundlage. Gewaltfreie Aktionen beruhen immer auch auf Verständigung ausgerichteter Kommunikation. So ist Dialogbereitschaft ein Grundpfeiler gewaltfreien Widerstands in allen Phasen des Konfliktes – mit dem politischen Gegner und allen am Konflikt Beteiligten und dem Ziel, eine aktive, zivile und gewaltfreie Politik erfolgreich umzusetzen. Aktion und Dialog sind Bausteine, um eine Veränderung der öffentlichen Meinung herbeizuführen.
Werfen wir einen Blick auf von Erfolg gekrönte Aktivitäten sozialer Bewegungen. Hier wurden die öffentliche Meinung verändert und letztlich politische Entscheidungen getroffen, die strukturelle Veränderungen bewirkten. Die Beispiele zeigen exemplarisch, wie lohnenswert und ermutigend zugleich kontinuierlich eingesetzte gewaltfreie Aktionen in der Kombination mit gesellschaftlichen Dialogen sind:
· Vielfältige über Jahre fortgesetzte Aktionen der Friedensbewegung in den 1980er Jahren sowie eine breite zivilgesellschaftliche Ablehnung der Raketenstationierung trugen mit zum Abbau aller nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa (1987) bei
· Aufruf zum Wirtschaftsboykott (1986) gegen das südafrikanische Apartheid-Regime: In weltweiten Kampagnen wurden Investoren aufgefordert, ihre Gelder aus den wirtschaftlichen Aktivitäten in Südafrika abzuziehen. Das Regime verlor seine Legitimität und brach 1990 zusammen.
· Die Kampagne ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) hat mit ihrem über Jahrzehnte praktizierten ‚zivilgesellschaftlichen Aktivismus‘ zum völkerrechtlichen Status des Atomwaffenverbotsvertrags beigetragen. Er trat am 21.1.2021 in Kraft.
· Die Anti-AKW-Bewegung trug mit ihrem über viele Jahre anhaltenden Protest wesentlich zu der politischen Entscheidung bei, die Reaktoren von AKWs abzuschalten (2011-2022).
· X-tausendmal quer, das Kampagnen-Netzwerk gegen Atommüll-Transporte (seit 1995) erschwerte mit dem „Schottern“, dem Entfernen der Steine auf den Bahngleisen, den Bahntransport des Atommülls auf dem Weg zum Atommülllager
· Stopp einer Luftfracht-Verladung von Waffen, Munition und Sprengstoff für den Ukrainekrieg durch Verweigerung der Transportarbeiter im März 2022 in Italien, mit Unterstützung durch internationale Hafenarbeiterbewegungen.
· Schulstreiks von Fridays for Future (seit 2018) mit regelmäßigen Freitagsdemonstrationen haben das Pariser Abkommen mit dem Klimaziel von 1,5 Grad in der politischen Öffentlichkeit zum dringlichen Dauerthema gemacht.
· Mit massenhaftem zivilem Ungehorsam fordern Extinction Rebellion politische und gesellschaftliche Institutionen zum sofortigen Umdenken auf (seit 2018) - für eine gerechte ökologische Transformation, die allen Menschen und Arten ein gutes Leben ermöglichen.
Diese Beispiele sind der politischen Praxis europäischer Gesellschaften entnommen, die keine totalitären Systeme im eigentlichen Sinne sind. Wie der viel schwierigere und mit größerem Risiko behaftete zivile Widerstand in autoritären Gesellschaften aussehen könnte, müsste im Rahmen einer erweiterten Betrachtung analysiert werden. (5)
Die Gewaltfreie Aktion – ein kulturhegemoniales Potenzial?
Wie die Beispiele aus der Praxis zeigen, sind gewaltfreie Aktionen und Kampagnen eine kämpferische Methode, gesellschaftliche Konflikte auszutragen, sie greifen aktiv verändernd direkt in eine politische Auseinandersetzung ein. Ihr Ziel ist, gesellschaftliche Konflikte ins Bewusstsein von Politik und Bevölkerung zu rücken und mit vielfältigen Aktionen bearbeitbar zu machen. Letztlich um „von unten“ einen Zugang zu Entscheidungsprozessen durchzusetzen. Dass dabei keine Gewalt eingesetzt wird, bedeutet nicht, dass keine Macht- bzw. Druckmittel eingesetzt werden. Mit gewaltfreien Aktionen erhöhen soziale Bewegungen ihre Wirkmächtigkeit, politische Handlungsräume werden erweitert. Zum Zweck der gewaltlosen direkten Aktion stellte Martin Luther King bereits 1964 fest: „Sie will eine Krise herbeiführen, eine schöpferische Spannung erzeugen, um damit eine Stadt, die sich bisher hartnäckig gegen Verhandlungen gesträubt hat, zu zwingen, sich mit den Problemen auseinander zu setzen. Sie will diese Probleme so dramatisieren, dass man nicht mehr an ihnen vorbei kann.“ (6)
Für diesen Zweck ist das bewährte dreistufige Eskalationsmodell Gewaltfreier Aktion des Friedensforschers Theodor Ebert hilfreich. (7) Die Erfolge gewaltfreier Aktionen beruhen nicht nur auf der Überzeugung der Gegner*innen, sondern auch auf der Ausübung verschiedener Formen sozialen Drucks, die in unterschiedlicher Weise gesellschaftliche Wirkung zeigen und streitbar direkt in das bestehende gesellschaftliche System eingreifen. Nach Ebert lässt sich Gegenmacht durch vielfältige Formen des öffentlichen Protests entwickeln, durch legale Nicht-Zusammenarbeit (Boykott) und illegale Nicht-Zusammenarbeit/zivilen Ungehorsam (Blockaden) – Probleme werden dramatisiert, politischen Gegner*innen die Legitimation entzogen sowie konstruktive Alternativen benannt.
Aktuell fordert der Krieg in der Ukraine dazu heraus, eine kulturelle Hegemonie der Friedensbewegung zu entwickeln – mit partizipativen, konsensorientieren Friedensallianzen, konstruktivem Streiten für eine gemeinsame Auffassung von ziviler Bearbeitung politischer Konflikte sowie mit einer planvollen Strategie zur Umsetzung von eskalierendem, gewaltfreiem Widerstand! Die Macht der Regierenden besteht nur so lange, wie sie von der Bevölkerung kommunikative Zustimmung bekommt!
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Renate Wanie ist Mitglied in der Redaktion des FriedensForums, Vorstandsmitglied des BSV und freie Mitarbeiterin in der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion. Sie ist Erstunterzeichnerin des Appells für den Frieden.
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Anmerkungen
(1) Skrobisz, Nikodem: https://freiheitslexikon.de/kulturelle-hegemonie/.
(2) Habermas, Jürgen: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepublik. In Glotz, Peter: Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat. Suhrkamp Verlag, 1983, S. 230.
(3) Skrobisz: a.a.O., S. 1.
(4) Arendt, Hannah: Macht und Gewalt, Piper 1975, S. 45.
(5) Vgl. hierzu den Aufsatz Wanie, Renate (2023): Wir füllten öffentliche Plätze und dann die Arrestzellen und Gefängnisse. In: FriedensForum, H. 2 /2023, S.21f.
(6) King, Martin Luther: Freiheit. Brockhaus Taschenbuch Verlag. Wuppertal 1982
(7) Ebert, Theodor: Ziviler Ungehorsam. Waldkirch 1984
Der vorliegende Text stellt eine leicht modifizierte Fassung des Aufsatzes im FriedensForum 6/2022, S.30-32, dar: https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/friedensbewegung-hegemonial-denken-0, entnommen am 12.3.2023.
Appell für den Frieden. FÜR EINE HOCHRANGIGE VERHANDLUNGSINITIATIVE ZUR BEENDIGUNG DES KRIEGS.
Von Prof. Dr. Hajo Funke
15.3.2023 [1]
Wir sind nicht (!) im Krieg mit Russland. Nur noch eine radikale Minderheit unter Grünen, CDUlern und einigen FDPlern von unter 20 % spricht sich für Kampfflugzeuge aus. Keine Blutopfer in scheiternden Frühjahrsoffensiven – Nach einem Jahr Krieg mit über 200.000 Opfern.
(1) An einem Wendepunkt im Krieg
Selbstverständlich an der Seite des Selbstverteidigungsrechts der angegriffenen Nation
Die Forderungen der Ukraine nach mehr und schwereren Waffen ist verständlich, um angesichts drohender Ausweitung des Kriegs seitens Russlands ihr Selbstverteidigungsrecht durchzusetzen – allein, um das bisher verteidigte Territorium zu halten. Dies ist von der Ukraine in den letzten 11 Monaten bravourös geschehen. Sie hat sich mit Unterstützung des Westens erfolgreich zu verteidigen gewusst. Der Krieg in der Ukraine ist aber erneut an einem kritischen Wendepunkt. Der CIA-Chef Burns hat jüngst in Kiew in seinem Geheimtreffen mit Selenskyj von einem kritischen Wendepunkt in diesem Krieg gesprochen und von einem Moment, den es zu nutzen gelte. Er sieht voraus, dass mit der republikanischen Mehrheit im Kongress die bisherige militärische und politische Unterstützung nicht mehr so weiter geht, sondern zurückgeht.
Aber: Nach fast einem Jahr befindet sich der Ukraine Krieg in einem zerstörerischen Stellungskrieg mit inzwischen insgesamt 250.000 Opfern auf beiden Seiten ohne irgendeine Perspektive auf Sieg
Unter der zunehmenden Zerstörung kritischer Infrastruktur leidet die Ukraine. Ein Sieg der einen oder anderen Partei ist nicht in Sicht; seit inzwischen mehreren Monaten befinden sich Russland und die Ukraine in der Ost- und in der Südukraine mit einer leichten Veränderung da oder dort in einem Stellungskrieg: Die Ukraine wird mithilfe westlicher Waffen so unterstützt, dass es bisher zu keinem Sieg Russlands, aber eben so wenig zu einem vollständigen Sieg der Ukraine kommt.
Ein Sieg über Russland, wie er für einen langen Monat im April letzten Jahres von der Führung der Vereinigten Staaten gedacht worden war, schließt den Einsatz von Langstreckenwaffen und Kampfjets ein, um auf russischem Gebiet die Bedingungen für einen Sieg in der Ukraine herzustellen. Dies ist seit Ende Mai durch den amerikanischen Präsidenten als rote Linie – einschließlich der Gefahr eines Weltkriegs – ausgeschlossen worden. Es gibt – bisher – keine Langstreckenwaffen, keine Flugverbotszone oder den Einsatz von amerikanischen und NATO-Truppen in der Ukraine. Das aber wäre die Bedingung für einen „Sieg“ und erhöht zugleich die Gefahr einer auch nuklearen Eskalation und damit einer ultimativen Niederlage.
Das ukrainische Militär will das Zehnfache
Der ukrainische Generalstabschef, General Saluschnij (nach den Äußerungen von Kujat) forderte: «Ich brauche 300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schützenpanzer und 500 Haubitzen, um die russischen Truppen auf die Positionen vor dem Angriff vom 24.Februar zurückzudrängen».
Die radikalen Nationalisten um den stellvertretenden Außenminister Melnyk ergänzen diese Forderungen. Sie wollen vom Verteidigungsminister Pistorius die Lieferung von „Kampfpanzern, Kampfjets und Kriegsschiffe“ – und sie brauchen noch viel mehr, um realistisch nicht den vorzeitigen Zusammenbruch einer Offensive zu riskieren. Sie legen den Einsatz der NATO nahe und damit den Weltkrieg.
Von Kujat bis Domröse und Milley: Keine realistische Chance für eine gelingende Frühjahrsoffensive. Eine ukrainische Panzeroffensive wäre ein Himmelfahrtskommando.
Selbst dann dürften sie nach dem Rat inzwischen aller seriösen Militärexperten und Generäle zum Scheitern verurteilt sein. Warum? Schon in der Panzerdebatte hatte sich gezeigt, wie jenseits jeder militärischen Realität geredet wurde und tatsächlich Militärexperten aus der Schweiz im Fernsehen zu hören waren, wenn an die 100 Leoparden „freigelassen“ würden, würde das ein „Gamechange“ darstellen. Was für ein Unsinn. Eine Offensive im Süden der Ukraine zur Wiedereroberung der Gebiete östlich des Dnepr und womöglich in Richtung Krim war schon im Herbst nicht möglich, in diesem Frühjahr schon gar nicht. Die russische Seite hat sich eingegraben, hat ein riesiges Potenzial von – schlecht motivierten – Soldaten und eine irre Materialüberlegenheit, übrigens auch von einigen 1000 Panzern und die Luftüberlegenheit. Unter diesen Bedingungen eine Offensive zu wollen, würde bedeuten, dass man nicht 100 oder 300 Panzern im Verbund mit anderen bräuchte, sondern eine extrem höhere Zahl und im Grunde eine Luftüberlegenheit, ohne die eine Offensive im Hagel von Panzerabwehrfäusten im Blut versinkt. Für die ohnehin geschwächte ukrainische Armee das zu fordern, ist magisches Denken und Fühlen und erinnert an die ansonsten nicht vergleichbaren blutigen Kämpfe in Verdun, vor Stalingrad und an das Kanonenfutter von Millionen iranischer junger Soldaten an der Grenze zum Irak in einem acht Jahre langen furchtbaren „Abnutzungskrieg“ wie es verharmlosend heißt.
Die Militärs sind da eindeutig: der CDU nahe ehemalige General Hans Lothar Domröse sieht die Chancen für eine Frühjahrsoffensive der Ukraine bei 0: es wird nur blutig werden. Der amerikanische Generalstabschef Mark Milley sagt, es werde sich kaum etwas bewegen können. Der erfahrene NATO General Harald Kujat ebenso. Es gibt buchstäblich niemanden, der außer ein paar radikalen Militärs in der Ukraine realistisch von einem Erfolg einer solchen Frühjahrsoffensive ausgeht. Hinzu kommt, dass in Sachen Krim die Motivation der kämpfenden russischen Einheiten schnell sehr hoch sein könnte.
- Der amerikanische Generalstabschef Milley sagt, dass er nicht mit weiteren großen Veränderungen der gegenwärtigen Frontlinien rechnet. Im Grunde muss man von einem Patt seit mindestens 4-6 Monaten ausgehen, dass sich kaum noch verändert.
- Auf die Frage, wie die Ukraine ihre militärischen Ziele erreichen will, antwortet der nüchterne und vor allem erfahrene ehemalige NATO General Harald Kujat, dass sie sich bisher nicht einmal angemessen verteidigen kann, geschweige denn die Krim oder gar die Ostukraine zurückerobern kann: „Ob die ukrainischen Streitkräfte angesichts der großen Verluste der letzten Monate überhaupt noch über eine ausreichende Zahl geeigneter Soldaten verfügen, um diese Waffensysteme einsetzen zu können, ist allerdings fraglich. Jedenfalls erklärt auch die Aussage General Saluschnijs, weshalb die westlichen Waffenlieferungen die Ukraine nicht in die Lage versetzen … . Hinzu kommt, dass Russland die westliche Eskalation jederzeit durch eine eigene übertreffen könnte. „Dabei ist zu berücksichtigen, dass die russischen Streitkräfte offenbar die Absicht haben, das eroberte Gebiet zu verteidigen und den Rest des Donbas zu erobern, um die von ihnen annektierten Gebiete zu konsolidieren. Sie haben ihre Verteidigungsstellungen gut dem Gelände angepasst und stark befestigt. Angriffe auf diese Stellungen erfordern einen hohen Kräfteaufwand und die Bereitschaft, erhebliche Verluste hinzunehmen. Durch den Abzug aus der Region Cherson wurden ungefähr 22000 kampfkräftige Truppen für Offensiven freigesetzt. Zudem werden weitere Kampfverbände als Verstärkung in die Region verlegt.“
Die Kämpfe in der Ostukraine sind inzwischen von einem blutigen Stellungskampf geprägt. Die russischen Armeeeinheiten sehen sich nach den wochenlangen Häuserkämpfen von Bachmut und den Nachbarstädten in Kämpfen um Meter. Sie sind umso blutiger. Wollen beide Seiten tatsächlich die Zerstörung von Ressourcen, vor allem aber von Menschen auf weitere Hunderttausende in einem zweiten Jahr eines blutigen Stellungskriegs erhöhen? Das macht für keine Seite weder aus moralischen noch aus ideologischen Gründen Sinn.
Hinzu kommt, dass die Taktiken beider Seiten um die Atomanlagen in der Ukraine hoch gefährlich sind ebenso wie die intensiven Debatten der amerikanischen Militärs und der russischen Militärs, ob und wie man taktische Nuklearwaffen einsetzt, schon deswegen bedrohlich sind, weil wie vor 40 Jahren im Herbst 1983 und vor gut 60 Jahren vor Kuba Unfälle und falsche Wahrnehmungen drohen.
Fragen zur Moral im Krieg
Nach der moralisch-normativen Reflexion ist der völkerrechtswidrige furchtbare Angriffskrieg der russischen Führung auf die Ukraine am 24. Februar letzten Jahres durch nichts zu rechtfertigen. Allein verantwortlich für diesen Angriffskrieg ist die russische Führung. – Aber gehört es nicht ebenso zu einer normativen Reflexion, und das gilt für alle Seiten, dass dieser Krieg selbst mit seiner weiteren Dauer eine andere normativ-moralische Frage aufwirft: Ist es legitim – das gilt erneut für alle Seiten – , Leid und Zerstörung für Menschen und Gesellschaften weiterhin hinzunehmen, ohne alles – aber auch alles – in der Macht der Regierungen unserer Völker Stehende zu tun, diese destruktive Eskalation im Krieg zu unterbrechen! Müssen wir nicht spätestens jetzt, nachdem wir wissen, wie sehr dieser Krieg zerstört, mindestens 200.000 Menschen – Ukrainer und Russen – zu Opfern gemacht, mehr als zehn Millionen in die Flucht getrieben hat, die Waffen Russlands die kritische Infrastruktur zunehmend zerstören und es keine Perspektive auf eine Lösung durch Krieg gibt, weder für die eine noch für die andere Seite, erst recht keinen vollständigen Sieg – die Frage stellen, ob ein weiter so durch mehr Waffen und mehr Eskalation gegenüber den betroffenen Gesellschaften und den gefährdeten Menschen sich noch rechtfertigen lässt? Mit Freud aus dem Jahre 1915 – nach einem Jahr „seines“ Kriegs: Widerspricht der Krieg nicht in der grellsten Weise unseren psychischen Einstellungen? Müssen wir uns nicht nun gegen ihn empören? Wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht bloß eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist … eine konstitutionelle Intoleranz.“ Spricht in anderen Worten nicht alles dafür, mit hochrangigen Verhandlungsinitiativen auf UN-Ebene schlicht das Morden zu unterbrechen? Es braucht daher weltweit und hier wirkungsvolle Ansätze für eine Unterbrechung dieses Kriegs. Dafür sind in den letzten Wochen die Chancen gestiegen.
(2) In Deutschland wächst der Druck für eine Verhandlungsinitiative.
Jeweils über 70 % befürchten eine Ausweitung des Kriegs über das Gebiet der Ukraine hinaus, unterstützen Olaf Scholz in seiner moderaten Politik und sind gegen die Lieferung von Kampfflugzeugen. Nach einer von autoritärem Freund-Feind-Denken bestimmten Panzerdebatte
In Deutschland ist nach dem nahezu erpresserischen Vorgehen eines Teils der deutschen Parteien, der Medien und einiger mittelosteuropäischer Staaten im Panzerdeal nach Ramstein die Stimmung ins Gegenteil umgeschlagen. Nach einer Erhebung von Forsa, die am 1. Februar 2023 veröffentlicht worden ist, (vgl Tsp, 1.2.23) sind es inzwischen nur noch nicht einmal mehr 20 %, die sich für die Lieferung von Kampfflugzeugen, Schiffen oder U-Booten an die Ukraine aussprechen.. „Eine Lieferung von Kampfflugzeugen, Schiffen oder U-Booten an die Ukraine stößt mehrheitlich auf Ablehnung. 70 Prozent der Befragten sagten, Deutschland solle derartiges Kriegsgerät nicht liefern. Lediglich 19 Prozent sprachen sich dafür aus. (…) 72 Prozent der Teilnehmenden (gaben) an, sie befürchteten, dass sich der Krieg nicht auf das Gebiet der Ukraine beschränken werde, wie das Meinungsforschungsunternehmen am Mittwoch mitteilte. (…) Das zurückhaltende Agieren von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Frage, ob Deutschland der Ukraine Kampfpanzer liefern [2] soll, findet der Erhebung zufolge viel Unterstützung. 73 Prozent der Befragten sagten, es sei richtig gewesen, dass Scholz erst nach Abstimmung mit Nato-Partnern eine Entscheidung dazu traf. 20 Prozent verneinten dies.[3]
Der Umschwung in Deutschland hatte sich bereits seit einigen Wochen abgezeichnet. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wollte gegen die veröffentlichte Meinung/die Fraktionsspitzen von FDP/GRÜNEN/CDU im Parlament/Mainstreammedien eine entschieden aktivere diplomatische Verhandlungspolitik zur Unterbrechung des Kriegs. Nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung von gerade einmal 25 % wollte bereits vor einem Monat mehr schwerere Waffenlieferungen, nur gerade mal ein gutes Drittel (35 %) der Deutschen wollten mehr Sanktionen gegen Russland und halten die diplomatischen Bemühungen für angemessen, während eine stabile Mehrheit von 52 % der Bevölkerung mehr und ernsthaftere diplomatische Anstrengungen zur Beendigung des Kriegs wollte. (Vgl stern, 5. 1. 23) Die Regierung agiert unter dem Druck mehr oder weniger bellizistischer Positionen in der FDP, bei den Grünen und in größeren Teilen der oppositionellen CDU in der entscheidenden Frage von Krieg und Frieden seit längerem gegen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit für eine Abwendung von dieser den Krieg eskalierenden Politik, für eine Wende.
Ein möglicher Weg zum Frieden in der Ukraine
Endlich, nach dem riesigen Erfolg der Kundgebung vom 25. Februar zum „Manifest für Frieden“, das von einer Mehrheit (!) der deutschen Bevölkerung gut gefunden worden ist, hat nun einer der langjährig höchsten und einflussreichsten Diplomaten von Rang, Wolfgang Ischinger in einem Beitrag vom 12. März im Tagesspiegel die Konsequenzen gezogen und öffentlich ein Weg zum Frieden in der Ukraine gefordert: „Raus aus der Schockstarre: Ein möglicher Weg zum Frieden in der Ukraine. Der Westen muss sich schon jetzt Gedanken über einen Friedensprozess machen. Wie dieser aussehen könnte und von welchen Beispielen der Westen lernen kann.“ [4]
Die fatalen Vier von der Front in der Defensive – Hofreiter. Bütikofer (Straßburg). Annalena Baerbock. Strack-Zimmermann
Annalena Baerbock hat es in Straßburg vor dem europäischen Parlament ausgesprochen: „Wir sind im Krieg mit Russland.“ Die Außenministerin des größten westeuropäischen Staates, der Bundesrepublik hat eine entschieden militaristische Position eingenommen. Sie hat in Straßburg die von dem Grünen Bütikofer geschmiedete Koalition einer unbedingten Ausweitung der Waffenlieferungen für die Ukraine unterstützt; sie ist sich de facto einig mit dem radikalnationalistischen Flügel in der ukrainischen Politik.
„Deutschland hat gerade wieder versagt“. „Scholz laviert bei der Panzerfrage“, „Ruinierter Ruf“ - Die Panzerdebatte in deutschen Medien war ein Irrsinn, von keiner realistischen Kriegslage in der Ukraine geprägt und Ausdruck einer fatalen Polarisierung des: bist du nicht dafür, bist du mein Feind
Es handelte sich um verantwortungslose Kriegsdiskurse und darum, dass Deutschland als Sündenbock dargestellt werden sollte, und um Abgründe an Unterstellungen, Misstrauen ohne jede Fairness. Unter diesem autoritären Trommelfeuer wuchsen die Gefahren der Erpressung jenseits von jeder moralischen und politischen Verantwortung.
Die Kritik einiger osteuropäischer Staaten und ein großer Teil der Mainstream-Medien in Deutschland hatte in der Panzerdebatte sich in Polarisierungen geübt nach dem Motto: wenn wir jetzt nicht liefern, sterben Menschen, als würden nicht in diesem Krieg – unabhängig von den Waffen, die zusätzlich kommen, Menschen sterben – und es eigentlich darum gehen müsste, diesen Krieg mit erheblicher größerer Anstrengung um einen Waffenstillstand zu unterbrechen. Stattdessen wird wechselweise unterstellt, die russische Seite wolle keine Verhandlungen und Verhandlungen seien sowieso moralisch bedenklich, weil die russische Seite Kriegsverbrechen begangen habe. Konsequenterweise soll es um eine unendliche Aufrüstung und weitere Offensiven bis zum Sieg gehen, die es aber wegen der westlichen Selbstbeschränkung an Waffenlieferungen nicht geben wird, solange es keinen Eintritt der NATO in den Krieg gibt. Von der russischen Seite dadurch, dass sie eine krachende Niederlage nicht zulassen wird. Die simple Folge ist, dass beide Seiten massiv aufrüsten und es in den prognostizierten bzw. angestrebten Frühjahrsoffensiven blutigste Kämpfe geben dürfte.
(3) Die Vereinigten Staaten am Scheideweg – Ihre prekäre Verantwortung der NATO während des Ukraine-Kriegs und zuvor
Die Vereinigten Staaten gehen nicht mehr wie im April und Mai letzten Jahres davon aus, Russland eine schwere militärpolitische Niederlage beizubringen. Offenkundig ist der US-Präsident an einer Unterbrechung interessiert. Immerhin hat es anders als in Deutschland hierzu eine intensive breite öffentliche Debatte gegeben, an der sich nahezu alle Größen der internationalen Politikwissenschaft wie Charles Kupchan, Henry Kissinger, Richard Haass oder John Ikenberry beteiligen; daran interessiert ist ebenso der leitende US-Militär Mark Milley und der Nationale Sicherheitsberater Sullivan. An den Vereinigten Staaten liegt es, ernsthaft und noch stärker als bisher – hinter verschlossenen Türen geschieht dies längst – die Ukraine auf Verhandlungen vorzubereiten. Dabei ist klar, dass sie Art und Ausmaß der Ergebnisse nicht vorgeben können und auch nicht wollen.
Die Vereinigten Staaten sind sich zwar vielfach uneinig in der Frage der Ukraine, aber doch nach wie vor dominiert von einer letztlich neokonservativen Linie, die 1. das ökonomische, politische und Macht-Interesse zum Angelpunkt jeder außenpolitischen Entscheidung macht und die 2. davon ausgeht, dass mit der Schwächung Russlands – und Europas – die Hauptauseinandersetzung mit China besser gelingt.
Auf die NATO-Staaten, die Kontaktgruppe Ukraine und insbesondere die Vereinigten Staaten kommt hierbei eine besondere Verantwortung zu. Sie haben ein von der russischen und der ukrainischen Delegation zustande gebrachtes Papier vom März letzten Jahres, das einen Waffenstillstand bereits vorsah, durch Interventionen der NATO und insbesondere des damaligen britischen Regierungschef Boris Johnson de facto verhindert. Am 29. März war es zu einer Vereinbarung zwischen den Verhandlungsdelegationen Russlands und der Ukraine zu einer möglichen Beendigung des Kriegs gekommen, nach der die Ukraine ihre Neutralität erklärt, Russlands Truppen sich zurückziehen, der Status der Krim 15 Jahre ohne militärische Intervention offen bleibt, Luhansk und Donezk eine erweiterte Autonomie von der Ukraine erhalten und eine Reihe von Garantiemächten, unter anderem Russland, China, Israel, Großbritannien und Deutschland den Waffenstillstand sichern. Dazu waren die Vorschläge der Ukraine von der russischen Seite in einem Vertragsangebot umgesetzt worden.
Am 10. April ist Boris Johnson in Kiew und erteilt der Kiewer Regierung auf der Basis eines NATO-Treffens vom 24. März in Brüssel de facto ein Verbot der Umsetzung des Kompromisses von Ende März. Offenkundig glaubte man im Westen, man könne Russland eine Niederlage beibringen. Im April erklärte US-Verteidigungsminister Austin, Russland die Angriffskapazität zu entziehen. Ende Mai wechselte indes der US-Präsident die Taktik und dementierte die unbegrenzte Eskalation, wie sie vorher entwickelt worden ist.
Bekannt ist, dass sich spätestens seit 2008 die amerikanisch-russischen Beziehungen verschlechtert haben. Dies lag, um mit einer Legende aufzuräumen, keineswegs nur an dem damaligen russischen Präsidenten Putin, sondern auch an den amerikanischen Präsidenten Bush junior. Denn es war die Ermutigung amerikanischer Kreise, durch die sich der damalige Präsident Georgiens entschieden hatte, die nach internationaler Verabredung von russischen Besatzungstruppen besetzt gehaltene kleine Region Südossetien mit Streubomben am 7. und 8. August 2008 anzugreifen und in den 1. Stunden 162 Zivilisten und 14 russische Soldaten zu töten. Daraufhin erst erfolgte der russische Angriff; über den französischen Präsidenten Sarkozy kam es zur Vermittlung. William Burns, der heutige CIA-Chef hat in seinen Aufzeichnungen als US-Botschafter in Moskau die prekäre Wende miterlebt und beschrieben. Zu den vehementesten Kritikern des US-amerikanischen Vorgehens und Befürwortern einer UN Verhandlungsinitiative gehört der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs.
Die Ukraine will Waffen für die Eroberung der Krim – Die Vereinigten Staaten nicht: Der Konflikt zwischen den ukrainischen Militärs und der Haltung der Vereinigten Staaten eskaliert
Nach Politico vom 1. Februar 2023 eskaliert der militärstrategische Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Führung der Ukraine:
„Ukraine can’t retake Crimea soon", Pentagon tells lawmakers in classified briefing. "I still maintain that for this year it would be very, very difficult to militarily eject the Russian forces from all –– every inch of Ukraine and occupied –– or Russian-occupied Ukraine,” he said during a meeting of the Ukraine Defense Contact Group in Germany [5] on Jan. 20. “That doesn’t mean it can’t happen. Doesn’t mean it won’t happen, but it’d be very, very difficult.” Russian forces have occupied Crimea since 2014, and the peninsula is bristling with air defenses and tens of thousands of troops. Many of those infantry forces are dug into fortified positions stretching hundreds of miles facing off against Ukrainian troops along the Dnipro River. The issue of retaking Crimea has been a contentious one for months, as American and European officials insist the peninsula is legally part of Ukraine, while often stopping short of fully equipping Kyiv to push into the area. One person familiar with the thinking in Kyiv said the Zelenskyy administration was “furious” with Milley’s remarks, as Ukraine prepares for major offensives this spring. Ukrainians also note that U.S. intelligence about their military abilities have consistently missed the mark throughout the nearly year-long war. Speaking at the World Economic Forum in Davos last month, Zelenskyy adviser Andriy Yermak rejected the idea of a Ukrainian victory without taking Crimea. “This is absolutely unacceptable,” Yermak said, adding that victory means restoring Ukraine’s internationally recognized borders “including Donbas and Crimea.” Ukraine has repeatedly asked for longer-range weapons, including rocket artillery and guided munitions fired by fighter planes and drones, to target Russian command-and-control centers and ammunition depots far behind the front lines in Crimea. After the U.S. gave Ukraine the High Mobility Artillery Rocket System in the summer, Russia moved many of its most vulnerable assets out of its 50-mile range. The Biden administration continues to refuse to send missiles for the launcher that can reach 300 miles, which would put all of Crimea at risk.“ [6, Übersetzung]
Aus der hier sichtbar werdenden strategischen Entscheidung in Teilen des ukrainischen Militärs, die Krim jetzt zurückerobern zu wollen, erklärt sich die Eskalation in der Panzerdebatte und der gleich nachfolgenden Forderung etwa des radikalen Nationalisten und Bandera-Anhängers Melnyk, Kampfjets und damit die Luftüberlegenheit, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe sowie Unterseebote in seiner ihm eigenen ultimativen Sprache zu fordern. Man würde damit sämtliche rote Linien überrennen und eine unabsehbare Eskalation provozieren. Melnyk wird in dieser zerstörerisch-selbstzerstörerischen Dynamik de facto von dem militaristisch-neokonservativen Teil der deutschen Grünen unterstützt, die damit endgültig mit einer friedenspolitischen Tradition, der es auch um Diplomatie und Verhandlungen geht, brechen. Selbst mit einem beträchtlichen Teil des geforderten militärischen Materials wäre der Versuch in Frühjahrsoffensiven die Krim erobern zu wollen, nach den Urteilen der oben erwähnten seriösen Militärs in Deutschland und in den vereinigten Staaten ein Harakiri mit unerhörtem Blutzoll und vermutlichem Scheitern. Er wäre Wahnsinn – Er würde Ukraine in die Niederlage und zu einer unfassbaren Ausweitung des Kriegs führen. Die ukrainische Zivilbevölkerung würde am meisten leiden. Das kann nicht im Sinne unserer Unterstützung sein.
(4) Appell für den Frieden. Wachsende Bedeutung internationaler Verhandlungsinitiativen.
Von großer Bedeutung ist die Einwirkung auf eine Unterbrechung des Kriegs durch die BRICS-Staaten, vor allem durch China und Indien, aber auch Südafrika und Brasilien, die nicht nur keine Sanktionen wollten und wollen, sondern auch ein fundamentales ökonomisches und politisches Interesse am Ende dieses Krieges haben. Von dieser Seite – ebenso wie von der Türkei – sind mit den Gesprächen zwischen Frankreich und China sowie den Vereinigten Staaten und China in den nächsten Wochen hoffentlich weitere Initiativen zu erwarten.
Präsident Lula will zusammen mit China vermitteln – Der Druck wächst in den Staaten des globalen Südens: in Brasilien, Südafrika, Indien und China
Der brillante außenpolitische Experte der Shanghai International Studies University, PROF. DR. HUANG JING 黄靖, hat jüngst im Konfuzius-Institut der Freien Universität die sehr eigenständige außenpolitische Linie Chinas überzeugend erklärt: Danach geht es China nach wie vor um eine Stabilisierung der internationalen Ordnung und um Multilateralismus, nicht zuletzt um das chinesische Interesse, gedeihliche ökonomische Beziehungen mit den wichtigen Partnern in der ganzen Welt nicht zu gefährden sondern zu fördern. Er hat dargelegt, dass China an einer friedlichen Ein-Chinapolitik festhält und überhaupt kein Interesse an militärischen Abenteuern in Sachen Taiwan entwickelt hat, obwohl dies von der transatlantischen Lobby je neu beschworen wird und sogar zu Versuchen der beiden grünen Minister im Kabinett Scholz geführt hat, China zu dämonisieren und ohne Erfolg eine entsprechende Nationale-Sicherheits-Strategie aufzuschreiben. Vor allem ist China nicht interessiert, sich allzu sehr an die Politik Russlands zu binden oder gar mit Russland eine Allianz zu bilden. Das aber bietet Chancen dafür, dass China mit den BRICS-Staaten auf eine Eindämmung und Unterbrechung des Kriegs gegenüber Russland, aber auch gegenüber der Ukraine drängt.
In Westeuropa sind es jeweils die Regierungschefs von Frankreich und auch Deutschland, die versuchen, die Eskalation etwa durch immer schwerere Waffenlieferungen mehr oder weniger entschieden zu bremsen.
Zu einer Gruppe für Verhandlungsinitiativen gehört die in Deutschland und Österreich und weiteren westeuropäischen Ländern aktive Initiative mit ihrem „Appell für den Frieden“, deren Tentakel in die demokratischen Parteien hineinreicht:
Appell für den Frieden gerichtet an die deutsche und österreichische Bundesregierung, an Mitglieder des Deutschen Bundestags bzw. des österreichischen Nationalrats und die interessierte Öffentlichkeit
Bitte unterstützen Sie unseren Friedensappell und unterzeichnen Sie ihn auf Change.org:
Appell für den Frieden: Das Töten in der Ukraine muss beendet werden! Unter: https://chng.it/N2ggCS5Q
Sie fordert „von der Bundesregierung im Sinne des 2+4-Vertrags, dass sie sich umgehend und mit dem nötigen diplomatischen Einsatz für eine vom UN-Generalsekretariat getragene hochrangige Verhandlungsinitiative zur Beendigung des eskalierenden Kriegs in der Ukraine einsetzt. Das gegenseitige Töten und auch die massive Umweltzerstörung durch den Krieg sind nicht länger von der internationalen Gemeinschaft der Völker hinnehmbar! (…) Frieden entsteht nicht durch mehr Krieg! Kriege enden nicht im Frieden! Nur eine Politik, die ehrlich alle Gefahrenpotentiale zeitnah angeht, kann die Zukunftsgefährdungen abwenden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich hier eindeutig positioniert und konsequent im Rahmen internationaler Absprachen handelt!“
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Die Machtübergabe an Hitler vor 90 Jahren war der entscheidende Schritt zur Vorbereitung des 2. Weltkriegs. In einer völlig anderen Situation 90 Jahre danach geht es erneut um die Eindämmung der Eskalationsrisiken eines autoritären Anführers. Die Eskalationsbedingungen sind heute andere und zwar durch die Nuklearmächte, die in diesem Krieg direkt und indirekt verwickelt sind. Es spricht im Wissen um die schier unendliche Eskalationsgefahr in Kriegen einiges dafür, ihn möglichst bald zu unterbrechen.
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Prof. Dr. Hajo Funke, emeritierter Politikwissenschaftler an der FU Berlin, u.a. Gastdozent am Center for European Studies an der Harvard University in Cambridge/ USA (2007 bis 2015), Rechtsextremismus- und Antisemitismus-Forscher, Erstunterzeichner des Appells für den Frieden, u.a. Autor des Buches Die Höcke-AfD. Vom gärigen Haufen zur rechtsextremen »Flügel«-Partei. Hamburg: VSA-Verlag, akt. Ausgabe 2021.
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Anmerkungen
[1] Aus meinem Vortrag auf der friedenspolitischen Tagung vom 4.3.2023 und meiner Flugschrift „Auf dem Weg zum Frieden in der Ukraine“ (Arbeitstitel), die in ca. 2 Wochen in Berlin erscheint, Hajo Funke
[2] Nach einer jüngst vom europäischen Meinungsforschungsnetzwerk Euroskopia in neun EU-Ländern (Portugal, Österreich, den Niederlanden, Polen, Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien und Griechenland) durchgeführten Studie, sprach sich eine relative Mehrheit von 48 Prozent für ein schnelles Ende des Konflikts aus, selbst wenn die Ukraine dafür einen Teil ihres Territoriums an Russland abtreten müsste, während 32 Prozent (…) ein solches Opfer zur Beschleunigung des Friedens ablehnen. Österreich (64 Prozent) und Deutschland (60 Prozent) sind die Mitgliedstaaten mit der höchsten Zustimmung zu dieser Option, die auch von den Griech:innen (54 Prozent), Italiener:innen (50 Prozent) und Spanier:innen (50 Prozent) unterstützt wird. (Vgl. https://euroskopia.com/europeans-divided-about-ukraine-quick-end-despite-territorial-cost/o.D., 15.3.2023.) Ähnliche Ergebnisse finden sich für die russische Bevölkerung. Inzwischen sprechen sich nach Umfragen des Kreml 45 % für Friedensgespräche mit der Ukraine aus und nur 25 % für eine Fortsetzung der Kampfhandlungen (vergleiche Merkur, 5.12.2022)
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/kanzler-entscheidung-mehrheit-fur-leopard-2-lieferung-an-ukraine-9251709.html, 27.1.2023, 15.3.2023.
[4] Nach einer jüngst vom europäischen Meinungsforschungsnetzwerk Euroskopia in neun EU-Ländern (Portugal, Österreich, den Niederlanden, Polen, Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien und Griechenland) durchgeführten Studie, sprach sich eine relative Mehrheit von 48 Prozent für ein schnelles Ende des Konflikts aus, selbst wenn die Ukraine dafür einen Teil ihres Territoriums an Russland abtreten müsste, während 32 Prozent (…) ein solches Opfer zur Beschleunigung des Friedens ablehnen. Österreich (64 Prozent) und Deutschland (60 Prozent) sind die Mitgliedstaaten mit der höchsten Zustimmung zu dieser Option, die auch von den Griech:innen (54 Prozent), Italiener:innen (50 Prozent) und Spanier:innen (50 Prozent) unterstützt wird. (Vgl. https://euroskopia.com/europeans-divided-about-ukraine-quick-end-despite-territorial-cost/o.D., 15.3.2023.). Ähnliche Ergebnisse finden sich für die russische Bevölkerung. Inzwischen sprechen sich nach Umfragen des Kreml 45 % für Friedensgespräche mit der Ukraine aus und nur 25 % für eine Fortsetzung der Kampfhandlungen (vergleiche Merkur, 5.12.2022).
[5] https://www.defense.gov/News/Transcripts/Transcript/Article/3273771/secretary-of-defense-lloyd-j-austin-iii-and-general-mark-a-milley-press-confere/, 20.1.2023, 15.3.2023.
[6] Übersetzung: “Die Ukraine kann die Krim nicht so bald zurückerobern”, so das Pentagon in einem geheimen Briefing an die Gesetzgeber. “Ich bleibe dabei, dass es in diesem Jahr sehr, sehr schwierig sein wird, die russischen Streitkräfte aus der gesamten Ukraine oder russisch besetzten Ukraine militärisch zu vertreiben”, sagte er bei einem Treffen der Ukraine Defense Contact Group in Deutschland am 20. Januar. “Das heißt nicht, dass es nicht passieren kann. Es heißt auch nicht, dass es nicht passieren wird, aber es wäre sehr, sehr schwierig.” Die russischen Streitkräfte halten die Krim seit 2014 besetzt, und die Halbinsel ist mit Luftabwehrsystemen und Zehntausenden von Soldaten bestückt. Viele dieser Infanterietruppen haben sich in befestigten Stellungen verschanzt, die sich über Hunderte von Kilometern erstrecken und den ukrainischen Truppen entlang des Flusses Dnipro gegenüberstehen. Die Frage der Rückeroberung der Krim ist seit Monaten umstritten, da amerikanische und europäische Beamte darauf beharren, dass die Halbinsel rechtlich zur Ukraine gehört, während sie oft nicht bereit sind, Kiew vollständig auszurüsten, um in das Gebiet vorzustoßen. Eine Person, die mit den Überlegungen in Kiew vertraut ist, sagte, die Regierung Zelenskyy sei “wütend” über Milleys Äußerungen, da sich die Ukraine auf größere Offensiven in diesem Frühjahr vorbereitet. Die Ukrainer weisen auch darauf hin, dass die US-Informationen über ihre militärischen Fähigkeiten während des fast einjährigen Krieges immer wieder daneben gelegen haben. In einer Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im vergangenen Monat wies Zelenskyy-Berater Andriy Yermak die Vorstellung eines ukrainischen Sieges ohne Einnahme der Krim zurück. “Dies ist absolut inakzeptabel”, sagte Jermak und fügte hinzu, dass ein Sieg die Wiederherstellung der international anerkannten Grenzen der Ukraine “einschließlich Donbas und Krim” bedeute. Die Ukraine hat wiederholt um Waffen mit größerer Reichweite gebeten, darunter Raketenartillerie und Lenkmunition, die von Kampfflugzeugen und Drohnen abgefeuert wird, um russische Kommandozentralen und Munitionsdepots weit hinter den Frontlinien auf der Krim zu treffen. Nachdem die USA der Ukraine im Sommer das High Mobility Artillery Rocket System zur Verfügung gestellt hatten, verlegte Russland viele seiner verwundbarsten Anlagen aus der 50-Meilen-Reichweite. Die Biden-Administration weigert sich weiterhin, Raketen für die Abschussvorrichtung zu schicken, die eine Reichweite von 300 Meilen haben, was die gesamte Krim gefährden würde.”